Mit dem Velo und Hunden um die Welt, Teil 24

Michael und Sybille Fleischmann sind seit Juni 2010 unterwegs, um per Fahrrad ferne Länder zu bereisen. Ihr Ziel: Einmal um die Welt! Mit dabei: Rhodesian Ridgeback-Rüde Gomolf und Mischlingshündin Diu. Exklusiv für das Schweizer Hunde Magazin berichten sie von ihren Erlebnissen. Heute erreichen sie Kambodscha und damit das fünfzehnte Land auf ihrer Liste, doch die Einreise war nur mit geföhnten Pässen möglich.

Text und Fotos: S. und M. Fleischmann

Ungläubig schielen wir durch das kleine Fenster und beobachten etwas verstohlen, was da drinnen vor sich geht. Immerhin haben die Grenzbeamten unsere Pässe – das Wichtigste, was wir besitzen. Gomolf und Diu warten unweit des Zollhäuschens im Schatt en auf uns und kümmern sich naturgemäss wenig um die Ereignisse dort drin. Da sind die anderen Hunde, die hier überall herumlungern, schon wesentlich interessanter: Manche suchen sofort das Weite, sobald sie Gomolfs imposante Gestalt erblicken, andere beziehen einen Beobachtungsposten in sicherer Entfernung und lassen die Fremden nicht mehr aus den Augen.

Genau wie wir unsere Pässe. «Schau, er hat gefunden, was er gesucht hat», sagt Michael gerade mit Blick auf einen Beamten, der eine Weile in einem grossen Pappkarton gewühlt hat. In dem Karton befi nden sich haufenweise Visa-Anträge. Sie sind wohl einst zu vielen kleinen Stapeln sortiert worden, dann hatt e man sie mitt els Gummibändern zu einzelnen Rollen fi xiert – und anschliessend in wildem Durcheinander in besagtem Pappkarton verstaut. Ich staune nicht schlecht, als ich sehe, was der Mann hinter dem Fenster schliesslich hervorzaubert, nachdem er auf den Grund des Kartons gestossen war: einen kleinen, blauen Haarföhn.

Ein berühmt-berüchtigter Grenzübergang

Dass dies ein denkwürdiger Grenzübertritt werden würde, hatt en wir schon befürchtet – allerdings aus anderen Gründen. Wir hatt en extra bis zu diesem Morgen gewartet, um die Grenze von Klong Yai in Thailand nach Cham Yeam in Kambodscha zu überqueren. Wir wollten fi t und ausgeschlafen sein, denn der Grenzübergang ist unter Reisenden berüchtigt: Die Preisgestaltung bei den Gebühren für das Visum sei sehr fl exibel, hatt en wir gehört.

Ausserdem werde man oft zur Zahlung dieses oder jenes Extrabetrags genötigt, man müsse fadenscheinige und natürlich kostenpfl ichtige Gesundheitsuntersuchungen machen, einen Dollar für den Visum-Antrag hinlegen, dem Beamten ein «Geschenk» machen… die Kreativität kann sich hier völlig frei entfalten. Auch unsere Hunde sind an Grenzen immer ein unbekannter Faktor. Anders als die halbwilden Strassenhunde, die Gomolf und Diu gerade sehr wachsam beobachten, sind unsere beiden an die Gesetze der Menschen gebunden. Und die sehen hoff entlich keine Einfuhrbeschränkungen für Hunde in Kambodscha vor.

Bisher ist der Grenzübertritt eigentlich bestens gelaufen: Den Mann, der die Visa-Anträge für uns ausfüllen wollte, haben wir erfolgreich abgewimmelt: «Nein danke, wir können selbst lesen und schreiben.» Um den Schreibtisch, der vor dem Gebäude unter einem Sonnenschirm nebst einem Schild ‹QUARANTINE› aufgestellt war, haben wir einen grossen Bogen gemacht. Laut Gerüchten wird man dort manchmal zum Fiebermessen genötigt, Kostenpunkt: 5 Dollar. Den Visa-Antrag gab es direkt am Schalter – gratis. Kugelschreiber haben wir wohlweislich selbst dabei.

