Mit dem Velo und Hunden um die Welt, Teil 7

Michael und Sybille Fleischmann sind seit Juni 2010 unterwegs, um per Fahrrad ferne Länder zu bereisen. Ihr Ziel: Einmal um die Welt! Mit dabei: Rhodesian Ridgeback Rüde Gomolf und Mischlingshündin Diu. Exklusiv für das Schweizer Hunde Magazin berichten die Weltenbummler von ihren Erlebnissen. Heute erzählen sie von ihren Nöten in Georgien und warum sie es ohne fremde Hilfe nicht geschafft hätten.

Text und Fotos: S. und M. Fleischmann

«Hier sieht es aus wie in Nepal», bemerkte Michael, als wir auf einer kurvigen Strasse durch Georgien radelten. Er hatte recht. Die Strasse folgte einem Flusstal und wand sich malerisch entlang der bewaldeten Berghänge. Auch wenn wir kleine Dörfer passierten, fühlten wir uns an das Land im Himalaya erinnert. Die Menschen betrachteten uns mit neugierigen und schüchternen Blicken. Spielende Kinder, freilaufende Hühner, Kühe und Ziegen prägten das Strassenbild. Unsere Verpflegung kauften wir in winzigen Läden mit spärlicher Auswahl, doch Grundnahrungsmittel wie Brot, Käse und Eier fanden wir überall.

Schliesslich bestätigte sich eine Befürchtung, die wir hegten, seit uns ein paar Menschen erstaunt gefragt hatten, was denn unser Hunde ässen: Es gab in den ländlichen Gegenden Georgiens kein Hundefutter zu kaufen. Wofür auch? Die wenigen Strassenhunde ernähren sich von den Abfällen der Menschen. Als unsere Vorräte für Gomolf und Diu aufgebraucht waren, mussten wir improvisieren. Wir fütterten sie mit gekochtem Fleisch, Eiern, Brot, Kartoffeln, Wurst und dergleichen. Das bedeutete extra Arbeit für uns, doch unsere beiden Hunde mussten viel laufen und waren abends genauso hungrig wie wir.

87 Prozent sind mit Gebirge bedeckt

Auf dem Weg gegen Osten mussten wir zahlreiche Höhenmeter überwinden; die Strasse wand sich in Serpentinen die Berge hinauf und auf der anderen Seite wieder hinunter – und das viele Male. Landschaftlich ein Traum, zum Fahrradfahren sehr anstrengend. Abends waren wir oft schon sehr erschöpft, mussten aber noch einige Kilometer zurücklegen, bevor wir einen passablen Schlafplatz fanden. Ein wenig abseits der Strasse sollte es sein, und vor allem möglichst flach. Das war hier in den Bergen schwer zu finden. Oft gelang es uns nur ganz knapp vor Einbruch der Dunkelheit, das Zelt aufzuschlagen.

Eines Morgens standen wir auf und blickten in einen strahlend blauen Himmel. Die Sonnenstrahlen wärmten so sehr, dass wir mit dem Gedanken spielten, die langen Hosen und Jacken wieder gegen Shorts und T-Shirts zu tauschen. In der letzten Woche war es trüb und regnerisch gewesen, umso dankbarer waren wir für diesen klaren Tag. Vor uns lag eine Herausforderung: Eine Passstrasse, die uns von 300 auf 2500 Höhenmeter bringen würde. Etwa siebzig Kilometer bergauf fahren – das sind mehrere Tagesetappen für uns. Als wir etwa eine Stunde auf passablem Strassenbelag gefahren waren, verschwand der Teer langsam aber sicher und es ging in eine unbefestigte Piste mit tiefen Schlaglöchern über. Auch das noch! Wir hatten etwa drei Wochen für Georgien einkalkuliert, wie sollten wir so unseren Zeitplan einhalten?

