Mit dem Velo und Hunden um die Welt, Teil 22

Michael und Sybille Fleischmann sind seit Juni 2010 unterwegs, um per Fahrrad ferne Länder zu bereisen. Ihr Ziel: Einmal um die Welt! Mit dabei: Rhodesian Ridgeback-Rüde Gomolf und Mischlingshündin Diu. Exklusiv für das Schweizer Hunde Magazin berichten sie von ihren Erlebnissen. Heute entdecken sie leckere und seltsame Sachen auf einem Markt – und müssen sich nach langem Leiden von einem geliebten Ausrüstungsteil verabschieden.

Text und Fotos: S. und M. Fleischmann

«Oh nein», entfährt es Michael, als er seine Schlafmatte aufbläst. Ich puste ebenfalls gerade mein Bett auf und gucke mit dicken Backen zu ihm rüber. Da sehe ich es auch: Auf seiner Matte hat sich eine handtellergrosse Blase gebildet, das Material löst sich dort von den unteren Schichten ab. Ich gebe ein gleichgültiges «Hm» von mir, doch als er sich hinlegt, kann man hören, dass die Blase langsam grösser wird. Uns bleibt nur zu hoffen, dass es nicht noch schlimmer wird. Es wäre sehr bitter, wenn uns jetzt eine der Schlafmatten im Stich liesse.

Die Sorge um unsere Ausrüstung ist nicht das Einzige, was uns Kopfzerbrechen bereitet, als wir Thailand durchqueren. Ganz langsam aber sicher nähern wir uns der Hauptstadt. Doch ein Aufenthalt in der quirligen Millionenmetropole stellt uns vor gewisse Herausforderungen: Wo sollen wir unterkommen? Die Frage beschäftigt uns schon seit mehreren Tagen. Wir sind nur noch knapp 300 Kilometer von Bangkok entfernt und damit viel zu früh dran: Meine Mutter und meine Schwester werden hierher fliegen, um mit uns Urlaub zu machen, doch sie kommen erst in drei Wochen. Sollen wir so lange in der Stadt auf die beiden warten? Dabei sehnten wir uns doch so sehr nach Sonne, Strand und Meer – nach Erholung und Urlaub vom Radfahren. Das hatten wir nämlich seit Anbeginn dieser Reise noch nie gehabt: Entspannung an einem schönen Ort, wo wir das süsse Nichtstun geniessen können.

Ein Aufenthalt in Bangkok? Keine schöne Vorstellung

«Drei Wochen in Bangkok», stöhnt Michael, während er vergeblich versucht, sich auf der Matte mit Blase bequem hinzulegen, «was sollen wir bloss so lange dort machen?» – «Und wo sollen wir schlafen?», frage ich, denn das ist das grösste Problem. Nachdenklich blicke ich zu Gomolf und Diu, die wie immer in einem braun-schwarzen Fellknäuel auf der Hundematte im Vorzelt liegen und dösen. Wegen der beiden dürfte es sehr schwierig werden, in Bangkok ein Zimmer zu finden, denn welches Hotel akzeptiert schon Hunde? «Zelten scheidet aus, viel zu gefährlich», sagt mein Mann, als hätte er meine Gedanken erraten. «Stimmt schon. Ausserdem würden wir vermutlich gar keinen Platz finden, ich kann mich an keine einzige Grünfläche erinnern», stimme ich zu. Vor fünf Jahren war ich das erste Mal mit Michael in Bangkok, das war kurz nachdem wir uns kennengelernt hatten. Damals war ich froh, als wir der «Stadt, die niemals schläft» nach zwei Tagen den Rücken kehrten – so heiss, stickig und laut empfand ich es dort. Die Strassen quollen über von Mopeds, dreirädrigen Tuc-Tucs und Autos und auf den Fusswegen waberten nimmermüde Menschenmassen durch die Häuserschluchten. Die Vorstellung, dort mit den Fahrrädern unterwegs zu sein, ist ziemlich gruselig – und dann auch noch ohne Schlafgelegenheit? «Vielleicht bekommen wir Morgen eine Antwort auf unsere E-Mails», beschliesst Michael unsere Überlegungen und versucht, einzuschlafen. In dieser Nacht vergrössert sich die Blase auf seiner Matte um das Doppelte.