Sicherheitshalber hat Michael sogar nochmals nachgefragt, wo man auf dem Antrag das Kreuz für ein Geschäft svisum machen müsse – denn das kann man sich hierzulande ohne Umstände für Geld kaufen. «Hier, beim Buchstaben E», hatt e die freundliche Dame geantwortet.

Wir machten das Kreuz beim E, händigten dem Beamten am nächsten Schalter die Dokumente aus, sie klebten das Visum hinein, wir bezahlten. Hat wirklich alles so reibungslos geklappt? Wir hofft en es gerade, doch dann warfen wir einen Kontrollblick in unsere frisch visierten Pässe: «Das ist falsch», murmelte Michael langsam, «das sind Touristenvisa. Wir brauchen ein Geschäftsvisum, denn nur das kann später verlängert werden – und wir wollen ja eine Weile bleiben.» Wir erklärten den Herren hinter dem Fenster ganz freundlich den Fehler.

Etwas widerwillig entschlossen sie sich schliesslich, das Problem mit Hilfe des blauen Haarföhns zu lösen. Was für ein Anfang in Kambodscha!

Letzte Eindrücke aus Thailand im Kopf

Obwohl nur wenige Meter entfernt, scheint Thailand schon jetzt sehr weit weg zu sein. Die letzten Eindrücke von dort geistern uns durch den Kopf und erscheinen unwirklich. Die hügelige, sehr dünn besiedelte Gegend, die wir am Ende durchquerten. Wie ich gestern Abend verzweifelt versucht hatt e, etwas zu Essen aufzutreiben. In unseren Taschen hatt e sich nämlich – abgesehen von Hundefutt er – rein gar nichts Nahrhaftes mehr befunden und wir waren ziemlich hungrig gewesen. So war ich mit dem Fahrrad ein Stück zurück gefahren und in einen kleinen Seitenweg abgebogen, der mich in ein einfaches Fischerdorf führte: Holzhäuser auf hohen Pfählen, ein Wegenetz aus wackeligen, unendlich oft ausgebesserten Stegen, ohne Geländer.

An manchen Stellen musste ich Mut aufb ringen, um sie mit dem Rad zu überwinden – dann hielt ich mir vor Augen, dass die Einheimischen hier mit Mopeds unterwegs sind.

Eigentlich war es in Thailand nie ein Problem gewesen, Essen aufzutreiben – doch hier in diesem Fischerdorf hatt e ich sehr schlechte Karten. Kurz vor dem Ende eines Steges fand ich immerhin einen winzigen Laden.

Das Warenangebot war auf der Terrasse und im halben Wohnzimmer eines Wohnhauses aufgebaut. Ich suchte zwischen Instant-Nudelsuppen, die wir verabscheuten, Keksen, die erfahrungsgemäss wie Sand schmeckten, und Konservendosen mit undefi nierbarem Inhalt, bis ich endlich etwas halbwegs Brauchbares gefunden hatt e: zwei Päckchen Reisnudeln und ein paar Eier. Das ergibt zumindest eine Notmahlzeit.

Später am Abend sah man uns lustlos in einem Brei aus Ei und glitschigen Nudeln stochern. Wir assen beide nur ein paar Löffel, die den Hunger stillten, bevor wir die Schüsseln kommentarlos den Hunden hinschoben. Diu probierte ähnlich wie wir nur wenige Bissen, Gomolf putzte dagegen alles bis auf die letzte Nudel weg. Wenigstens einer freute sich.