T-Shirts am Morgen – Schneegestöber am Abend

Als wir gerade ein wenig verzweifelten, stoppte ein grosser russischer LKW neben uns; der Fahrer wollte wissen, wo wir hin wollten. Tatsächlich fuhr er in dieselbe Richtung und so fanden wir uns kurz darauf auf der Ladefläche des uralten Gefährts wieder – zusammen mit unseren Rädern, Gepäck und den Hunden, denn das Fahrerhaus war schon voll. So brachte er uns auf den Serpentinen sehr zügig nach oben; die grösste Anstrengung bestand darin, bei der wackeligen Fahrt nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Unsere Fahrräder und Anhänger rutschten von einer Seite zur anderen und wir fragten uns, was schädlicher für das Material sei: selbst fahren oder transportiert werden? Jedenfalls sparten wir eine Menge Kraft und waren dem Fahrer überaus dankbar. Leider lag auf halbem Weg sein Dorf, dort setzte er uns ab. Als wir gerade unsere Gefährte wieder startklar machten, blieb ein Kleintransporter stehen und deutete mit ein paar Gesten auf sein leeres Fahrzeug: Er würde uns das restliche Stück mit nach oben nehmen! Wir wollten zwar im Dorf noch etwas fürs Abendessen einkaufen, verwarfen den Plan aber wegen dieser Mitfahrgelegenheit. So sassen wir bald im warmen Fahrerhaus und näherten uns weiter dem Gipfel. Nach zehn Minuten Fahrt auf nicht vorhandener Strasse begann es zu regnen und wir hofften, dass es noch eine Weile dauern würde, bis wir da waren. Nach weiteren zehn Minuten hatte sich der Regen in Schnee umgewandelt und wir wünschten uns beide, das Auto niemals verlassen zu müssen. Doch das Unvermeidbare kam schneller, als uns lieb war, und so standen wir schon bald mit unseren Siebensachen im nebligen Schneegestöber auf 2500 Metern.

Wir flohen in einen kleinen Unterstand und zogen schnellstmöglich alles an, was wir dabei hatten: warme Unterwäsche, zwei Jacken, Handschuhe, Halstuch und Regenkleidung. «Wir könnten doch auch hier übernachten, da ist es wenigstens trocken», schlug ich vor und blickte mich in der kleinen Holzhütte um. – «Nein, nicht dass morgen alles vereist ist», antwortete Michael zu Recht. Also machten wir uns an die Abfahrt. Von Strassenbelag fehlte jede Spur. Der nasse Schnee verwandelte alles in eine glitschige Piste, die wir möglichst schnell hinter uns bringen wollten. Die Strasse war so schlecht, dass wir ständig mit angezogenen Bremsen fahren mussten. Gleichzeitig versuchten wir, den schlimmsten Löchern im Boden auszuweichen. Nach einer halben Stunde waren unsere Finger kalt, die Zehen taub und die Kleidung durchnässt. Bald mussten wir einsehen, dass die Abfahrt heute nicht mehr zu schaffen war. Einen überdachten Platz konnten wir auch nicht finden, also schlugen wir unser Zelt auf einer Wiese im Schneeregen auf.

Das Klima geht an die Substanz

Während Michael unsere Socken über dem Campingkocher trocknete, machte ich mich auf die Suche nach etwas Essenbaren. Es war ein winziges Bergdorf in der Nähe und ich fragte die Menschen dort um Hilfe. Ein Geschäft gab es hier nicht, doch eine alte Frau gab mir zwei Brote und ein grosses Stück Käse. Geld wollte sie aber keines annehmen, so konnte ich mich nur ausgiebig bedanken. Glücklich, noch etwas in den Bauch bekommen zu haben, krochen wir schon bald in unsere Schlafsäcke und warteten darauf, dass endlich unsere Füsse warm würden. Begleitet vom Prasseln des Regens schliefen wir langsam ein.

Am nächsten Morgen hatte der Niederschlag weitestgehend aufgehört – Gott sei Dank! Uns war nun schmerzlich bewusst geworden, dass Kälte und Feuchtigkeit nicht nur uns, sondern auch unserer Ausrüstung extrem zusetzten. Wie lange würden Laptop, Kamera & Co. unter diesen Umständen durchhalten? Was, wenn es mehrere Tage regnen sollte? Wenn unsere Kleidung und die Schlafsäcke erst einmal nass wären, bräuchten wir irgendwo ein Dach über dem Kopf. Die Motivation war im Keller, doch wir mussten weiter – raus aus dieser unwirtlichen, kaum besiedelten Berglandschaft.

Die nächsten Wochen wurden zum Härtetest für uns, unsere Beziehung und die Liebe zu unseren Hunden. «Was ist denn so schwer daran, am rechten Strassenrand zu gehen?!?», riefen wir verzweifelt und ernteten verständnislose Hundeblicke. Natürlich sind sie nicht dumm, im Gegenteil. Herrscht viel Verkehr, so bleiben sie konsequent am richtigen Strassenrand. Doch auf den georgischen Bergstrassen war wenig los – warum sich also auf eine Seite beschränken? Insbesondere in engen Linkskurven ist es aus Sicht der Tiere völlig unlogisch, den weiten Weg aussen herum zu laufen. Bei einem langen Anstieg verbrauchten wir nicht selten unsere letzte Puste dafür, unsere Hunde zu ermahnen – und waren dann nicht sehr gut auf sie zu sprechen.

