Mit dem Velo und Hunden um die Welt, Teil 13

Michael und Sybille Fleischmann sind seit Juni 2010 unterwegs, um per Fahrrad ferne Länder zu bereisen. Ihr Ziel: Einmal um die Welt! Mit dabei: Rhodesian Ridgeback Rüde Gomolf und Mischlingshündin Diu. Exklusiv für das Schweizer Hunde Magazin berichten die Weltenbummler von ihren Erlebnissen. Die Chinesen haben die Fleischmanns endlich aus der Quarantäne entlassen und damit beginnt eine abenteuerliche Fahrt mitten durch das riesige Land.

Text und Fotos: S. und M. Fleischmann

«Huuugryyy?», fragte unser chinesischer Fahrer und wackelte dazu mit den Händen neben den Ohren. «Hungry» war sein universelles – und beinahe einziges – englisches Wort für «Essen», «Restaurant», die Frage, ob das Essen gut war, und zusammen mit der passenden Geste die Bezeichnung für verschiedene Fleischsorten. In diesem Fall meinte er Schaffleisch. «Hungry!», antworteten wir, wackelten dazu aber mit den abgewinkelten Armen, was für uns eindeutig «Huhn» meint, doch Körpersprache ist nicht immer international gleich. Ein langgezogenes «Oookaaayyy?» zusammen mit den Händen am Kopf war die Antwort – also wieder mal Schaf heute.

Wenig später fanden wir uns in einem kleinen muslimischen Restaurant wieder und knabberten skeptisch an den knorpeligen, fettigen Fleischstücken mit dem unliebsamen Schafgeschmack. Die seltsamen Gemüsebeilagen konnten uns auch nicht recht begeistern – unserem Fahrer und seinem Freund dagegen schien es bestens zu munden. Wenn diese Fahrt auch kulinarisch gesehen so ihre Tücken hatte, waren wir doch sehr froh, mit den beiden Herren Achmed und Jussuf unterwegs zu sein. Sie waren Uiguren und gläubige Muslime – was sich nicht nur in ihrer Wahl der Speisen zeigte.

Welches Verkehrsmittel ist geeignet?

Es hatte uns lange und viel Kopfzerbrechen bereitet, wie wir die Strecke von über 4000 Kilometern durch das riesige Land China in nur einem Monat bewältigen sollten – denn gemäss unserer Visa durften wir nur noch 30 Tage im Land bleiben. Die Zeichen standen denkbar schlecht: In chinesischen Zügen hätten Gomolf und Diu als Gepäckstücke in einer Transportbox reisen müssen. Doch was diese Option endgültig zunichte machte, war etwas anderes: «Eure Reise ist zum chinesischen neuen Jahr», hatte unser Dolmetscher Aydin festgestellt, als wir die Fahrt planten und ihn um Rat gebeten hatten. – «Na und?» war unser erster Gedanke gewesen, doch dann zeigte er uns typische Fotos von einem Bahnhof zu dieser Reisezeit: Das riesige Gebäude war von einer schier endlosen Menschenmasse in Beschlag genommen, kein Quadratmeter Fussboden war zwischen den zahllosen Leibern sichtbar, so dicht gedrängt standen sie. «Das ganze Land ist auf den Beinen», erläuterte Aydin weiter, «und sie reisen alle mit dem Zug. Auf allen Bahnhöfen ist so viel los. Ausserdem gibt es kein Limit dafür, wieviele Tickets verkauft werden. Die Züge und Wagen sind rettungslos überfüllt!»

Wir malten uns das Szenario eine Weile bildlich aus und nahmen dann bald von einer Zugreise Abstand. «Dann versuchen wir eben doch zu fliegen», schlug ich vor. Ein paar Anrufe bei verschiedenen Fluggesellschaften später mussten wir auch diese Idee verwerfen. «Hunde werden schon mitgenommen», sagte ich mutlos, «aber nur solche bis maximal 25 Kilo.» Unser Gomolf bringt 45 Kilo auf die Waage.

