Ewige Jugend – Segen oder Fluch?

Haushunde teilen eine Eigenschaft in ihrer individuellen Entwicklung mit sehr vielen anderen Haustieren, nämlich das Phänomen der sogenannten Neotenie. Dieser Vorgang bezeichnet die Tatsache, dass die betreffende Rasse oder Tierart nie wirklich erwachsen wird. Sie bleiben also permanent verjugendlicht.

Text: Udo Ganslosser und Sophie Strodtbeck

Streng genommen bezeichnet dieser Begriff in der Zoologie den Vorgang, bei dem ein Tier im Jugendstadium, oft sogar eine Larve, bereits geschlechtsreif wird. Berühmtestes Beispiel in den Aquarien vieler Hobbyaquarianer ist der mexikanische Axolotl, eine Amphibie, die gewissermassen im Stadium einer Molchlarve wächst und wächst und schliesslich auch in diesem Larvenstadium geschlechtsreif wird.

Auch viele Haustiere sind – in unterschiedlich starker Ausprägung – diesem Prozess der Verjugendlichung (Pädomorphose) unterworfen. Man vergleiche nur einmal die Körperproportionen eines Urwildpferdes mit denen eines Hauspferdes einerseits und denen eines Pferdefohlens andererseits. Auch bei Rindern ähneln selbst die grössten Zuchtbullen mehr überdimensional vergrösserten Kälbern als einem Wildrindbullen. Besonders mit dem Augenmerk auf die Bemuskelung, das Skelett, das Gehörn und die gesamte Körpergestalt.

Hauptursache für das Phänomen der Neotenie bei Haustieren war wahrscheinlich eine gezielte Zuchtwahl gegen die Aggressivität, die mit dem vollständigen Erwachsenwerden auftritt. Ein verjugendlichtes Tier, vor allem das einer grossen und/oder besonders wehrhaften Art, ist für den Menschen leichter zu führen als ein selbstbewusstes und voll erwachsenes. Zudem ist lebenslanges Lernen eben auch bei verjugendlichten Tieren leichter zu verwirklichen. Und bei vielen Haustierformen, die auch für und mit dem Menschen arbeiten sollten, war das ein wesentlicher Punkt.

Jedoch sind die Merkmale der permanenten Verjugendlichung bei Haushunden oftmals auch problematisch. So ist beispielsweise das zunehmend immer mehr herausgezüchtete Kindchenschema, also die Abrundung des Kopfes, die immer mehr vergrösserten und bisweilen auch babyhaft hervorstehenden Augen, die kurzen «pummeligen» Gliedmassen und die ebenso veränderte, oft auch mit einer gewissen Mopsgestalt verknüpfte Körperform häufig ein gesundheitliches Risiko. In unserem Beitrag über die Kleinhunde (SHM 1/13 und auf www.hundemagazin.ch unter Ratgeber) haben wir diese Probleme ausführlicher dargestellt.

Verjugendlichtes Verhalten – problematische Kommunikation

Eine neue Untersuchung einer englischen Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit dem Phänomen der Verjugendlichung und des Kindchenschemas bei Hunden als Selektionsfaktor. Dort wurden in einer Vergleichsuntersuchung von Tierheimhunden genaue Messungen der Gesichtsmimik und der dabei beteiligten Gesichtsmuskulatur mit dem Aufenthalt im Tierheim bis zur erfolgreichen Vermittlung verglichen. Um rassebedingte Faktoren auszuschliessen, handelte es sich dabei ausschliesslich um Hunde des sogenannten Molossertyps und deren Mischlinge. Es zeigte sich, dass der Faktor der Ausbildung und Aktivität des Hebemuskels der Augenbrauen, also eines Teils der Stirnmuskulatur, deutliche Auswirkungen auf die Vermittlungsfähigkeit besitzt.

Hunde mit einem sehr aktiven, auffällig agierenden Hebemuskel werden wesentlich schneller vermittelt als solche, die einen weniger aktiven Augenbrauenheber und damit insgesamt eine weniger aktive Stirnmimik haben. Die Wirkung des Augenbrauenhebers ist es, die Augen gross und rund erscheinen zu lassen, was wiederum ein wesentlicher Teil des Kindchenschemas ist.

Lesen Sie den ganzen Artikel von Udo Ganslosser und Sophie Strodtbeck im Schweizer Hunde Magazin 3/2014.

geschrieben von:
Udo Ganslosser

Udo Ganslosser

Udo Ganslosser (*1956) ist Privatdozent für Zoologie an der Universität Greifswald. Am Zoologischen Institut Erlangen erhielt er 1991 die Lehrbefugnis. Udo Ganslosser ist unter anderem Lehrbeauftragter am Phylogenetischen Museum und Institut für Spezielle Zoologie der Universität Jena. Seit mehreren Jahren betreut er zunehmend mehr Forschungsprojekte über Hunde, seien es Haushunde oder Wildhundeartige. Dabei geht es vor allem um Fragen von Sozialbeziehungen und sozialen Mechanismen.

geschrieben von:
Sophie Strodtbeck

Sophie Strodtbeck

Sophie Strodtbeck (*1975) hat ihr Studium 2002 an der Ludwig-Maximilians-Universität München als Tierärztin abgeschlossen. Berufserfahrung sammelte sie in verschiedenen Praxen. Seit längerer Zeit ist sie in einer Hundeschule für tiermedizinische Belange zuständig und bietet zusammen mit Udo Ganslosser verhaltensmedizinische Beratungen an. Nebenher schreibt sie Artikel für diverse Hundezeitschriften und teilt ihr Leben derzeit mit vier eigenen Hunden.

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