Mit dem Velo und Hunden um die Welt, Teil 26

Michael und Sybille Fleischmann sind seit Juni 2010 unterwegs, um per Fahrrad ferne Länder zu bereisen. Ihr Ziel: Einmal um die Welt! Mit dabei: Rhodesian Ridgeback-Rüde Gomolf und Mischlingshündin Diu. Exklusiv für das Schweizer Hunde Magazin berichten sie von ihren Erlebnissen. Heute erreichen sie endlich ihr langersehntes, erstes grosses Ziel der Tour: Sihanoukville, einen Ferienort an Kambodschas Küste.

Text und Fotos: S. und M. Fleischmann

«Nur noch dieser Berg, dann sind wir da», verkündet Michael, als ich schwer atmend vom letzten Anstieg neben ihm anhalte. Das hat er bei den letzten zwei Bergen auch gesagt, denke ich, sage aber nichts. Keine sinnlosen Diskussionen heute! Es ist ein besonderer Tag, den wir schon sehr lange herbeisehnen: der Tag der Ankunft am ersten grossen Ziel dieser Reise.

2010 sind wir in Bayern losgefahren, haben 15 Länder durchquert und fast fünfzehntausend Kilometer zurückgelegt, etwa 8000 davon mit dem Fahrrad. Gomolf und Diu, die uns überallhin begleitet haben, stehen mit hängenden Zungen neben uns und sehen uns erwartungsvoll an. Sie haben diesen Trip zu etwas ganz Besonderem gemacht, vor allem weil wir uns ohne Hunde der Herausforderung gar nicht erst gestellt hätten. Denn eigentlich wollten wir ja nur für eine Weile nach Kambodscha auswandern, allerdings hätte das Flugticket für unser Riesenbaby Gomolf ein kleines Vermögen gekostet – falls wir überhaupt eine Flugbox gefunden hätten, in der er bequem hätte aufrecht stehen können. Aus dieser Not heraus entstand die Idee der Fahrradreise. Ob es zusammen mit Hunden überhaupt möglich ist, bis nach Asien zu radeln, wussten wir nicht, denn es hatte bisher noch niemand ausprobiert. So galt es, all unsere Abenteuerlust zusammenzunehmen und es einfach zu versuchen. Es wurde die spannendste, die schönste, aber auch mit Abstand die härteste Reise, die wir uns je hätten erträumen können.

Die Ankunft ist zum Greifen nahe

«Ab», sagt Michael jetzt zu unseren beiden haarigen Gefährten und deutet auf die Anhänger. «Nur noch einmal – fürs Erste», fügt er hinzu. Vor uns liegt eine Senke und bergab werden die Hunde wie immer kutschiert: Michael zieht den grossen Anhänger für Gomolf, ich den kleinen für Diu. Dass wir für diesen Trip Hundeanhänger benötigen würden, war uns relativ schnell klar. Die Strecken, die wir mit dem Fahrrad zurücklegen, könnte vielleicht ein sehr gut trainierter Laufhund selbst bewältigen. Doch unser 5-jähriger Ridgeback und seine 4-jährige indische «Schwester» Diu schaffen höchstens 10 bis 20 Kilometer pro Tag; danach sind sie erledigt und froh, dass sie im Anhänger mitfahren dürfen. Zwar müssen Michael und ich einiges an Mehrgewicht ziehen, wenn die Hunde nicht selbst laufen, doch wir wissen sie dann sicher verstaut, besonders wenn es bergab geht, so wie hier.

