Tierschutz bei der Hundezucht

Beim Anblick der teilweise extrem übertypisierten und krank gezüchteten Rassehunde ist es kaum zu glauben, dass in der Schweiz bereits seit 2008 ein Qualzuchtverbot besteht. Und seit Januar 2015 ist die strenge Verordnung des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) über den Tierschutz beim Züchten in Kraft.

 

Viele Züchter und Ausstellungsrichter scheinen diese Verordnung nicht zu kennen, denn auf Ausstellungen werden noch immer Hunde prämiert, mit denen laut Gesetz gar nicht gezüchtet werden dürfte. Schade, denn richtig angewendet würde diese sinnvolle Tierschutzverordnung speziell für die Moderassen eine Verbesserung ihrer Lebensqualität bewirken. Kein Hund sollte für ein menschengemachtes Schönheitsideal leiden müssen. Erweitern und testen Sie Ihr Wissen: Was ist beim Züchten erlaubt und was ist laut Gesetz verboten?

 

Wie wird die Belastung bei übertypisierten Merkmalen gemessen?

Die neue Verordnung über den Tierschutz beim Züchten schreibt vor, dass der Züchter die Belastung der Hunde bei Qualzuchtmerkmalen (extreme Ausprägung von Merkmalen) kennen muss. Die Belastungskriterien sind in eine Skala von 0 bis 3 eingeteilt:

0: keine Belastung

  • 1: leichte Belastung
  • 2: mittlere Belastung
  • 3: starke Belastung

Belastungen 0 bis 1 sind problemlos für die Zucht. Hunde mit einer mittleren Belastung 2 dürfen mit Auflagen in der Zucht eingesetzt werden und für die Belastungskategorie 3 gilt ein Zuchtverbot.

 

Kriterien für die Zuordnung zu einer Belastungskategorie

 Anhang 1 (Art. 4 Abs. 1) der Verordnung des BLV über den Tierschutz beim Züchten

Belastungs­form Belastungskategorie 2 (mittel)

Zucht mit Auflagen

Belastungskategorie 3 (stark)

Zuchtverbot!

Schmerzen Mittelgradige, sporadisch auftretende oder leichte chronische Schmerzen, die den Allgemeinzustand beeinträchtigen.

 

Mittelgradige, chronische oder starke Schmerzen, die den Allgemeinzustand stark beeinträchtigen.

 

Schäden Schäden, die zu Funktionsausfällen oder Verhaltensabweichungen führen, die den Allgemeinzustand beeinträchtigen.

Abweichungen von der artgemässen Entwicklung eines Tieres, die zu Störungen der Körperfunktionen oder zu Einschränkungen der Reaktionsfähigkeit auf Umweltreize führen.

 

Schäden, die zu Funktionsausfällen oder Verhaltensabweichungen führen, die den Allgemeinzustand stark beeinträchtigen.

Abweichungen von der artgemässen Entwicklung eines Tieres, die zu starken Störungen der Körperfunktionen oder zu schwerwiegenden Einschränkungen der Reaktionsfähigkeit auf Umweltreize führen.

 

Leiden Leiden durch Schmerzen, Schäden, Ängste, Juckreiz oder Verhaltensabweichungen, die die Lebensqualität des betreffenden Tieres beeinträchtigen.

 

Leiden mit starker Beeinträchtigung der Lebensqualität infolge starker Schmerzen, massivem Juckreiz, überforderter Anpassungsfähigkeit der Körperfunktionen oder Verunmöglichen des Normalverhaltens.

 

Tief greifen­der Eingriff ins Erscheinungs­bild

 

Veränderungen am Körper, die dauerhaft sind und das Äussere eines Tieres entstellen.

 

Veränderungen am Körper, die irreversibel sind und das Äussere eines Tieres stark entstellen.

 

Tief greifen­der Eingriff in die Fähigkeiten

 

Abweichungen von der artgemässen Entwicklung eines Tieres, die zu Störungen der Körperfunktionen oder zu Einschränkungen der Reaktionsfähigkeit auf Umweltreize führen.

 

Abweichungen von der artgemässen Entwicklung eines Tieres, die zu hochgradigen Störungen der Körperfunktionen oder zu schwerwiegenden Einschränkungen der Reaktionsfähigkeit auf Umweltreize führen.