Die kommenden Tage bringen tatsächlich die Lösung unseres Bangkok-Problems, doch wir waren lange auf der falschen Fährte. Mehrere Vormittage in Folge sassen wir stundenlang in unterkühlt-klimatisierten Cafés an unserem Laptop und schrieben E-Mails an diverse Hotels, Gästehäuser und Pensionen aller Art: «Wir brauchen ein Zimmer in Bangkok und haben zwei äusserst wohlerzogene und liebenswerte Hunde dabei, würden Sie uns aufnehmen?» Nur wenige antworteten; diese nahmen uns aber schnell die Hoffnung: «Tut uns leid, Hunde sind streng verboten.»

«Probieren wir es doch mal bei Couchsurfing», schlug ich vor. Couchsurfing ist eine Internetseite, auf der zahlreiche Privatpersonen aus aller Welt einen Schlafplatz für Reisende anbieten, beispielsweise ihre Couch. Für viele ist das eine gute Möglichkeit, kostenlos zu übernachten und gleichzeitig Kontakt zu einem Einheimischen zu bekommen. Und für uns? Wir haben bei knapp fünfzig Leuten angefragt und ausschliesslich Absagen kassiert: «Leider nein, ich habe keinen Platz für Tiere»; «Sorry, habe eine kleine Katze» oder natürlich: «Tut mir leid, Hunde sind bei uns verboten.» Einer schlug uns sogar vor zu versuchen, die Hunde in seinen Wohnblock hineinzuschmuggeln, denn Tiere seien eigentlich nicht erlaubt. Das klang sehr sympathisch, doch vermutlich war demjenigen nicht bewusst, dass einer unserer Hunde ein 45 Kilo schwerer, hüfthoher Ridgeback-Rüde ist. Wir bezweifelten doch arg, dass es möglich sei, unseren Gomolf irgendwo ungesehen reinzubringen.

Keine Unterkunft wegen der Hunde

Wir kamen also keinen Schritt weiter, wenngleich wir uns Bangkok mit jedem Tag ein Stückchen näherten. Und dann kam endlich die erlösende Idee: «Was hältst du denn davon, Bangkok auszulassen und direkt ans Meer zu fahren? Das wären zwar ein paar hundert Kilometer mehr, aber das ist leicht zu schaffen und wir könnten irgendwo an einem schönen Fleck abwarten», schlägt Michael plötzlich vor, «und meine Mutter und Schwester direkt dort treffen», komplettiere ich den Plan. Schon bald ist es beschlossene Sache: Wir fahren direkt ans Meer! An die östliche Seite des Golfs von Thailand. So könnten wir Bangkok einfach umfahren und uns gleichzeitig dem nächsten Land auf unserer Liste nähern: Kambodscha. Dies ist das erste grosse Ziel dieser Reise, denn wir wollen dort eine Weile verbringen. So ist damals in Deutschland überhaupt die Idee der Fahrradreise entstanden: Wir wollten eigentlich nur nach Kambodscha auswandern, allerdings hätte das Flugticket für unsere Hunde – insbesondere für Gomolf – ein kleines Vermögen gekostet. Also hatten wir kurzerhand beschlossen, stattdessen mit den Fahrrädern hinzufahren. Obwohl wir mittlerweile schon recht weit gekommen sind, scheint das Ziel immer noch in sehr grosser Ferne zu liegen. Schuld an diesem Eindruck ist vermutlich unser unsäglich langsames Tempo, denn auch wenn wir uns den lieben langen Tag abmühen, sind wir am Abend selten mehr als 50 Kilometer vorwärts gekommen – global gesehen lächerlich wenig. Manchmal ist dieser Gedanke frustrierend, doch seit der Planänderung sind wir wieder motiviert: Bald würden wir am Meer sein! Ein beflügelnder Gedanke.

