Schweizer Hunde Magazin

Süchtig auf Spiel?

Die meisten Hunde lieben es zu spielen. Sei es mit Artgenossen oder Menschen. Aber was, wenn der Hund nur noch mit Gegenständen spielen will? Sein geliebtes Stöckchen, seinen Kong, Ball oder Frisbee nicht mehr aus den Augen lässt, stetig vor die Füsse wirft, unermüdlich und aufdringlich, zum Teil mit richtigen Bellattacken den Menschen auffordert, den Motivationsgegenstand zu werfen? Wenn Hunde Kopf voran Stunden in Gewässern nach Steinen fischen und an keinen Sozialkontakten mehr interessiert sind oder sogar ihren Gegenstand tatkräftig mit Aggression verteidigen?

Text: Gabriela Capraro

Ist mein Hund ein Spielverrückter?

Viele Hundebesitzer bemerken gar nicht erst, dass ihr Hund süchtig nach Spiel ist. Da der Hund unermüdlich taxiert, rennt, bringt und auffordert und es ihm sichtlichen Spass bereitet, freuen sich auch die Hundebesitzer mit ihnen. Leider ist den wenigsten Leuten bewusst, dass sie einen spielsüchtigen Vierbeiner aus ihrem Hund machen oder schon haben und welche Probleme damit verbunden sein können.
Damit aber kein Missverständnis aufkommt: Es ist wichtig, dass wir Menschen mit unseren Hunden spielen, das fördert eine sichere Bindung. Der Hund fühlt sich sicher. Es ist das Mass, welches darüber entscheidet, ob es ein Sozialspiel ist oder ob es sich zum Suchtverhalten für den Hund entwickelt.

Ob der Hund ein «Balljunkie» ist, merken Sie daran, dass er Sie in allen möglichen und unmöglichen Situationen zum Spielen auffordert. Sie sollen am Gegenstand ziehen oder ihn werfen. Seien dies Steine, Bälle, Kong, Stöckchen, Tannzapfen, Frisbees, Plüschtiere, Futtersäcke oder «Quitschis». Diese Hunde fordern unermüdlich und geben keine Ruhe.

Wann darf von Suchtverhalten gesprochen werden?

Allgemein spricht man beim Menschen von Suchtverhalten, wenn folgende Sachverhalte gegeben sind:
Das Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand wird regelmässig gesucht. Die Entfaltung der Persönlichkeit ist beeinträchtigt und soziale Bindungen werden vernachlässigt. Dabei kommt es zum Verlust der Selbstkontrolle mit körperlichen, psychischen und sozialen Folgen.

Ähnlich dürfte es auch unseren Vierbeinern ergehen. Sie können gar nicht genug von ihrer «Tätigkeit» bekommen. Sie geben erst Ruhe, wenn man das Objekt der Begierde wegpackt oder die Hunde ruhig stellt. Bei der kleinsten Bewegung springt der Hund sofort wieder an, fixiert den Menschen oder das Objekt, fordert auf zum Spiel und ist nicht mehr fähig, sich zu entspannen, denn er will ja seinen Einsatz, der vermeintlichen Beute hinterher zu jagen, auf keinen Fall verpassen.

Was passiert beim Hund im Körper?

Das Spielsuchtverhalten des Hundes und die damit permanent hohe Erregung bedeuten für den Körper unbewältigbaren Stress. Das Gehirn stellt auf einen Überlebensmodus um: Durch die Ausschüttung von Adrenalin und Cortisol steigt der Blutdruck, die Herzaktivität wird beschleunigt, «unwichtige» Systeme wie z. B. die Verdauung werden abgeschaltet, die peripheren Blutgefässe erweitert und stärker durchblutet. Die Blutgerinnung sinkt. Der ganze Organismus ist hellwach und die Bereitschaft und Aufmerksamkeit auf höchstem Niveau. Alles sehr sinnvolle Reaktionen – wenn es tatsächlich ums Überleben geht. Dauert diese Stressbelastung an, kann dies mittel- bis langfristig zu gesundheitlichen Beschwerden führen.

Der Hund liebt und braucht das Spiel und es macht ihm offensichtlich auch Spass. Aus diesem Grund vergessen Hundebesitzer oft, dass die damit einhergehende hohe Erregung über einen längeren Zeitraum unbewältigbaren Stress für den Körper des Hundes bedeuten kann. Und dieser Stress macht sich dann oft erst nach längerer Zeit durch gesundheitliche Probleme bemerkbar. Nach Phasen hoher Belastung braucht es deshalb unbedingt eine längere Erholungsphase, damit Adrenalin und Cortisol im Körper abgebaut werden können. Je häufiger der Hund unter hoher Erregung steht, desto länger kann dieser Prozess dauern.

Neben Spielsucht können folgende Faktoren unbewältigbaren Stress im Hund auslösen:

Bewältigbarer Stress im Sinne von Herausforderung und nicht bewältigbarer Stress im Sinne von Belastung.

Gesundheitliche Aspekte

Nicht nur die Folgen von unbewältigbarem Stress können gesundheitliche Schäden verursachen, sondern auch die physikalischen Belastungen, die mit der Spielsucht verbunden sind. Vor allem bei Rennspielen mit dem Gegenstand, aber auch bei Spielen mit Steinen oder Stöckchen kann es zu schweren Unfällen kommen. Dabei sind nachstehende gesundheitliche Folgen recht häufig:

Körperliche Leiden

Wie kann diese Spielsucht entstehen?

