Mit dem Velo und Hunden um die Welt, Teil 28

Michael und Sybille Fleischmann sind seit Juni 2010 unterwegs, um per Fahrrad ferne Länder zu bereisen. Ihr Ziel: Einmal um die Welt! Mit ihrem Rhodesian Ridgeback-Rüden Gomolf und der Mischlingshündin Diu sind sie schon von Deutschland bis nach Kambodscha gekommen – nichts ahnend, dass dort ein schwerer Schicksalsschlag auf sie warten würde. Bei der Weiterreise Richtung Vietnam sind sie nur noch zu dritt.

Text und Fotos: S. und M. Fleischmann

Das tiefe Brummen des Flugzeugs beruhigt und macht mich schläfrig. Die Boeing 747 der Air India bringt mich von Deutschland nach Kambodscha. Drei Monate war ich in der «alten Heimat», in Bayern, um unser erstes Buch zu veröffentlichen und endlich die Familie einmal wiederzusehen. Und jetzt geht es zurück in die «neue Heimat», die ist bei meinem geliebten Mann, mit dem ich mich zu einem Leben auf Reisen entschieden habe. Unsere aktuelle Station heisst Sihanoukville, ein Ferienort an der Küste von Kambodscha. Er war das erste grosse Ziel unserer Fahrrad-Weltreise und hier hatte ich mich vor drei Monaten von Michael, Gomolf und Diu verabschiedet. Leider würde ich sie aber nicht alle wiedersehen.

Auf dem kleinen Bildschirm vor mir läuft ein alter Hollywoodstreifen. Ich sehe nur mit halbem Auge hin und schwelge in trüben Gedanken. Da spüre ich eine fremde Hand an meinem Bein. Ich schrecke auf und blicke in das runde braune Gesicht meines indischen Sitznachbarn. «Du bist sehr hübsch», erklärt er mir und lächelt. Ich knurre und drehe mich weg. Jetzt schmerzen die Erinnerungen an unseren grossen tierischen Beschützer sehr, denn in Gomolfs Gegenwart hätte es keiner gewagt, mich anzufassen. Die neugierige indische Hand vom Nebensitz nähert sich schon wieder und dann kullern mir ein paar Tränen die Wange herunter: Nie wieder würde mir mein Hund helfen können. Es folgt ein kläglicher Versuch, den Inder böse anzugucken, doch der wundert sich nur.

Trübe Gedanken

Wie quälend langsam doch die Stunden im Flugzeug vergehen können. Es wurde höchste Zeit, wieder zu meinem Mann zu kommen. Zu ihm und unserer treuen Hündin Diu. Seit wir sie von dem indischen Strand auf der Insel Diu aufgelesen hatten, waren sie und Gomolf wunderbare Spielgefährten gewesen, und als wir drei Jahre später zu unserer Fahrrad-Weltreise aufbrachen, waren sie ein sehr dynamisches kleines Rudel geworden: Der kleine Wildfang Diu, die es faustdick hinter den Ohren hatte, und Gomolf, der gutmütige und folgsame Riese, vor dem sich dennoch alle fürchteten. Wir fühlten uns immer sicher, wenn sie im Zelt neben uns schliefen. Eigentlich sollten sie ja im Vorzelt schlafen… doch wie oft bin ich morgens aufgewacht und habe festgestellt, dass ich auf dem Kopfende meiner Schlafmatte zusammengedrückt liegen muss, weil Gomolf sich gross und breit auf der anderen Hälfte ausgestreckt hatte? Gut, dass ich nie böse geworden bin, denn jetzt, wo er nicht mehr da ist, würde ich es mir vielleicht übelnehmen, wenn ich meinen Platz nicht mit ihm geteilt hätte.

Noch drei Stunden bis zur Landung. Bisher keine weiteren Annäherungsversuche des Inders. Wenn er wüsste, warum ich traurig bin, wäre er vermutlich sehr erstaunt. Auf all unseren Reisen habe ich kein Land gesehen, in denen die Hunde so schlecht behandelt werden wie in Indien. Umso schöner, dass wir ein putzmunteres und kerngesundes Exemplar aus genau diesem Land bekommen haben – Diu war noch nie krank! Es heisst ja immer, dass Rassehunde nicht so robust sind wie Mischlinge. Vielleicht hat deswegen dieses gefährliche Bakterium nur unseren grossen Hund mit dieser tödlichen Krankheit infiziert. Und dann ist Gomolf innerhalb von sieben Tagen in Michaels Armen weggestorben. Weil es in Sihanoukville keinen Tierarzt gibt, hatte er verzweifelt im Internet nach Rat gesucht. Auch ich wollte etwas tun und rief unsere Tierärztin in Deutschland an: «Gomolf frisst nicht mehr und jetzt hat er auch noch Blut gespuckt», beschrieb ich ihr die Symptome. Sie zögerte. «Seien Sie froh, wenn es zumindest Ihrem Mann gut geht», sagte sie dann.

