Ein kleiner Hütehund voller Elan
Ein Minimum an Grösse und ein Maximum an Energie und Temperament. So will es der Standard und so wollten es die französischen Bergbauern und Hirten in den Pyrenäen, die seit mindestens 200 Jahren mit diesem Hund zusammenleben und ihm ihre Schafe, Rinder und Pferde anvertrauen.
Ein Hund mit einer Mission
Klein, wendig, robust und zum Bersten voll mit Energie. So haben ihn sich die Hirten und Bauern in den Pyrenäen gewünscht und auch unter Einfluss von vorbeiwandernden Hirtenhunden oder Hunden vom Markt gezüchtet. Um ihre Herden in den Bergen zusammenzuhalten oder von A nach B zu treiben, brauchten und brauchen sie einen nimmermüden Mitarbeiter, der nicht zu viel Biss hat, aber zupackt. Denn ein Hund, der Schafe zu hart anpackt, macht diese sensiblen Tiere scheu und treibt sie im schlimmsten Fall in die Flucht. Trotzdem muss ein Hund, der an Schafen arbeitet, mit Nachdruck dahinter sein, da die schlauen Tiere sofort merken, ob der Hund und sein Hirte wissen, was sie tun oder ob man nicht doch auf Nachbars Land Kräuter knabbern kann. Bei einer Herde kommt irgendeinem Schaf immer etwas in den Sinn, darum muss der Pyri ein absoluter Schnelldenker sein. Das erfordert mentale und auch physische Ausdauer. Schliesslich muss er stundenlang um Herden kreisen, Ausreisser eintreiben und die Schafe auf ihren Wanderungen begleiten. Aber auch Teamwork gehört zu seinem Jobbeschrieb, ob mit dem Hirten oder dem Pyrenäenberghund, mit dem er eng zusammenarbeitet. Erkennt der kleine Pyri eine Gefahr, eilt er hin und verbellt diese, bis der weisse Berghund ihm zu Hilfe kommt und den Eindringling vertreibt.
Die Wendigkeit ist genauso unabdingbar, denn der Pyri muss agiler sein als die Schafe und das in steilem, gebirgigem Terrain. Zusammengefasst hat es der Club Berger des Pyrénées Deutschland (CPD) so: «Um diese Arbeit im Hochgebirge zu bewältigen, braucht ein Hütehund ein hohes Mass an Intelligenz, Eigenwillen und Vorsicht, viel Mut und Energie.»
Etwas Geschichte
Ihrer Grösse, ihres Schneids und ihrer Gelehrigkeit wegen wurden diese mittelgrossen Hunde während des Ersten Weltkriegs rege rekrutiert. Die französische Armee schätzte sie als Melde-, Sanitäts- oder Patrouillenhunde sehr. Das führte auch zu dem traurigen Ergebnis, dass keine andere Diensthunderasse wie die Pyris so viele Gefallene verzeichnen mussten. Doch ihre unzähligen Heldentaten wurden nicht vergessen und so bildete sich unter Oberst Tolet eine erste Liebhabergruppe, die 1921 einen Rassestandard der Face Rase an die Société Centrale Canine (französischer nationaler Dachverband für Hundezucht) einreichte ‒ leider erfolglos. Zwei Jahre später wurde ein Verein gegründet, der sich sowohl für den Schäfer- wie auch den Berghund einsetzte. Dank dessen Bemühungen wurde der Pyri 1926 als Rasse anerkannt.
Über die frühere Entstehungsgeschichte dieses kleinen Arbeiters ist wenig gesichert. Vom Hörensagen sind die Quellen, die seine Herkunft überliefern. Hinzu kommt, dass sich bis zur Jahrhundertwende eigentlich niemand für diese Rasse interessierte, ausser natürlich die Hirten, die mit diesen Hunden in einem geografisch geschlossenen und begrenzten Raum ihrer Aufgabe nachgingen. Dieser abgeschlossene Raum führte vermutlich zur raschen Vereinheitlichung der Rasse, wobei vorbeiwandernde Herden oder Viehmärkte immer wieder willkommene Blutauffrischungen ermöglichten. Gleichzeitig bot diese Abgeschiedenheit der Rasse die Möglichkeit, sich optimal an die geografischen und klimatischen Begebenheiten der rauen Gebirgslandschaft anzupassen.