Grundsätzlich macht es Sinn, den Hund körperlich und auch geistig zu fordern. Immer seinem Alter, seinem Temperament und seinem Gesundheitszustand sowie seiner Kondition angepasst, versteht sich. Ein Spaziergang ist für den Hund im weitesten Sinne ein Erkundungsausflug. Manche Hunde sind zufrieden damit, am Wegrand zu riechen und zu markieren. Vielen Hunden ist dies jedoch nach einer gewissen Zeit einfach zu langweilig. Sie verselbständigen sich dann und gehen ihren angeborenen Bedürfnissen nach. Sie suchen Spuren von Wildtieren, jagen hinter Katzen und Füchsen her oder buddeln mit vollem Eifer nach Mäusen. Sie verfolgen jede läufige Hündin oder rennen zu allen möglichen hündischen Spielpartnern. Oft ist es jedoch auch der Besitzer, der die Zeichen des Hundes nicht richtig interpretiert oder inkonsequent handelt und somit das letztlich unerwünschte Verhalten des Hundes in die falschen Bahnen lenkt oder sogar fördert.

Jagdambitionen müssen schon im Welpenalter richtig kanalisiert oder unterbunden werden. Denn die Gesellschaft toleriert Jagdverhalten unserer Hunde meist nicht. Oft wird dann versucht, den Hund vom Objekt der Begierde auf eine Alternative (Spielzeug) umzulenken. Je nach Charakter sowie Temperament des Hundes und Rassedisposition wird das Spiel mit dem Gegenstand bald langweilig oder der Hund dreht extrem auf und hüpft nur noch neben dem Hundeführer her, ohne sich an der Umwelt zu orientieren. Er fordert, stupst an, bellt und zwickt, bis er zum Erfolg kommt. Mit der so genannten Umorientierung auf einen Gegenstand (weg vom Wild hin zum Ball), entsteht beim Hund eine Erwartungshaltung. Er fordert sein Lieblingsspielzeug unter Umständen auch lauthals ein und dies kann nach kurzer Zeit bereits zum Suchtverhalten werden. Auch übersteigerte Formen des Beutefangverhaltens wie unaufhörliches Fliegen und Schatten jagen oder Jogger, Radfahrer und Autos nachhetzen hat dann sein Ventil der unterdrückten Jagdpassion schnell gefunden.

Folgende Umstände können wechselwirkend ein erhöhtes Beutefangverhalten auslösen:

Wie beuge ich einem solchen Problem vor?

Um einen ausgeglichenen Hund zu bekommen, müssen einige sehr wichtige Faktoren berücksichtigt werden. Es braucht eine zeitgemässe Aufzucht beim Züchter, ein sicheres Wesen der Mutterhündin, die optimale Rassewahl mit Berücksichtigung der rassespezifischen Verhaltenstendenzen, Aufbau einer sicheren Bindung, Zeit für die Erziehung und Sozialisierung des Hundes, Angebot an Lerngelegenheiten für den Hund sowie kein Leistungsdenken.

Damit sich der Hund ausgeglichen entwickeln kann, sollte man Hunde körperlich wie auch psychisch fordern, ohne sie zu überfordern. Angepasst wird die Aktivität dem biologischen Alter und Temperament des Hundes, dem Konditionsstand sowie den rassespezifischen Verhaltenstendenzen bzw. Bedürfnissen. Bitte beachten Sie dazu die Konfliktreaktionen Ihres Hundes.

Um das Problem gar nicht erst entstehen zu lassen, braucht es das einfühlsame Erkennen der Belastungsgrenzen sowie des Erregungsgrades beim Hund. Mit Hunden, die sehr schnell in Erregung kommen, sollte man sehr dosiert, nicht zu wild und nur kurze Sequenzen spielen. Wilde Zerr- und Rennspiele sind für diese Vierbeiner eher kontraproduktiv. Ebenfalls ist darauf zu achten, dass diese Hunde längere Spaziergänge (zwei Stunden täglich) mit einzelnen Aufgabenstellungen bekommen. Ebenfalls ist es sehr ratsam, solchen Hunden schon ab Welpenalter genügend Pausen einzuräumen. Ist der Hund erst einmal zum Balljunkie geworden, ist es oftmals sehr schwierig bis praktisch unmöglich, ihn zu therapieren. Will man einen bereits «süchtigen» Hund therapieren, braucht es eine genaue Anamnese (Fallaufnahme) des Problems, die Auflistung der Handlungen durch den Besitzer, die Auslösemechanismen und vor allem für die Zukunft ein sinnvolles Beschäftigungsprogramm für den Hund. Ein gut ausgebildeter Verhaltenstherapeut/Verhaltenstierarzt oder auch ein erfahrener Hundetrainer sollte da helfen können.

Der Hund darf auch mal alleine mit dem Spielzeug spielen und bracht nicht immer den Menschen dazu. Ebenfalls darf man ohne schlechtes Gewissen dem Hund eine Spielaufforderung abschlagen.

Körperliche Auslastungsmöglichkeiten
Velo fahren, schwimmen, joggen, wandern, Geländeagility (erklimmen von Baumstämmen, überqueren oder umgehen von Naturhindernissen, etc.) oder einbauen von Aufgaben wie zum Beispiel Gehorsamsübungen, Apportierspiele oder auch Umweglernen auf dem Spaziergang.

Geistige Auslastungsmöglichkeiten
Such- und Stöberarbeiten, wie Revierarbeit, Fährtentraining, zielorientiertes Objektsuchen (ZOS), Mantrailing, um nur einige Aktivitäten zu nennen.

Weiteres zum Thema:
SHM Kopfarbeit für Ihren Vierbeiner von Gabriela Capraro 7/06
SHM Spielen – aber richtig von Menno Huber 6/03

Quellen: Semmer et al. 2006 Universität Bern, Hundeverhalten – Das Lexikon, Andrea Weidt