Mit dem Velo und Hunden um die Welt, Teil 8

Michael und Sybille Fleischmann sind seit Juni 2010 unterwegs, um per Fahrrad ferne Länder zu bereisen. Ihr Ziel: Einmal um die Welt! Mit dabei: Rhodesian Ridgeback Rüde Gomolf und Mischlingshündin Diu. Exklusiv für das Schweizer Hunde Magazin berichten die Weltenbummler von ihren Erlebnissen. Heute nehmen sie Sie mit auf den Radreise-Alltag in der aserbaidschanischen Steppe.

Text und Fotos: S. und M. Fleischmann

«Brauchen wir noch was fürs Abendessen?!», brüllte Michael mir durch den Lärm der vorbeirasenden LKW zu. Seit Tagen fuhren wir durch die aserbaidschanische Steppe: spärlich bewachsenes, flaches Grasland. Die einzige Abwechslung waren die PKW, Busse und Trucks, die zu allem Überfluss oft noch laut hupten, wenn sie uns auf der schnurgeraden Strasse überholten. Doch nun formten sich einige Häuser am Horizont, ein Dorf und damit eine Einkaufsmöglichkeit für uns. «Ja!», brüllte ich zurück.

Ein kleiner «Market» war schnell gefunden. Wir stellten unsere Räder ab und inspizierten das Angebot. Wir kauften Gemüse, Brot, Cola und den obligatorischen Süsskram: Kuchen, Kekse und Schokoriegel geben uns die nötige Unterstützung, wenn der Druck auf die Pedale nachzulassen droht. Auch Milch gab es, doch bei einem Preis von über zwei Euro pro Liter entschieden wir, unser Müesli lieber mit Wasser zu essen. Während wir einkauften, sammelte sich ein Grüppchen Einheimischer um uns. Sie betrachteten aufgeregt unseren Gomolf – nur die Mutigsten näherten sich ihm oder versuchten gar, ihn zu streicheln. Unser Grosser nahm es zum Glück gelassen. Dann wurden ein paar Fragen gestellt: Wo wir herkommen, wo wir hinfahren, welche Länder wir schon durchquert haben, wie lange wir unterwegs sind, wie viele Kilometer wir schon gefahren sind… und natürlich, ob wir Russisch sprechen. Das ist seit Georgien die meistgestellte Frage, doch leider müssen wir sie immer verneinen. Könnten wir ein paar Brocken, wären wir in der Lage, etwas tiefer gehende Gespräche zu führen, denn 90 bis 95 Prozent der Bevölkerung sprechen Russisch. Doch immerhin sind die harten, deutlich gesprochenen russischen Wörter eingängig, so dass wir uns bald zumindest rudimentär verständigen können.

Täglich ein paar Granatäpfel mehr

Als die Einkäufe verstaut waren, zückte ich unsere Trinkflaschen und fragte nach «Su», Wasser. Ein hilfsbereiter Mann dirigierte mich hinter das Geschäft, wo ich einen grossen Tank mit Schlauch vorfinde. Das Wasser wird von Tanklastern angeliefert und lagert unter Umständen schon wochenlang in diesem Behälter, daher trinken wir es vorsichtshalber nur abgekocht oder gefiltert. Zum Abschied drückte mir der Ladenbesitzer noch vier Granatäpfel in die Hand. Ich sollte dankbar sein, brachte aber nur mit Mühe ein Lächeln zustande. Ich räumte die Früchte in meine Tasche zu den anderen acht Granatäpfeln. Obwohl ich jeden Tag zwei oder drei davon esse und nie welche kaufe, gelingt es mir nicht, die Menge zu reduzieren: Die Aserbaidschaner sind so freundlich, dass wir ständig neue geschenkt bekommen.

Wir stiegen wieder auf unsere Räder und fuhren winkend davon, es war langsam Zeit, um einen Schlafplatz zu suchen. Das war in dieser Gegend sehr einfach, da es so flach ist. Wir bogen auf einen Trampelpfad von der Strasse ab und fuhren ein paar hundert Meter weiter, um den Verkehrslärm auf ein halbwegs erträgliches Mass zu reduzieren. Ein Schafhirte hatte uns entdeckt und beäugte uns skeptisch, sonst war weit und breit niemand hier. Die Sonne ging langsam unter. Der Tag war trocken und klar gewesen, aber am Abend wurde es so kühl, dass ich beim Kartoffelschälen klamme Finger bekam. Beim Essen wärmten wir uns die Hände an den Schüsseln. Danach lasen wir noch ein bisschen, bevor wir in unseren kuscheligen Schlafsäcken langsam eindämmerten. Unsere Hunde durften es sich auf ihrer Matte im Vorzelt bequem machen.

