Mbua, Mbua! – Hund, Hund!

Teil 2

Der Virunga Nationalpark im Kongo gehört zu den ältesten und schönsten der Welt. Seine Bewohner, zu denen die vom Aussterben bedrohten Berggorillas und die seltenen Waldelefanten zählen, werden allerdings nach wie vor von skrupellosen Wilderern verfolgt und getötet. Die Schweizer Tierärztin Marlene Zähner wurde vom Direktor des Nationalparks Emmanuel de Merode angefragt, ihn beim Aufbau einer Anti-Poaching Dog Unit zu unterstützen. Im Februar dieses Jahres begleitete Merlene Zähner sechs Bloodhound-Welpen in den Kongo. Im Schweizer Hunde Magazin berichten wir laufend über den Verlauf und hoffentlich auch den Erfolg dieses Projektes.

Text und Fotos: Marlene Zähner

21. Mai – Die Hunde aus den USA, Kanada, Spanien und Belgien haben sich gut eingelebt. Gut genährt und gut gepflegt, stehen sie an der Abzäunung und schauen uns gespannt entgegen. Ein bisschen gelangweilt vielleicht, aber hoffnungsvoll. Läuft was? Endlich! Zwei Monate der Gewöhnung an das neue Klima, Futter, Leben und ihre neuen Betreuer. Viel Liebe und Zuwendung, regelmässige Spaziergänge, entsprechend ihrem Alter, es war aber sonst eher eine ereignislose Zeit. Bloodhounds sind intelligente und ausserordentlich aktive Hunde, die immer auf ein Abenteuer aus sind. Untätigkeit finden sie schrecklich. Aber jetzt soll sich dies endlich ändern. Nach der langen Reise aus der Schweiz über Amsterdam nach Kigali, der Hauptstadt von Ruanda, sind ich und Marcel und Ursula Maierhofer, Certodog Mantrailing Professionals und Polizeidetektive aus Nordrhein-Westfalen, im Hauptquartier des Virunga Nationalparks angekommen. Wir freuen uns auf die nächsten zwei Wochen!

22. Mai, 8 Uhr – Vor uns stehen die drei Ranger, Christian, Alexi und Kasareka, der Vierte im Bunde, Aime, fehlt. Aime ist für zwei Monate in Ausbildung und kann nicht teilnehmen. Zur Seite steht ihnen der Parkinstruktor Patrice. Er ist der Supervisor der Hundegruppe, hilft aber auch bei der Übersetzung. Die Ranger sprechen ihre Landessprache Swahili oder Lingala und recht gut Französisch, aber kaum Englisch. Wie die meisten deutschen Staatsbürger sprechen Marcel und Ursula zwar gut Englisch, aber kaum Französisch. Auf dem Tisch vor uns liegen, schön ordentlich ausgebreitet, Hundeartikel für den täglichen Gebrauch wie Leinen, Halsbänder, Futternäpfe, Spielzeug. Aber auch die für das Mantrailing unerlässlichen Hilfsmittel wie Geschirr, Suchleine und Pfotenschutzschuhe für die Arbeit auf dem scharfen Lavagestein. Die Ranger gehen ebenfalls nicht leer aus; Hüfttaschen, Caps, Schreibmaterial und eine Kamera werden ihnen ihre Arbeit erleichtern. Alles Materialien, das uns von verschiedenen Seiten gespendet wurde – Weihnachten im Mai.

22. Mai, 10 Uhr – Leine straff, gleichmässiger Zug! Hände vor dem Bauchnabel, Arme leicht gewinkelt, sonst könnt ihr den starken Hund nicht lange halten und es kommt zu Verletzungen. «Ndiyo» (Ja), meinte Alexis und versuchte möglichst gleichmässig hinter seinem «Hund» – dem Kollegen Kasareka – herzugehen und sich nicht in der Leine zu verwickeln. Aller Anfang ist schwer. Um die Hände flinker zu machen, üben wir das Leinenhandling ohne Hund.

Das Ziel der nächsten zehn Tagen ist, die jungen Hunde zu starten und auf ihre Aufgabe als Mantrailer vorzubereiten, die Hundeführer im Leinenhandling, in der Tatort- und Geruchsartikelsicherung zu trainieren, aber auch die Hundepflege wie Striegeln, Ohrenputzen, Augen- und Hautkontrollen zur Routine zu machen. Jeden Tag werden wir mehrere kurze Übungen mit den Hunden durchführen und den Rest der Zeit mit dem Drill der Ranger verbringen. Das heisst, das Material anzupassen; das Geschirr und die Leine. Und die Hunde an das Tragen von Schuhen zu gewöhnen.

