Grosse Unsicherheit und Angst vor allem Fremden bestimmen sein Leben. Romeo, ein hübscher Jagdhundmischling aus Griechenland, kommt über eine Tierschutzorganisation nach Deutschland. Innerhalb von zwei Monaten wird er zwei Mal vermittelt, doch die neuen Besitzer können mit seinen Ängsten und Unsicherheiten nicht umgehen und bringen ihn zurück. Rovena Langkau, Mitbegründerin und Ausbildungsleiterin beim K-9 Suchhundezentrum (D) beginnt mit ihm zu trailen und erzielt sehr schnell erstaunliche Erfolge. Das Trailen wirkt wie ein Eisbrecher und öffnet den Zugang zur Seele dieses Hundes.
Text: Kitty Simione, Fotos: K-9 Suchhundezentrum
Es war kurz vor Weihnachten 2010, als Alexandra Grunow und Rovena Langkau den hübschen Hund das erste Mal sahen. Romeo hatte bei einer Pflegestelle in Landsberg am Lech (D) Unterschlupf gefunden, nachdem er bei einer Auffangstation in Griechenland über den Zaun geworfen worden war. In Deutschland setzten ihm die klimatischen Bedingungen schwer zu. Der damals neun Monate alte Jagdhund war durch sein kurzes Fell zuwenig vor Kälte geschützt. Die Verantwortlichen des Hofes bemühten sich, für ihn eine Familie zu finden, und informierten deshalb auch die beiden Inhaberinnen des nahe gelegenen K-9 Suchhundezentrums. Rovena musste nicht lange überlegen. Bereits am anderen Tag holte sie Romeo zu sich. Mit viel Hingabe nimmt sie regelmässig Hunde aus dem Tierschutz bei sich auf, um sie in ehrenamtlicher Tätigkeit mit TheraTrailing zu stabilisieren und dann an einen guten, passenden Platz zu vermitteln.
In seinen Ängsten gefangen
Für Romeo war damals alles Fremde schlimm und es war ihm eigentlich fast alles fremd. Einzig unter Artgenossen fühlte er sich wohl. Er war kaum sozialisiert, fürchtete sich vor Umwelteinflüssen genauso wie vor Menschen. Dabei genügte es bereits, dass er Personen in weiter Ferne wahrnahm oder nur schon ihre Stimmen hörte. Der Umgang mit ihm war schwierig und allein das Anlegen des Brustgeschirrs eine Herausforderung. Er musste doppelt abgesichert werden, denn draussen kroch er nur ganz flach auf dem Boden, sicherte sich immer nach allen Seiten ab, wollte sich rückwärts aus Brustgeschirr und Halsband befreien und sprang fluchtartig in die Leine hinein. Ein normaler Spaziergang war mit ihm gar nicht möglich. Er war weder ansprechbar noch ablenkbar.
Natürlich berücksichtigte Rovena den hohen Stresslevel des Hundes vor allen Aktivitäten, die sie mit ihm plante, aber wenn sie sich für einen Ausflug entschieden hatte, nahm sie Romeo nicht aus den für ihn belastenden Situationen heraus. Sie vermied es stets, seine Ängste durch Mitleid zu verstärken. Durch ihre ruhige Präsenz vermittelte sie ihm die nötige Sicherheit, damit er die Herausforderungen des Alltags meistern konnte.
Rovena kannte nur Bruchteile von Romeos Geschichte. Auch die Erlebnisse des Hundes an den zwei vorangegangenen Plätzen waren ihr nur teilweise bekannt. Eine Prognose, wie sich Romeo entwickeln würde, war deshalb äusserst schwierig. Aber da waren diese Momente, die Rovena zeigten, dass Romeo im Grunde ein sehr lustiger Geselle und ein offener, fröhlicher Hund war. Das zeigte er im Spiel mit Artgenossen, aber auch in ruhigen Momenten der Zweisamkeit, wo er von sich aus den Kontakt zu Rovena suchte. Die Hundetrainerin war gespannt darauf, welche Erfolge sie mit Romeo durch das Trailen würde erzielen können. Sie wünschte sich, dass sich Romeo eines Tages möglichst unbelastet im Alltag bewegen könnte. Dass er sich aber so prächtig entwickeln würde, war im Dezember 2010 noch nicht absehbar.
Was ist TheraTrailing?
Das Trailen bezeichnet eine Tätigkeit an sich: Hunde sind in der Lage, den Individualgeruch einer Person, der sich aus chemischen und biologischen Abbauprodukten des menschlichen Körpers zusammensetzt, auch noch nach vielen Stunden und sogar Tagen auszumachen und zu verfolgen. Während der Suche differenziert der Hund all die Gerüche, die er aufnimmt, und unterscheidet dabei, welcher Spur er folgen muss, um die gesuchte Person zu finden. Dabei vollbringen die Hunde körperliche und mentale Höchstleistungen. Jegliche Form der Nasenarbeit ist für den Hund die artgerechteste Auslastung, die ihm geboten werden kann. Mit dem richtigen Aufbau des Trailens lernt der Hund, ruhig, konzentriert und eigenständig zu arbeiten, ohne dabei «hochzufahren». Ursprünglich stammt das Mantrailing aus der Rettungshundearbeit. Wenn Alexandra Grunow und Rovena Langkau vom Trailen sprechen, nehmen sie eine deutliche Unterscheidung in drei verschiedene Bereiche vor. Das Mantrailing bezieht sich nach wie vor auf die rein professionelle Ausübung des Trailens im Rettungsbereich und erfordert eine langjährige und fachmännische Ausbildung mit hohen Leistungskriterien und strengen Prüfungsrichtlinien in einer erfahrenen Rettungshundestaffel. Diesen Profibereich trennen sie ganz klar vom Amateurbereich, der sich aus dem Sport- und dem TheraTrailen zusammensetzt. Sportlich ambitionierte Teams fühlen sich im SportTrailen zuhause, wo sie sich bei Meisterschaften mit Gleichgesinnten messen können. Das TheraTrailen wird therapieunterstützend bei Hunden mit Verhaltensauffälligkeiten angewendet und hilft unsicheren, ängstlichen, hyperaktiven, aggressiven und jagdlich ambitionierten Hunden und deren oftmals überforderten Besitzern.
