Mit dem Velo und Hunden um die Welt, Teil 17

Michael und Sybille Fleischmann sind seit Juni 2010 unterwegs, um per Fahrrad ferne Länder zu bereisen. Ihr Ziel: Einmal um die Welt! Mit dabei: Rhodesian Ridgeback Rüde Gomolf und Mischlingshündin Diu. Exklusiv für das Schweizer Hunde Magazin berichten die Weltenbummler von ihren Erlebnissen. In Laos feiert Michael Geburtstag, doch so ganz nach Wunsch verläuft es nicht.

Text: S. und M. Fleischmann

«Happy birthday tooo yooouuuu…, happy birthday tooo yooouuuu…!»

Michaels Gesicht hellt sich auf, als ich ihm den improvisierten Geburtstagskuchen unter die Nase halte und mein Ständchen singe. «Danke», sagt er lächelnd und gibt mir einen Kuss. Dann teilen wir uns das trockene Gebäck – mit viel Kaffee geht es einigermassen runter. Aussehen tut der Kuchen zwar toll, doch lecker ist was anderes. Meisterhafte Kuchenbäcker sind die Laoten leider nicht gerade. Ich weiss das und Michael weiss es, doch keiner von uns erwähnt es jetzt. Das würde nur auf die Stimmung drücken und heute ist schliesslich sein Geburtstag!

Es war sowieso nicht gerade alles nach Wunsch verlaufen. Wenn es nach Michael gegangen wäre, wären wir im bequemen Bett einer Pension aufgewacht – und nicht auf unseren Schlafmatten im Zelt. Er hatte sich sehr gewünscht, dass wir noch rechtzeitig die nächste Stadt erreichen und dort endlich mal wieder in einem richtigen Bett schlafen können. Doch die letzten 30 Kilometer bis zum Ziel hatten wir gestern einfach nicht mehr geschafft.

Wenigstens ein Platz Wasser

Unser Zelt stand heute Nacht auf einem kleinen Feldweg unweit eines Baches. Wenigstens ein guter Aspekt: Wir haben eine Wasserquelle! Dies erhöht den Komfort ungemein, denn so können wir uns waschen und das Geschirr spülen, ohne Wasser sparen zu müssen. Normalerweise müssen wir beide dafür mit weniger als einem Liter auskommen – heute dagegen können wir uns immer wieder etwas von dem herrlichen Nass ins Gesicht spritzen, geradezu verschwenderisch kommt uns das vor! Eine gute Gelegenheit, um Energie für den Tag zu sammeln, denn die werden wir brauchen!

Laos ist das einzige Binnenland Südostasiens und fast komplett mit Gebirgen bedeckt. Der höchste Gipfel ist zwar «nur» 2819 Meter hoch, doch um Fahrradfahrer zur Verzweiflung zu bringen, genügt das leicht. Obwohl Laos fast sechsmal so gross ist wie die Schweiz, leben hier nur gut sechs Millionen Einwohner, und die sind sehr ungleichmässig über das Land verteilt. Die bergigen Regionen im Norden, also da, wo wir gerade durchfahren, sind extrem dünn besiedelt. Dies bekommen wir heftig zu spüren: Seit wir im Land sind, haben wir nur ein paar winzige Dörfer durchquert, von grösseren Ansiedlungen fehlt jede Spur. Natürlich ist das auch irgendwie reizvoll, doch spätestens wenn die Mägen zu knurren beginnen, hat sich das mit dem Reiz erledigt.

«Gibt es denn in diesem … Laos … nirgendwo etwas Gescheites zu essen?!», hatte Michael gestern geschimpft, als wir in einem kleinen Dorf beinahe verzweifelten. Es war schon frustrierend: Wir brauchten all unsere Kräfte, um uns über Berg und Tal zu quälen, erreichten endlich völlig abgekämpft eine kleine Ansiedlung, guckten uns mit schwächlich zitternden Beinen und leeren, ausdruckslosen Gesichtern um – und fanden einfach nichts! Kein Geschäft, kein Restaurant, keine Garküche, kein Markt. Schliesslich nahmen wir unverrichteter Dinge am Boden Platz und wühlten in unseren Fahrradtaschen nach etwas Essbarem. Ich brachte ein seltsames Knollengemüse zum Vorschein, das wir kürzlich irgendwo gekauft hatten, dazu noch zwei Tomaten und eine halbe Packung Kekse.