23. Mai, 15.30 Uhr – Lilly wendet sich freudig wedelnd der Treppe zu. Sie hat soeben erfolgreich die kurze Fährte gearbeitet und ist im Begriff, den Fährtenleger Christian anzuzeigen. Durch diese Bewegung aus dem Gleichgewicht gebracht, rutscht sie mit den Hinterbeinen in den flachen Graben neben der Treppe, hebt den Kopf und erstarrt! Ihre Augen werden grösser, als ich es je bei einem Bloodhound gesehen habe, ihre Ohren kleben hoch oben am Kopf, soweit dies bei einem Vertreter ihrer Rasse überhaupt möglich ist, ein Japser, ein Sprung auf die Seite, immer den Hundeführer im Schlepptau und schon hat sie vergessen, wieso sie überhaupt da ist. Aufgeregt rennt sie vor dem Gebäude hin und her, hebt immer wieder prüfend die Nase, um gleich wieder zu erstarren. Lautes Jagdgeheul durchschlägt die sonst so ruhige, friedliche Stimmung in Rumangabo, dem Hauptquartier des Virunga Nationalparks. Hoch oben auf dem Dach des Ranger-Hauptgebäudes schaut unterdessen der Patriarch der örtlichen Pavianfamilie auf die tobende Hündin. «Idioten», scheint er zu sagen und zeigt verächtlich sein furchteinflössendes Gebiss.

25. Mai – Cherche! Sabrina stürmt los in Richtung des soeben aus ihrem Blick verschwundenen Fährtenlegers – und mit ihr zirka dreissig Kinder, die schreiend in alle Richtungen davonrennen. Sabrina schaut verwirrt auf dieses Gewimmel, erinnert sich dann aber an ihr ererbtes Verhalten und konzentriert sich, wie es für einen Bloodhound typisch ist, ganz auf ihre Aufgabe.

Wir hatten uns entschieden, mit den jüngeren Hunden, Sabrina, Lila, Carla und Stella, eine kurze Fährte im Dorf zu arbeiten und wurden so zum Zentrum der Aufmerksamkeit des ganzen Dorfes, vor allem aber der der Kinder. So was hatten sie noch nicht gesehen.

Hunde haben in der afrikanischen Kultur keinen grossen Stellenwert. Häufig werden sie vernachlässigt oder sogar misshandelt. Im Kongo habe ich nur wenige Hunde gesehen, aber anders als im Nachbarland Ruanda scheinen diese Tiere eher freundlich behandelt zu werden. Es handelt sich meistens um mittelgrosse Hunde des Pariatyps. Sie bewegen sich frei in den Dörfern, liegen neben den Dorfbewohnern und bei den Hütten und scheinen recht gut genährt zu sein. Allerdings sind sie auch Träger der gefürchteten Tollwut, was die zum Teil extremen Reaktionen der örtlichen Bevölkerung auf unsere Hunde erklärt. Im Dorf Rumangabo, wo die Familien unserer Ranger wohnen, hatte man von den Bloodhounds gehört, konnte sie sich aber nicht wirklich vorstellen.

26. Mai – Kadogo rollt sich genüsslich auf die Brust, schaute uns interessiert in die Augen und gähnt. Als dritter und rangniedrigster Silberrücken der Munyaga-Familie hält er sich am Rand der Gruppe auf. Es scheint, als freue er sich über die Gesellschaft. Kadogo, «Der Kleine», ist bekannt durch seine Glatze, die nicht altersbedingt, sondern schon von Geburt vorhanden war, und sein ausserordentlich freundliches Wesen. Um ihn und seine Familie zu finden mussten wir lange durch den Urwald wandern, auf schmalen, verschlungenen Pfaden, immer höher und höher. Bukima, der Ausgangsort, liegt 2200 Meter hoch, von da an geht es immer weiter in den Urwald hinein und den Abhang des ruhenden Vulkan Mikeno hinauf. Aber es hat sich gelohnt. Nichts kann das Gefühl beschreibe, plötzlich Auge in Auge mit einem Silberrücken zu stehen. Grosse Erschütterung, Ergriffenheit, Respekt und die Verwunderung, wieso diese Tiere uns, die schrecklichsten und gnadenlosesten Raubtiere dieser Welt, so friedlich willkommen heissen.

27. Mai – Carla hebt mit traurigem Blick ihr linkes Vorderbein, autsch! Sie muss sich beim Spielen verletzt haben. Ich befürchte das Schlimmste! Ellbogendysplasie? Bei grossen, schweren Hunden in diesem Alter, wenn der Körper schneller wächst, als die Gelenke reifen, ein gefürchtetes Problem. Wir beschliessen, das Training einzustellen. Da sich die zweitjüngste Hündin Stella zurzeit etwas zu introvertiert und schüchtern zeigt, bleibt auch sie als Gesellschaft für Carla im Zwinger. Wir verschreiben den beiden täglich ruhige Spaziergänge auf flachem Boden ins Dorf und zurück, damit sie viel sehen und erfahren, ihre Muskeln stärken, aber ihre Gelenke schonen.