Wäre es wärmer gewesen, hätten wir es wahrscheinlich per Anhalter versucht. Doch wir hatten zuviel Respekt vor der eisigen Kälte, die momentan einen grossen Teil des Landes beherrschte. Mit unserer Ausrüstung könnten wir wohl keine einzige Nacht im Freien überstehen, also taugte auch diese Idee nicht für uns.

So mussten wir schliesslich in den sauren Apfel beissen und einen Minibus samt Fahrer mieten, der uns, die Hunde und all unsere Sachen nach Süden bringen sollte. Selbst das war noch schwierig genug, denn während des chinesischen Neujahrsfestes wollten die wenigsten arbeiten. Nur eine einzige Reiseagentur konnte uns ein passendes Angebot machen, das allerdings ein beträchtliches Loch in unsere Reisekasse riss.
«Von diesem Geld könnten wir fast fünf Monate lang leben», stöhnte ich, als ich die Überweisung durchführte. – «Schon», versuchte Michael zu trösten, «aber es ist die einzige vernünftige Möglichkeit, um hier aus dieser Kälte wegzukommen.» Trotz der grossen Kosten war auch ich froh, dass die scheinbar ausweglose Suche nach einem Transportmittel in den sonnigen Süden nun endlich abgeschlossen war.

Wenigstens klappte der Transport in die nächste Grossstadt und das Treffen mit unseren Fahrern reibungslos und so fanden wir uns bald in dem weissen Minibus wieder, auf dessen Kühler sogar ein Mercedesstern prangte und der uns endlich aus diesem Kälteloch bringen sollte: von Urumqi, Xinjang-Provinz, Nordwestchina, nach Kunming, Yunnan Provinz, Südchina. Michaels kundigen Augen entging nicht, dass der Bus bezüglich des Herstellers natürlich eine glatte Fälschung war, dennoch war er in gutem Zustand und versprach, uns zuverlässig durch das Riesenland zu bringen. Das Gefährt erwies sich als gerade gross genug, um unser umfangreiches Gepäck, die Fahrräder, Anhänger und schliesslich auch Gomolf und Diu unterzubringen.

Im Minibus durch China

Wir durchquerten eine schier endlose, karge Gegend, die so gut wie unbesiedelt war. Nur manchmal tat sich unerwartet ein Städtchen auf – wo wir dann gerne mal auf einen Teller Schaffleisch stoppten. Unser Fahrer hiess Achmed, er war ein routinierter, freundlicher Mann in mittleren Jahren. Der andere Herr, Jussuf, war etwas älter und sie standen wohl in irgendeinem Verwandtschaftsverhältnis zueinander. Jedenfalls tat der ältere während der ganzen Reise nichts ausser sprechen, essen und beten. Er half weder beim Gepäcktragen noch bei der Orientierung noch bei der allabendlichen Hotelsuche. Später scherzten wir, dass er wohl als spiritueller Beistand fungierte, denn tatsächlich stoppten die beiden auf Anregung des älteren drei Mal täglich und verrichteten ihr Gebet auf einem eigens dafür mitgebrachten Gebetsteppich. Als unser Gomolf das zum ersten Mal sah, wollte er gleich neugierig hinrennen, wovon Michael ihn zum Glück gerade noch abhalten konnte …

Später gingen die Männer – wohl aus Zeitgründen – dazu über, während der Fahrt zu beten. Während der «spirituelle Beistand» beide Hände und den Kopf hob und senkte, musste unser Fahrer die Hände am Lenkrad halten und hob und senkte nur den Kopf.

Gläubige Muslime und unreine Hunde

Sicher gefiel es den strenggläubigen Muslimen wenig, unsere «unreinen» Hunde in ihrem Auto zu transportieren, doch die Geschäftstüchtigkeit hatte wohl gesiegt. Sie versuchten, Gomolf und Diu so gut es ging zu ignorieren. Es war wieder mal unsere kleine Diu, die den Fahrer beinahe an seine Grenzen gebracht hätte.