Leckeres – und auch Seltsames

Wir fahren stets so lange, bis es dunkel wird, und manchmal auch noch länger, denn auf dem breiten Seitenstreifen fühlen wir uns relativ sicher. Eines Abends erreichen wir Chanthaburi. Die Hauptstadt der gleichnamigen Provinz liegt gar nicht mehr so weit von der Küste entfernt. Unsere Bäuche sind leer, also halten wir auf einem Markt an – erfahrungsgemäss eine perfekte Gelegenheit für gutes und günstiges Essen. Man darf sich nur nicht den Appetit verderben lassen, denn es gibt da auch Stände mit gewöhnungsbedürftigem Angebot: In manchen Behältern schwimmt glibbriges und schwer definierbares Meeresgetier, in anderen warten geröstete Insekten mit Knoblauch auf hungrige Kunden. Ein paar Meter weiter liegen ein Schweinekopf und andere Fleischteile auf dem Tisch, und zwar unter einer grossen Wolke schwarzer Fliegen. Um sie zu vertreiben, wedelt der Fleischverkäufer unablässig mit einem Stock herum, an dem vorne eine Plastiktüte befestigt ist.

Die Stimmung ist geschäftig; wir werden neugierig beobachtet und von den Verkäufern freundlich und fair behandelt. Auch für unseren Geschmack ist etwas dabei. Michael wählt eine rote, cremig-scharfe Suppe mit Kokosmilch und Huhn, ich nehme gebratene Glasnudeln mit Ei und Gemüse. Wir zahlen nur etwas mehr als zwei Franken und machen uns hungrig direkt an Ort und Stelle über das Essen her. Gomolf liegt währenddessen faul in unserer Nähe und Diu … wo ist eigentlich Diu? Ein Markt wie dieser ist das absolute Wunderland für unseren kleinen Strassenhund und natürlich hat sie es sich nicht nehmen lassen, nach ein paar Ergänzungen für ihr Abendessen Ausschau zu halten. Als Michael seinen typischen lauten Pfiff ertönen lässt, kommt Diu aus der Richtung des Standes mit den Brathähnchen und schleckt sich ihr Mäulchen. Es wundert uns kaum, dass sie später ihr Futter beinahe komplett für Gomolf übrig lässt.

Als wir aufbrechen und langsam unsere Räder vom Markt schieben, werden wir von einer jungen Frau auf Englisch angesprochen: «Haben Sie den Hund aus Ihrem Land mitgebracht?», fragt sie und deutet ehrfurchtsvoll auf Gomolf. «Ja, und den hier auch», erwidern wir mit Blick auf Diu. «Oh … ein Thai-Hund?» – «Nein, sie kommt aus Indien.» Damit ist das Interesse der zierlichen jungen Frau endgültig geweckt. «Ich liebe Hunde auch», erklärt sie und erkundigt sich nach den Namen unserer Vierbeiner. «Diu» kann sie sehr gut aussprechen, «Gomolf» dagegen klingt aus ihrem Mund wie «Omoi». Sie unterhält sich noch eine Weile mit uns und bietet uns schliesslich an, in ihrem Garten zu übernachten.

