Mit dem Velo und Hunden um die Welt, Teil 25

Michael und Sybille Fleischmann sind seit Juni 2010 unterwegs, um per Fahrrad ferne Länder zu bereisen. Ihr Ziel: Einmal um die Welt! Mit dabei: Rhodesian Ridgeback-Rüde Gomolf und Mischlingshündin Diu. Exklusiv für das Schweizer Hunde Magazin berichten sie von ihren Erlebnissen. Heute erreichen sie Kambodscha und damit das fünfzehnte Land auf ihrer Liste, doch die Einreise war nur mit geföhnten Pässen möglich.

Text und Fotos: S. und M. Fleischmann

«Da vorne ist ein kleiner See mit ganz klarem Wasser», drang es an mein Ohr, als ich gerade aufwachte – eine Phase, die bei mir ein Weilchen dauern kann. Wegen der Hitze im Zelt hatte ich sämtliche Gliedmassen weit von mir gestreckt und damit schon alle Möglichkeiten ausgeschöpft, es mir irgendwie angenehmer zu machen. Natürlich half es nicht viel, mein T-Shirt war total durchgeschwitzt, die Haare nass vom Schweiss und die Haut feucht-klebrig. Michael und die Hunde waren längst nach draussen geflohen und hatten anscheinend die Umgebung inspiziert. «Ein See mit klarem Wasser?», wiederholte ich ungläubig. – «Ja, genau, es ist wunderschön! Es ist eher eine überflutete Wiese, vom Regen gestern, aber man kann schwimmen, ich und Gomolf waren schon drin.» Das klang so toll, dass ich mich ungewohnt schnell von meiner Matte erhob und schwankenden Schrittes auf meine Packtaschen zusteuerte. Mein Bikini war schnell gefunden und angezogen, mein Mann bekam einen verschlafenen Guten-Morgen-Kuss und dann ging ich in die Richtung, die er mir zeigte. Und tatsächlich: Hinter einer halb verwitterten Mauer hatte sich auf einer Wiese ein richtiger kleiner See gebildet. Gomolf und Diu begleiteten mich und tobten ausgelassen am seichten Ufer herum, so dass das Wasser in alle Richtungen spritzte. Und dann glitt ich seufzend in das kühle, frische Nass. Welch eine Wonne! Ich liess mich eine Weile treiben und wusch mir den Schweiss, das Salz und den Staub von der Haut und aus den Haaren. Was waren wir doch für Glückspilze!

Eine solche Wasserquelle ist eine seltene Gelegenheit im Leben eines Reiseradlers: Frisches, klares Wasser in beinahe unbegrenzter Menge; es war lange her, dass wir in so einen Genuss kommen durften. Da wir immer nur ein paar Liter Wasser transportieren können, müssen wir normalerweise ungemein sparsam damit umgehen. So haben wir gelernt, dass sich zwei Menschen mit einem halben Liter Arme und Gesicht waschen und mit dem restlichen Schluck sogar noch Zähne putzen können. Besonders schön ist das allerdings nicht! Wie herrlich fühlt es sich dagegen an, komplett in den kühlen See einzutauchen und dabei zu wissen, dass wir heute ganz verschwenderisch mit Wasser umgehen dürfen.

Zeltplatz mit See statt Zimmer mit Bad

Breit grinsend kehrte ich zu Michael zurück. «Gut, dass wir gestern kein Zimmer bekommen haben, oder?», fragte er lächelnd. Wie recht er doch hatte. Gestern hatten wir das Städtchen Koh Kong durchquert und wollten uns ein wenig an der touristischen Infrastruktur laben. Es gibt dort zahlreiche Restaurants und Hotels und vor uns lag diesbezüglich eine lange Durststrecke.

Auf Michaels Vorschlag hin hatten wir «Otto‘s Guesthouse» aufgesucht, denn er erinnerte sich, dort vor etwa acht Jahren günstig und gut gegessen und übernachtet zu haben. «Otto ist Deutscher, er ist schon über zehn Jahre hier. Er war einer der ersten Ausländer, die hier eine Pension aufgemacht haben. Ein echter Ur-Auswanderer», hatte mein Mann erzählt. Vor meinem geistigen Auge entstand das Bild eines mutigen Abenteurers, der ins Ungewisse gezogen war, um sein Glück zu versuchen. Vielleicht hatte er langes Haar und einen Bart, sicherlich aber dunkelbraun gebrannte Haut, der die tropische Sonne nichts mehr anhaben kann.

Im besagten Guesthouse angekommen, wurde uns zunächst mitgeteilt, dass die Hunde draussen bleiben müssen. «Ab in die Anhänger», entschied Michael deswegen. Die beiden gehorchten etwas widerwillig und Gomolf liess ein leises Quietschen hören, als wir weggingen. Unser Grosser leidet manchmal ein wenig an Verlustängsten, doch zum Glück konnten wir ihm trotzdem angewöhnen, an seinem Platz auf uns zu warten.

