Mit dem Velo und Hunden um die Welt, Teil 12

Michael und Sybille Fleischmann sind seit Juni 2010 unterwegs, um per Fahrrad ferne Länder zu bereisen. Ihr Ziel: Einmal um die Welt! Mit dabei: Rhodesian Ridgeback Rüde Gomolf und Mischlingshündin Diu. Exklusiv für das Schweizer Hunde Magazin berichten die Weltenbummler von ihren Erlebnissen. In China mussten sie sich mit den Behörden anlegen, wurden ausspioniert und schliesslich auch noch verprügelt – während ihre Hunde eingesperrt waren.

Text und Foto: S. und M. Fleischmann

Wenn wir vor die Tür nach draussen traten, biss uns die Kälte förmlich ins Gesicht. Wir trugen alle Kleidung, die wir dabei hatten, in bis zu sechs Schichten übereinander. Die Luft war so kalt, dass sie Hustenreiz auslöste und in der Lunge brannte. Unsere Halstücher, die wir als Kälteschutz vor Mund und Nase wickelten, wurden feucht von unserem Atem. Wenig später gefroren sie und klebten hart und kalt an unseren Gesichtern. Dann konnten wir beim Einatmen spüren, wie unsere Nasenhaare zusammenfroren: ein Gemisch aus Brennen und Kleben in der Nase. An Michaels Bart sammelten sich Eiskristalle, ebenso an unseren Wimpern. Wir mussten aufpassen, dass diese nicht zusammenklebten, wenn wir die Augen schlossen. An manchen Tagen wehte zu allem Überfluss ein eisiger Wind, der schmerzhaft in Stirn und Kopfhaut stach – trotz Mütze. Keiner von uns hatte jemals so eine Kälte erlebt – bis zu dreissig Grad minus.

«Bei dieser Schweinekälte wollten die Chinesen unsere Hunde tatsächlich im Freien einsperren», sinnierte Michael, als wir gerade unseren täglichen zweieinhalb Kilometer langen Fussmarsch zur Quarantänestation zurücklegten, um Gomolf und Diu zu besuchen und zu füttern. – «Ja, das hätten sie vermutlich gar nicht überlebt», antwortete ich und wir erinnerten uns mit Schaudern an den Tag, an dem wir diese Station das erste Mal gesehen hatten.

Der erste Tag in China – ein schlechter Anfang

Tatsächlich war dies gleichzeitig unser erster Tag in China gewesen – und ein denkbar schlechter Anfang für alle Beteiligten. Wir wollten in der Nacht zuvor mit dem Zug von Kasachstan über die Grenze fahren, wurden aber von den Zöllnern herauskommandiert, denn unsere Hunde durften erst einreisen, nachdem sie einen Monat in Quarantäne gewesen waren. In Ermangelung eines Hotels, das uns samt Gomolf und Diu aufgenommen hätte, liess man uns zusammen mit ihnen auf dem Boden eines Büros der Gesundheitsbehörde schlafen. Wir nahmen das als gutes Zeichen, anscheinend war man bereit, ungewöhnliche Lösungswege einzuschlagen.

Doch der Alptraum begann am nächsten Morgen, und zwar bereits ziemlich früh, nach nur etwa drei Stunden Schlaf. Vier Beamte in Uniform waren ins Zimmer geplatzt und befahlen uns unwirsch, aufzustehen. Sie sprachen kurz mit unserem Dolmetscher Aydin, der übersetzte: «Sie bringen jetzt die Hunde weg. Wenn ihr wollt, können sie euch ins Hotel fahren.» Wir dachten, nicht richtig gehört zu haben: «Wo bringen sie die Hunde denn hin?», fragten wir erschrocken und baten ihn zu übersetzen, dass wir unbedingt dabei sein wollten. Doch die Beamten blieben hart, wurden immer unfreundlicher, befahlen uns schliesslich, das Büro zu verlassen – ohne Gomolf und Diu. Wir weigerten uns standhaft, denn das kam für uns nicht in Frage! Der ranghöchste Zöllner liess schliesslich zwei Wachmänner kommen, die uns aus dem Haus entfernen sollten. Die jungen Männer näherten sich erst mir, doch Michael funkelte sie böse an und erklärte, er werde es nicht zulassen, dass sie mich anfassten. Das verstanden sie auch ohne Englischkenntnisse und versuchten es bei ihm. Stur und verzweifelt entwand er sich so lange ihrem Griff, bis sie ihren Vorgesetzten schulterzuckend ansahen.

Es folgte ein langer, wütender chinesischer Wortschwall, den Aydin ungerührt, aber sicher nicht ganz wortwörtlich übersetzte: «Kein Problem, bitte begleitet uns doch, wenn wir die Hunde wegbringen.»

