Rehabilitation und sportlicher Aufbau von Hunden

Wie baut man einen Hund sportlich auf? Oder wie sieht eine erfolgreiche Rehabilitation aus? Diese beiden Fragen werden mir täglich in meiner Praxis gestellt. Im Zentrum dieser Fragen steht immer der «effiziente Muskelaufbau». Die Rehabilitation und der sportliche Aufbau von Hunden sind ein sehr umfangreiches Thema und es existieren diverse Meinungen, wie dies vonstattengehen sollte. Im vorliegenden Artikel möchte ich Ihnen dieses Thema etwas näher bringen.

Text und Fotos: Dr. med. vet. Patrick Blättler Monnier

Zu diesem Zweck werden wir zwei Beispiele zeigen, wie die Rehabilitation, sprich der sportliche Aufbau, schnell und effizient erfolgen kann, wenn das Problem, die Form-Funktions-Veränderungen (Asymmetrie im Körper), gelöst ist. An zwei weiteren Beispielen, die nur auf meiner Webseite www.orthovet.ch zu diesem Artikel beschrieben sind, wird der Aufbau bei einem Welpen und einem Junghund beschrieben. Anhand dieser Beispiele erkläre ich Ihnen die theoretischen Grundlagen zu diesem Thema. Ebenfalls auf der Homepage (http://www.orthovet.ch/index.php/2012-10-06-05-38-48/orthopaedie/165-rehab) können Sie die Videos und Röntgenbilder zu den vorliegenden Fällen anschauen, und Sie sehen die eindrücklichen Fortschritte dieser Hunde nach einer langer Phase des Hinkens. Sie erhalten auch zusätzliche Informationen zu diesem Thema, die den Rahmen dieses Artikels gesprengt hätten. Es ist sicher sinnvoll, wenn Sie zusätzlich auf meiner Seite (unter Kleintierpraxis/Schmerz_Schmerztherapie) den Beitrag «Schmerz lass nach» lesen, dies erleichtert den Einstieg in diesen Artikel.

Laylas Leidensweg

Beginnen wir nun mit dem ersten Beispiel. Layla ist ein fünfjähriger Neufundländer, der seit mehr als einem Jahr hinten rechts trotz dreimaliger Kreuzbandoperation immer noch hinkt. Das Gangbild ist sehr speziell. Wir sehen die Hangbeinlahmheit (Schmerzen beim Vorschwingen) hinten rechts, den hüpfenden Gang sowie die Kopftiefstellung und die Breitbeinigkeit in der Vorhand. Wenn Layla trabt, fällt auf, dass die Rutenhaltung steif und vor allem nach rechts gebogen ist. Somit dient die Rute der Ausbalancierung des Gewichts. Vor knapp zwei Jahren ist bei Layla das Kreuzband gerissen. Es wurde anschliessend eine Kapselraffung gemacht. Dies ist eine Möglichkeit, das Knie zu stabilisieren. Leider besserte sich ihr Zustand nicht. Folglich operierte man die Hündin nochmals. Die zweite Kreuzbandoperation, diesmal mit der «De-Angelis-Technik», brachte auch keinen Erfolg. Also wurde in einem weiteren Anlauf erneut das Kreuzband mit einer dritten Variante operiert, der sogenannten «TTA». Aber auch nach der dritten OP wurde Layla nicht beschwerdefrei. In der Folge wurde versucht, mit Physiotherapie und Akupunktur die Lahmheit zu verbessern. Leider half nichts.

Anlässlich der Untersuchung wurde klar ersichtlich, dass das Knie nicht mehr der Grund der Lahmheit war. Es war kein Gelenkerguss vorhanden und Layla hatte keine Schmerzen im Knie. Die «TTA» war auch einwandfrei verheilt und es gab keinen Grund für das Hinken. Warum lahmte der Hund trotzdem noch so stark und zeigte vor allem in der Nacht starkes Hecheln? Bei der weiteren orthopädischen Abklärung stellte ich fest, dass die ganze Muskulatur des rechten Hinterbeins zurückgebildet war, die Muskulatur im Bereich Unterschenkel – Wadenbein war strangartig verdickt und schmerzhaft. Auch die Stützmuskulatur des Rückens war schmerzhaft verspannt und sehr steif. Aufgrund der orthopädischen und neurologischen Untersuchung sowie der Anamnese konnte die Ursache des Hinkens gefunden werden.