Gomolfs schwere Krankheit

Auch Michael wusste längst, dass es etwas Ernstes war. Er hatte nachgelesen, wie man Spritzen setzt, und behandelte unseren Gomolf mit Antibiotikum. Der lag nur schlaff herum und liess alles über sich ergehen Diu mied ihn und knurrte sogar, wenn er zu nahe kam. Als nach Tagen immer noch keine Besserung eintrat, startete Michael einen letzten verzweifelten Versuch: Er schnappte sich beide Hunde und ein Bündel Geldscheine, ging zu den Taxifahrern und fand tatsächlich einen, der gewillt war, ihn und die Tiere nach Phnom Penh zu bringen. Die Hauptstadt ist zwar mehrere hundert Kilometer entfernt, doch es gibt dort eine Tierklinik mit einem europäischen Doktor. Unsere letzte Hoffnung.

«Es war schon viel zu spät», sagte Michael danach unter Tränen zu mir am Telefon. «Der Arzt hat einen Schnelltest gemacht und konnte die Krankheit identifizieren: Leptospirose. Aber während ich wartete, ist unser Hund an inneren Blutungen gestorben. Keiner konnte noch etwas für ihn tun… und ich war nicht einmal bei ihm. Mein bester Freund ist gestorben…» – «Leptospirose?», sagte ich verzweifelt, «dagegen waren sie doch geimpft!» – «Ja, aber der Arzt sagte, die Impfung bringe nicht viel, da es so viele Arten von dem Bakterium gibt. Es wird oft von Ratten übertragen und unser Gomilon hat wahrscheinlich nur an deren Urin geschnüffelt…» – Michael versagte die Stimme.

Ein schwerer Schlag

Auf dem Rückweg sass er mit Diu im Taxi, im Kofferraum lag Gomolfs Körper in einem Pappkarton. Grosse Trauer und Selbstvorwürfe reisten mit. Unser Gomolf war gerade mal fünf Jahre alt geworden. Ein prachtvoller und braver Hund, der uns viel Freude bereitet und unglaublich viel erlebt hat. Er kam schon als kleiner Welpe zu uns und begleitete uns auf zwei grossen Reisen in knapp dreissig verschiedene Länder. Auf der Radreise von Deutschland nach Kambodscha reiste er in seinem speziellen Hundeanhänger wie ein Prinz in seiner Kutsche. Michael war nicht immer angetan von den 45 Kilo, die er zu ziehen hatte; doch das ist alles relativ geworden. «Ich hätte ihn liebend gerne noch weiter im Anhänger gezogen», sagte mein Mann, «stattdessen muss ich ihn jetzt begraben.»

Erst jetzt, als ich lande, kann ich meinen Mann endlich in die Arme nehmen. «Sei froh, dass du nicht dabei warst», sagt er heute. Aber ich bin nicht froh, denn so konnte ich mich weder von Gomolf verabschieden noch Michael beistehen und mit ihm trauern. So suchte er alleine einen schönen Platz, schaufelte eine Grube aus und bettete unseren Hund zur letzten Ruhe. «Ich habe ihm noch eine Münze für den Fährmann mitgegeben», erzählte er mir. Danach habe er sich an Diu gekuschelt und in den Schlaf geweint. Es waren schreckliche Tage für uns.

Auch sonst war Michael in den drei Monaten wenig Erfreuliches widerfahren. Er war mittlerweile umgezogen und wohnte jetzt in einer Wohngemeinschaft mit zwei Französinnen. Lily und Agathe hatten ihn (kurz nach dem Drama um Gomolf) aufgenommen, denn in der alten Bleibe war er unter rätselhaften Umständen bestohlen worden. Als er den Umzug hinter sich gebracht hatte, lag er schliesslich auf seiner Schlafmatte und krümmte sich vor Bauchschmerzen. Auch das noch – eine Lebensmittelvergiftung! Er drohte zu dehydrieren, also brachte Agathe ihn ins nächste Krankenhaus. Aus Mangel an Alternativen musste er sich dazu in Gomolfs Hundeanhänger quetschen. «Die Fahrt wäre eigentlich gar nicht so schlimm gewesen», resümierte er danach, «wenn wir nicht ausgerechnet die schlimmste Schlagloch-Strasse benutzt hätten.»