Gomolf und Diu werden weggebracht

Wir fuhren mit drei Autos durch die vereisten Strassen der winzigen Stadt, die nur deswegen existierte, da hier der Grenzübergang nach Kasachstan war. Michael sass mit Gomolf auf der Rückbank, ich mit Diu auf dem Beifahrersitz. Wir liessen die Siedelung hinter uns und passierten schliesslich das Tor zu einem riesigen Gelände. Drinnen lenkte der Fahrer den Wagen über eine grosse, karge Fläche hin zu ein paar Zwingern, bei deren Anblick uns beinahe der Atem stockte: Sie waren zugig und nach oben hin offen – und das im Freien bei diesen Temperaturen! In zwei der vier Zwinger waren ein paar verstörte Hunde, die vor Aufregung fast verrückt wurden, als sie uns sahen. Wir blickten uns entsetzt an. «Hier wollen Sie sie einsperren?», fragte Michael fassungslos.

Die anderen Hunde dort hatten allesamt ein langes, dickes Fell, Gomolf und Diu dagegen nicht einmal richtige Unterwolle. Man liess uns eine Weile warten, Zeit genug, dass sich Verzweiflung breit machen konnte. Unser Fahrer ängstigte uns noch mehr, als er auf unsere treuen Reisekameraden deutete und danach in unmissverständlicher Geste mit der Hand quer über den Hals fuhr. Michael drückte sich an Gomolf und kämpfte mit den Tränen. «Das können die doch nicht machen!», sagte er verzweifelt.

Quarantäne unter lebensbedrohlichen Bedingungen?

Als die Beamten uns aus dem Auto baten, blieben wir stur sitzen und machten unseren Standpunkt klar. Wie zu erwarten war, ernteten wir Unverständnis und Kopfschütteln, nur Aydin und sein Freund Absalam konnten unser Ansinnen nachvollziehen und setzten sich für uns ein. Ihnen ist es zu verdanken, dass unsere Vierbeiner doch noch eine passable Unterkunft erhielten.

Heute besuchten wir Gomolf und Diu dort zum vorletzten Mal. Wie jeden Tag war unser Rucksack voll mit Proviant für sie: Fladenbrot aus der kleinen Bäckerei, eine Art Wurst aus dem Supermarkt und ein paar Eier, die wir vom Frühstücksbuffet stibitzt hatten. Heute hatten wir sogar von unserem Stammrestaurant einen grossen Knochen geschenkt bekommen, der wenigstens etwas Beschäftigung versprach.

Zum neunundzwanzigsten Mal betraten wir den kleinen Raum und wurden sofort von Gomolf und Diu stürmisch begrüsst. Drinnen herrschten angenehme 18 Grad, direkt vor dem Heizkörper hatten wir ihnen ein gemütliches Eck mit ihren vertrauten Matten und Decken eingerichtet. Im hinteren Teil des Raumes stand eine riesige Maschine, die aussah wie eine von Daniel Düsentriebs Erfindungen. Sie diente zur Vernichtung von kontaminierten Lebensmitteln und vertrug keine niedrigen Temperaturen – nur deswegen war es hier drin so warm.

Täglicher Besuch mit Spaziergang und Fütterung

Unsere Hunde kannten den Ablauf schon: jetzt erstmal nach draussen! Es hatte vieler Diskussionen bedurft, ehe uns auch die Bitte nach einem täglichen Spaziergang gewährt wurde, doch all diese Kämpfe waren nun zum Glück vorbei. Gomolf suchte sich eilig den erstbesten Grasbüschel, um sein Bein zu heben. Das dauerte dann erst einmal eine geschlagene Minute, denn wegen seiner guten Erziehung weigerte er sich tapfer, in den Raum zu pinkeln, in dem sie eingesperrt waren. Diu war diesbezüglich wesentlich unkomplizierter und wir hätten uns sehr gewünscht, dass auch Gomolf sich nicht so lange quälte, doch wie ihm das beibringen?

Das Gelände, auf dem wir sie ausführten, war trostlos und alles andere als hundefreundlich. Überall lagen Schutt und Abfall: Von alten Satellitenschüsseln über kaputte Tresore und ausrangierte Strassenlaternen war alles dabei, was irgendwer entsorgen wollte. Wir sahen auch die Überreste von Hundewelpen, die es wohl nicht geschafft hatten: kleine Skelette mit Fellresten.

Die chinesische Version von Tierschutz

Gomolf und Diu besuchten jeden Tag ihre Kumpanen, die hier draussen in den Zwingern untergebracht waren – wohl eine der wenigen Abwechslungen für die armen Kreaturen. Sie hatten zwar grosse Schüsseln mit Wasser und Futter, doch es war natürlich alles tiefgefroren und die Tiere mussten es sich herunterbeissen. Ausgemistet wurde hier nur sehr sporadisch, trotz der grossen Kälte war der Geruch von Fäkalien mehrere Meter weit wahrnehmbar. Wir hatten grosses Mitleid mit diesen Hunden, gleichzeitig machten sie deutlich, welche Welten zwischen unserem und dem chinesischen Verständnis von Tierschutz lagen.

An den Schnauzenhaaren von Gomolf und Diu bildeten sich schnell Eiskristalle und sie fingen an zu zittern. Wenn wir den Rückweg antraten, hatten sie es immer sehr eilig, wieder in ihren beheizten Raum zu gelangen. Das beruhigte uns, denn es zeigte, dass es ihnen trotz allem einigermassen gut ging. Dann fütterten wir sie mit ordentlichen Portionen, wenigstens sollten sie nicht Hunger leiden müssen. «Morgen haben wir es geschafft», sagten wir uns immer wieder und liessen unsere beiden tapferen Gefangenen an unserer Vorfreude teilhaben.