 

 

 Mittlere Belastung: Zucht nur mit Auflagen

Der Züchter darf keine Zuchtziele verfolgen, die für die Tiere mit Schmerzen, Leiden, Schäden oder tief greifenden Eingriffen ins Erscheinungsbild oder in die Fähigkeiten verbunden sind, schreibt die Verordnung über den Tierschutz beim Züchten vor. In Artikel 4 steht: Wer mit einem Tier züchten will, das ein Merkmal aufweist, welches im Zusammenhang mit dem Zuchtziel zu einer mittleren oder starken Belastung führen kann, muss vorgängig eine Belastungsbeurteilung durch Personen vornehmen lassen, die über einen Hochschulabschluss und die notwendige Erfahrung in Veterinärmedizin, Ethologie oder Genetik verfügen.

Mit Tieren der Belastungskategorie 2 darf nur gezüchtet werden, wenn das Zuchtziel beinhaltet, dass die Belastung der Nachkommen unter der Belastung der Elterntiere liegt. Um dieses Ziel zu erreichen, muss der Züchter eine aktuelle, datierte und unterschriebene Zuchtstrategie-Dokumentation erstellen, die den Vollzugsbehörden auf Verlangen vorzuweisen ist.

 

Starke Belastung: Zuchtverbot

Auf dem Papier scheint alles sehr klar und vernünftig: Zuchtverbot für die vielen übertypisierten Merkmale, die für extremes und lebenslanges Leiden verantwortlich sind. Aber leider sind diese Merkmale im Anhang zur Verordnung über den Tierschutz beim Züchten zu wenig genau definiert. Die Einteilungen in die Kategorie 2 oder 3 sind nicht abschliessend geklärt und bieten den zur Belastungsbeurteilung befähigten Personen einen viel zu grossen Spielraum. So ist es in der Praxis für die Züchter ein Leichtes, vom befreundeten Tierarzt ein Attest für die Belastungskategorie 2 zu erhalten, obwohl der Zuchthund ein klarer Fall für ein Zuchtverbot wäre.

Die folgenden Bilder von übertypisierten Rassen zeigen links einen relativ normal funktionsfähigen Körperteil (Belastungskategorie 0 bis 1). Rechts ist die Qualzuchtform zu sehen, die je nach Ermessen des Belastungstesters in die Kategorie 2 oder 3 eingestuft werden kann. 

Extreme Falten sind ein Tummelplatz für Bakterien und Pilze, die schmerzhafte Ekzeme mit starkem Juckreiz auslösen können. Falten am Körper sind in der Regel weniger belastend als die Falten am Kopf.

Extrem schwere, faltige Lefzen schränken die Hunde beim Fressen und bei der Körperpflege ein. Sie erschweren das Abnabeln während der Geburt und die anschliessende Welpenpflege. Dazu können die Falten auf der Nase und die überdimensionierten Lefzen zu innerartlichen Kommunikationspannen führen.

Dauergereizte, schmerzende Augen entstehen meistens durch schlecht schliessende untere Augenlider (Ektropium, Entropium). Diese offenen Augen sind regelrechte Staubfänger. Unsere Augen sind beim Eindringen des winzigsten Staubkörnchens schmerzhaft irritiert. Stellen Sie sich diesen Schmerz als lebenslangen Dauerzustand vor. Oft ist das Gesichtsfeld sehr eingeschränkt, da die schweren Lefzen die gesamte Kopfhaut nach unten ziehen und die Hunde unfähig sind, die oberen Augenlider vollständig zu öffnen. Diese Hunde sind durch die behinderte Sicht stark eingeschränkt und nicht in der Lage, angepasst auf Umweltreize zu reagieren. So können sie schreckhaft reagieren und mit der Zeit aus Angst Aggressionsverhalten zeigen.

Extreme Falten bei stark verkürzter Nase drücken auf die Nasenlöcher. Durch das Scheuern der Hautfalten auf den Augen können sich sehr schmerzhafte Hornhautgeschwüre entwickeln, die zum Verlust des Auges führen können. Zusätzlich leiden die Kindchenschema-Hunde meistens am brachycephalen Syndrom und haben grosse Mühe, die Luft störungsfrei in die Lungen zu transportieren. Dieses typische «Schnarchen» können Hunde anderer Rassen oft nicht einordnen und vielfach sind die Folgen innerartliche Kommunikationsprobleme.