Nächtlicher Besuch

Mitten in der Nacht wurde ich von Getrappel und Blöken geweckt: Schafe. Sie zogen direkt neben unserem Zelt vorbei, eins stolperte sogar über eine Zeltschnur. «Hier ist so viel Platz», dachte ich schlaftrunken, «warum sind die so nahe?» Skeptisch fingerte ich den Reissverschluss auf und sah draussen einen Mann mit Taschenlampe an Michaels Fahrrad herumfummeln. «Gomolf, Diu, auf geht’s!» rief ich unseren Hunden zu, die sofort bellend nach draussen stürzten und den Mann aufschreckten. «Was ist los?», murmelte Michael, der wegen des Verkehrslärms mit Ohrstöpseln schlief. «Da ist jemand an deinem Fahrrad!», sagte ich. Sofort war er hellwach und sprang nach draussen. Mit Gomolf im Schlepptau schrie Michael dem Mann entgegen, was er von dem nächtlichen Besuch hielt.

Die Hirten waren zu dritt, einer sass auf dem Pferd, ein anderer hatte einen langen Stock dabei. Zum Glück liessen sie sich von Michael und Gomolf einschüchtern, machten beschwichtigende Gesten und zogen sich zurück – mitsamt ihrer Schafherde.

Das war nochmal gut gegangen: Es fehlte nichts ausser einem Stück Apfel, den ein Schaf angebissen hatte. Doch jetzt waren wir natürlich hellwach und besprachen kopfschüttelnd das, was geschehen war. «Wir sollten uns eine Schafherde zulegen und damit in ein Haus einbrechen», witzelte Michael. «Ja, die perfekte Tarnung», stimmte ich zu. Es dauerte noch eine Weile, bis wir endlich wieder Schlaf fanden. Mittlerweile bin ich der Ansicht, dass die Hirten ihre Schafe bewusst mitgenommen hatten, um unsere Hunde abzulenken. So gesehen hatte es funktioniert.

Der nächste Tag sollte eine weitere Überraschung für zwei müde Reiseradler bringen. Als wir gerade eine kurze Pause einlegten, kam ein Polizeiauto. Zwei hochdekorierte Offiziere stiegen aus und machten abwehrende Gesten Richtung Strasse. «No, no!», sagte einer der beiden und deutete auf die Hauptstrasse, die vor uns lag. «You….», begann der andere, mühevoll nach Worten suchend, «… here!» Dabei zeigte er auf eine Abzweigung, die in ein winziges Dorf führt. Wir sahen uns ratlos an. «Was sollen wir da?», erwiderten wir auf Englisch und verliehen der Frage mit Schulterzucken und Kopfschütteln Ausdruck.

Doch das interessierte die beiden nicht. «You no!», formulierte der ranghöhere Soldat, sichtlich stolz, ebenfalls einen kompletten Satz kreiert zu haben, und deutete abermals auf die Strasse. «Presidente!», begründeten die beiden ihre Aufforderung immer wieder. Wir fanden noch heraus, dass wir in besagtem Dorf einen Chai trinken könnten, doch selbst das überzeugte uns nicht. In der muslimischen Kultur des Landes ist Gastfreundschaft sehr wichtig, daher wird uns Ausländern bei allen erdenklichen Gelegenheiten ein Tässchen des starken, süssen Tees angeboten – meist mehrmals täglich.

Seltsame Strassensperren

Als das Auto mit den beiden Offizieren ausser Sichtweite war, kommandierten wir die Hunde in die Anhänger und schwangen uns wieder auf unsere Fahrräder. Natürlich fuhren wir auf der Hauptstrasse weiter. Obwohl der Verkehr deutlich abgenommen hatte, konnten wir uns nicht vorstellen, dass der Präsident wirklich die komplette Strasse sperren lässt, denn es ist die einzige Verbindung vom Westen des Landes zur Hauptstadt Baku. Doch unsere Unsicherheit stieg. Alle paar hundert Meter stand ein junger Soldat am Strassenrand, in jeder Ansiedlung gab es Strassensperren. «Fahr du voraus», sagte mein Mann vorher immer, «wenn sie eine Frau sehen, sind sie nachsichtiger.» – «Na gut. Nett lächeln und unverbindlich zunicken, oder?» – «Genau, das klappt meist am besten.»

