Aufgrund seiner Vorgeschichte mangelt es Romeo an Selbstbewusstsein und Vertrauen zu Menschen. Er fühlt sich nur in gewohnter Umgebung einigermassen sicher, vor allem Fremden schreckt er zurück. Es fällt ihm schwer, sich einem Menschen zu öffnen. Unsicherheit und damit verbundener Stress bestimmen seinen Alltag. Um Romeo ein wenig Lebensqualität zu ermöglichen und eingefahrene Verhaltensmuster nach Möglichkeit aufzubrechen, beginnt Rovena Langkau mit ihm zu trailen. Das TheraTrailen soll den verunsicherten Hund tief in seinem Innern erreichen und sein Verhalten nachhaltig verändern.
Text: Kitty Simione
Rovena Langkau, Mitbegründerin und Ausbildungsleiterin des K-9 Suchhundezentrums im deutschen Landsberg am Lech, hatte den neun Monate alten Jagdhundmischling Romeo aus dem Tierschutz übernommen, um ihn durch die artgerechte Auslastung über die Nasenarbeit zu stabilisieren und dadurch seine Chancen für eine Vermittlung an einen Lebensplatz zu erhöhen. Der Junghund wurde in eine Gruppe, bestehend aus Bloodhounds und Schweisshunden, integriert, das gab ihm Sicherheit und Stabilität.
Kurz nach der Übernahme wollte Rovena dem Neuankömmling die Chance geben, zusammen mit Menschen in die Geruchswelt einzutauchen, und legte ihm zusammen mit Alexandra Grunow seinen ersten Entdecker-Trail.
Rieche und entdecke selbst!
Trail-Einsteiger und vor allem auch Welpen und Junghunde werden im K-9 Suchhundezentrum seit Jahren über sogenannte Entdecker-Trails aufgebaut. Sie lernen von Beginn an, ihre Nase einzusetzen, und werden nicht über optische Verlockungen «angereizt». Dem Hund wird genügend Zeit gegeben, selbst auf die Idee zu kommen, die ihm vorgegebene Spur aus einer natürlichen Neugierde heraus zu verfolgen. Dies geschieht ohne Druck durch den Hundeführer und fördert das ruhige, selbständige und vor allem konzentrierte Arbeiten des Hundes. Das «Hineinträumen» in eine Spur ist vor allem im TheraTrail-Bereich von grosser Bedeutung. Erste Entdecker-Trails werden in einem ruhigen Gebiet gelegt, vorzugsweise auf weichem Untergrund. Sehr gut eignet sich eine kleine Wiese mit ein paar Büschen oder Bäumen, allerdings sollte der gewählte Platz nicht eine beliebte «Gassimeile» sein, das würde den Hund geruchlich zunächst zu sehr ablenken. Wird der Trail gelegt, warten der Hund und sein Hundeführer etwas abseits, damit der Hund nicht zuschauen kann, wie sich die Person entfernt. Am Startpunkt legt die Versteck-Person (Figurant), deren Spur der Hund verfolgen soll, einen etwas grösseren Geruchsgegenstand von sich auf den Boden, beispielsweise ein getragenes T-Shirt. Unmittelbar dahinter geht sie los. Im Abstand von wenigen Metern wird ein zweiter, kleinerer Geruchsgegenstand fallen gelassen, beispielsweise eine getragene Socke, dann ein dritter und so weiter. Insgesamt sind die Entdecker-Trails nur wenige Meter lang und werden individuell an jeden Hund angepasst. Die Person versteckt sich so, dass sie für den Hund nicht sichtbar ist, er sie aber sofort findet, wenn er am Ende der Spur angelangt ist.