Eine Hundeliebhaberin lädt uns ein

Gut gelaunt folgen wir der Frau; sie wohnt anscheinend ganz in der Nähe. Vorfreude auf einen geschützten Platz und vielleicht eine Duschmöglichkeit macht sich breit, zudem ist es immer ein besonderes Erlebnis, einheimische Gastfreundschaft geniessen zu dürfen. Wir betreten ein riesiges, wunderschönes Grundstück. Doch schon bald bemerken wir, dass die Sache einen Haken haben könnte. Die vier Hunde der Tierliebhaberin sind gar nicht erfreut über uns Eindringlinge. Zwar wagen sie keinen Angriff auf Gomolf oder Diu, doch sie bellen, was das Zeug hält – ohne Unterlass. Sie bellen, als wir den Garten inspizieren, sie bellen, während wir unser Zelt aufbauen, und sie bellen auch, als wir schon drin liegen und keinen Mucks mehr von uns geben. «Unglaublich! Unsere machen nicht einen Ton … aber diese blöden … oh Mann, da kriege ich kein Auge zu! Die hören nie auf», knurrt Michael bald verzweifelt. Und er behält recht. Die Hunde bellen auch dann noch, als wir unser Zelt wenig später wieder abbauen und das Weite suchen.

Müde und leicht verzweifelt – aber immerhin frisch geduscht – begeben wir uns auf die Suche nach einer Alternative. Wir landen irgendwann in einer Kautschukplantage. An jedem der regelmässig gepflanzten Bäume hängt ein kleines Eimerchen, in das langsam der weisse Saft aus der angeritzten Rinde tropft. Es ist grosser, dunkler Wald aus gleichmässigen Baumreihen, die jedes Geräusch zu verschlucken schienen.

Nachtlager in einer Kautschukplantage

Totsicher, dass wir hier niemanden stören würden, bauen wir unser Lager noch einmal auf. Wir kriechen noch einmal auf unsere Matten und hoffen noch einmal auf ruhigen Schlaf. Heute bin ich an der Reihe, um auf der Matte mit Blase zu schlafen. Seit diese sich über das gesamte Kopfteil ausgebreitet hat, teilen wir uns die unschöne Bürde, darauf zu schlafen. Man liegt auf einem wabbeligen, unförmigen Etwas und läuft auch noch ständig Gefahr, zur Seite herunterzurutschen. Schon bald würden wir einsehen müssen, dass die Matte endgültig kaputt ist. Das ist mehr als bitter. So können wir uns nach einem langen und anstrengenden Tag nicht einmal mehr auf das Zubettgehen freuen.

Irgendwann schaffe ich es trotz allem, ins Reich der Träume abzugleiten. Jedenfalls kurz. Dann dringen plötzlich Motorengeräusche an mein Ohr: Mehrere Leute sind mit Mopeds gekommen und leuchten in einiger Entfernung mit Taschenlampen im Wald herum. Wir halten uns eine ganze Weile mucksmäuschenstill und sind zutiefst beunruhigt über den nächtlichen Besuch. «Sind die wegen uns da?», wispere ich zu Michael. «Ich weiss auch nicht … ich gucke jetzt mal nach», antwortet er. Eine Weile beobachtet er die Leute, dann versteht er schliesslich: «Das sind Plantagenarbeiter! Die sammeln nur den Kautschuk ein.» – «Ach so!», bemerke ich erleichtert. Tatsächlich interessiert es niemanden, dass wir hier zelten, allerdings können wir inmitten der Arbeiter nicht wirklich gut entspannen.

Meine verzweifelte Suche nach Schlaf erreicht einen Höhepunkt, als ich die kaputte Matte entnervt aus dem Zelt befördere und die Hunde von ihrem Platz aufscheuche. Sie teilen sich eine Decke und eine uralte, dünne Isomatte, die ich nun für mich in Anspruch nehme. Gomolf und Diu scheint das nicht weiter zu stören, aber für mich bricht eine kleine Welt zusammen, als ich mich auf der Hundematte ausstrecke. Ich hatte es mir wesentlich bequemer ausgemalt.

Für die nächste Etappe müssen wir noch einmal all unsere Motivation sammeln, doch wenigstens werden wir schon bald mit einem Willkommensschild belohnt: Welcome to Trat. Daneben ein paar Fotos von Palmen und Strand. Es ist nicht mehr weit.

Mehr Infos unter: www.cycle-for-a-better-world.org

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