Grosse Wiedersehensfreude

Endlich: Das Flugzeug setzt auf und kommt zum Stehen. Hinter mir liegen achtzehn Stunden Flug, verteilt auf drei Tage. Ich reise mit stolzen dreissig Kilogramm Gepäck: neue und reparierte Fahrradteile, Ersatzteile für Kocher und Wasserfilter, Werkzeug, Kleidung, Schuhe. Die Einreiseformalitäten und die Gepäckausgabe dauern eine gefühlte Ewigkeit. Als ich danach mit meinen Siebensachen auf den Ausgang zustrebe, sehe ich Michael schon in der Menge der Wartenden stehen und winken. Die Anspannung der letzten Wochen fällt von uns, als wir uns endlich umarmen können. Nun trennen uns nur noch eine Nacht im Hotel und eine sechsstündige Busfahrt von unserer Diu, die im Haus der Französinnen bestimmt schon sehr ungeduldig auf uns wartet – oder?

«Sie wird uns wahrscheinlich schon von weitem sehen und quietschen», vermutet mein Mann, als wir uns Tags darauf dem Grundstück nähern. Meine neugierigen Augen erspähen ein geräumiges zweistöckiges Haus im landestypischen Baustil. Aber wo ist Diu? Nirgends ist unser kleiner schwarzer Hund zu sehen oder zu hören. Auch als wir am Tor rütteln und um Einlass bitten, tut sich nichts. «Hoffentlich ist nichts passiert», schiesst uns beiden durch den Kopf. Nachdem wir eine Weile ratlos gewartet haben, taucht schliesslich Lily auf, allerdings mit weniger guten Neuigkeiten: «Diu ist seit heute Morgen verschwunden», sagt sie etwas kleinlaut. – «Das hat sie früher auch schon oft gemacht, sie kommt bestimmt bald», antwortet Michael und klingt dabei gelassener, als er wirklich ist. Doch dann kommt ihm eine Idee: «Dürfen wir mal dein Moped ausleihen?» Die Französin nickt nur und reicht ihm den Schlüssel.

Diu wartet in ihrer Stammbar auf uns Er fährt uns direkt ins Barviertel und lässt an der Strassenecke seinen lautesten Pfiff los. Keine fünf Sekunden später kommt unsere kleine Maus angelaufen – mit fliegenden Ohren und wedelndem Schwanz… nein, eigentlich wedelt Dius ganzes Hinterteil vor lauter Freude! Als sie mich nach einer kurzen Schrecksekunde auch erkennt, ist sie völlig ausser sich, tanzt um uns herum, hüpft und quietscht vor lauter Aufregung und verteilt nasse Stupser in unsere Gesichter. «Warst du schon wieder in der Bar, eh? Schon wieder um die Häuser gezogen?», scherzt Michael mit ihr. «Ich war hier öfter was trinken und hatte Diu immer dabei… vielleicht hat sie mich hier gesucht.» – «Und dann entschieden, hier auf dich zu warten», füge ich hinzu. – «Kann auch sein, denn sie kennt hier mittlerweile jeden und staubt ständig Essen ab», antwortet er grinsend, während er Diu hinter den Ohren krault. Endlich sind wir wieder vereint, wenn auch nicht ganz komplett.

Die folgenden Tage können wir uns ganz gut vom fehlenden Familienmitglied ablenken, denn es gibt viel zu tun: Alle Ausrüstungsgegenstände müssen neu sortiert werden und wir haben viele Entscheidungen über zahllose Kleinteile zu treffen: Werden wir dies und jenes brauchen? Was können wir entbehren? Und wie kann es sein, dass alle unsere Fahrradtaschen schon wieder randvoll sind?! «Wie hat das früher immer alles reingepasst?», rätseln wir beide, denn wir müssten doch mehr Platz haben, da wir Dius Fahrradanhänger künftig als Gepäckwagen benutzen können. Ein grosses Platz- und Komfortplus gibt es aber für die künftige Reise auch, allerdings nicht für uns Menschen: Diu darf künftig in Gomolfs XXL-Anhänger mitfahren. Darauf sollten wir in ihrer Lieblingsbar noch einen mit ihr trinken gehen. Und auf ihren grossen Bruder im Hundehimmel, der das Gefährt nicht mehr braucht. Denn er wird von nun an in unseren Herzen mitreisen.

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