Mit dieser Taktik schafften wir noch drei Sperren, dann war es vorbei. Ein grimmiger Mann in Uniform winkte uns hektisch von der Strasse und bellte anschliessend einen unverständlichen Wortschwall in sein Funkgerät. So blieb uns nichts anderes übrig, als uns zu den anderen Wartenden zu gesellen. Einige hatten auf den Stühlen eines Imbiss-Standes Platz genommen und nippten an ihren Teetassen. Andere standen in kleinen Grüppchen und unterhielten sich. Zahlreiche Autos, Traktoren und Lastwagen standen herum – niemand durfte mehr die Strasse befahren. Auch die Eselskarren, die wir bis zuletzt noch gesehen hatten, waren nun zum Stillstand gekommen.

Wir konnten es noch immer nicht ganz glauben. Der Präsident legte tatsächlich den gesamten Verkehr lahm – warum? Ich suchte nach jemandem, der Englisch sprechen könnte, kein einfaches Unterfangen in dem winzigen Dorf. Doch ich hatte Glück und fand bald einen jungen Mann, der mich verstand. Ich wollte wissen, ob heute vielleicht ein besonderer Feiertag war. Hier war zwar niemand in Feierlaune, doch wir hatten im letzten Dorf eine Familie gesehen, die in festlicher Kleidung erwartungsvoll am Strassenrand stand – Eltern und Kinder. «Kein Feiertag. Die wollen den Präsidenten sehen», erklärte mir der Mann in recht gutem Englisch. «Hat früher jeder gemacht, aber jetzt nicht mehr. Keiner freut sich mehr. Der Präsident fährt von Baku nach Ganja (in den Westen des Landes).

Dann darf niemand auf die Strasse. Das passiert ständig. Wir müssen warten, bis er hier vorbeikommt. Ich habe einen wichtigen Termin und werde nun zu spät kommen, aber was soll ich machen? Keiner weiss vorher, an welchen Tagen die Strasse gesperrt wird. Mein Cousin wohnt in Baku, dort werden ganze Stadtteile lahm gelegt, wenn der Präsident unterwegs ist. So ist das eben.»

Der Präsident ist übrigens der «demokratisch» gewählte Nachfolger seines Vaters und der reichste Mann des Landes. Aserbaidschan hat viele Bodenschätze wie Gold, Uran und vor allem Erdöl. Der Gewinn aus dem Erdölverkauf eines Jahres würde genügen, um die komplette Fläche von Aserbaidschan 17 Zentimeter dick mit Gold zu bedecken. Doch die Bevölkerung hat nichts von diesem Reichtum, das Geld wandert in die Taschen der Mächtigen. Hammer und Sichel auf den Kanaldeckeln lassen erahnen, wie lange es her ist, dass in die Infrastruktur investiert wurde. Kein Wunder, dass manche Bewohner des Landes sich heimlich die gute alte Sowjetunion zurückwünschen.

Nach einer weiteren Kanne Tee war es endlich soweit. In einem Konvoi aus 15 schwarzen Autos raste Präsident Alijew mit zirka 200 Sachen über die Landstrasse. Unmöglich zu sagen, in welchem der Fahrzeuge er überhaupt sass. Dann wurde es geschäftig unter den Wartenden, die Zwangspause war vorbei, jeder wollte nun endlich weiter. Auch wir brachen wieder auf. Obwohl wir es bis zum Schluss ausgereizt hatten, mussten wir drei Stunden warten. «Das müssen wir morgen wieder reinholen», bemerkte mein Mann im Hinblick auf unseren knappen Zeitplan. Doch daraus wurde leider nichts. Der Präsident fuhr am nächsten Tag nämlich wieder zurück nach Baku.

Auf der Suche nach Hundefutter

Abgesehen von den Dienstfahrten des Präsidenten wurde unsere Fahrt nur durch das Durchqueren von grösseren Städten unterbrochen. Das war dafür oft sehr erlebnisreich und eine willkommene Abwechslung, zumal eine Stadt ein wichtiger Versorgungspunkt für alle unsere «speziellen» Bedürfnisse war: Nur hier konnten wir Geld wechseln, ins Internet gehen und vor allem: Hundefutter kaufen. Letzteres mussten wir uns hierzulande gut einteilen, obwohl wir oft einen ganzen Zehn-Kilosack Trockenfutter mitnahmen – der reichte gerademal zwei bis drei Wochen. Spätestens dann galt es, wieder eine Stadt aufzusuchen. Die Leute staunten nicht schlecht, wenn sie zusahen, wie wir kiloweise Hundefutter in kleine Tüten verpackten und in unseren Taschen verteilten. Wir spürten das Mehrgewicht schon, doch es war dennoch um so vieles einfacher, als für die Hunde täglich auf dem Campingkocher etwas zubereiten zu müssen.