Salzige Erfrischung aus der Plastikflasche

Bis wir am darauffolgenden Tag wieder fahrbereit waren, war die Temperatur in die Nähe der 40-Grad-Marke gerückt – und das um acht Uhr morgens. Wir hatten unser Lager neben einem Abbruchhaus direkt an der felsigen Küste aufgeschlagen. Die See war aufgewühlt und das Wasser stürzte in hohen Wellen auf die Steine, so dass an Schwimmen nicht zu denken war. Wir sehnten uns aber nach einer Abkühlung, so kletterte Michael an eine zugängliche Stelle und füllte unsere 5-Liter-Plastikflasche mit Meerwasser. Es reichte, um uns beide schnell abzuduschen und auch Gomolf und Diu einen kräftigen Schwall zu verpassen.

Sie liessen es sich bereitwillig gefallen. So leidlich erfrischt und mit völlig leeren Mägen quälten wir uns dann über die letzten Höhenmeter bis zur Grenze. Es kostete uns viel Schweiss, Mühe und die letzten Trinkwasserreserven. Erst am allerletzten, südöstlichen Zipfel von Thailand fanden wir endlich ein Restaurant.

Angenehm gesättigt und mit frisch gefüllten Wasserflaschen rollten wir dann die wenigen Meter bis zur Grenze. Es ist ein bezeichnender Punkt der Reise, denn mit Kambodscha erreichen wir ein grosses Etappenziel. Wir planen, dort eine Weile zu bleiben.

Über ein Jahr sitzen wir bereits im Sattel und haben uns langsam gen Osten vorgekämpft. Nun sind wir schon an der Grenze zu Kambodscha und unser Zielland wartet nur darauf, von uns beradelt zu werden. Doch vorher muss der Zollbeamte die falschen Visa aus unseren Pässen herausföhnen.

Die beiden Herren zeigen grosses Geschick bei ihrem Tun. Mit Hilfe der heissen Luft aus dem Haarföhn lösen sie ganz langsam und vorsichtig die falschen Visum-Aufkleber aus unseren Reisepässen. Wir schwitzen Blut und Wasser um die wertvollen Pässe – was, wenn plötzlich eine Seite reisst? Wenigstens scheinen die Zöllner schon einige Routine mit dem Haarföhn zu haben, denn es ist ihnen anscheinend nicht erlaubt, das Visum einfach zu überkleben oder ungültig zu stempeln. «Die Visa haben fortlaufende Nummern und müssen wahrscheinlich alle registriert werden», vermutet Michael.

Nach einer gefühlten Ewigkeit händigt uns der Beamte dann endlich triumphierend unsere beiden Pässe aus. Auf den malträtierten Seiten prangen tatsächlich zwei Geschäftsvisa – gültig ab sofort und ohne Extragebühren. Keiner fragt nach weiteren Dokumenten – etwa für irgendwelche Hunde.

Endlich eingereist!

Wir haben es auf einmal ziemlich eilig, fortzukommen. Mit unseren frisch geföhnten Pässen in der Tasche schwingen wir uns auf die Räder und machen uns schnell davon. Gomolf und Diu springen auf, sobald wir im Sattel sitzen. Unter den Blicken von sämtlichen Grenzhunden markieren sie noch schnell ein paar markante Stellen: Gomolf gekonnt männlich mit hoch erhobenem Bein und Diu als kastriertes Weibchen in gemischt-geschlechtlicher Weise: Ein Hinterbeinchen halb erhoben und gleichzeitig leicht gekrümmt, um das Gesäss zu senken. «Jetzt reicht das Revier der beiden schon von Deutschland bis Kambodscha», bemerkt Michael fröhlich.

Während unsere treuen Reisebegleiter munter neben uns her traben, versuchen wir, ein paar Unterschiede zwischen Thailand und Kambodscha auszumachen. «Es wirkt alles ein bisschen ärmer, verlotterter und einfacher», beginne ich. – «Ja, die Häuser sind simpler gebaut und kaputter. Und die Leute sind etwas dunkler », bemerkt mein Mann. – «Ihre Sprache klingt etwas derber, nicht so wie der leichte Singsang der Thais.» – «Tja, und eine schlechte Nachricht für uns …», Michael weicht einem grossen Schlagloch aus, «… die Strassen sind um einiges schlechter!» Apropos: Wir fahren seit der Grenze wieder auf der rechten Strassenseite und nicht mehr links wie in Thailand. Von dem direkten Wechsel war diesmal allerdings nichts zu sehen, denn durchs Niemandsland führt nur eine ungeteerte, matschige Piste ohne entsprechende Markierungen.