Eine Rasse, zwei anerkannte
Den Berger des Pyrénées gibt es in zwei Varianten: Den «Museau Normal», auch bekannt als «à poil long», und den «Face Rase». Ersterer hat eine behaarte Schnauze und Augenbrauenbildung, wobei das Kopfhaar «im Windstoss» steht und die Augen nicht überdecken darf. Dabei gibt es langhaarige und mittellanghaarige Modelle, wobei nicht die Länge, sondern die Verteilung des Fells entscheidend ist. Insbesondere achtet man darauf, wie stark die Vorder- und Hinterläufe behaart sind. Der Face Rase hat ein glattes Gesicht mit kurzer Kopfbehaarung ohne Ansatz zur Augenbrauenbildung. Die Läufe sind kurz und anliegend behaart. Der Face Rase darf etwas grösser ausfallen als der Museau Normal. Beim Museau Normal ist die Grösse der Rüden auf 42 bis 48 und die der Hündinnen auf 40 bis 46 Zentimeter begrenzt. Die Face-Rase-Rüden hingegen haben ein Stockmass von 40 bis 54 und die Hündinnen von 40 bis 52 Zentimetern.
Bereits seit den 1920er-Jahren werden beide Varianten der Rasse gezüchtet und gerichtet. Hans Räber (Schweizer Kynologe) weist darauf hin, dass in einem Wurf von Museau Normal immer wieder auch Face Rase vorkommen. Zusätzlich betont Räber mehrfach, dass sich diese Hunde eigentlich nur im Haarkleid unterscheiden, aber nicht in ihrem, wie er es nennt, vorzüglichen Körperbau. Auch interessant ist, dass diese beiden Rassen auch heute noch gekreuzt werden dürfen. In anderen Quellen findet man auch den Hinweis, dass der Face Rase führiger und weniger misstrauisch gegenüber Fremden sein soll.
Besonderheiten im Aussehen
Dass der Rassestandard einen schwarz pigmentierten Nasenschwamm sowie schwarze Lefzen und Lidränder fordert, hat vermutlich auch mit seiner Bestimmung als Hütehund zu tun. Denn wie Raymond Coppinger (Verhaltensbiologe) in seinen Abhandlungen über die Hunde der Transhumanz (Wanderweidewirtschaft) schreibt, sind Hunde mit rosa Pigmentierung stärker sonnenbrandgefährdet, was bei langer Exposition Hautkrebs nach sich ziehen kann. Bei einem Hund, der dafür gezüchtet wurde, manchmal tagelang draussen zu sein, ist das kein unwichtiges Thema. Aus demselben Grund trägt der Pyri auch ein mittellanges bis langes, schützendes Fell mit Unterwolle, das warm hält, aber auch vor Sonne, Wind und Wetter wie auch vor Prellungen, kleinen Schlägen oder Dornen schützt.
Daher gilt der Pyri in Züchterkreisen als eine natürliche Rasse, was dazu führt, dass er oft auch noch in seiner «Arbeitertracht» an Ausstellungen gezeigt wird: mit verfilzten Schnüren («Cadenettes») oder sogar ganzen Filzplatten, die von selbst entstehen, wenn man den Hund nicht bürstet. Solche verfilzten Stellen sind sicherlich ein guter Schutz gegen Wind und Wetter, aber für im Haus gehaltene Hunde eher unhygienisch und geruchsstark. Wenn man also verhindern will, dass das Fell verfilzt, muss man mehrmals pro Woche zur Bürste greifen, was aber schnell erledigt ist. Das Fell des Pyris wird als Zwischending zwischen Ziegenhaar und Schafswolle beschrieben.
Neben der Felllänge bietet der Pyri auch eine grosse Varietät an Fellfarben. Der Rassestandard beschreibt: «Mehr oder weniger dunkles Fauve mit oder ohne Überdeckung von schwarzen Haaren und gelegentlich etwas Weiss an Brust und Gliedmassen; mehr oder weniger intensives Grau, oft mit Weiss an Kopf, Brust und Gliedmassen; Blau mit schwarzer Tüpfelung (Harlekin oder Schieferblau). Ebenso kommen die Farben Gestromt, Schwarz oder Schwarz mit weissen Flecken (begrenzt gesprenkelt) vor. Die reinen Farben werden bevorzugt.» Dabei gelten Weiss oder andere Farben heute als zuchtausschliessende Fehler. Das ist auch der Fall, wenn im Verhältnis ein Drittel mehr weisses als schwarzes Haar vorhanden ist.