Magen-Darm-Virus und hungrige Hunde

Zu allem Überfluss erwischte uns beide ein Magen-Darm-Virus. Wir hatten es noch irgendwie zur Stadt Borjomi geschafft, 160 Kilometer vor der lang ersehnten Hauptstadt Tiflis. Unsere Motivation war die Eisenbahnlinie, die zumindest auf unserer Landkarte eingezeichnet war: Wir wollten das letzte Stück mit dem Zug fahren. Die Ernüchterung liess nicht lange auf sich warten. Es gibt zwar einen Bahnhof, doch Züge fahren hier nicht – den Grund dafür konnten wir nicht herausfinden. An diesem Abend schlugen wir mit letzten Kräften das Zelt neben einer grossen Reklametafel auf – der einzig verfügbare Platz in der Stadt. Wir wären am liebsten sofort auf die Schlafmatten gesunken – etwas essen wollten wir wegen des ständigen Brechreizes beide nicht mehr. Doch da gab es ja noch Gomolf und Diu: Sie waren fast den ganzen Tag gelaufen und sahen uns mit hungrigem Blick ungeduldig an. Hundefutter hatten wir schon lange keins mehr, es half also alles nichts: Campingkocher auspacken und zusammenbauen, das rohe Hackfleisch und die Nudeln kochen, die Hunde vertrösten, bis es abgekühlt war… erst dann war endlich Feierabend!

«So ein Mist, mein Wasser ist gefroren», schimpfte Michael am nächsten Morgen, als er versuchte, das kostbare Element aus der Trinkflasche zu bekommen, um Tee zu machen. Die Flasche war über Nacht draussen gewesen – im Zelt wäre das nicht passiert. – «Oh verdammt, jetzt wird es langsam ernst», antwortete ich niedergeschlagen. Ich hatte keinerlei Motivation, aus dem kuscheligen Schlafsack zu kriechen. Obwohl mein Mann kälteempfindlicher ist als ich, war es wieder mal er, der tröstende Worte fand: «Wir sind ja hier in den Bergen. Da ist es natürlich kälter – weiter unten ist es gar nicht so kalt. Wir sehen jetzt zu, dass wir so schnell wie möglich weiter kommen, dann schaffen wir das schon!» Ich bewunderte ihn für seinen ungebrochenen Optimismus, streifte mir meine Kleider über und schlüpfte schliesslich aus dem Zelt. Gomolf und Diu dachten gar nicht daran, sich von ihrer warmen Matte im Vorzelt weg zu bewegen und hoben nur kurz den Kopf. «Die haben es gut», stellte ich fest, als ich von einem Bein aufs andere hüpfte, um den Kreislauf in Schwung zu bekommen.

Auf einer Ladung Kartoffeln

In den nächsten Tagen sah man uns bei jedem grösseren Fahrzeug, das uns überholte, sehnsüchtig-verzweifelt winken: Wir wollten schneller vorankommen und versuchten daher, per Anhalter zu fahren – egal, wie und mit wem! Das führte dazu, dass Michael und die Hunde einmal zwei Stunden auf einer Ladung Gemüse zubrachten, während ich ein wenig beschämt im Fahrerhaus sass. Als unsere Gönner die Fahrräder verladen hatten, musste ich mich wegen der Darmgrippe übergeben – zum Glück wurden wir nicht wieder weg geschickt. Ein anderes Mal hielten wir einen Mann mit einem uralten russischen LKW an, der uns allen ausreichend Platz bot, jedoch eine winzige Macke hatte: Er sprang nicht mehr an. Der Fahrer – der ja extra für uns gehalten und den Motor ausgemacht hatte – fluchte. Wir beteten. Keine Ahnung, was von beidem half, jedenfalls erlöste uns das Gefährt nach schier endlosen Minuten, indem es hustend und hörbar widerwillig ansprang. Dieses Fahrzeug war es dann auch, das uns zu den Toren der Hauptstadt brachte: endlich!

Tiflis ist eine riesige, moderne Grossstadt. Die Unterschiede zwischen Stadt und Land sind enorm – sie in ihrem ganzen Ausmass zu begreifen, dauerte eine Weile. «Hello!», sprach ich einen Passanten an und begann, wild zu gestikulieren. Ich führte die Hand zum Mund, bewegte den Kiefer und fragte «Magasin?» – das ist das russische Wort für «Geschäft». Der Mann sah mich eine Weile ratlos an bis ihm endlich ein Licht aufging: «Oh, you are looking for a supermarket?» In perfektem Englisch erklärte er mir den richtigen Weg – ich bedankte mich, zugegebenermassen ein wenig beschämt.