Diesmal gehorchen sie sofort und springen in ihre Gefährte. Obwohl sie das Kommando inzwischen sehr genau kennen, ist es immer noch Stimmungssache, ob sie zügig einsteigen; besonders Diu braucht immer mal wieder eine kleine Extra-Aufforderung. Heute ist es aber anscheinend heiss genug, so dass sie nicht lange überlegen. Mit 45 bzw. 23 Kilo Mehrgewicht rollen wir dann Richtung Senke. Bei der Abfahrt schieben uns die Hänger so richtig an und wir beschleunigen schnell auf fast 50 km/h. Der bisher ungebrochene Geschwindigkeitsrekord der Reise wurde in Serbien aufgestellt, natürlich von Michael, dessen Gespann samt Mensch und Hund gut 200 Kilo wiegt: Am Eisernen Tor, der spektakulären Donauverengung zwischen Serbien und Rumänien, erreichte mein Mann bei einer langgezogenen Abfahrt eine Geschwindigkeit von 80 km/h. Ich schaffte mit meinem Gefährt auf dieser Strecke 72 km/h – das Systemgewicht meines Fahrrades ist auch «nur» 140 Kilo. An dieser Stelle sei noch erwähnt, dass Gomolfs Bluebird-Anhänger für eine maximale Zuladung von 40 Kilo zugelassen ist und die Kupplung eine Höchstgeschwindigkeit von 45 km/h vorschreibt. Wir sind absolut beeindruckt, wie souverän das Gefährt die (Tor-) Tour trotz der ständigen Überbelastung überstanden hat. Auch Dius Einrad-Anhänger: Es ist eigentlich ein Lastenanhänger, der nicht für den Transport von Tieren vorgesehen ist. Doch unsere Kleine passte wunderbar hinein und störte sich auch nicht daran, dass sich der Anhänger – im Gegensatz zu einem Modell mit zwei Rädern – in den Kurven leicht zur Seite neigt. So verpassten wir dem Gefährt in Heimarbeit eine Verkleidung aus Plastik, eine Kabine aus Zeltgestänge und Cordura-Stoff – und fertig war die sportliche Einrad-Kutsche, mit der ich problemlos über jeden schmalen Pfad komme. Wir sind stolz darauf, dass auch dieses Selbstbau-Modell allen Anforderungen standgehalten hat.

2000 Kilometer auf eigenen Pfoten

Grob gerechnet haben wir die Hunde gut 6000 Kilometer weit in ihren Hängern gezogen, die restlichen 2000 sind sie selbst gelaufen und alle übrigen haben sie mit uns in Schiffen, Zügen und Bussen zurückgelegt. Auf den schönen Fahrradwegen, die wir anfangs in Europa unter den Rädern hatten, war es noch kein Problem, die Hunde laufen zu lassen. Später hiess es oft: «Bitte aussteigen», zum Beispiel wenn der Strassenbelag schlecht wurde oder kaum Verkehr unterwegs war. Und natürlich wenn es länger bergauf ging, so wie jetzt, denn wir sind ausgerollt und haben nun den unangenehmen
Teil der Senke vor uns: den Anstieg.

«Diu, jetzt geh‘ zu!», rufe ich, als ich kurz anhalte. Sofort springt sie raus und trottet brav neben mir her, während ich im kleinsten Gang antrete und mich langsam nach oben kämpfe. Michael lässt Gomolf etwa zum selben Zeitpunkt aussteigen, doch er ist gut 20 Meter hinter mir. Sein schwerer Anhänger raubt ihm schnell jeden Schwung, sobald es wieder bergauf geht. Das viele Ein- und Aussteigen ist uns allen in Fleisch und Blut übergegangen und doch empfinden wir es jedes Mal als zusätzliche Anstrengung, denn das Stoppen und Warten bringt uns immer aus dem Rhythmus. Doch heute sind wir vor allem sehr stolz darüber, dass wir es wirklich geschafft haben, unsere Hunde mit den Fahrrädern bis nach Kambodscha zu bringen. Oft sind wir an dem hohen Mehrgewicht verzweifelt und fühlten uns so unendlich langsam und schwerfällig. Wir schaffen im Schnitt vielleicht 40 Kilometer pro Tag und empfanden dies schon als Schwerstarbeit; andere Reiseradler fahren täglich locker 70 oder 100 Kilometer und tun dabei so, als wäre es ein Wochenendausflug an den See. Allerdings sind die meisten, die wir getroffen haben, per Flugzeug gekommen und zeitlich begrenzt unterwegs; da bevorzugen wir dann doch das langsame, aber fortwährende Reisen.

