Mit dem Velo und Hunden um die Welt, Teil 11

Michael und Sybille Fleischmann sind seit Juni 2010 unterwegs, um per Fahrrad ferne Länder zu bereisen. Ihr Ziel: Einmal um die Welt! Mit dabei: Rhodesian Ridgeback Rüde Gomolf und Mischlingshündin Diu. Exklusiv für das Schweizer Hunde Magazin berichten die Weltenbummler von ihren Erlebnissen. Sie erhalten Einblicke über das Leben in Kasachstan, bevor es schliesslich per Zug nach China geht – doch dort wartet die grösste Hürde der ganzen Reise.

Text und Fotos: S. und M. Fleischmann

«Fertig!», verkündete Michael, als er die letzte Schicht Klebeband um den Karton gewickelt hatte. Sein Werk konnte sich sehen lassen: Unsere Fahrräder waren zerlegt und komplett in Karton verpackt, die Anhänger so weit wie möglich demontiert. Nun hatten wir keine Reiseräder mehr, sondern grosse Gepäckstücke. Das war die Vorbereitung für die kommende Zugfahrt: Fahrräder im Zugabteil mögen verboten sein, doch Gepäckstücke sicherlich nicht.

Nicolay, der uns in den letzten Wochen beherbergt hatte, schaute etwas traurig drein. «Ich werde euch vermissen», sagte er, «wir sind fast schon so etwas wie eine Familie.» «Du wirst uns auch fehlen. Wie sollen wir künftig morgens aus dem Bett kommen – ohne Heavy-Metal-Musik?», antworten wir lächelnd. Nicolay träumte von einer Karriere als Musiker und übte dafür fleissig auf seiner E-Gitarre. Laute und schnelle Rockmusik war seine Spezialität. Er spielte wirklich gut, wenngleich es etwas gewöhnungsbedürftig war, die harten Klänge schon zum Aufwachen zu hören.

Sein Geld verdiente sich unser Gastgeber mit Hilfsarbeiten für hiesige Künstler. Oft arbeitete er für Nurlan, der gute Kontakte zum Präsidenten des Landes und anderen Regierungsmitgliedern hatte. In ihrem Auftrag fertigte er Monumente und Statuen an, die vielerorts in Almaty zu bewundern waren. Als Nurlan hörte, dass Nicolay Gäste aus Deutschland hatte, veranstaltete er uns zu Ehren eine kleine Feier in seinem Atelier. Er hatte seine Ausbildung als Bildhauer in Berlin absolviert und sprach noch ganz passabel Deutsch. Es wurde ein lustiger Abend, an dem – wie üblich in Kasachstan – viel Wodka floss. Der ehemalige Chef der Polizei war auch zu Gast und hatte spät in der Nacht die Aufgabe, uns mit seinem Auto nach Hause zu fahren. Er war zwar nicht minder betrunken als alle anderen, doch er hatte wegen seines früheren Amtes Narrenfreiheit: Die meisten Polizisten kannten sein Gesicht, andernfalls genügte ein einziger Anruf.

Regeln gelten nicht für alle

Auch Nicolay genoss einige Vorteile durch gewisse Beziehungen, das war der Grund dafür, warum er von der kasachischen Regierung tief überzeugt war. «Mein Präsident ist ein grosser Gangster», verkündete er stolz, als wir über den Mann sprachen, der sich selbst auf Lebenszeit zum Staatsoberhaupt gemacht hatte. «Er macht, was er will, er ist mein Vorbild. Das System ist gut für mich, denn ich kenne Nurlan und der kennt viele einflussreiche Leute. Normale Bürger dürfen zum Beispiel auf offener Strasse nicht trinken. Aber ich muss keine Angst haben, auch wenn ich mit einer Flasche Wodka herumlaufe. Der ehemalige Polizeichef hat es natürlich noch besser. Er könnte jemanden umbringen, ohne dass ihm etwas passiert.» Für das kommunistische System der Sowjetzeiten hat der 23-jährige Nicolay dagegen nicht viel übrig: «Es war nicht gut, es gab nicht einmal Heavy-Metal-Musik damals.»

Schlimme Zahnschmerzen – was tun?

Bevor wir Almaty verlassen konnten, mussten wir noch das Problem mit Michaels Zahnschmerzen lösen. Unsere Freunde hatten grosses Mitleid und erörterten bereits, welches Werkzeug geeignet sei, um den Zahn zu ziehen. Das Schweizer Taschenmesser kam in die engere Auswahl, doch Michael protestierte trotz der Schmerzen hartnäckig. So trieben sie einen Arzt auf, der angeblich Englisch sprach. Wir fuhren hin und liessen ein Röntgenbild anfertigen. Ohne Michael auch nur einmal in den Mund zu sehen, erklärte der Arzt knapp: «Zahnbehandlung. Dann Krone. Heute erste Behandlung, dann vielleicht Schmerz vorbei. Vier oder fünf Mal Behandlung. Jede Behandlung hundert Dollar, Krone dreihundert Dollar.» Wir wechselten einen skeptischen Blick, denn ein deutscher Zahnarzt hatte Michael bereits erklärt, dass eine Wurzelbehandlung zwar möglich sei, doch es sei nur eine Frage der Zeit, bis die Schmerzen wieder kämen. Wir waren nicht bereit, soviel Zeit und Geld in eine so kurzfristige Lösung zu investieren. «Was kostet es, den Zahn zu ziehen?», wollten wir daher wissen. Doch davon wollte der Arzt nichts hören. «Ich Doktor. Zahn löschen – nein. Das ist gefährlich.» «Warum das denn?», wollten wir erstaunt wissen. «Gefährlich für Zahn», erklärte er daraufhin.