Tiflis – ein Einkaufsparadies!

Ein paar Strassen weiter wurden wir schliesslich fündig: ein grosses Einkaufszentrum mit einer riesigen Lebensmittelabteilung. Wir waren im Wunderland! Nachdem wir wochenlang in winzigen Geschäften gerade das Nötigste hatten finden können, standen wir nun vor meterlangen Wurst- und Käsetheken, einer riesigen Brotauswahl und lange vergessenen Köstlichkeiten wie feinen Kuchen, leckerer Schokolade und richtigem Kaffee. Wir brauchten lange, es waren so ungewohnt viele Entscheidungen zu treffen! An der Kasse wurden wir dann an die Schattenseiten des Stadtlebens erinnert: Über vierzig Euro kostete dieser Einkauf – damit wären wir auf dem Land locker drei Tage lang ausgekommen.

Das grösste Problem war, in der Stadt einen Schlafplatz zu finden. Erst nach stundenlanger Suche waren wir auf ein Stadion gestossen, das von grossen Grünflächen umgeben war. Hier konnten wir unser Zelt aufschlagen. Wir würden hier ein paar Tage bleiben müssen, um die Visa für die nächsten beiden Länder zu beantragen: Aserbaidschan und Kasachstan. Während Michael bei unseren Sachen blieb, erledigte ich die Behördengänge. In die aserbaidschanische Botschaft durfte man – zu meinem Befremden – nicht hinein. Das Abgeben der Visumanträge und das Abholen der visierten Pässe spielte sich vor dem Metallzaun des Gebäudes ab: Ich musste in einem Menschenpulk warten, wir streckten die Hände durch die Lücken des Zauns und kommunizierten mittels lauter Rufe mit dem Mitarbeiter. Zum Glück waren wenigstens die Anträge problemlos zu bekommen. Im Internet hatten wir gelesen, dass dort oft das Papier alle ist und man das Formblatt nur bekommt, wenn man es selbst irgendwo kopiert hat. Bei den Kasachen lief es dagegen «normal» ab: Ich wurde hineingebeten, führte ein nettes Gespräch über den Grund unserer Reise, wurde vor grosser Kälte gewarnt und füllte die Anträge aus. Am Ende hiess es jedoch: «In zehn Tagen kannst du die Pässe abholen.»

Langersehntes Bad

Dem Mitleid eines älteren Engländers war es schliesslich zu verdanken, dass wir nicht zehn Tage lang neben dem Stadion campieren mussten. Wir lernten ihn in einem Café kennen, in dem wir uns täglich mehrere Stunden aufhielten – dort gab es einen WiFi-Zugang, ausserdem war es warm. «Wieso geht ihr nicht in ein Hotel», wollte er von uns wissen, nachdem wir erzählt hatten, wo wir übernachteten. Wir deuteten kommentarlos auf Gomolf und Diu, die brav am Boden lagen. «Die gehören zu uns.» Der Mann, er hiess Peter, zögerte nicht lange und lud uns in sein Appartement ein. Er war Strassenbauingenieur und lebte mit seiner philippinischen Ehefrau Leslie für die Dauer seines aktuellen Projekts hier in der Stadt. Sie sprachen von einer Zweizimmerwohnung und wir hatten leichte Zweifel, ob das mit den Hunden nicht zu eng werden würde, doch es war uns natürlich immer noch lieber, als im Zelt zu schlafen.

«Oh mein Gott», brachten wir nur heraus, als wir das Appartement betraten. «Das ist ja wunderschön hier… und riesig!» Tatsächlich gab es «nur» ein Schlaf- und ein Wohnzimmer – doch alleine letzteres war grösser als unsere komplette alte Wohnung in München! Die Räume waren geschmackvoll möbliert, es gab eine schöne Küche und ein Badezimmer, in dem auch eine Waschmaschine stand. «Die könnt ihr natürlich benutzen, ich wasche sowieso lieber mit der Hand», erklärte die Dame des Hauses zwei überglücklichen Reiseradlern. «Wollt ihr vielleicht ein Bad nehmen?», fragte Peter lächelnd, als er unseren Blick auf die Badewanne bemerkt hatte. Was für eine Frage! Das hatten wir nicht mehr getan, seit wir losgefahren waren – also seit über einem halben Jahr. Gomolf und Diu legten sich mit einem Seufzer auf ihre Matte ins Eck – auch sie waren sehr zufrieden. Hier würden wir alle Kraft und Motivation tanken können, bevor es wieder weiterginge. Was für ein Glücksfall!

Mehr Infos unter: www.cycle-for-a-better-world.org

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