Wie viel Führung brauchen Hunde?

Wer die Begriffe «Führung Hund» in die Suchmaschine eingibt, wird von Irrtümern überhäuft. Dabei ist ein richtiges Führungsverständnis etwas vom Grundlegendsten in jeder Mensch-Hund-Beziehung.

Kaum ein anderer Begriff in der Hundewelt wird dermassen unterschiedlich verstanden wie «Führung». Im Internet begegnet man in Fachportalen manchen irreführenden Interpretationen. So viel zwar vorweg: Jeder Hund benötigt im Umfang oder in der Art und Weise individuell eine Führung, denn der Charakter – damit ist nicht die Rasse per se gemeint –, das Wesen, Sozialisation und gemachte Erfahrungen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die Umwelt oder Situationen, die mehr oder weniger Führung erfordern können. Richtige Führung ist jedoch weder Entzug von Freiheit, Verhinderung oder Unterdrückung von Selbstständigkeit noch unabdingbare Gefolgschaft oder Kadavergehorsam. Führung hat ebenso wenig mit harter Hand, Befehlsgewalt oder Kontrolle zu tun.

Hunde brauchen keinen Chef
Viele Irrtümer im Umgang mit dem Hund entstehen dadurch, weil der Mensch die Erklärung – hier für «Führung» – bei seiner Spezies sucht und nicht beim Hund. So entsteht die klassische Vermenschlichung, wie sie oft zu Fehlschlüssen führt. Die Verhaltens- oder genauer die Soziobiologie liefert die logische Erklärung: Hunde brauchen keine Chefs, keine Präsidenten und schon gar nicht (Be-)Herrscher. Der Hund kennt hierarchische Ordnungen dieser Art nicht, in die ihn der Mensch hineinzwängt, weil er solche Strukturen als hoch soziales Wesen nicht braucht.

Im Gegensatz zum Hund sind jedoch bei den Primaten als höhere Säugetiere, zu welchen der Homo Sapiens ja gehört, Hierarchien unabdingbar. Vormachtstellungen, wie sie der Mensch kennt und in verschiedensten Formen lebt, kennt der Hund nicht, werden von ihm darum nicht verstanden und verursachen Missverständnisse, unter denen eine Bindung leidet.

Alarm beim «Rudelführer»
Noch immer geistert in Hundehalterkreisen das Unwort «Rudelführer» herum. Da müssen die Alarmglocken erklingen: Hier besteht ein falsches Führungsverständnis. Wenn dem – speziell im nördlichen Nachbarland – leichthin als despotisch geltenden Wort «Führer» noch ein «Rudel» vorangesetzt wird, entsteht gar eine genetische Absurdität: Kein Hund wird seinen Menschen jemals als Artgenossen wahrnehmen, auch nicht umgekehrt. Folglich seien sämtliche vom Rudelführer abgeleiteten Philosophien oder Erziehungstipps ein für alle Mal als Unsinn oder vielmehr Paradoxie abgehakt.

Strassenhunde leben ohne jegliche Führung und sind dennoch überlebensfähig, wenn es deren Gesellschaft zulässt. Unsere Hunde leben mit uns in einer Gemeinschaft. Zusammen mit dem Hund sind wir der Bevölkerungsdichte ausgesetzt und stehen unter dem Druck der Anforderungen der Gesellschaft. Das erfordert Führung. Aber wie soll diese definiert werden?

Was richtige Führung ist
Eine Annäherung an einen Führungsstil wie bei der Menschenführung ist möglich, solange wir uns an den Bedürfnissen des Hundes orientieren. Zuvorderst steht darum bei der Führung das Bedürfnis nach Sicherheit, über die wir in der Mensch-Hund-Beziehung sowohl das Vertrauen als auch das Selbstvertrauen des Hundes generieren. Damit dies garantiert ist, muss Führung innerhalb definierter Grenzen und zwischen Leitplanken in einem Freiraum stattfinden. Darin soll sich der Hund so viele Freiheiten herausnehmen, wie es für sein Wohlergehen gut ist, ohne dass dabei dasjenige seiner Umwelt beeinträchtigt wird. In diesem Freiraum soll der Hund eine möglichst hohe Selbstständigkeit erlangen.