Der Mythos eines echten Abenteurers …

Dann stieg ich erwartungsvoll die Treppe hoch, gespannt darauf, Otto, den Abenteurer kennenzulernen. Und dann sah ich ihn. Vor mir stand eine blasse, mittelgrosse Gestalt mit grauem, wirrem Haar und tiefen, dunklen Augenringen. Unter seinem löchrigen T-Shirt wölbte sich ein enormer Bauch, der ausladend über den Bund der fleckigen Hose quoll. Als er den Mund öffnete, um meine Begrüssung zu erwidern, entblösste er dort, wo einst Zähne gewesen waren, ein paar braun-gelbe Stummel.

Im folgenden Gespräch eröffnete uns Otto einige erschütternde Wahrheiten und wüste Verschwörungstheorien inklusive baldigen Weltuntergang – wahrscheinlich noch dieses Jahr. Wenn nur noch so wenig Zeit ist, sollten wir uns den schönen Seiten des Lebens widmen, fanden wir, also bestellten wir zwei grosse belegte Baguettes und erkundigten uns vorsichtig, ob wir mit den Hunden hier ein Zimmer bekommen könnten, denn wir sehnten uns mal wieder nach einem richtigen Bett. «Klar, kein Problem, wir sind total leer. Da könnt ihr auch mit den Hunden rein», versprach Otto.

Als wir etwas später aus der Stadt hinhaus radelten, war es bereits dunkel und es regnete in Strömen. Mit Taschenlampen bewaffnet, suchten wir die Umgebung nach einem potenziellen Platz für unser Zelt ab. Es hatte sich gezeigt, dass Otto in seiner eigenen Pension anscheinend nicht mehr viel zu melden hatte. Trotz seiner Zusage verweigerte uns seine hübsche kambodschanische Frau ein Zimmer. Es sei leider alles belegt, die Gäste seinen nur gerade alle auf einem Ausflug, daher sei niemand hier, erklärte sie. Tatsächlich störten sie unsere Hunde, doch sie wagte es nicht, uns das direkt zu sagen. «Vielen Dank», grummelten wir angesäuert, als wir raus in den Regen gingen.

Gomolf und Diu waren genauso wenig begeistert von dem erzwungenen Abendspaziergang, doch es ging nicht anders: «Auf geht’s, wegen euch müssen wir nochmal los», zischte Michael, als er aufs Rad stieg. Natürlich können die Tiere nichts dafür, trotzdem ist es manchmal frustrierend, dass wir wegen ihnen auf so vieles verzichten müssen. Doch oft genug werden wir dafür mit einem tollen Erlebnis entschädigt – so wie diesmal, denn wir wählten zufällig den Platz mit dem herrlichen See nebenan.

Wir blieben den ganzen Vormittag dort, wuschen Wäsche, filterten das Wasser, damit wir es trinken konnten und überzeugten auch die Hunde davon, nochmal ein ausgiebiges Bad zu nehmen. Nach vollbrachter Arbeit knurrten unsere Mägen, doch die Landkarte verriet uns, dass ein bergiges, unbesiedeltes Gebiet vor uns lag. Daher beschlossen wir, zuerst für ein ausgiebiges Frühstück zurück nach Koh Kong zu radeln.

Radeln am Nachmittag – eine blöde Idee!

Ein paar Stunden später sah man uns wieder an unserem Schlafplatz vorbeifahren, diesmal in der prallen Nachmittagssonne. Unser Timing war wie immer perfekt. Es war die heisseste Zeit des Tages, am Himmel war kein Wölkchen zu sehen und in nicht allzu grosser Ferne konnten wir die ersten Erhebungen ausmachen. Wir spürten förmlich, wie sich unsere Bäuche auf die opulente Pizza stürzten, die wir uns gerade gegönnt hatten. Aus Teig, Käse und Tomaten wurde Vortrieb, aus Trinkwasser wurden feuchte T-Shirts und aus Mensch und Tier keuchende Wesen mit hochroten Köpfen bzw. heraushängenden Zungen. Gomolf und Diu meisterten die Anstrengungen in der Hitze souverän, obwohl keiner ihrer Artgenossen je auf die Idee kommen würde, sich zu dieser Tageszeit überhaupt zu bewegen. Aber das war ja bei den Menschen genau so.

Jedenfalls behalten wir unsere Hunde gut im Auge: Sobald sie sich zurückfallen lassen oder andere Anzeichen von Erschöpfung zeigen, dürfen sie in die Anhänger.

Wir hatten eine Weile mit dem Gedanken gespielt, wegen der Regenzeit die letzten Kilometer nach Sihanoukville mit dem Bus zu fahren. Schliesslich erwarteten uns hohe Luftfeuchtigkeit, grosse Hitze und gleichzeitig das Risiko von langen, heftigen Regenschauern. Doch der Ehrgeiz und der Wunsch, Kambodscha richtig kennenzulernen, liessen uns die Überlegung verwerfen. So kam es, dass wir nach unserem kleinen See nicht lange auf die nächste Erfrischung.