Das Unterwegs-Sein ist für uns alle zum Alltag geworden; wir waren seit dem Start niemals länger als ein paar Wochen am selben Ort und dann meist nur, weil wir auf irgendetwas warten mussten. Alles in allem sassen wir etwa die Hälfte der Tage auf dem Fahrrad, die andere Hälfte der Zeit steckten wir fest oder gönnten uns einen Ruhetag. Unsere Zeitplanung war immer grosszügig genug, so dass wir spontan stoppen konnten, wenn es uns irgendwo gefiel. Dies empfinden wir als eine der grössten Freiheiten überhaupt.

Anhalten, wo es uns gefällt

Natürlich sind wir vier ein eingespieltes Team geworden. Wir kennen unsere Hunde in- und auswendig – mit all ihren Macken, Vorlieben und Stimmungen. Umgekehrt ist es wohl genauso. Das Schönste am Reisen mit Hunden ist, dass wir uns nachts sicher fühlen können. Das Unpraktischste an ihnen ist ihr Gewicht, und dass sie nicht mithelfen. Manchmal äugen wir neidisch in die weich gepolsterten Anhänger, während wir einen 15-Kilosack Hundefutter auf unsere beiden Räder verteilen. Manchmal fragen wir uns auch, warum wir das alles eigentlich machen. Aber oft bringen sie uns zum Lachen, indem sie miteinander umhertollen. Oder sie sitzen mit uns im Zelt in einem bunten Menschen-Hunde-Knäuel. Dann sind wir einfach nur froh, dass sie da.

Der Tag der Ankunft in Sihanoukville. Wie oft habe ich mir diesen Moment vorgestellt? Endlich irgendwo ankommen, einen hübschen Platz finden, eine Weile bleiben. Es fühlt sich ganz feierlich an, als es jetzt endlich Realität wird. Diu läuft an mir vorbei und ich denke bei mir, wie lieb ich unsere kleine Maus habe, weil sie alles mitmacht und eigentlich schon sehr brav ist. Doch da steigt mir auf einmal ein wohlbekannter Duft in die Nase: süsslicher Verwesungsgeruch. Bei genauerem Hinsehen entdecke ich schleimige Spuren und Reste von Federn auf Dius Schulter.

Dius Malheur am Tag der Ankunft

«Die kleine indische Ratte!», schimpfe ich erregt, «pfui Teufel, sie hat sich in einem toten Vogel gewälzt!» Michaels Gesichtsausdruck wechselt von Anstrengung (vom Anstieg) über kurze Fassungslosigkeit hin zu Wut – berechtigt, denn dies ist Dius schlimmste Unart und wir hassen den Gestank und die ekligen Rückstände auf ihrem Fell zutiefst.

«Oh Mann, wir wollen meinen Freund besuchen, da können wir doch nicht so auftauchen!», sagt mein Mann verärgert. Auf der Weiterfahrt halten wir suchend Ausschau nach einer Gelegenheit, um das Malheur wieder auszubügeln; und unsere geschulten Augen entdecken eine kleine Tankstelle. Sehr gut: Dort gibt es fast immer Wasser und wir brauchen jetzt ziemlich viel davon. Wir eskortieren Diu zu einem grossen Becken mit Regenwasser, wo schon ein Eimer bereitsteht. Sie wird so lange übergossen und eingeschäumt, bis sie wieder anständig riecht. Zumindest weiss sie, dass wir wütend sind, und hält einigermassen still.

