Mit dem Velo und Hunden um die Welt, Teil 14

Michael und Sybille Fleischmann sind seit Juni 2010 unterwegs, um per Fahrrad ferne Länder zu bereisen. Ihr Ziel: Einmal um die Welt! Mit dabei: Rhodesian Ridgeback Rüde Gomolf und Mischlingshündin Diu. Exklusiv für das Schweizer Hundemagazin berichten die Weltenbummler von ihren Erlebnissen. Heute bewältigen sie das letzte Stück nach Südchina, wo es endlich wieder warm ist. Doch andere Bedürfnisse kann man im Reich der Mitte nur sehr schwer befriedigen.

Text und Fotos: S. und M. Fleischmann

«Ich hab‘ eine Idee! Wir gucken im Internet nach, ob es hier einen gibt!», schlägt mein Mann mit leuchtenden Augen vor. – «Ja, natürlich! Dass wir da nicht früher drauf gekommen sind!», antworte ich begeistert.

Aufgeregt starten wir unser Laptop und beginnen mit der Suche. «Wie heisst diese Stadt nochmal?» – «Dong Chong oder so ähnlich. Such’ mal auf der Landkarte.» – «Jaaa!», rufe ich angespannt. «Hier ist es! Und da ist tatsächlich einer eingezeichnet!»

Jetzt gibt es kein Halten mehr. «Wir müssen unser Hotel auf der Karte finden!», sagt Michael nervös. Ich renne hinunter zur Rezeption und hole eine Visitenkarte. Der Gedanke an die Erfüllung unserer geheimsten Wünsche verleiht mir Flügel, so lasse ich den Aufzug links liegen und renne die fünf Stockwerke auf der Treppe hinunter – und auch wieder hoch. Gomolf und Diu heben nur müde den Kopf, als ich wieder ins Zimmer komme; nach einem ganzen Tag Autofahrt sind sie beide ziemlich geschafft.

Die nächste Stunde verbringen wir damit, chinesische Schriftzeichen zu vergleichen, um die Adresse herauszufinden. Das kann ja eigentlich nicht so schwer sein, müsste man meinen, schliesslich gibt es von diesen Zeichen gerade mal ein paar tausend, ausserdem sieht es auf der Karte gar nicht weit aus, es sollte doch kein Problem …

Chinesische Schriftzeichen entziffern – aussichtslos

«Vergiss es, das finden wir nie», sagt mein Mann schliesslich. Meine Enttäuschung hätte nicht grösser sein können, doch da zeichnet er einen neuen Hoffnungsschimmer an meinen Horizont: «Fragen wir doch einfach morgen Früh unseren Fahrer, der soll uns dahin bringen.»

Gesagt – getan. Unser chinesischer Fahrer sprach zwar kaum ein Wort Englisch, doch wir waren zu allem entschlossen – und mittlerweile auch sehr hungrig. Immer wieder nannten wir ihm unser Wunschziel. Er begriff nicht, also fügten wir ‹hungry!› und ‹Amerika› als Erklärung hinzu. Als auch das nichts half, zeigten wir ihm ein Logo des wundervollen Etablissements, das wir so gerne aufsuchen wollten: ein goldenes M auf rotem Hintergrund. Da erhellten sich seine Gesichtszüge: «Aaahhh, Medall! Okaaayyy!», rief er aus, nickte und bat uns ins Auto.

Da sassen wir mit knurrenden Mägen auf der Rückbank und warfen uns hoffnungsvolle Blicke zu. Da erschienen wieder köstlich-saftige Cheeseburger vor unserem geistigen Auge und liessen uns das Wasser im Mund zusammenlaufen. Da beobachteten wir unseren Fahrer, wie er sämtliche Passanten nach «Medall?» fragte – und da verschwand unsere Vorfreude wieder ganz langsam, als die Leute entweder den Kopf schüttelten oder mit den Schultern zuckten.

Ja, wir geben es zu: Wir hätten an diesem Tag alles für einen Cheeseburger getan. Oder zwei. Und noch einen zum Mitnehmen. Bitte halten Sie uns nicht für Banausen, dass wir hier herfahren und dann amerikanisches Fastfood essen wollen. Aber wir haben bisher wirklich NUR einheimisches Essen gehabt und so waren unsere Gelüste nach etwas Vertrautem mittlerweile sehr gross. Dabei war das chinesische Essen gar nicht so schlecht – es schmeckte nur oft sehr ungewöhnlich und ist vor allem sehr schwierig zu bestellen. Und zu finden. Obwohl es auch immer wieder ein Erlebnis ist.