In Unterwäsche gegen den Monsunregen

Wir grinsten uns an und harrten in Unterwäsche den Dingen, die da kommen sollten. Dann ging es richtig los: Der Regen prasselte in dicken Strömen auf uns nieder, nach wenigen Sekunden waren wir pitschnass. Der Wind wurde stärker und wir froren sogar – ein sehr seltenes Gefühl, seitdem wir in den Tropen sind. Wir machten uns ganz klein und kauerten uns neben die Fahrräder, die ein wenig Windschatten boten. Gomolf und Diu schien die Abkühlung nicht sonderlich zu stören, sie jagten sich gegenseitig durch die Pfützen, die sich überall sammelten. Als wir gerade überlegten, ob wir das Duschgel auspacken sollten, hörte der Regen auf – so abrupt, als hätte jemand einen Schalter umgelegt.

Kurze Zeit später konnten wir die Früchte dieser Aktion geniessen: Trocken und auch irgendwie sauber sassen wir auf den Fahrrädern und folgen der kurvigen Strasse gegen Osten. Wir fuhren hier durch die Ausläufer der Kardamomberge, deren höchster Gipfel immerhin 1813 Meter misst und der damit auch der höchste Berg Kambodschas ist. Links und rechts neben der Strasse begann unmittelbar dichter, undurchdringlicher Wald – es ist eines der letzten intakten Regenwaldgebiete Südostasiens. Viele geschützte Arten wie Elefanten, Tiger, Gibbonaffen, Bären und Krokodile sind hier heimisch und bleiben weitestgehend ungestört, denn es gibt nur sehr wenige Menschen.

Auch Pol Pot wusste seinerzeit die Abgeschiedenheit zu schätzen und errichtete hier ein Hauptquartier der Roten Khmer. Heute bietet diese Gegend illegalen Holzfällern und Wilderern eine gute Einnahmequelle, 70 Prozent der kambodschanischen Wälder sind bereits abgeholzt. Es entwickelt sich aber auch langsam etwas Ökotourismus, der sogar uns zugutekommt. In einem etwas grösseren Geschäft in der Nähe einer Unterkunft für Touristen fanden wir ein ganzes Regal mit richtigem Kaffee. Nachdem wir wochenlang nichts anderes bekommen haben als lösliches Kaffeepulver, war das eine sensationelle Entdeckung.

Sonst gab es am Strassenrand nur ganz selten mal ein winziges Geschäft, in dem Getränke, Zigaretten, Benzin in Plastikflaschen, Kekse, Chips und dergleichen verkauft werden. Bei solchen Läden halten wir oft auf eine Dose Limo und eine kurze Pause an. Einmal trafen wir bei einer solchen Gelegenheit auf ein älteres Mütterlein mit seinen beiden Enkeln. Während die Jungs uns eilig Cola und Wasser herbeibrachten, bestreute die Alte ein grünes Blatt mit einem rotbraunen Pulver, wickelte es zusammen und schob sich das Bündel in den Mund – Betelnuss. Das Alkaloid aus der Pflanze soll für einen wachen Geist sorgen, doch die Dame machte eher einen abwesenden, dämmrigen Eindruck. Vielleicht war dies dem regelmässigem Konsum geschuldet, denn den blutroten Zähnen der Frau nach zu urteilen war das Kauen von Betelnuss für sie längst zur täglichen Gewohnheit geworden.

Eine rot-weisse Tonne als Retter vor der Hitze

Kurz darauf kam der nächste Berg und verlangte uns alles ab: Eine Steigung von durchschnittlich 8 Prozent, die sich auch noch unbarmherzig in die Länge zog. «Soll ich das Wasser nicht gleich auf mein Shirt schütten? Dann müsste ich meinen Körper nicht unnötig damit belasten, es herauszuschwitzen», sagte ich bei einer kurzen Trinkpause schnaufend zu Michael. Doch der hatte eine bessere Idee. «Schau mal da», antwortete er und deutete nach vorne. Schon wieder wartete ganz unverhofft eine Erfrischung auf uns, diesmal in einer rot-weiss gestreiften Tonne am Strassenrand. Dort wurde Wasser gesammelt, das direkt aus den Bergen kommt – ganz frisch, klar und kühl. Wir sangen ein Hohelied auf denjenigen, der das Fass aufgestellt hatte und kippten uns das kühle Nass mit Hilfe der Hundeschüssel über den Kopf. Auch Diu liess es sich gerne gefallen, mit Wasser überschüttet zu werden. Der Einzige, dem das trotz grosser Hitze nicht behagte, war Gomolf. Als er sah, was wir tun, flüchtete er schnell ausser Reichweite. Wir hatten ihn schon oft zu seinem Glück gezwungen und gegen seinen Willen nass gespritzt, doch heute war es uns egal. Wer freiwillig auf so eine herrliche Erfrischung verzichtet, ist selbst schuld.

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