Völlig erschöpft

Viel zu erschöpft für negative Emotionen schnitt ich ein paar Scheiben von der Knolle ab und streckte auch Michael welche hin. Doch der hasste mich gerade. Er hasste dieses Gemüse, er hasste dieses Land, er hasste sein Fahrrad aus ganzem Herzen – und er hasste natürlich uns beide, dafür dass wir diese hirnrissige Idee einer Radreise gehabt hatten. Mein Mann war richtig am Ende und konnte nicht mehr. Gomolf stupste ihn kurz an und legte sich dann zu seinen Füssen – auch er war erschöpft. «Na mein Grosser?», sagte Michael und strich über dessen kurzes braunes Fell. Gomolf seufzte tief, was seinem Herrchen immerhin ein kleines Lächeln entlockte.

Obwohl die Hunde diesen Trip alles andere als einfacher machten, war es immer wieder schön, sie dabei zu haben. Wir teilten Freude und Leid mit ihnen und alles Übrige auch. Egal ob Wasser, Nahrung oder das Zelt – es musste immer für alle vier reichen Unsere Grundbedürfnisse waren dieselben und sie wollten alle erfüllt werden. Doch dies war mitunter alles andere als einfach.

Natürlich hatten gebirgige Länder einen gewissen Reiz für uns. Doch – und dieser Eindruck war mindestens genauso prägend – sie brachten uns auch manchmal an den Rand der Verzweiflung. Oft mehrmals täglich. So wie bei diesem ewigen, schier endlosen Anstieg neulich.

Gemütliche Vormittage mit Folgen

Zugegeben, eines unserer Probleme ist hausgemacht oder zumindest vermeidbar: Wir lieben es, den Tag entspannt zu beginnen. Nach dem Aufwachen gönnen wir uns stets eine gemütliche Zeit, die wir mit Kaffee und Gesprächen verbringen. Erst wenn die Lebensgeister nach und nach aktiviert sind, wird das Lager abgebaut und gestartet. Meist ist es dann aber schon Mittag und damit die heisseste Phase des Tages. Kein vernünftiger Einheimischer würde auf die Idee kommen, sich jetzt in der Sonne aufzuhalten oder gar anzustrengen. Und wir? Wir beginnen jetzt damit, uns die Berge hochzukämpfen.

Mittagshitze in Laos heisst: Bis zu vierzig Grad, wenig Schatten und so gut wie kein Wind. Sobald es bergauf geht, steigen Gomolf und Diu aus und trotten fortan mit hängenden Zungen neben uns her. Auch ihnen macht die Hitze zu schaffen, all ihre Artgenossen dösen um diese Tageszeit irgendwo im Schatten. Beim Bergauffahren war es wichtig, einen passenden Rhythmus zu finden. Doch leider werden wir immer wieder unterbrochen: «Gomolf, Diu. reeeeeechts!», zische ich unseren Hunden zu und verschwende dabei so wenig Puste wie möglich. Der Verkehr ist zum Glück nicht schlimm, dennoch wäre es uns lieb, wenn die Hunde immer schön am rechten Strassenrand liefen. Das tun sie auch, so lange rechts Schatten ist. Sobald aber der schattige Teil auf die linke Strassenseite wandert, rennen sie natürlich zielstrebig dorthin. Völlig logisch eigentlich.

Nach ein paar Tagen in Laos mussten wir kapitulieren und einsehen, wie sinnlos es ist, unsere Kraft für den Versuch zu verschwenden, die Hunde davon abzuhalten. Also liessen wir sie eben gewähren … und wechselten später sogar selbst manchmal auf die Schattenseite, auch wenn sie nun mal links war! Ab und zu kann man von seinen Hunden auch etwas lernen.