Zusammengedrückte, wenig geöffnete Nasenlöcher bewirken bei der kleinsten Anstrengung eine beklemmende, chronische Atemnot. Machen Sie einen Selbstversuch: Drücken Sie mit geschlossenem Mund Ihre eigenen Nasenlöcher zur Hälfte zu und fühlen Sie Ihre aufsteigende Panik vor dem Ersticken. Machen Sie das Gleiche im Sommer und denken Sie daran, dass Hunde praktisch nicht schwitzen können. Zum temperaturausgleichenden Hecheln sind sie auf grosse Nüstern angewiesen. Hunde mit Atemnot sind vergleichbar mit menschlichen Schmerzpatienten, die sich wegen ihrer inneren Nöte oft asozial verhalten.

 

Weitere Verbote

In der Verordnung des BLV über den Tierschutz beim Züchten sind noch weitere Verbote aufgeführt, beispielsweise wenn aufgrund der anatomischen Verhältnisse Schwergeburten zu erwarten sind. Dies ist vor allem bei Bulldoggen ein Thema, bei denen der Schultergürtel oft breiter als das Becken ist. Die Züchter müssen sich überlegen, was im Zuchtprogramm verändert werden muss (meistens hilft die Selektion auf mehr Nasenlänge und längere Rute), damit die Hunde wieder ohne Kaiserschnitte gebären können.

 

Eine sinnvolle Verordnung – aber wo bleibt die Umsetzung?

Das Kupierverbot ist in der Schweiz und Deutschland flächendeckend durchgesetzt worden und chirurgisch modellierte Designerohren oder -ruten sind heutzutage eine Seltenheit. Allem Anschein nach finden Menschen dieses aktive Abschneiden von Körperteilen barbarisch. Interessant ist es jedoch, dass die gleichen Leute die belastenden Qualzuchtmerkmale der Kindchenschema- oder «Tea-Cup»-Hunde herzig finden. Auch übermässiges Fell oder üppige, samtige Falten scheinen einen Knutschfaktor-Bonus zu haben. Ein hartes Los für die Kinderersatz-Modehunderassen, die für unser absurdes «kanines Schönheitsideal» lebenslang leiden müssen. Die Frage ist, wieso trotz der Verordnung über den Tierschutz beim Züchten immer noch Qualzuchthunde auf den Podesten der Hundeausstellungen stehen und warum die Tierarztpraxen immer noch voll mit Hunden der Belastungskategorien 2 und 3 sind?

 

Lesen Sie den Folgeartikel in der nächsten Ausgabe.

 

Interview mit Nora Flückiger, MLaw, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Tier im Recht  

Seit Januar 2015 gilt die neue Verordnung des BLV über den Tierschutz beim Züchten. Gibt es diesbezüglich eine Zunahme der Tierschutzstrafverfahren?

Nein. Eine Zunahme der Fallzahlen kann nicht registriert werden. Insbesondere liegen noch immer keine Fälle vor, in denen die neue Verordnung überhaupt zur Anwendung gelangte. Immerhin konnten 2015 zum ersten Mal zwei Fälle registriert werden, in denen Züchter wegen der Zucht brachycephaler Katzen verurteilt wurden.

 

Wer kontrolliert die Umsetzung der Qualzuchtverordnung?

Der Vollzug des Tierschutzsrechts obliegt den kantonalen Behörden.

 

Wo sollen Verstösse gegen die Tierschutzverordnung gemeldet werden?

Wahlweise beim kantonalen Veterinärdienst des Wohnsitzkantons oder bei der Polizei.

 

Wer ist berechtigt, eine Belastungsbeurteilung durchzuführen?

Jede Person mit einem Hochschulabschluss und der notwendigen Erfahrung in Veterinärmedizin, Ethologie oder Genetik ist berechtigt, die Belastungsbeurteilung vorzunehmen.

 

Ist ein Tierarzt verpflichtet Anzeige zu erstatten, wenn er bei einer Hündin den vierten Kaiserschnitt durchführen muss?