Was war passiert?

Ein Kreuzbandriss setzt massive Kräfte frei. Es entstanden zwei Kraftvektoren, die das Kniegelenk verliessen. Ein Kraftvektor geht in Richtung Boden. Ein Teil dieser Kraft wird vom Boden absorbiert und ein Teil wird via Boden wieder nach oben umgeleitet in Richtung Hüftgelenk/Rücken. Die andere Hälfte des Kraftvektors verlässt das Knie direkt in Richtung Oberschenkel – Hüftgelenk – Becken. Die Summation beider Anteile dieser Kraftvektoren übermittelt die Kraft via Oberschenkel (Femur) in die Hüftpfanne (Acetabulum) ins Becken. Dort wird diese Kraft absorbiert, und somit kann es zu Verlagerungen einerseits des Oberschenkels und andererseits des Beckens kommen. Im Fall von Layla entstand ein «Beckenhochstand» mit Verlagerung des Oberschenkels. Durch diesen Hochstand war das rechte Bein relativ zu kurz, die ganze Biomechanik des rechten Hinterlaufs veränderte sich und die Orthodynamik und Orthostatik war nicht mehr eingehalten. Was bedeutet Orthodynamik? «Orthos» bedeutet gerade. Übersetzt meint dies die «gerade Bewegung». Darunter versteht man, dass alle Gelenke eine physiologische Bewegung aufweisen, also für die Bewegung, für die das Gelenk ausgelegt wäre, und vor allem in der vollen Bewegungsfreiheit. Orthostatik bedeutet in diesem Sinn, der «gerade Stand». Diese Orthostatik bezieht sich auf die Ruheposition der Gelenke, also des Körpers, im Stehen, Sitzen und im Platz. Hier untersucht man, ob der Hund in voller Belastung oder in einer Entlastungshaltung steht. Ob er schön sitzt oder entlastet und ob er Platz in der Sphinxstellung macht oder ob er abkippt.

Somit wurde der Muskel strangartig zurückgebildet, wurde schmerzhaft und beeinträchtigte den ganzen Bewegungsablauf. Aus dem Physikunterricht ist jedermann klar, dass eine Aktion eine Gegenreaktion auslöst (Actio=Reactio). Durch die frei werdende Kraft wegen des Kreuzbandrisses wurde die Kraft auf das Becken übertragen und auch absorbiert. Dies ist ein Prozess, der auch ablaufen kann, ohne dass man eine Kreuzbandverletzung hat. Die Ursachen sind stumpfe Traumata. Darunter versteht man Bodychecks, Stürze, Ausrutschen auf einer glatten Unterlage, eine schräge Landephase oder viele andere Möglichkeiten. Aus der Praxis weiss man, dass chronische Knieschmerzen, aus Gründen der Entlastung, Hüft- oder Rückenschmerzen auslösen können.

Anschliessend wurde Layla zwei Mal orthopädisch manuell und chiropraktisch behandelt. Sie wurde einem strikten Trockenlaufbandtraining unterzogen und nach einem Monat war Layla beschwerdefrei. Dies ist kein Einzelfall. Aufgrund der physikalischen Gesetzmässigkeiten kommt dieser Prozess sehr oft vor. Deshalb werden meine Patienten, die von mir in die Chirurgie wegen Kreuzband überwiesen werden, auch nach der Operation untersucht und gegebenenfalls behandelt. Diese Kontrollen finden einmal anlässlich des Fädenziehens (nach ca. 10 Tagen) sowie einmal beim Kontrollröntgen nach sechs Wochen statt. Wenn diese Form-Funktions-Veränderungen nach der Operation noch vorhanden sind, kann praktisch keine Lahmfreiheit entstehen, auch nach gelungener OP, und in der Folge ist der Muskelaufbau nicht möglich, oder nur mit Einschränkung.