Umgeben von einer Duftwolke aus Hundeshampoo rollen wir die letzten Meter dieser Etappe. Da kommt
uns schon ein Mann mit breitem Grinsen im Gesicht auf einem Moped entgegen: Jason, ein alter Reisefreund von Michael, der aus England stammt und vor sieben Jahren nach Kambodscha ausgewandert
ist. Er blickt kopfschüttelnd auf unsere Gespanne, die Hunde, die Anhänger, und winkt uns, ihm zu folgen. Wir dürfen die nächsten Tage bei ihm wohnen, bis wir etwas Eigenes gefunden haben. Es ist der beste Empfang, den wir uns hätten vorstellen können: Jasons europäische Nachbarn bringen schnell ein paar Bratwürste, Brot und Getränke herbei und es wird ein langer, lustiger Abend. Einige Dosen Bier und viele Reiseanekdoten später fallen wir endlich in einen tiefen Schlaf, wissend, dass das Leben im Zelt ohne Strom, fliessend Wasser und richtigem Bett nun für eine Weile vorbei ist.

Lange entbehrter Luxus

Schon bald darauf können wir unsere «eigenen» vier Wände beziehen. Wir mieten ein kleines Häuschen auf einem grösseren Grundstück, auf dem sich unsere Hunde frei bewegen können. Von unserer Terrasse aus können wir das Meer sehen und der nächste Strand ist nur einen kurzen Fussmarsch entfernt. Es wäre alles perfekt hier, wenn es da nicht den jungen, übermütigen Schäferhund Dollar gäbe.

«Diu, lass Dollar in Ruhe!», ermahnen wir unseren Hund immer wieder, seitdem wir hier wohnen. Der einjährige, Deutsche Schäferhund stammt von Züchtern aus Phnom Penh und gehört unserem Vermieter. Dollar versucht seit unserer Ankunft, mit Diu zu spielen, und sie versucht seit unserer Ankunft, dem Jungspund die Leviten zu lesen. Er rennt ihr nach, sie schnappt nach ihm. Er bellt sie an, sie knurrt zurück. Er will aus der Wasserschüssel trinken, sie verjagt ihn ungehalten. «Irgendwann beisst er zurück», orakeln wir, als wir dem ungleichen Paar bei ihren Auseinandersetzungen zusehen. Dollar, der unserer Hündin körperlich eigentlich überlegen ist, lässt sich ständig von ihr einschüchtern. Doch wie lange würde der kräftige Rüde sich das noch gefallen lassen?

Unsere Möglichkeiten der Einflussnahme sind begrenzt, da alle Hunde frei auf dem Grundstück umherlaufen. Gomolf hat einen Sonderstatus: Dollar versucht ihn manchmal zu ärgern, hat jedoch genügend Respekt vor ihm, um beim leisesten Anzeichen von Unmut sofort damit aufzuhören. Was die Streitereien mit Diu betrifft, so hält sich unser Grosser raus und verschafft ihr damit wenigstens nicht noch mehr Bestärkung. Und doch kommt es irgendwann, wie es kommen musste: Wir hören einen schrillen Schrei aus der Richtung von Dollars Hundehütte, anschliessend kommt unsere Diu quietschend und humpelnd angelaufen. Diesmal war sie zu weit gegangen und hatte versucht, sein Futter zu stehlen. Anscheinend war sie dabei nicht schnell oder nicht clever genug gewesen, jedenfalls trug sie eine kreisrunde Bisswunde von der Größe eines Ein-Franken-Stückes davon – Na toll!

Ein ordentlicher Dämpfer für Diu

So etwas ist unseren Hunden schon öfter passiert und daher wissen wir wenigstens, was zu tun ist: rasieren, desinfizieren, sauberhalten, beobachten. Zur Abwehr von lästigen Fliegen tragen wir manchmal Zahncreme auf die Wunde auf – das funktioniert wunderbar und brennt nicht einmal (wie wir aus Selbstversuchen wissen). Und so heilt das kleine Loch langsam zu.

Diu verhält sich in diesen Tagen sehr ruhig und verlässt kaum ihren Anhänger, der momentan demontiert vor dem Häuschen steht. Sie ist ein ganzes Stückchen kleinlauter geworden. Selbst unsere kleine indische Überlebenskünstlerin muss manchmal noch etwas dazulernen. Und wir können wieder die schöne, ruhige Zeit des Nicht-Radelns geniessen.

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