Zucht und Aufzucht von Hunden – Es gibt neues Wissen

Am 4. März 2006 fand in Nottwil eine eintägige Vortragsveranstaltung statt, zum Thema „Neues Wissen zur Zucht und Aufzucht wesenssicherer Hunde“. Rund 150 Hundeinteressierte nahmen an diesem Anlass teil,
organisiert durch Kynologos AG, der Gesellschaft für angewandte Verhaltensforschung bei Hunden. Das Referententeam Dina Berlowitz, Andrea Weidt und Heinz Weidt, vermittelte neue Erkenntnisse sowie Wissen
aus den Bereichen Genforschung, Geburtsgeschehen, vorgeburtliche Einflüsse und Aufzuchtsumwelt. Dabei wurden auch verhaltensbiologische Aspekte und Informationen aus der Hirnforschung nicht ausser Acht gelassen. Ausserdem sollte Dr. med. vet. Till Suter aus Basel in einem Kurzreferat einen Einblick in das normale Geburtsgeschehen des Hundes geben. Dies blieb jedoch aus, da intensiver Schneefall und deshalb grosse Behinderungen auf den Strassen seine Teilnahme an dieser Veranstaltung verhinderten. Hilfeleistung wurde spontan gefunden; der an diesem Anlass teilnehmende Dr. med. vet. Paul Kramers stand kompetent auf die Fragen aus dem Publikum Red und Antwort.

Nachfolgend sind nur einige, aber sehr bedeutende Aussagen und Fakten aus den Vorträgen kurz angesprochen.

Text: Susanne Ernst

Gene

Entgegen der weitläufigen Meinung ist auf diesem Gebiet noch sehr wenig erforscht. Es dürften erst etwa 3 % der im Genom enthaltenen chemischen Informationen sein, die man bis anhin entschlüsselt hat. Jedoch leiten oft falsche Informationen und Vorstellungen den Menschen dahin, dass es in der Genforschung nichts mehr gibt, was nicht schon entdeckt ist. Die restlichen 97 % der chemischen Informationen galten bisher als „genetischer Schrott“ und sind noch nicht untersucht. Doch aktuelle Entwicklungen zeigen, dass gerade in diesem Material ein grosses unerforschtes Potenzial von Vererbungsvorgängen und Wechselwirkungen aus Erbgut und Umwelt vorhanden ist. Neuste Erkenntnisse zeigen, dass Gene die Eigenschaften aufweisen, sich ein- und ausschalten zu können – je nachdem wie und wo sie gebraucht werden. Erforscht ist aber nur ansatzweise, wie sie die Entwicklung eines Lebewesens beeinflussen.

Wichtig ist es deshalb zu verstehen, dass es weit mehr braucht als nur Gene, um das Verhalten am Hund oder einer Rasse zu bestimmen. Sicher ist jedoch, dass zur Verhaltensund Wesensentwicklung des Hundes einen bedeutender Teil auch die natürlichen, sozialen und zivilisatorischen Einflüsse beitragen.

Vorgeburtliche Einflüsse

Dass die Ernährung der Mutterhündin hinsichtlich dem späteren Wohlergehen der Welpen wichtig ist, scheint jedem Hundehalter bekannt zu sein. Der Embryo wird von der Mutter über die Nabelschnur versorgt. Dass aber weit mehr die Entwicklung des Fötus beeinflusst, haben die Referenten eindrücklich aufgezeigt.

Oft tragen Stress, Angst oder Unsicherheit der trächtigen Hündin – zum Beispiel ausgelöst durch Teilnahmen an Wettkämpfen, Jagden oder Ausstellungen – zu vorgeburtlichen negativen Einflüssen bei, die eigentlich nicht gewollt sind. In den ersten 12 Wochen eines ungeborenen Lebewesens wachsen und reifen die wichtigsten Körperteile (Gehirn, Organe, Gliedmassen etc.) heran. Gerade in dieser Zeit ist es wichtig, die Hündin nicht unnötig belastenden Situationen auszusetzen. Auch Trennungsängste sind vielmals für das Tier hohe Stressfaktoren: Es kommt zur vermehrten Produktion von Stresshormonen, die bereits auf die ungeborenen Welpen Einfluss nehmen können. Trennungsängste entstehen beispielsweise dann, wenn eine Hündin das Alleinsein nie richtig gelernt hat und sie trotzdem allein sein muss – oder sie zum Werfen dem Züchter (im Zuchtrecht) abgegeben wird und in einer für sie fremden Umwelt ihre Welpen zur Welt bringt. Veränderungen im Kreislauf der Mutterhündin erfährt also immer auch der Embryo – sie verändern gleichermassen die direkte Umwelt in der Gebärmutter.

Ebenfalls haben die nebeneinander liegenden Föten im Mutterleib einen wechselseitigen Einfluss aufeinander. So hat man festgestellt, dass die Geschlechtshormone (Botenstoffe) der Föten bis zu den neben ihnen liegenden Geschwistern reichen und diese deshalb beeinflussen können. Diese nachbarschaftlichen Botenstoffe tragen dazu bei, dass bestimmte Prozesse im Gehirn der ungeborenen Welpen verändert ablaufen. Solche frühen Einflüsse prägen die Hunde oft ein Leben lang. Deshalb muss dem Wohlergehen der Hündin während der Schwangerschaft grosse Bedeutung zugemessen werden.

Diese und weitere Erkenntnisse haben gezeigt: Angeborenes muss nicht vererbt sein! Oft wurden Eigenschaften und Fähigkeiten, mit denen die Welpen zur Welt kamen, als genetisch bedingt dargestellt. Dies ist jedoch nach neusten Forschungsergebnissen nicht so.