Wenn wir den Hund durch Entzug von Freiheiten, durch permanente Kontrolle (auch ständigen Blickkontakt) an uns binden, durch dauernde Beachtung und Überbehütung beinahe erdrücken und dem Hund nichts mehr zutrauen, führt das in eine Abhängigkeit, die so viel wie Ausgeliefertsein bedeutet, das heisst Verlust von Sicherheit und Selbstvertrauen. Das Gegenteil davon ist Führungslosigkeit, bekannt als «Laisser-faire» oder Nonchalance, was Verantwortungs- sowie Respektlosigkeit bedeutet und ebenfalls abzulehnen ist.

Führung heisst vorausschauend handeln
Wo, wann und wie soll denn Führung stattfinden? Ein Hund benötigt so viel Führung, das heisst Unterstützung, Hilfestellung oder Einschränkung bei seinem Handeln, wie er braucht, damit er die sich ihm stellenden Probleme selber lösen und Fehler oder unerwünschtes Verhalten so weit wie möglich vermeiden kann.

Führung bedeutet in erster Linie Prävention – vorausschauendes Handeln – durch rechtzeitiges Erkennen und Entscheiden des Menschen zugunsten des Hundes. Führen bedingt deshalb, dass wir unseren Hund sehr gut kennen und aufgrund seines gesamten Ausdrucksverhaltens jederzeit einschätzen und darauf basierend Strategien entwickeln können. Einen guten Hundeführer zeichnet aus, dass er zugleich das Gegenüber, die Reizquelle, einschätzen und in seinem Handeln berücksichtigen kann.

Stellen sich dem Hund spezielle Herausforderungen, so liegt es am Hundehalter, den Hund so zu führen, dass er die Situation erfolgreich bewältigen kann und das richtige Verhalten erlernt oder sich zumindest kein falsches aneignet. Führung verlangt womöglich in schwierigen Situationen für ein unerwünschtes Verhalten eine Alternative. Diese kann mit Futterbelohnung aufgebaut sein, kann sogar Locken oder Kontrolle bedeuten, jedoch nicht Härte oder Gewalteinwirkung.

Bei der Führung kommen Faktoren hinzu, die gerne vernachlässigt werden: Gute Führung zeichnet sich durch Freundlichkeit (in Ton und Umgang), Motivation, Verantwortung, Rücksichtnahme sowie Fairness und Kompetenz aus. Nebst der Klarheit in Wort und Körpersprache beim Menschen müssen wir uns – egal in welcher Situation – stets unserer Stimmung bewusst sein, die sich auf den Hund überträgt. Sind wir entspannt und gelassen, gehen wir mental mit Situationen lösungsorientiert um, so kann es der Hund meistens auch.

Text: Roman Huber

 

Führungspfeiler
– Bedürfnisse des Hundes respektieren
– Seinen Hund kennen
– Prävention (vorausschauendes Handeln)
– Konsequenz und Klarheit
– Schutz und Sicherheit gewähren
– Grenzen setzen, Freiraum geben
– Strategien entwickeln
– So viel Führung wie nötig
– Auf die eigene Stimmung achten

Führungsfehler
– Unsicherheit beim Menschen
– Kompensation durch Kontrolle
– Inkonsequenz/Unklarheit
– Laisser-faire/Achtlosigkeit
– Mangel an Schutz und Unterstützung
– Übertriebene Beachtung/Behütung
– Härte, Druck und Gewalt
– Unterdrückung und Freiheitsentzug
– Hund nicht selbstständig handeln lassen

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geschrieben von:
Roman Huber

Roman Huber

Roman Huber ist Publizist, Hunde- sowie Medienfachmann, hat zwei Hunde und unterstützt als Trainer seine Frau in deren Hundeschule. Er plädiert für eine faire Erziehung bzw. Haltung, die den Bedürfnissen und Möglichkeiten des einzelnen Hundes und dessen Menschen entspricht. Statt Methoden stellt er die individuelle Begleitung ins Zentrum und Lösungen, die auf Ursachenanalyse basieren sowie verhaltensbiologisch gesehen korrekt sind. www.dogrelax.ch.

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