Grundsätzlich sieht weder die Tierschutzverordnung noch die Amtsverordnung zum Tierschutz beim Züchten eine Meldepflicht für Tierärzte vor.

 

An Ausstellungen werden immer noch Hunde der Belastungskategorien 2 bis 3 prämiert. Wäre es theoretisch möglich, eine Anzeige gegen Richter zu erstatten?

Die Prämierung solcher belasteter Zuchtformen ist nicht gesetzlich unter Strafe gestellt, nur ihre Zucht.

 

Laut der Tierschutzverordnung dürfen in der Schweiz keine übertypisierten Hunde gezüchtet werden. Gibt es diesbezügliche Einfuhrbestimmungen?

Hier liegt ein zentrales Problem der aktuellen Gesetzgebung zur Qualzucht: Die Zucht von belasteten Tieren ist zwar verboten, deren Einfuhr jedoch nicht. Damit können Qualzuchtformen nach wie vor in die Schweiz importiert werden.

 

Welche Vorschläge haben die Experten der Stiftung Tier im Recht für eine bessere Umsetzung und Kontrolle der Tierschutzverordnung in der Hundezucht?

Die Liste der Probleme ist lang. Für eine einheitliche Beurteilung von Qualzuchtmerkmalen wäre es sinnvoller gewesen, eine spezielle Kommission zu schaffen oder die Kantone zur Einsetzung von qualifizierten Beurteilungsstellen zu verpflichten, sodass sich eine einheitliche Praxis hätte entwickeln können. Weiter müssten die Veterinärdienste, Strafbehörden und Gerichte für die Qualzuchtproblematik und die Umsetzung der Amtsverordnung sensibilisiert werden. Zudem müssten die Züchter problematischer Rassen standardmässig durch die Veterinärdienste kontrolliert werden – zumindest im Hinblick auf die Führung der vorgeschriebenen Dokumentation. 

Ein Umdenken ist insbesondere auch bei den Zuchtverbänden und den Organisatoren von Ausstellungen nötig. Insofern eine Selbstregulierung nicht stattfindet, wären ergänzende gesetzliche Bestimmungen wünschenswert, beispielsweise bezüglich eines Einfuhr- oder Ausstellungsverbots für belastete Rassen oder Ausbildungsvorschriften für Ausstellungsrichter. Nur so kann der Amtsverordnung zum Tierschutz beim Züchten Nachdruck verliehen werden.

 

Interview: Eva Holderegger Walser

 

Weitere Informationen

Tier im Recht ‒ Auswertung der Schweizer Tierschutzstrafpraxis 2015

http://www.tierimrecht.org/de/medien/medienmappen/auswertung-der-schweizer-tierschutzstrafpraxis-2015/

 

Verordnung des BLV über den Tierschutz beim Züchten

https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20140541/index.html

Hier können Sie den Artikel aus dem Magazin als PDF ansehen

geschrieben von:
Eva Holdegger Walser

Eva Holdegger Walser

Eva Holderegger Walser züchtet Australian Cattle Dogs und ist Autorin des ersten deutschensprachigen ACD-Rassebuchs. Sie ist ehemalige Leiterin der Certodog-Ressorts Kurswesen und Zucht, sowie Referentin für die Lehrgänge «Zuchtwart» und «FBA». Ihre Workshops «Körperanalyse – Fit für Zucht und Sport?» (in Zusammenarbeit mit Doris Walder) sind akkreditiert für SKG- Züchter und SKG-Trainer. Kyn. Werdegang: SKN-A, FBA. Hundesport: Agility, Obedience, Sanitätshund. www.cattledog.ch

Ein Kommentar zu “Tierschutz bei der Hundezucht

  1. Ann Milligan

    Hi,

    I am interested in your article… I was not aware that your country has enacted policies which do not support breeding of dogs with extreme traits which cause problems. I was wondering if you would be willing to talk with me about sharing this piece of writing with DogWellNet, the International Partnership for Dogs website. Our organization, and partners that include the Swedish Kennel Club, Finnish Kennel Club, VDH, OFA, and FCI and the Kennel Club UK to mention a few is very pleased to highlight work being done around the world to improve the health and welfare of dogs. This piece of writing speaks to the matter. Thank you for your consideration – and for this article.

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