Die Pyris sind, was die Farbe betrifft, kleine Überraschungseier. Manuela Eichenberger, Pyri-Besitzerin und erfolgreiche Agility-Handlerin, erklärt: «Man kann sich nicht auf die Fellfarbe eines Welpen verlassen. Manchmal sind sie erst schwarz und werden mit der Zeit ganz grau, aber auch umgekehrt kann es gehen.» Ausserdem besitzt der Pyri an den Hinterpfoten noch die Afterkralle, die sowohl einfach wie auch doppelt vorkommen kann.
Für wen geeignet?
Aufgrund seiner ansprechenden Grösse und Äusseren wird man sich den Pyri leicht als Begleithund vorstellen können, wobei sein lebhafter Charakter und seine ausgesprochene Intelligenz bei einer mit Hunden unerfahrenen Person zu einem ziemlichen Abenteuer führen können. Obwohl der Pyri seinen Besitzer über alles liebt und ihm vollkommen ergeben ist, ist er in erster Linie ein Hütehund mit allen seinen Eigenschaften und typischen Verhaltensweisen, das heisst schlau und zur Eigeninitiative fähig, energisch, mit Durchsetzungsvermögen, misstrauisch gegenüber Fremden.
Der ideale Besitzer sollte also in sich ruhen und diese Ruhe auf den Hund in allen Situationen ausstrahlen. Ausserdem sollte er eine klare Vorstellung davon haben, was er von seinem Hund möchte und es auch mit Bestimmtheit verlangen. Mit Bestimmtheit ist jedoch nicht übertriebene Härte oder Grobheit gemeint, sondern Konsequenz und Beharrlichkeit. Diese dient nicht dazu, den kleinen Wirbelwind zu knechten, sondern soll ihm die Bahn ebnen, in der er seine Intelligenz und Agilität voll entfalten kann. Dann nämlich wird er zu einem lustigen Begleiter durch dick und dünn. Sportlich sollte man als Pyri-Halter auf jeden Fall sein, denn er fordert seine Bewegung tagtäglich und bei wirklich jedem Wetter ein.
Ein Sporthund?
Sein ungeheures Potenzial macht ihn in der Schweiz zu einem beliebten Fährten-, Such- und Katastrophenhund. Aber auch im Agility oder Obedience kann er sich getrost zu den Besten zählen. Die Agility-Weltmeisterin Medium 2015 Silvia Trkman hat den Titel mit dem Pyri Le geholt und auch im Schweizer Agility-Team war 2015 Manuela Eichenberger mit der Pyri-Hündin Win am Start und wurde im Jumping (Medium) Dritte. «Seit Trkman gewonnen hat, ist ein Berger-des-Pyrènèes-Boom im Agility ausgebrochen», erzählt Manuela Eichenberger. Diesen Trend findet sie schade. «Ausserdem wollen alle in der Mediumklasse starten. Das setzt die Züchter unter Druck, möglichst kleine Hunde zu züchten.»
Seit 17 Jahren lebt Manuela Eichenberger mit diesen liebenswerten kleinen Teufeln zusammen und hat schon einiges erlebt. «Der Pyri ist kein einfacher Agility-Hund. Er ist hochsensibel. Ich kenne Pyris, die können dem Druck einer lauten Agility-Halle nicht standhalten und verweigern dann komplett die Zusammenarbeit. Ein anderer Pyri, den ich kenne, läuft, wenn er Stress mit der Situation hat, im Parcours direkt auf den Richter zu und verbellt ihn. Leider vergessen die Sportler, wenn sie den Agility-Pyri sehen, dass man diesen Hund nicht nur auf dem Agility-Platz hat, sondern in jeder Lebenslage. Man muss mit dem Pyri schon als Welpe viel arbeiten, um an der Spitze mitzuhalten.»