Müder Welpe  

In unserem zweiten Beispiel spielt Paul, ein elf Wochen alter Australian Shepherd die Hauptrolle. Er wurde mir vorgestellt, weil er ein auffälliges Gangbild zeigt und nach dem Fressen immer wieder erbricht. Von einem Welpen erwartet man Aktivität; Paul ist hingegen eher ein müder Kerl, der viel schläft. Bei der Untersuchung des Laufbildes fällt sein Gang in Linksaussenstellung auf, er ist in beiden Sprunggelenken eher eng, die linke Schulterfreiheit ist eingeschränkt und im Sitz hat er das Gewicht auf die linke Pobacke verlagert. Die rechte Schultergliedmasse stellte er nach aussen. Dies ist nicht das normale Gangbild eines Welpen, wie viele nun denken, sondern ein orthopädisch auffälliges und pathologisches Bild. Es entspricht der Tatsache, dass viele junge Hunde dieses Gangbild zeigen, aber dennoch ist dies nicht typisch für ein gesundes Laufbild. Wie ich schon bei Layla erwähnt habe, kann ein Hund keine Muskeln aufbauen, wenn die Orthodynamik und die Orthostatik nicht regelmässig ablaufen. Wenn Sie die Videosequenzen von Paul beobachten, ist das schräge Laufen nach links nach einer Woche praktisch weg und nach weiteren drei Wochen sieht man es nicht mehr. Die Sitzposition ist nun gleichmässig und der Hund kippt im Sitz nicht mehr ab. Das Erbrechen nach dem Essen war nach der ersten Behandlung weg und auch die Stellung der Vorhand war danach gleichmässig.

Mögliche Ursachen für solche frühen Veränderungen sind einerseits eine schwere Geburt, das unsorgfältige Herumtragen des Welpen durch die Mutter oder aber auch wildes Toben der Welpen. Weitere Möglichkeiten sind Keilwirbel oder sehr lockere Hüftgelenke. Man muss sich bewusst sein, dass nur ein kleiner Teil der Hüftpfanne zu diesem Zeitpunkt verknöchert ist, also Stabilität gibt.

Wie entsteht Bewegung und wie wird Muskulatur aufgebaut?

Die Grundlage für jegliche Bewegung sind Rezeptoren oder einfacher erklärt Fühler, die die Stellung und Grundspannung von Muskeln, Bändern, Sehnen und auch Gelenken festhalten und ans Hirn weiterleiten. Wird nun eine Fortbewegung von A nach B ausgeführt, so sollte diese Bewegung in der Orthostatik/Orthodynamik erfolgen. Der Mensch läuft aufrecht und der Hund hält den Rücken parallel zum Boden und die Gliedmassen sind regelmässig zueinander gestellt. Somit kann der Hund von A nach B normal im Schritt oder Trab gehen, ohne dass er stolpert oder umfällt. Das Hirn erhält die Information, welche Spannung die Muskeln haben und wie die Stellung von Knochen, Bändern und Gelenken ist. Anschliessend können das Hirn und das Kleinhirn die Bewegung koordinieren. Entsteht nun in einer Gliedmasse, z. B. in einem Gelenk, eine Fehlstellung oder eine Entzündung, so entlastet der Körper dieses Gelenk, in der Folge die ganze Gliedmasse, und die anderen drei Gliedmassen müssen die Gewichtsverteilung der erkrankten Gliedmasse übernehmen. Somit hinkt der Hund oder er läuft schräg oder das Sitz und das Platz sind nicht korrekt. Ist diese Fehlhaltung nur kurzfristig, so ist dies kein Problem. Ist sie aber länger anhaltend, so wird diese Fehlstellung im Klein- und Grosshirn gespeichert. Dies hat einen entscheidenden Einfluss in der Therapie.