Eigentlich gehorcht sie sehr gut. Und zwar genau so lange, wie Michael oder ich anwesend sind. Danach können wir für nichts mehr garantieren.

In einer mittelgrossen Stadt stoppten wir, um eine Suppe zu essen. Die Hunde sollten im Auto warten. Unser Fahrer geht zum Auto, um etwas zu holen. Er öffnet die Tür – und prallt zurück: Auf seinem Sitz, auf seiner Schaffellauflage, sitzt unsere Diu und sieht ihn erwartungsvoll an. Der Uigure ringt sichtlich um Fassung … und nimmt schliesslich von seinem Vorhaben sowie von unserem Hund Abstand. Mit einem langen Arm schliesst er die Tür und schickt bestimmt ein Stossgebet zu Allah, als er zu uns zurückgeht.

Obwohl wir nun schon über einen Monat in diesem Land waren, blieb China eine eigene, sehr fremde Welt, die täglich unzählige neue Eindrücke für uns bereithielt. In einer Mittagspause schlenderten wir über einen riesigen Markt, auf dem es die wunderlichsten Sachen zu kaufen gab: Hühnerfüsse und -köpfe, unbekannte Gemüsesorten, streng riechende Gewürze und Tinkturen, Tofu in allen Variationen, totes Fleisch und lebender Fisch. Als einzige Europäer weit und breit – und mit Gomolf und Diu im Schlepptau – fielen wir auf wie die bunten Hunde. Die Menschen betrachteten uns neugierig, aber immer unter Wahrung einer höflichen Zurückhaltung.

Kulturell bedingte Missverständnisse

Auf kulturell bedingte Missverständnisse mussten wir selten lange warten, es genügte zum Beispiel der Besuch einer öffentlichen Damentoilette: Die Bedürfnisanstalt bestand aus einer Rinne am Fussboden und ein paar Trennwänden. Türen gab es zwar auch, doch die waren so verschmutzt, dass sie niemand anfassen und schliessen wollte. Als ich auf einen freien Platz an der Rinne wartete, blickten mich die pinkelnden Damen vorwurfsvoll an oder versuchten, sich verschämt wegzudrehen. Ich verstand erst, als eine von ihnen mit strenger Miene auf das Schild an der Tür deutete, auf dem eine Frau abgebildet war: Sie hielten mich wegen meiner kurzen Haare für einen Mann! «Ich bin doch auch eine Frau», sagte ich, doch natürlich verstand mich niemand. Unter meiner dicken Winterkleidung war auch nichts zu erkennen, was meine Unschuld bewiesen hätte, doch da wurde zum Glück ein Platz frei. Ich bezog Stellung über der Rinne und liess sprichwörtlich die Hosen runter – womit mein Aufenthalt auf der Damentoilette endlich legitimiert wurde.

Der Zufall wollte es, dass uns unser Weg direkt an einem kulturellen Highlight vorbeiführte, das wir uns nicht entgehen lassen konnten: ein komplett restauriertes Teilstück der chinesischen Mauer! Das grösste Bauwerk der Welt ist zwar nicht – wie lange gerne behauptet wurde – vom Mond aus zu sehen, doch aus der direkten Nähe macht es sicherlich was her. Achmed und Jussuf warteten im Auto, während wir uns mit Gomolf und Diu einem der «Neuen 7 Weltwunder» näherten.

Schon von Weitem erblickten wir einen der Wachttürme, in dem seinerzeit Munition gelagert und Soldaten postiert wurden. Die Mauer wurde schon ab 214 v. Chr. zum Schutz vor Angriffen von Reitervölkern aus dem Norden errichtet und seitdem ständig erweitert. Die weit entfernten Wachposten kommunizierten mit Rauchzeichen und Signalen.

Heutzutage geht die Kommunikation einfacher, und doch gibt es immer noch «Feinde», die dem Bauwerk nicht zu nahe kommen dürfen. Es kostete die Dame am Ticketschalter nur einen Anruf mit dem Mobiltelefon, um herauszufinden, dass Hunde nicht mit auf die Mauer dürfen! Wir waren angesichts des gesalzenen Eintrittspreises nicht allzu enttäuscht und begnügten uns mit ein paar Erinnerungsfotos aus der Ferne.