Unseren Hunden gelingt der Wechsel zurück nach rechts erstaunlich gut. Sie konnten sich in Thailand ohnehin nie richtig daran gewöhnen, links zu laufen. Jetzt in Kambodscha fallen sie sofort zurück in die alte Rechtsroutine, als wären sie erleichtert, endlich wieder auf der richtigen Seite unterwegs zu sein. Auch sonst können wir uns nicht über die Tiere beklagen, im Gegenteil: Sie gehorchen beide aufs Wort – jedenfalls fast immer – und sind als Radreise-Hunde absolute Profis geworden. Zum Ein- und Aussteigen in die Anhänger genügt bei Gomolf ein kurzes Kommando, nur Diu braucht manchmal länger. Wo ihr Platz im Zelt ist, wissen die Hunde längst und auch sonst ist ziemlich klar, was sie tun und lassen dürfen: Restaurants und Geschäfte werden gar nicht oder nach uns betreten, Strassen nur mit Erlaubnis überquert, Kälber, Ziegen, Hühner oder anderes Geflügel wird nicht gejagt… Auch wenn wir täglich woanders sind, bleiben die Regeln immer gleich. Und wir können uns darauf verlassen, dass sie eingehalten werden… – oder?

Die Marotten unserer Lieben

Nun gut, die Hunde versuchen schon ständig, diese Regeln aufzuweichen. So haben sie beispielsweise eine ganz besondere Vorliebe für Restaurants im Allgemeinen und deren Küchen im Besonderen. «Gomolf, Diu, hiiiiinten», müssen wir stets ausdrücklich befehlen, sobald wir irgendwo zum Essen einkehren wollen. Wenn wir aufmerksam und streng sind, klappt das wunderbar und unsere Hunde bleiben mustergültig einen Schritt hinter uns. Sind wir aber nur ein bisschen nachlässig oder stehen unschlüssig herum, kann von Musterhunden keine Rede sein. Dann stürmen sie aufs Geratewohl ins nächstgelegene Restaurant hinein und steuern sofort auf die Küche zu – die sie dank ihrer guten Nasen auch immer auf Anhieb finden.

Noch ehe wir etwas dagegen tun können, wird ein solcher Auftritt in der Regel von spitzen Schreien aus der Küche quittiert. Spätestens jetzt ist uns die Aufmerksamkeit sämtlicher anderen Gäste und des kompletten Personals sicher. Da hilft nur, die Nerven zu behalten und die Hunde ganz freundlich zurückzubitten: «Gomolf, Diu, sofort hierher … grrrrrrrr … und jetzt hinlegen und keinen Mucks mehr!» Als wären wir nicht sowieso schon ständig im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit – nein, die Hunde müssen dafür sorgen, dass uns auch wirklich jeder bemerkt und für äusserst interessant befindet. Wenn ich es recht bedenke, ist es eigentlich ziemlich erstaunlich, dass wir noch nie aus einem Restaurant geworfen wurden.

Und ansonsten? Ist die Erziehung unserer Hunde wirklich so gut, dass sie ein Hohelied verdient hat? Stellen wir wirklich Regeln auf, die dann von den Hunden befolgt werden? Oder täusche ich mich und es sind eigentlich alles nur Kompromisse, die wir uns mühsam erkämpft haben und dennoch ständig neu aushandeln müssen? Wie dem auch sei, das Wichtigste ist, dass wir als Team funktionieren – und das ist definitiv der Fall. Gut so, denn das Drittweltland Kambodscha wird uns einiges abverlangen.

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