28. Mai – «Aufgepasst, so ist die Lage: Bei einer Patrouille im Wald stossen Ranger auf eine Falle. Ihr werdet gerufen und müsst jetzt den Ort sichern und den besten Geruchsartikel wählen. Vorwärts»! Marcel und Ursula schauen schmunzelnd dem darauf folgenden hektischen Treiben zu.

Die drei Ranger nehmen die Kamera, ihre Notizblöcke und ein paar Plastikbeutel und begeben sich zur «crime scene». In leisem Gespräch und mit flinken Bewegungen evaluieren sie die Lage, nummerieren die Beweismittel und fotografieren den Ort des Verbrechens, so wie sie es während der letzten Woche gelernt haben.

29. Mai – Der Raum, der als Lager für konfiszierte Fallen und Gegenstände dient, ist voller Strickschlingen, Drahtschlingen, Treteisen und dem Schrecklichsten von allem, einer Elefantenfalle, einer Platte aus Holz mit zirka dreissig Zentimeter langen scharfen und starken Nägeln, die im Boden vergraben wird, bis ein unaufmerksamer Elefant darauf tritt. Daneben Macheten, Speere, alte Gewehre und illegale Fischernetze. Mir läuft es kalt den Rücken hinunter. Welche Qual!

30. Mai – Die Ameisenstrasse führt direkt über den Weg, auf dem wir vor kurzem die Fährte gelegt hatten, Millionen von winzig kleinen roten Ameisen. Tiere, die überall im Camp auf höchsten Respekt stossen. Ist jemand unaufmerksam und tritt auf einen solchen Ameisenzug, dann zeigt er in Sekunden sein tänzerisches Talent (wir nennen das den «Ants Dance»). Feuerameisen! Während der Regenzeit sind sie überall im Camp unterwegs, ebenso die riesigen schwarzen Ameisen, die zwar kein brennendes Gift absondern, aber mit ihren kräftigen Zangen schmerzhaft zubeissen können. Einmal während der letzten zwei Monate hatte sich eine solche Kolonie nachts in den Auslauf der Hunde verirrt. Um weitere solche Zwischenfälle zu verhindern, haben die Ranger beschlossen, ab sofort die Hunde vierundzwanzig Stunden, sieben Tage in der Woche zu bewachen, und zu diesem Zweck ein Zelt neben den Auslauf aufgestellt.

31. Mai – Prüfungstag: Ein Mitarbeiter wird entführt, die «crime scene» muss beurteilt und ein Geruchsartikel gesichert werden. Die drei Ranger stehen am Ort, versuchen die Sachlage nachzuvollziehen, setzen Nummern und entscheiden, jeder für sich, was als Geruchsartikel benutzt werden kann. Dann lassen wir sie mit ihrem Hund die Fährte arbeiten. Grosse Begeisterung, als sie am Ende der Fährte den gesuchten Mann finden. Es scheint, sie haben erst jetzt wirklich verstanden, um was es geht.

1. Juni – Unser Aufenthalt geht zu Ende, wir haben viel gearbeitet und viel erreicht. Wir arbeiten an einem detaillierten Trainingsplan, um die Zeit bis zum Juli möglichst gut zu nutzen, aber auch um zu verhindern, dass in dieser Zeit zu viel und vor allem etwas Falsches gemacht wird. Wir sind sehr gespannt. Wird sich Carla erholen? Wird sie jemals ein Suchhund werden? Wird Stella ihre Schüchternheit überwinden und können wir für sie den richtigen Hundeführer finden?

Hier können Sie den Artikel aus dem Magazin als PDF ansehen

geschrieben von:
Dr. med. vet. Marlene Zähner

Dr. med. vet. Marlene Zähner

Dr. med. vet. Marlene Zähner ist Tierärztin mit Spezialgebiet Fortpflanzung, Hundezucht und Tierschutz und war während vieler Jahre Assistentin am Tierspital Zürich. Sie lebte mehrere Jahre in den USA. Seit Juni 1999 ist sie Geschäftsführerin der Stiftung für das Wohl des Hundes. Marlene Zähner züchtet seit 1989 Bloodhounds und seit 1996 Scottish Terrier. Sie bildet Personensuchhunde für die Polizei- und Rettungsarbeit aus und ist Präsidentin des Basset- und Bloodhound-Clubs der Schweiz (BBCS). www.certodog.ch

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