Der Begriff «Thera» ist nichts anderes als die Abkürzung des Wortes «Therapie», abgeleitet aus der Beschreibung «therapieunterstützendes Trailen».
Offener und zugänglicher
«Aus unserer langjährigen Erfahrung wissen wir, dass das Trailen gerade bei Hunden mit starken Unsicherheiten und Ängsten als ‹Eisbrecher› wirken kann», erklärt Rovena Langkau. «Wir hatten das Glück, in einer Langzeitstudie an über 500 Hunden unterschiedlichster Rassen, Herkunft und Thematik die positiven und nachhaltigen Auswirkungen der Nasenarbeit untersuchen und dokumentieren zu können. Daraus haben wir unsere Ausbildungskonzepte entwickelt und den Bereich des TheraTrailens geschaffen.»
Hunde mit Auffälligkeiten, insbesondere im Bereich von Unsicherheit und Angst, sind oftmals für alle möglichen Erziehungsformen nicht mehr zugänglich. Die Auslastung über die Nase und das selbständige Erarbeiten einer Spur löst im Hund eine hohe Motivation und gleichzeitig eine tiefe Entspannung aus. Ausgeschüttete Hormone wirken selbstbelohnend auf das Gehirn des Hundes, wodurch der ganze Lern- und Problemlösungsprozess das Tier in eine positive Grundstimmung versetzt. Es kann sich in der Arbeit verlieren, wird dadurch ruhiger, zugänglicher und offener für zusätzliche Therapiemassnahmen und Erziehungselemente. Gleichzeitig entwickelt der Hund eine freudige Erwartungshaltung, sobald er durch möglichst gleich bleibende Startrituale die bevorstehende Arbeit wieder erkennt. Er zeigt eine erhöhte Handlungs- und Lernbereitschaft, was ihn auch dazu befähigt, immer schwierigere Aufgaben selbständig zu lösen. Der Hund gewinnt neues Vertrauen in sich und in den Menschen, die Beziehung wird gestärkt und das Tier ist trotz ständiger Absicherung über die Leine optimal ausgelastet.
Das Trailtraining lässt sich sehr individuell auf das einzelne Team anpassen. Den Hund nach seinen Fähigkeiten und nach seinem Ausbildungsstand zu fördern, ohne ihn dabei zu überfordern, ist die Aufgabe des Traillegers. Im Falle von Romeo erfordert das sehr viel Gefühl, Sachverstand und Erfahrung.
Begleiten Sie Romeo auf seinem ersten Entdecker-Trail und verfolgen Sie seine Entwicklung im zweiten Teil der Artikel-Serie zum Thema TheraTrailen.
Das K-9 Suchhundezentrum
Mantrailing erfreut sich immer grösserer Beliebtheit. Es ist für nahezu alle Menschen und Hunde durchführbar; Alter, Rasse oder ein allfälliges Handicap spielen bei der reinen Auslastung keine Rolle. Nicht jeder Hund, der seine Nase mit Freude einsetzt und suchen möchte, muss gleich ein Rettungshund werden! Das K-9 Suchhundezentrum unter der Leitung von Alexandra Grunow und Rovena Langkau bietet mit seinen Partnern in den verschiedenen Zentren und Stützpunkten Ausbildungsmöglichkeiten an und garantiert einen hohen Qualitätsstandard, damit aus einer schönen Sache nicht nur ein Modetrend wird. Der Schwerpunkt der K-9 Suchhundezentren liegt darin, für jeden Hund in den unterschiedlichen Bereichen des Trailens den Job zu finden, der für ihn am besten geeignet ist. Die erfahrenen Trainerinnen stärken Mensch-Hund-Teams und zeigen individuelle Wege zu einem harmonischen Miteinander auf, sei es im SportTrailen, im Rettungshundebereich oder einfach nur beim Trailen als Beschäftigung und als artgerechte Auslastung.
Das TheraTrailen wird bei Hunden eingesetzt, die beispielsweise Angst oder Unsicherheiten aufweisen, wie dies bei Romeo der Fall ist. Aber auch bei Hyperaktivität, Aggression oder bei Hunden mit einem Handicap – beispielsweise Blindheit – kommt TheraTrailing zum Einsatz.
In Zusammenarbeit mit der Non-Profit-Organisation «BESCHÜTZERinstinkte e.V.» werden Hunde aus dem Tierschutz oder aus verschiedenen Tierheimen an K-9 Trainer als Pflegestellen vermittelt und dort ehrenamtlich mit TheraTrailing therapiert. Haben sich die Hunde stabilisiert, werden sie an geeignete Plätze vermittelt.
In einer Kooperation mit dem CANIS-Zentrum für Kynologie bietet das K-9 Suchhundezentrum die Spezialausbildung zum TheraTrail-Trainer an.
www.suchhundezentrum.de
www.canis-kynos.dewww.beschuetzer-instinkte.com