Somit haben die Rezeptoren (Fühler) die Fehlstellung der betroffenen Gliedmasse via Rückenmark ans Hirn weitergeleitet, und der Körper entlastet die Gliedmasse, bis das Problem behoben ist. Solche Fehlstellungen können beim Freesbee oder beim «Stäckli spielen» entstehen. Durch schnelle und enge Wendungen, kann der Hund ausrutschen und sich eine Fehlstellung einhandeln. Das Hinken kommt meistens verspätet, Stunden bis Tage, nämlich bis die Entzündung durch die Entlastung/Fehlbelastung aufgebaut ist.

Beim Aufbau respektive bei der Rehabilitation ist es wichtig, dass die Muskulatur langsam wieder an ihre originale Aufgabe herangebracht wird. Nach der orthopädisch manuellen Therapie muss man zuerst die Entzündung sowie den Schmerzprozess in den Griff bekommen. Dies erfolgt durch Medikamente. Je nach Schweregrad des Falls beginnt man nach drei Wochen mit leichter Belastung, zum Beispiel Powerwalking oder kurzes, leichtes Joggen. Bei komplexeren Fällen ist das Trockenlaufband empfehlenswert. Damit wird das gezielte Belasten und Aufbauen einer oder mehrerer erkrankter Gliedmassen oder des Rückens erreicht. Man kann dies mit dem Formatieren der Festplatte des Computers vergleichen. Anschliessend wird die Software neu geladen oder eben das neue Laufbild: die gewünschte Belastung des Körpers. Ist dieser Schritt erreicht, kann man die Belastung erhöhen, mit intensivem Joggen oder mit Bergtraben. Velo fahren, gerade oder in der Steigung, trägt ebenfalls zum Muskelaufbau und zur Kondition bei. Ist zu diesem Zeitpunkt der Hund unter erhöhter Belastung immer noch beschwerdefrei, kann man das Training weiter steigern. Vor jeder weiteren Belastungsstufe wird der Hund orthopädisch untersucht und auch behandelt. Somit kann man die Rehabilitation überwachen und neue Probleme sofort korrigieren. Beim sportlichen Aufbau des Hundes gilt: Es gibt kein «Kochbuchrezept»! Man muss das Training und die Rehabilitation nach Verletzungen an jeden Patienten anpassen und vor allem auch die Sportart berücksichtigen, in der der Hund geführt wird. Es ist ein grosser Unterschied, ob man einen Diensthund/Schutzhund, einen Windhund für die Bahn oder das Coursing oder einen Schlittenhund aufbaut.

Fazit

Jeder Hund, der ein komisches und auffälliges Gangbild zeigt, hat ein Problem, das beim Muskelaufbau behindernd sein kann. Jeder Aufbau sollte langsam vorangehen. Grundsätzlich sollte der Muskelaufbau erst im Alter von neun Monaten in Angriff genommen werden, dann sind in den meisten Fällen die Wachstumsfugen geschlossen und der Hund kommt ins sekundäre Wachstum. Somit wird der generelle Muskelaufbau positiv unterstützt. Die grössten Risiken liegen in ruckartigen Bewegungen oder bei engen und schnellen Wendungen, aber auch bei abfedernden Bewegungen, zum Beispiel bei Sprüngen.

Hier können Sie den Artikel aus dem Magazin als PDF ansehen

geschrieben von:
Dr. med. vet. Patrick Blättler Monnier

Dr. med. vet. Patrick Blättler Monnier

Dr. med. vet. Patrick Blättler Monnier betreibt in Frenkendorf BL seit zwölf Jahren eine Tierarztpraxis und hat sich auf orthopädische Erkrankungen bei Kleintieren und Pferden, auf akute und chronische Schmerzprozesse, schmerzbedingte Verhaltensveränderungen sowie auf schmerzbedingte Hauterkrankungen spezialisiert. www.orthovet.ch

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