«Von wegen, das ist höchstens gefährlich für seinen Geldbeutel», sagte ich gereizt zu Michael. Auch er hatte den Eindruck, dass der Arzt nur Geld mit uns machen wollte. Daher gingen wir und fanden ein Stockwerk tiefer einen Zahnchirurgen. Sechzig Schweizer Franken kostete das Ziehen – inklusive örtlicher Betäubung und Schmerzmitteln. Die Gefahr für den Zahn nahmen wir auf uns.

Abreise an Weihnachten

Am zweiten Weihnachtsfeiertag waren wir dann endlich fertig zur Abreise. In Kasachstan wird das Fest erst am 7. Januar gefeiert, so waren die Leute noch überall unterwegs, um Geschenke zu kaufen. In den Geschäften und Warenhäusern glitzerten Tannenbäume und Lichterketten. Auf den Märkten hatten sich zwischen die Nikolausmützen ein paar Hasenohren gemogelt, denn das Jahr 2011 war nach asiatischem Kalender das Jahr des Hasen. Als wir uns das letzte Mal über die vereisten Strassen und Gehwege kämpften, um allen neuen Bekannten Lebewohl zu sagen, konnten wir auf einen turbulenten Monat in dieser Stadt zurückblicken. Wir besuchten den Besitzer der Dönerbude, der uns immer, wenn wir vorbeikamen, zwei gratis Döner spendiert hatte. Für Gomolf und Diu gab es ganz selbstverständlich eine Portion Fleischreste – sie freuten sich schon immer sehr, wenn wir die kleine Hütte ansteuerten. Der Weg zurück war eine einzige Rutschpartie, in der modernen Grossstadt gab es keinen Räumdienst. Lediglich in der Fussgängerzone wurde das festgetretene Eis von ein paar vermummten Gestalten in mühevoller Arbeit mit Hacken entfernt. «Das sind Usbeken», hatte unser Gastgeber erklärt, «die arbeiten selbst für einen Hungerlohn.»

Nicolay und seine Freunde brachten uns zum Bahnhof und halfen uns beim Einsteigen. Ohne irgendwelche Zwischenfälle wurde all unser Gepäck ins Abteil verfrachtet, auch unsere Hunde durften ganz normal einsteigen. Wir konnten es kaum fassen, denn wir hatten uns die ganze Zeit Sorgen um diesen Moment gemacht. Wir umarmten unseren kasachischen Freund und dankten ihm noch einmal herzlich für alles. Dann mussten wir uns schnell verabschieden, denn in wenigen Momenten rollte der Zug los.

Zugfahrt ins Ungewisse

Gomolf und Diu waren schon Profis im Zugfahren: Bei jedem Stopp schnappten wir sie uns, schlüpften in Schuhe und Winterjacke und stürmten raus. Diesmal war ich dran. Wir waren irgendwo im kasachischen Hinterland kurz vor der Grenze nach China. Wie immer hatte ich keine Ahnung, wie lange der Zug stehen bleiben würde – doch die Hunde mussten sich natürlich entleeren und das geht nur im Freien. Ich achtete auf das Zugpersonal und die anderen Fahrgäste: Standen die Kondukteure entspannt an den Türen und zündeten sich erst einmal in Ruhe eine Zigarette an, konnte ich davon ausgehen, dass der Stopp mindestens zehn Minuten dauern würde. Diesmal sah es so aus, als müssten wir uns nicht sonderlich beeilen, so lief ich mit den Hunden am Bahnsteig entlang und gab ihnen Gelegenheit, ihr Geschäft zu machen.

Ein Mann in Uniform sah mich und winkte mich heran. Ich bedeutete ihm, dass ich gleich käme, schliesslich hatten Gomolf und Diu noch etwas zu erledigen. Einige Minuten später ging ich zu dem Beamten. «Dokumente für Hund?», fragte er mich. «Natürlich», antwortete ich. Dann sollte ich ihm folgen, wir gingen zu einem kleinen Häuschen hinter den Bahnsteigen. Ganz wohl war mir nicht zumute, denn jetzt hatte ich den Zug nicht mehr im Auge. In dem Gebäude warteten drei Männer, denen ich die Pässe der Hunde vorlegte. Das waren kasachische Zollbeamten, wir waren also schon an der Grenze. Nachdem sie die Dokumente eingehend studiert hatten, schüttelten sie den Kopf. «Zertifikat?», fragten sie mich. Ich hatte kein Zertifikat. «Hier, Zertifikat aus Kasachstan», antwortete ich und zeigte auf den frischen Tierarztstempel, den wir in Almaty organisiert hatten. «Nein, Zertifikat!», sagte der Beamte ungeduldig. Wir diskutierten eine Weile, bis mir einer der Männer ein Blanko-Formular unter die Nase hielt. Es war eine Art Ausreisezertifikat für Tiere.