Ein langer Monat – auch für Herrchen und Frauchen

Der vergangene Monat hatte sich auch für uns qualvoll in die Länge gezogen. Zur Untätigkeit verdammt sassen wir die meiste Zeit des Tages in unserem Hotelzimmer. Zur Zerstreuung stand ein Fernseher bereit, der unfassbar viele Programme empfing, und zwar durchwegs chinesische. An einigen Abenden bekamen wir Besuch von Aydin und Absalam oder wurden von ihnen grosszügig zum Essen eingeladen. Obwohl wir die beiden mochten, wurden wir das Gefühl nicht los, dass sie uns sehr genau im Auge behielten. Später haben wir dann herausgefunden, dass sie tatsächlich unser Laptop überwacht und eine Speicherkarte mit Fotos entwendet hatten: Trotz des Fotografierverbots hatten wir einige Bilder der Quarantänestation gemacht, doch von der Speicherkarte fehlte seit einem Besuch der beiden Männern jede Spur.

Die Sache mit der Quarantäne war leider nicht das einzige Unangenehme, das uns hier widerfuhr. Letzte Woche gingen wir in einen Supermarkt, um die Wurst für unsere Hunde zu kaufen. Als Michael die Tür öffnen wollte, klemmte er versehentlich einem Chinesen die Finger ein, doch weder fest noch besonders schmerzhaft. Trotz Michaels Entschuldigungen reagierte der Mann sehr aggressiv und beschimpfte uns (vermutlich) wüst; er sprach natürlich nur Chinesisch. Wir schüttelten nur den Kopf, dachten uns nicht viel dabei und gingen zwei Strassen weiter.

Plötzlich kam ein Minibus und stoppte neben uns. Fünf Männer stiegen aus, unter ihnen der Chinese von vorhin mit einer grossen Holzlatte. Ohne jegliche Vorwarnung stürzten sie sich auf Michael und prügelten ihn mit der Latte. Ich ging dazwischen, in dem guten Glauben, dass mir als Frau nichts passieren würde. Dafür kassierte ich mehrere Faustschläge ins Gesicht. Wir schrien laut um Hilfe, nach einer gefühlten Ewigkeit kam schliesslich der Besitzer unseres Stammrestaurants angelaufen. Es kostete ihn nur wenige Worte und die Schläger verschwanden so schnell, wie sie gekommen waren. Der Schock sass tief, doch zum Glück waren wir nicht schwer verletzt. Michael hatte eine Prellung am Rücken und am Bein, ein blaues Auge und eine Blessur an der Stirn. Ich hatte eine blutige Nase, ein kleines Veilchen und ein winziges Stück eines Zahns war abgebrochen. Daneben hatte ich nun die zweifelhafte Erfahrung der ersten Prügelei meines Lebens gemacht.

Fünf gegen zwei – ein unfairer Kampf

Wir warteten im Restaurant unseres Retters auf die Polizei. Die dreijährige Tochter des Besitzers streichelte mir tröstend den Rücken, während ich weinend am Tisch sass, die Frau des Hauses setzte uns einen heissen Tee vor. Obwohl niemand aus der Familie ein Wort Englisch sprach, spendeten sie Trost und halfen uns zu beruhigen.

Nur zwei Tage später bereute der Schläger bitter, was er getan hatte. Die Polizei hatte ihn schnell ausfindig gemacht und zu einer saftigen Geldstrafe verdonnert. Er gab zu Protokoll, dass er dachte, wir seien Kasachen; die kann man wohl ungestraft verprügeln. Wir dagegen mussten mehrfach unterschreiben, dass wir den Fall nicht vor Gericht bringen und niemandem zu Hause davon erzählen werden. Wir sind noch nicht ganz sicher, ob das klappen wird.

Freiheit für Gomolf und Diu

Der lang ersehnte letzte Tag der Quarantäne war für uns wie Weihnachten. Selbst der mürrische «Gefängniswärter» von Gomolf und Diu musste lächeln, als er sah, wie sehr wir vier uns freuten. Der Mann war sicher erleichtert, dass wir endlich weiterreisten. Vor einigen Tagen hatte er uns gestenreich erzählt, dass Diu ihm ausgebüchst war und sich lange nicht einfangen liess. Natürlich heuchelten wir Betroffenheit, doch insgeheim erfüllte uns der Gedanke, wie unser frecher kleiner Hund den Mitarbeiter an der Nase herum geführt hatte, mit einer gewissen Genugtuung.

Wir verliessen Alashankou noch am selben Abend mit dem Zug. Als sich unser Wagen in Bewegung setzte, wussten wir, dass wir diese Hürde endlich überstanden hatten. Und bereit waren, die nächste in Angriff zu nehmen: Wir müssten nun das Reich der Mitte innerhalb eines Monats komplett durchqueren.

Mehr Infos unter: www.cycle-for-a-better-world.org

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