Im Aufbau sind die Trails so anzulegen, dass sich der Hund auf die Arbeit konzentrieren kann, ohne dabei abgelenkt zu werden. Der Hund darf alles rund um sich herum vergessen. Einer Geruchsspur zu folgen ist für den Hund ganz natürlich, aber nicht immer selbstverständlich. Durch das Einsetzen der Nase und das erfolgreiche Verfolgen einer Spur, zusammen mit seinem Menschen, werden beim Hund positive Hormone ausgeschüttet, beispielsweise das «Bindungshormon» Oxytocin oder die «Erfolgsdroge» Dopamin. Die selbständige Suche stärkt den Hund und er gewinnt zunehmend an Selbstvertrauen. Die Konzentration auf die Spur lässt ihn später Aussenreize zwar wahrnehmen, bietet ihm aber die Alternative, sich für die Arbeit auf dem Trail zu entscheiden, die er im Training positiv verknüpft hat. Gestellte Aufgaben sollten für den Hund immer gut lösbar sein. Beispielsweise sind die Auswahl der Figuranten und die Position dieser im Versteck für den Trainingsaufbau entscheidend. Der Figurant muss für jeden einzelnen Hund individuell instruiert sein, um unter anderem seine Körperhaltung und seine Reaktionen dem Ausbildungsstand des Tieres anpassen zu können. Das Heranarbeiten an die Person am Ende des Trails benötigt bei TheraTrail-Hunden häufig viel Geduld und Erfahrung. Der Hund sollte lernen, sich im Laufe des Trainings zu der versteckten Person heranzusuchen und sich dieser auch gerne zu nähern. Dies ist vor allem anfangs häufig nicht leicht, denn gerade unsichere Hunde interessiert Futter am Ende meist nicht.
Menschengeruch, wie gruselig
Bei seinem ersten Entdecker-Trail hatte Romeo sehr schnell die Suche mit tiefer Nase aufgenommen, doch sobald er sich einem abgelegten Geruchsartikel näherte, schreckte er vor dem verstärkten menschlichen Geruch zurück. Er senkte die Hinterläufe ab, legte die Ohren an und sicherte sich mit hektischen Kopfbewegungen in jede Richtung ab. Obschon ihn seine Unsicherheit auf der Spur immer wieder mal stoppen liess, trieb ihn seine Neugier weiter vorwärts. Rovena blieb dicht hinter ihm und vermittelte Romeo durch ihre Körpersprache Sicherheit. Wie zu erwarten war, wagte sich Romeo bei seinen ersten Trails nicht sofort zur versteckten Person hin. Selbst die Plastikdosen, die seine Belohnung enthielten, liessen ihn zunächst eher zurückweichen. Schritt für Schritt lernte er den Abschluss des Trails als etwas Positives kennen, indem Rovena die Situation für ihn auflockerte und neben der versteckten Person in die Hocke ging und Romeo einen Fleischbrocken aus ihrer Hand anbot. Er wurde aus der für ihn unangenehmen Situation jedoch nicht entlassen. Relativ bald nahm der Hund die Belohnung auch aus der Hand des Figuranten und dann aus der Futterdose. Diese Vorgehensweise erforderte ein gutes Timing und Gespür für den kleinen Jagdhundmischling. Der Abschluss nahm zunächst bedeutend mehr Zeit in Anspruch als der Trail selbst. Romeo gelang es zunehmend, sich zu überwinden und sich fremden Personen zu nähern. Dabei agierte er von Mal zu Mal sicherer, seine Körpersprache wirkte entspannter.
Die Auswirkungen auf den Hund
Das Trailen wirkt sich positiv auf den Hund aus. Sehr schnell sind während der Arbeit Veränderungen an der Körperhaltung und am Ausdruck des Hundes erkennbar. Und bereits der Rückweg nach dem ersten Entdecker-Trail sieht meist ganz anders aus als der Weg zum Startpunkt. Bei Romeo war dies vor allem an seiner Rutenhaltung gut erkennbar. Während er die Rute vor dem Trail noch bis unter dem Bauch einklemmte und den Rücken nach unten wegdrückte, sich nach allen Seiten absicherte und nicht ansprechbar war, bewegte er sich nach der Arbeit bereits gelöster und lockerer und auch das Ohrenspiel war anders. Eine Veränderung, die bei den meisten Hunden beobachtet werden kann, die mit dem TheraTrailen beginnen. Mit jeder neuen Spur, die sie selbst erarbeitet haben, wirken sie gelöster und zufriedener. Viele Hunde tragen nach einigen Trainings auf dem Rückweg zum Auto auch gerne stolz ihre Futterdose oder ein Spielzeug im Maul.