Nahrungssuche in China

Meist ist es schon dunkel, wenn wir auf Nahrungssuche gehen. Wir laufen nach einem langen, anstrengenden Tag mit leeren Bäuchen durch die Strassen einer mittelgrossen chinesischen Stadt (also etwa 3 Millionen Einwohner). Gomolf und Diu dürfen mit, sie haben auch noch Hunger. Da wir absolut nichts lesen können, müssen wir Restaurants anhand von Tischen und Stühlen identifizieren. Ist das geschafft, folgt der schwierige Teil: die Bestellung. Es gibt keine für uns lesbaren Speisekarten. Wir knobeln immer, wer den üblichen Tanz machen muss. Mangels irgendwelcher gemeinsamer Sprachkenntnisse müssen wir mit den Armen wackeln, grunzen und muhen, um verschiedene Fleischsorten zu identifizieren. Das Personal reagiert manchmal verstört, doch meist haben wir Glück: Sie stimmen mit ein, gackern verschämt, deuten hier- und dorthin und so ist das Menü bald zusammengestellt: zartes Hühnchen mit Erbsen, Kartoffeln in süsssaurer Sauce, dazu noch ein anderes undefinierbares, aber leckeres Gemüse – und natürlich viel Reis.
So viel Glück haben wir aber nicht immer.

An anderen Tagen landet sehnig-knorpeliges Fleisch mit Unmengen merkwürdiger Gewürze auf unserem Teller. Diverse Male wussten wir gar nicht, welchen Teil eines Tieres wir da assen, geschweige denn, welches Tier überhaupt. Vielleicht war es besser, es gar nicht erst zu wissen, dachten wir oft, und wie recht wir damit hatten, fanden wir erst später heraus. Nach mehreren Wochen in China fiel uns irgendwann das erste Mal eine englische Speisekarte in die Hände. Gebratenen Frosch gab es da, sämtliche Organe und Innereien von diversen Tieren, als besondere Delikatessen Schweinehirn und -augen. An dem Abend, als wir das lasen, assen wir vegetarisch.

Gut, dass unsere beiden Hunde da nicht so wählerisch waren. In vielen Restaurants und Garküchen bekamen sie eine Portion Fleischreste mit Reis serviert, denn in chinesischen Restaurants werden meist Unmengen an Essen bestellt – und mehr als die Hälfte übrig gelassen. Gomolf und Diu liessen stets blank geleckte Schüsseln zurück und machten nicht den Eindruck, als ob sie heimisches Essen vermissen würden.

Die Sehnsucht nach vertrautem Essen

Aber wir! Als wir an diesem Tag in dem weissen Minibus sassen, wünschten wir uns nichts sehnlicher als einen einfachen Cheeseburger. Unser Fahrer versuchte wirklich, den ‹Medall› zu finden – doch vergeblich. Nach einer Weile gab er schliesslich auf und überreichte uns als Trost zwei Stangen Zuckerrohr, die wir mit langen Gesichtern entgegennahmen. Wir wussten gar nicht, dass man das in dieser Form essen kann – kann man auch nicht. Man muss ein Stück abbeissen und darauf herumkauen, um den süsslichen Saft herauszupressen. Dann bleibt ein Knäuel trockener Fasern im Mund zurück, der ausgespuckt wird. Irgendwie war das nicht so ganz das, was wir uns vorgestellt hatten.

Nach vielen Tagen auf der Strasse erreichten wir schliesslich die Yunnan-Provinz. Von hier aus ist die Grenze nach Laos nur noch knapp 1000 Kilometer entfernt – für chinesische Verhältnisse ein Katzensprung. Heute war ein besonderer Tag: Es wurde warm genug, dass wir eine Weile in T-Shirts herumlaufen konnten. Was für eine Freude! Monatelang waren wir in der Kälte gewesen und hatten frieren müssen, während wir ständig davon träumten, in tropische Gefilde zu kommen. Und jetzt war es endlich soweit! Die Landschaft wurde merklich grüner und hügeliger, die Temperaturen stiegen ständig an. Der Blick aus dem Autofenster machte richtig Laune: Felder in allen Grüntönen, Berghänge mit Reisterrassen, Bäume, Büsche und Palmen. Schon bald würden wir wieder auf unseren Fahrrädern sitzen. Die Vorfreude wuchs.

Unerwartete Schwierigkeiten

Zunächst durchquerten wir aber die Hauptstadt von Yunnan: Kunming. Eigentlich wollten wir hier übernachten, doch China belehrte uns mal wieder eines Besseren.

«You!», rief unser Fahrer und winkte Michael zu sich. – «Er hat wohl ein Hotel gefunden», vermutete mein Mann und ging mit zur Rezeption. Doch weit gefehlt. Nach zehn Minuten verlassen die beiden das Hotel wieder mit finsterem Gesichtsausdruck. «Du wirst es nicht glauben», sagt Michael, «wir dürfen dort nicht übernachten. Und weisst du warum?» – «Wegen der Hunde?», antworte ich aufs Geratewohl. – «Nein, weil wir Ausländer sind!»
Tatsächlich muss man zum Einchecken unbedingt einen chinesischen Führerschein vorzeigen. Der hat eine Nummer, die an der Rezeption registriert wird. Der Portier weigerte sich strikt, Gäste ohne dieses Dokument aufzunehmen. Unser Fahrer zeigte sogar seinen Führerschein und beteuerte, die Verantwortung für uns zu übernehmen – ohnehin seien wir rechtschaffene Deutsche –, doch es half nichts.