Eineinhalb Tage lang bergauf!

Der letzte Anstieg hatte ganze eineinhalb Tage gedauert. Die Strasse schlängelte sich in Serpentinen die Berge hinauf, am Hang entlang zum nächsten Berg und von dort aus noch ein Stück höher. So schwierig diese Strecke für uns war, so schön war sie gleichzeitig. Hinter jeder Kurve wartete ein neuer, traumhafter Ausblick. Die Sicht ist einmalig: Mit dichtem Dschungel bedeckte Berghänge bis zum Horizont, ein Flüsschen im Tal, mühsam angelegte Reisterrassen hier und dort. «Zum Weinen schön!», kommt mir manchmal in den Sinn, wenn mein Blick über diese herrliche Naturkulisse schweift. Und dann waren da noch die laotischen Bergdörfer, wo man uns derart herzerfrischend begrüsste, dass die Mühen des Anstieges für einen Moment wie weggeblasen waren.

«Sabai Diiiiiiiieh!», ruft es aus allen Richtungen, wenn wir eine solche Ansiedlung erreichen. Links und rechts der Strasse sind einfache Hütten aus Holz, Stroh und Lehm. Überall rennen Kinder hervor, um einen Blick auf uns zu erhaschen. Dann wird lauthals gegrüsst und kräftig gewinkt, selbst die kleinsten unter ihnen üben sich schon im Winken, vom Arm der Mutter aus. Grössere Kinder postieren sich in Reih und Glied am Strassenrand und strecken uns die Arme zum «Gib-mir-fünf-Gruss» entgegen. Wir klatschen alle Hände ab, winken Müttern und Babys zu, manchmal reicht die Puste auch für ein «Sabai Diiiiieh!» als Antwort. Lächeln müssen wir bei diesen netten Begegnungen automatisch.

Wir bringen Abwechslung

Natürlich schinden auch unsere Hunde schwer Eindruck, besonders Gomolf. Die Leute lassen ihn nie aus den Augen und betrachten ihn ehrfürchtig und fasziniert zugleich. Hunde in dieser Grössenordnung gibt es hier nicht, unsere Diu dagegen verkörpert die typische Art eines einheimischen Hundes. Sie stammt von einem indischen Strand, ist also genau wie die meisten Hunde in Asien von der Sorte «äusserst resistenter Strassenhund-Mischling» – offiziell übrigens Pariah-Hund genannt. Zwar ist sie wesentlich besser genährt und gepflegt als ihre einheimischen Verwandten, trotzdem ist sie – im Vergleich zu Gomolf – denkbar unauffällig, was uns eigentlich ganz recht ist. Schliesslich erregen wir mit unserem Wanderzirkus schon mehr als genug Aufmerksamkeit.

Während so eines langen Anstiegs beginnen die Gedanken zu kreisen: um einen Schluck Wasser oder gar ein kühles Bier, um eine Dusche, um die Freuden der hoffentlich baldigen Abfahrt, um Fahrtwind, um die nächste Mahlzeit. Für Gespräche miteinander genügt die Puste nicht. Manchmal gelingt es mir, abzuschalten, an etwas ganz anderes zu denken. Dann bin ich nur noch eine Maschine, die stur auf die Pedale tritt, schwitzend, schnaufend, aber mit dem Kopf ganz weit weg. Das hilft ungemein, ich kann die Landschaft geniessen und beinahe vergessen, wie sehr ich mich gerade quäle. Selten höre ich Musik beim Fahrradfahren, es kann aber hilfreich sein. Michael hört beim bergauf Fahren mit Vorliebe harte, laute Rockmusik mit vielen Schimpfwörtern im Text. «Das feuert mich an, der muss mich richtig anschreien und beleidigen, dann kann ich reintreten!», erklärte er mir einmal lachend. «Wahrscheinlich liegt das daran, dass du vier Jahre lang Soldat warst», hatte ich grinsend zurückgegeben.