Das Übertragen dieses «neuen Selbstbewusstseins» in den Alltag dauert je nach Schweregrad etwas länger. Doch nicht selten ist mancher Hundehalter überrascht, wie schnell sich der eigene Hund nachhaltig positiv verändert. Um Romeos Chance auf eine Vermittlung zu erhöhen, mussten seine Unsicherheit und seine Panikattacken auf ein Mass reduziert werden, mit dem es möglich ist, ihn in einen normalen Alltag seines Menschen zu integrieren. Um dies neben dem Trailen zu trainieren, war einer der Trainingsorte in den ersten Wochen ein Café in Landsberg, wo Rovena stets denselben Platz am Rand für sich reservieren liess. Romeo war dort in einer Ecke relativ abgeschirmt, das gab dem Junghund ein wenig Sicherheit und er konnte sich zunehmend besser mit der Umgebung auseinandersetzen. Leute gingen ein und aus, manchmal auch in Begleitung von Hunden. Die ersten Besuche waren für ihn noch stressig. Er versteckte sich mit eingezogener Rute hinter dem Sessel von Rovena. Aber bereits nach zwei, drei weiteren Besuchen – parallel zur Trailarbeit – konnte er sich erstmals neben sie setzen. Zunehmende Sicherheit zeigte Romeo auch auf dem Weg vom parkierten Auto zum Café. Im Auto fühlte er sich sicher, weshalb Rovena immer möglichst nah am Lokal parkierte. Die ersten Male kroch Romeo tief am Boden, sprang rückwärts in die Leine und klemmte mit weit aufgerissenen Augen die Rute unter dem Bauch ein. Er musste an Halsband und Brustgeschirr mit doppelter Leine abgesichert werden. Nach zwei Wochen Training reichten das Halsband und eine Leine aus. Romeo konnte den Weg zum Café weitgehend flüssig neben Rovena hergehen.
Das Führen eines unsicheren Hundes
In der Ruhe liegt die Kraft. Ein unsicherer Hund braucht einen ruhigen, geduldigen, dabei aber entschlossenen Hundeführer, der sich von der Hektik und dem ängstlichen Verhalten nicht anstecken lässt. Es sollte dem Menschen gelingen, durch seine eigene Körperhaltung Sicherheit auszustrahlen und sich dabei selbst nicht aufzuregen oder anzuspannen. Mitleid ist bei einem unsicheren Hund auch nicht von Vorteil, da dies den Hund schnell in seiner Unsicherheit bestätigen kann.
Rückschläge
Die Therapie eines Hundes mit Ängsten und Unsicherheiten ist ein langer Prozess, der mit Geduld, Entschlossenheit und viel Feingefühl begleitet werden muss. Es ist wichtig, zunächst auch die kleinen Fortschritte zu registrieren, denn es gibt auch Rückschläge, das lässt sich nicht vermeiden. Als engagierte Hundetrainerin hatte Rovena auch auswärts Seminare zu geben. Eine Reise nach Kitzbühel in Österreich stellte sich für Romeo als sehr belastend heraus, nachdem er sich während zwei Monaten in Landsberg schon recht gut eingelebt hatte. Eine Veränderung wie beispielsweise ein Ortswechsel bedeutet für die meisten TheraHunde zunächst Stress pur. Romeo reagierte auf den dreitägigen Ortswechsel mit einem starken Einbruch und zeigte einen Rückfall in alte Verhaltensmuster, die auch nach seiner Rückkehr nach Landsberg noch ein paar Tage andauerten. Für Rovena war klar, dass Romeo ein Zuhause brauchte, wo er einen möglichst geregelten Alltag in gleich bleibender Umgebung geniessen konnte. Eine Familie, gerne auch mit Kindern oder anderen Hunden, wäre ideal. Auf Romeos zweiter, etwas längeren Seminarreise an die Ostsee, fühlte sich Romeo etwas wohler, weil er mehr Zeit hatte, sich neu einzugewöhnen und er die ausgedehnten Spaziergänge am Meer und das Spiel mit den anderen Hunden sehr genoss. Er konnte mittlerweile auch problemlos von der Leine gelassen werden, da er nicht mehr Gefahr lief, bei jedem Geräusch oder entgegenkommenden Menschen in Panik davonzulaufen. Seine Hundegruppe gab ihm zudem wieder die nötige Sicherheit.
Auf einem dieser Spaziergänge traf Daniela Stange das erste Mal auf Romeo. Es war Liebe auf den ersten Blick. Lesen Sie im dritten und letzten Teil der Artikel-Serie zum Thema TheraTrailing wie Romeo ein neues Zuhause findet und sich zu einem fröhlichen, unbeschwerten Hund entwickelt.
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