Wir wunderten uns nur kurz, doch als es in den nächsten drei Hotels genau dasselbe war, verloren wir doch allmählich die Fassung. «Touristen können kein Hotel in Kunming bekommen? Das gibt es doch nicht!», ärgerte sich Michael. Es war uns absolut unverständlich, zumal wir wussten, dass viele Besucher aus aller Welt hierher reisten. Gerade wollten sich Ratlosigkeit und Enttäuschung breit machen, da erregte etwas anderes plötzlich unsere Aufmerksamkeit. «Schau mal!», sagte Michael mit glänzenden Augen und deutete aus dem Fenster. Und da war es: ein leuchtendes goldenes M. «Medall!», sagten wir freudig zu unserem Fahrer. Er suchte bereitwillig einen Parkplatz, und dann gab es für uns kein Halten mehr.

Eine ausreichende Anzahl Burger und Pommes später gingen wir satt und zufrieden zurück. Gomolf und Diu hatten geduldig im Minibus gewartet, diesmal fiel leider gar nichts für sie ab. Unser Fahrer Achmed schlug vor, aus der Stadt zu fahren und woanders ein Hotel zu finden. Uns blieb wohl nichts anderes übrig und so stimmten wir zu.

«Schade, dass wir nicht länger in Kunming bleiben können», bemerkte Michael, als wir das Zentrum verliessen. – «Ja, mir ist die Stadt auch sympathisch», antwortete ich. Gerne hätten wir noch eine Weile frühlingshafte Grossstadtluft geschnuppert, zumal sich Kunming seit einer Weile mit drastischen, aber wirkungsvollen Massnahmen von der üblichen Smogwolke befreit hat: Im Stadtkern sind benzinbetriebene Motorräder untersagt worden, als Folge davon sind viele Menschen mit Elektromopeds unterwegs. Die sind leise und stinken nicht, sehr angenehm und für eine asiatischen Stadt recht ungewöhnlich.
Massnahmen wie diese lassen sich wohl in China leichter durchsetzen als bei uns. Es ist ja doch eine grosse Einschränkung für die Leute, wenn sie plötzlich nicht mehr mit ihren gewohnten Motorrädern fahren dürfen. Doch die Menschen hier sind es wohl gewohnt, solche Entscheidungen ‹von oben› stillschweigend zu akzeptieren. Ich stelle mir die Frage, ob China aus diesen Gründen theoretisch viel flexibler für Veränderungen ist.

Endlich am Ziel der Autofahrt

Ein paar Tage später erreichten wir schliesslich das Ziel unserer schier endlosen Autofahrt: die Stadt Jing Hong. Von hier aus ist es nicht mehr so weit bis nach Laos, eine Strecke, die wir selbst radeln wollten. Unser Fahrer Achmed suchte ein letztes Mal ein Hotel für uns in dem auch Hunde erlaubt sind, wir schleppten alles Gepäck und die Fahrräder hinein und verabschiedeten uns.

Ab diesem Zeitpunkt waren wir wieder unabhängig und ganz auf uns alleine gestellt. Wir fühlten uns herrlich. Wir haben das härteste Stück dieser Reise erfolgreich überstanden: erst den eiskalten Winter, dann einen Monat Quarantäne in Nordchina – und nun die 4000 Kilometer lange Strecke in den Süden. Und jetzt waren wir hier mit unseren geliebten Hunden. Gomolf und Diu spürten unsere gute Stimmung und freuten sich pauschal mit: Sie liefen schwanzwedelnd zwischen uns hin und her und schlüpften unter unseren Beinen hindurch. Wir waren sehr stolz auf sie, denn sie hatten alles weit besser überstanden als befürchtet. «Es ist echt toll, dass wir die beiden dabei haben», sagte ich und tätschelte Dius Kopf. Und dann? Dann fing Gomolf an zu würgen und erbrach sich, bevor ich reagieren konnte, direkt in meinen Schuh. Ach ja: Es war mein einziges Paar Schuhe.

Aller Substanzen im Schuh zum Trotz gingen wir später noch essen und feierten unsere neu gewonnene Freiheit. Am nächsten Morgen befreite Michael endlich unsere beiden Fahrräder aus den Kartons und baute sie wieder zusammen. Am späten Nachmittag waren wir dann startklar: Zwei Räder mit Gepäck und Anhänger, zwei nervöse Hunde, die unbedingt Bewegung brauchten, und zwei Reisende, die sich noch immer darüber freuten, dass sie nur ein T-Shirt tragen mussten. Bald fuhren wir endlich die ersten Meter auf chinesischem Boden, voll motiviert und guter Dinge. «Wir lassen es langsam angehen», hatten wir vereinbart, denn immerhin waren wir seit knapp zwei Monaten nicht mehr im Sattel gesessen.

Freudig und gutgelaunt fuhren wir los. Schon nach kurzer Zeit kam eine Steigung. Sie dauerte mehr als zehn Kilometer. Wir schwitzten wie schon lange nicht mehr, kamen fast ausser Puste und waren bald am Ende unserer Kräfte.

Die Realität hatte uns wieder.

Mehr Infos unter: www.cycle-for-a-better-world.org

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