Geburtsgeschehen

Eine gesunde und wesenssichere Hündin mit einem instinktsicheren Brutpflegeverhalten kann ihre Jungen selbstständig und ohne fremde Hilfe zur Welt bringen. Jeglicher Eingriff vom Menschen kann dem normalen Geburtsgeschehen nur Schaden zufügen. Immer noch werden in Züchterkreisen Geburtsstrategien zelebriert, die nichts mehr mit einer natürlichen Geburt gemeinsam haben. Oft wird der Hündin ins normale Geburtsgeschehen hinein, gepfuscht“. So werden beispielsweise Welpen vom Züchter aus der Eihaut ausgepackt, die Nabelschnur von Menschenhand durchtrennt oder sie werden trocken frottiert mit einem Tuch. All dies hat starken Einfluss auf die weitere Entwicklung des jungen Lebewesens. Denn gerade das Trockenlecken des Welpen (erster Kontakt, Anregung der Sinne und des Organismus) durch die Hündin oder das Zur-Zitze-Finden aus eigenem Antrieb (Lernen am Erfolg, Einstellen der Zufriedenheit) sind wichtige emotionale und physische Ersterlebnisse, die dem Welpen einfach genommen werden, lässt man der Natur nicht freien Lauf. Oft begleiten solche unnötigen Manipulationen während oder kurz nach der Geburt den Hund lebenslänglich – gut sichtbar wird dies bei Hündinnen nämlich dann, wenn sie später selbst Nachwuchs haben und kein sicheres Brutpflegeverhalten mehr aufweisen können. Hier stellt der Mensch wesentlich die Weichen für die Zukunft der weiteren Zucht.

Aufzuchtsumwelt

Immer öfter weisen gestörte Verhaltensentwicklungen eines Welpen auf frühe, u. a. bereits erwähnte Ursachen hin. Es sind also Entwicklungsprozesse, die vor oder unmittelbar nach der Geburt stattfinden. Diese allerfrühsten Erfahrungen des Welpen führen erfahrungsgemäss zu einer Selbstprogrammierung des Gehirns. Bereits zu diesem Zeitpunkt spielt auch die gefühlsmässige Lage, in der sich das junge Lebewesen befindet, eine entscheidende Rolle. Nur wo sich der Welpe sicher und wohl fühlt, kann naturgemäss durch Wahrnehmen, Erkunden und Spielen das lebenswichtige Lernen stattfinden. Natürlich müssen ihm dazu entsprechende Lerngelegenheiten zur Verfügung stehen. Da der Zeitraum für dieses besondere Lernen auf die Prägephase (sowie weitere sensible Phasen) beschränkt ist, sollte dem Welpen der bestmögliche Entwicklungsspielraum zur Anregung und Entfaltung seiner Sinne und Lernfähigkeit geboten werden.

Ein positiver Start ist also viel wert. Ein wichtiger Teil ist von Anfang an, dass eine sichere und gefestigte Bindung zwischen Welpe und Fürsorgegarant besteht. Diese ist zuerst die Hündin, parallel dazu der Züchter und anschliessend der Welpenerwerber. Ist diese mass gebende „Rückendeckung“ gewährleistet, können die Welpen Erfahrungen sammeln und Strategien entwickeln, um später den fordernden Ansprüchen des Besitzers und der heutigen Zivilisation bestmöglich nachzukommen. Das heisst unter anderem, Lösungen von bestimmten Konfliktsituationen selbst zu erkennen oder einer körperlichen Herausforderung gewachsen zu sein. Dadurch stellt sich eine natürlich gewachsene Selbstsicherheit und Wesensfestigkeit ein.

Fazit

Wie sich ein Welpe entwickeln und verhalten wird, hängt neben den Genen vor allem auch von den Einflüssen der ihm angebotenen Umwelt ab. Viele Weichen stellen sich bereits vor der Geburt, deshalb sollte dieser Zeit grösste Beachtung geschenkt werden. Der Züchter muss dafür sorgen, dass die Hündin nicht unnötigem Stress ausgesetzt wird. Ein weiterer wesentlicher Faktor ist die seriöse Aufzucht, die bereits über die wesenssichere Hündin ihren Anfang nimmt. Parallel dazu ist es der Züchter und anschliessend die Bezugsperson, auch dort muss zwischen Mensch und Hund eine sichere Bindung geschaffen werden. Sie ist die Voraussetzung, dass das körperliche sowie psychische Leistungsvermögen des heranwachsenden Hundes zur vollen Entfaltung kommen kann. Deshalb sollte bereits während der Aufzucht alles Notwendige (sichere Bindung zum Fürsorgegaranten, Lernspaziergänge, Spielen, Erkunden, viel Zeit etc. …) für die Welpen getan werden, damit sie einen bestmöglichen Start in ihr Leben ausserhalb der Wurfgemeinschaft haben. Sind diese Voraussetzungen geschaffen, steht einer Verhaltensentwicklung zu wesenssicheren Hunden nichts mehr im Wege.

Hinweis: Im Anschluss dieser Veranstaltung wurde ein Sonderdruck abgegeben: „Verhaltenskynologischer Leitfaden für Züchter und Welpenerwerber“. Dieser Sonderdruck kann kostenlos (bitte ein frankiertes und an Sie adressiertes C4- oder C5-Couvert beilegen) bei der Firma Kynologos AG, Habersaat, 8914 Aeugstertal bezogen werden. Weitere Infos unter www.kynologos.ch

Hier können Sie den Artikel aus dem Magazin als PDF ansehen

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