«Nigger no!» im Hotel

Jeden Abend stoppten wir in einer grösseren Stadt und Achmed begann mit der teilweise recht langwierigen Hotelsuche. Meist hatten wir Glück und er fand recht schnell eine günstige Unterkunft, zu der auch Gomolf und Diu Zutritt hatten. Einige der Zimmer waren zwar nicht geheizt und demzufolge schweinekalt – draussen herrschten immer noch zweistellige Minusgrade –, doch immerhin bekamen wir Heizdecken, so dass es wenigstens im Bett kuschelig warm wurde. Generell war der Standard recht gut: Es war überall sauber, es gab fast überall Internet und wir bezahlten niemals mehr als umgerechnet 15 Franken für eine Nacht.

Manchmal musste unser Fahrer allerdings schon eine Weile suchen. «Nigger no!» sagte Achmed dann immer mit Blick auf unseren Gomolf und klemmte sich noch einmal hinter das Lenkrad. Seine Äusserung hatte weder etwas mit Diskriminierung noch mit Rassenfeindlichkeit zu tun, löste aber doch immer wieder mal ein Schmunzeln in uns aus. «Nigger» wird zwar tatsächlich wie das Wort für einen Schwarzafrikaner ausgesprochen, heisst aber auf Chinesisch nur so etwas wie «dieser hier». Zudem ist es ein Füllwort wie im Deutschen ein gepflegtes «Äääh…», so dass man «Nigger» in China recht häufig zu hören bekommt.
Spätestens nach ein paar Hotels mit «Niggerverbot» hiess es dann irgendwann von Achmed: «Nigger okay!» und wir konnten beginnen, unsere Taschen hineinzutragen.

«Happy New Year» auf Chinesisch

Am chinesischen Neujahrsabend spazierten wir durch die Strassen von Dong Chuan, einer Kleinstadt in Zentralchina. Ringsherum zündeten Kinder laute Böller, Raketen und Tischfeuerwerke. Die Erwachsenen erledigten hektisch noch ein paar Einkäufe, fegten die roten Papierschnipsel zusammen oder verbrannten in einer Ecke einen Haufen Papiergeld. Ein Ritual für die Toten – so sollte dafür gesorgt sein, dass die Vorfahren in der Nachwelt genug Geld zur Verfügung hatten. «Hoffentlich sind dann im Himmel nicht die Chinesen die einzigen, die Geld haben», witzelt Michael.

Silvester weckte in uns auch Assoziationen wie Raclette, Käsefondue und andere Köstlichkeiten, denn obwohl wir schon im Monat der Quarantäne «unser» Silvester zusammen mit der kasachischen Gemeinschaft gefeiert hatten, so waren unsere Gelüste nach bekannten Speisen in China bisher weitgehend unbefriedigt geblieben. Wir würden heute – genau wie in den letzten fünf und in den nächsten drei Wochen – wieder chinesisch Essen. Dieses Mal war es aber dafür sehr gut: zartes, leckeres Fleisch und knackiges Gemüse in einer würzigen Sauce, dazu natürlich jede Menge Reis. Als wir satt und zufrieden unser unterkühltes Zimmer betraten, war Gomolf ausser sich vor Freude, denn die lauten Kracher liessen ihn Todesängste ausstehen. Auch dass unsere kleine Diu die Ruhe selbst blieb, konnte den Grossen nicht beruhigen.

Er musste sich noch eine Weile fürchten und um Mitternacht ging dann – ähnlich wie bei uns – das grosse Getöse los. Wir beschränkten uns darauf, von unseren Betten aus zuzuhören, bevor es langsam verklang und wir etwas Schlaf finden konnten – auch das Nervenbündel Gomolf.

Mehr Infos unter: www.cycle-for-a-better-world.org

Hier können Sie den Artikel aus dem Magazin als PDF ansehen

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