Ein anderes Mal suchten wir ein mittelgrosses Städtchen, auf um Geld zu wechseln. Wir verzweifelten ein wenig im fremden Strassengewirr, ohne eine Bank oder gar einen Geldautomaten zu finden. Es war vergeblich. Doch wenn wir schon mal dort waren, wollten wir wenigstens die kulinarischen Vorzüge des Ortes ergründen – und so blieb dieser Abstecher unvergesslich. «Holen wir uns wenigstens was Schönes zu essen», hatte Michael vorgeschlagen und so fanden wir uns am Markt wieder. Mit unseren bepackten Fahrrädern, den Anhängern und den Hunden fielen wir auf wie die sprichwörtlichen bunten Hunde. Viele Leute, die auf dem belebten Markt unterwegs waren, sammelten sich um uns und beäugten uns neugierig. Ich liess Michael kurz alleine, um noch ein wenig Gemüse einzukaufen. Als ich zurückkehrte, hatte sich der Menschenpulk um ihn vervielfacht. Ich bahnte mir einen Weg durch die Menge zu meinem Mann zurück – kein einfaches Unterfangen. Er unterhielt sich gerade angeregt in einem Englisch-Russisch-Gebärdensprache-Mix mit den Umstehenden. Am besten klappte die Verständigung mit einem Teenager, der ein Wörterbuch mit englischen Floskeln dabei hatte, uns mit allen möglichen Fragen bombardierte und dann für seine Landsleute übersetzte. Als ich mich hinzugesellte, wurden uns von irgendwo her gefüllte Teetassen gereicht. Dann spendierte uns jemand eine ansehnliche Menge Fladenbrote mit Hackfleischfüllung, die sehr gut schmeckten. «Ihr seht so hungrig aus», hatte unser Gönner lächelnd bemerkt. Als Dankeschön mussten unsere Hunde für ein paar Kunststückchen herhalten. Wir liessen sie auf Kommando hinsetzen und Pfötchen geben, Fleischstückchen in der Luft fangen und dergleichen – unser Publikum war begeistert.

Mit Bruce Willis in den Schlaf

Begegnungen wie diese liessen uns die Aserbaidschaner schnell lieb gewinnen. So viel Gastfreundschaft und Offenheit begegneten uns nur selten. Davon abgesehen war das Reisen in der immer gleichen Steppenlandschaft recht eintönig. Links von uns waren in weiter Ferne Berge zu sehen – die einzige Abwechslung für das Auge. Auf der anderen Seite erstreckte sich das trockene Grasland bis zum Horizont. Wenn wir abends unser Lager aufgeschlagen hatten, waren wir körperlich ziemlich am Ende – doch der Kopf war noch lange nicht müde. So entstand unser neues Ritual: Wir sahen uns einen Film an. Damit das klappte, mussten wir einen ziemlichen Aufwand betreiben, vor allem um den Akku des Laptops tagsüber aufzuladen. Wir hatten uns angewöhnt, bei jedem Stopp an einer Tankstelle, einem kleinen Geschäft oder einem Imbiss-Stand unser Laptop an die nächstbeste Steckdose anzuschliessen, und sei es nur für zehn Minuten. Am Ende des Tages reichte es dann meist, um einen Film zu sehen, manchmal sogar zwei. Es war harte Arbeit, daher war es immer ein feierlicher Moment, wenn der Vorspann des Films anlief.

Da liegen wir dann in unserem kleinen Zelt, eingepackt in Schlafsäcke, gut gebettet auf unseren geliebten Isomatten. Aus dem Vorzelt ertönt das leise Schnarchen von Gomolf und Diu. Zwischen uns steht das Laptop, leicht erhöht auf der Lenkertasche. Bald würden wir die Hauptstadt Baku erreichen, wo es recht schwierig werden könnte, doch gerade kümmerte uns das nicht mehr. Nachdem Bruce Willis mal wieder die Welt gerettet hatte, fielen wir endlich in einen ruhigen, tiefen Schlaf.

Mehr Infos unter: www.cycle-for-a-better-world.org

Hier können Sie den Artikel aus dem Magazin als PDF ansehen

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