Dieses Problem hat auch Silvia Trkman vor Augen, wenn sie in einem slowenischen Rassebeschrieb schreibt: «Dieser Hund hat nicht eine gute oder leichte Seite.» Das bestätigt auch Manuela Eichenberger: «Ich muss mich während dem Spaziergang immer voll auf die Hunde konzentrieren. Wenn unerwartet jemand um die Ecke kommt und ich passe nicht auf, kann es gut sein, dass sie schon weg sind und diese Person verbellen. Handy lesen während dem Spaziergang kann ich vergessen.» Trotz der Kehrseite ist Trkman auf ihrer Homepage des Lobes voll für die quirligen Hunde, die Gedanken lesen können. Aber weil sie so viel mit ihnen arbeitet, will sie unter allen Umständen verhindern, dass sie in die Hände von Leuten geraten, die nicht genau wissen was sie tun. «Dieser Hund gehört in die Hände eines erfahrenen Hundebesitzers, der es versteht, den Hund körperlich und mental auszulasten.» ‒ «Man kann sich bei diesen Hunden nie sicher sein», erklärt Manuela Eichenberger, «denn sie nehmen einen Hund, eine Situation oder einen Menschen nie für selbstverständlich. Es kann neunmal gut gehen und beim zehnten Mal gehen sie nach vorne.»
Keine einfache Aufgabe
Deshalb ist eine gute Sozialisation unabdingbar. Bereits der Züchter muss sich sorgfältig um dieses Thema kümmern und der Besitzer darf es auch nachher auf keinen Fall vergessen. Der CPD schreibt: «Die Rasse verhält sich allem Fremden gegenüber relativ oft abwartend und misstrauisch – hier spielen natürlich auch Erziehung und Training des Welpen eine grosse Rolle, wodurch man das Misstrauen reduzieren und den Hund geselliger machen kann.» Gerade der Museau Normal gilt als Fremden gegenüber sehr misstrauisch – ein Verhalten, das ihm nicht immer abgewöhnt werden kann. Und trotzdem kommt für Manuela Eichenberger auch in Zukunft keine andere Hunderasse infrage. Bei so viel Aufwand muss einem etwas an dem Hund doch gefallen. «Es ist wahr. Ich erzähle nur das Schlechte», gibt sie zu. «Ich glaube, ich liebe einfach die Herausforderung. Mit einem Pyri wird einem nie langweilig. Man muss halt immer voll dabei sein. Mir liegt das. Ich kann mir das Leben mit einem weniger intensiven Hund überhaupt nicht vorstellen.»
Steckbrief Berger des Pyrénées (Museau Normal und Face Rase)
F.C.I. Standard: Nr. 141.
Klassifikation: Gruppe 1 Hüte- und Treibhunde (ausgenommen Schweizer Sennenhunde), Sektion 1 Schäferhunde. Mit Arbeitsprüfung.
Schulterhöhe: Museau Normal 42 bis 48 cm (Rüden), 40 bis 46 cm (Hündinnen),
Face Rase 40 bis 54 cm (Rüden), 40 bis 52 cm (Hündinnen)
Gewicht: Keine offiziellen Angaben.
Fell: Ein Mittelding zwischen Ziegenhaar und Schafwolle. Lang oder mittellang, jedoch stets dicht, fast glatt oder leicht gewellt, dichter und wolliger über der Kruppe und auf den Schenkeln.
Farbe: Mehr oder weniger dunkles Fauve mit oder ohne Überdeckung von schwarzen Haaren und gelegentlich etwas Weiss an Brust und Gliedmassen; mehr oder weniger intensives Grau, oft mit Weiss an Kopf, Brust und Gliedmassen; Blau mit schwarzer Tüpfelung (Harlekin oder Schieferblau). Ebenso kommen die Farben Gestromt, Schwarz oder Schwarz mit weissen Flecken (begrenzt gesprenkelt) vor. Die reinen Farben werden bevorzugt.
Konstitution: Sein stets wachsamer Gesichtsausdruck und seine pfiffige, misstrauische Miene verbunden mit seiner impulsiven Bewegungsfreude prägen das charakteristische, einzigartige Auftreten dieses Hundes.
Pflege: Mittlerer Pflegeaufwand. Mehrmals wöchentliches Bürsten und Zähne putzen sowie regelmässiges Krallenschneiden.
Haltung: Bei genügend Auslauf für Wohnung und Haus geeignet.
Anfälligkeiten: Epilepsie, persistierender Ductus Arteriosus (PDA, Herzproblem), Hüftgelenksdysplasie (Zuchttiere werden vor Einsatz geröntgt), Lippen-Kiefer-Gaumenspalte.
Lebenserwartung: 12 bis 15 Jahre
Weitere Informationen unter: Club Suisse du Berger des Pyrénées www.csbp.ch und Club Berger des Pyrénées (Deutschland) www.cbp-online.de.
Text: Anna Hitz