Mitfahrgelegenheit mal anders

Ab und zu schafften wir es, uns kurz an einem langsam fahrenden LKW festzuhalten und ein Stück ziehen zu lassen. Während dieses Anstiegs hatten wir besonders viel Glück und konnten sogar die Hunde rechtzeitig in ihre Anhänger verfrachten. Jetzt galt es, die «Zugmaschine» so lange wie möglich zu nutzen! Doch das ganze Gewicht des Fahrrades samt Gepäck, Anhänger und Hund hängt an einem Arm. Je steiler es wird, desto länger wird der. Bald beginnt er zu schmerzen, auch in Schulter und Rücken verkrampfen sich die Muskeln unangenehm, selbst die Beine werden durch die ständige Anspannung zittrig. Steigungen bis zu zehn Prozent sind keine Seltenheit und der absolute Härtetest. «Ich kann bald nicht mehr!», schrie ich Michael über den Lärm des Motors hinweg zu. – «Nur noch bis da vorne!», rief er zurück, «halt durch!» Ich schaffte es tatsächlich noch bis zur nächsten Kurve, doch dann glitt das Metall der LKW-Ladefläche langsam aus meinen Fingern. Auch Michael liess los und wir winkten dem Fahrer dankbar zu, als wir langsam zurückfielen.

Nach einer solchen Aktion sind wir total zittrig und etwa genauso erschöpft wie nach langem bergauf Radeln – doch wir haben ein breites Grinsen im Gesicht, schliesslich haben wir uns viel Mühe ersparen können!

Mühsame Nahrungssuche für Hund und Mensch

Im Laufe des Tages wird das Loch im Bauch stetig grösser, dann beginnt die schwierige Planung für das Abendessen. In den kleinen Dörfern, die wir passieren, gibt es kaum Gelegenheiten dafür. In China gab es an jeder Ecke Restaurants, hier gibt es maximal einen kleinen Shop, der Zigaretten, Bier und Kekse führt. Wenn wir ein Restaurant finden, so gibt es dort Nudelsuppe. Mal mit Huhn, mal mit Gemüse, mal scharf, mal eher geschmacklos. Mit etwas Glück bekommen wir ein gekochtes Ei dazu. Satt macht das schon, für maximal eine Stunde. Und es wird schnell langweilig. So statten wir uns mit allen Zutaten aus, die wir unterwegs finden – was nicht unbedingt viele sind –, und kochen abends noch etwas auf unserem Campingkocher: Reisnudeln mit Ei und Gemüse zum Beispiel, Bratkartoffeln und Salat oder Omelett mit Tomaten… Der Hunger fördert die Kreativität auch unter erschwerten Bedingungen. Nicht selten müssen wir auch für Gomolf und Diu etwas kochen. Hundefutter ist in dieser Gegend ein Fremdwort oder allenfalls gleichbedeutend mit Essensresten. Doch unsere tapferen Begleiter waren nach den langen Bergmärschen genauso hungrig wie wir und brauchten etwas mit Substanz! Die Laoten staunten nicht schlecht, wenn wir zwei weitere Nudelsuppen bestellten, in die Hundeschüsseln kippten und unseren Tieren servierten, und doch wurden auch sie von dem mageren Mahl nie lange satt. So kochen wir abends oft noch etwas für sie. Wenn sie Pech haben, gibt es nur etwas Reis mit Eiern, an glücklichen Tagen ist ein dicker Hühnchenschenkel dabei.

An solchen Abenden sind wir in der Regel völlig am Ende – alle vier. Das Zelt aufzustellen hat die letzten Kräfte gekostet. Auch ich sehne mich langsam aber sicher sehr nach einem richtigen Bett und einer schönen Dusche, hoffentlich ist uns das bald vergönnt! Wenigstens würde es morgen höchstwahrscheinlich bergab gehen … ein herrlicher Gedanke beim Einschlafen!

Mehr Infos unter: www.cycle-for-a-better-world.org

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