Der Zug war weg!

Ich versuchte, mir meine wachsende Nervosität nicht anmerken zu lassen und erklärte wieder und wieder, dass der Tierarztstempel das Zertifikat sei. Die Männer blieben hartnäckig. «Du und Mann – China, Hunde – Deutschland!», sagte einer schliesslich und machte eine unmissverständliche Geste. Ich begann trotz der Kälte zu schwitzen. «Nein, ich habe extra in der Botschaft angerufen!», log ich. «Wir sind Journalisten!», fügte ich noch hinzu. Aus irgendeinem Grund funktionierte das. «OK, verschwinde!», sagten sie und winkten mich unwirsch nach draussen.

Erleichtert ging ich mit Gomolf und Diu vor die Tür. Als ich Richtung Bahnsteig sah, setzte mein Herz für ein paar Schläge aus: Der Zug war weg! Der Mann, der mich hierher kommandiert hatte, gestikulierte in die Ferne – ich sollte mich beeilen. Kopflos rannte ich mit den Hunden im Schlepptau los. Nach endlos erscheinenden Minuten und weit entfernt vom Bahnhof, fand ich endlich den Zug wieder. Er machte hier einen langen Stopp, da das Fahrgestell gewechselt werden musste: Die Spurweite ändert sich an der Grenze.

Nach dieser Erfahrung war ich nicht mehr sehr zuversichtlich bezüglich der Einreise nach China. Wir wussten ja schon, dass die Hunde eigentlich für 30 Tage in Quarantäne müssen, doch wir hatten insgeheim gehofft, dass wir das umgehen könnten. Michael versuchte, uns Mut zuzusprechen: «Wir haben schon viele Länder durchquert, die irgendwelche Einreisebestimmungen für Hunde hatten, und an der Landesgrenze hat sich niemand für sie interessiert.» «Stimmt schon…, sonst wäre Diu jetzt nicht hier», antwortete ich und versuchte, möglichst zuversichtlich zu klingen. Unsere Kleine hatten wir vor vier Jahren von einem indischen Strand adoptiert. Wir waren seinerzeit mit einem VW-Bus unterwegs und hatten an der Landesgrenze nach Europa Blut und Wasser geschwitzt, doch zum Glück war damals alles gut gegangen.

Keine Alternative zu China

Nun waren wir in einer ähnlichen Situation und hatten dasselbe ungute Gefühl. Seit Monaten fürchteten wir uns vor diesem Moment. Noch vor ein paar Tagen hatten wir gedacht, wir könnten den Chinesen und ihren Gesetzen zur Einreise entfliehen. Wir hatten in einem Reisebüro gefragt, ob wir nicht einfach ausfliegen können – nach Bangkok, Kuala Lumpur oder sonst irgendwo hin –, Hauptsache raus aus der Kälte, Hauptsache nicht nach China. Erst wurde uns gesagt, das sei kein Problem, doch als die Dame unseren Gomolf sah, schüttelte sie nur ungläubig den Kopf. Sie hatte sich wohl nicht vorstellen können, welche Ausmasse ein 45-Kilo-Hund tatsächlich hat. Unser Traum vom schnellen Sommer zerplatzte wie eine Seifenblase, als die Dame von allen möglichen Airlines eine Absage bekam – niemand würde uns mit so einem grossen Hund befördern. So warteten wir nun mit klopfenden Herzen auf die chinesischen Grenzbeamten.

Der erste war angesichts der Hunde sehr überrascht, aber freundlich und fragte uns, ob er sie streicheln dürfte. Dann holte er seinen Vorgesetzten. Der schüttelte immer nur mit dem Kopf und bedeutete uns mit einer unwirschen Geste, auszusteigen. Wir versuchten, stur zu bleiben und gaben uns unverständig. Im ganzen Zug fand sich niemand, der Englisch sprach – ausser einem 14-jährigen Mädchen, das der Fremdsprache aber auch nur beschränkt mächtig war. «Can not!», sagte sie ständig zu uns – mehr nicht.

Eine Geduldsprobe!

Einige Stunden später fanden wir uns samt Gepäck und Hunden in einer chinesischen Gesundheitsbehörde wieder. Es war lange nach Mitternacht. Nach endlosen Diskussionen hatten wir aufgegeben: Gomolf und Diu müssen ab morgen in Quarantäne. Dennoch durften wir gemeinsam mit ihnen in dieser Nacht im Büro der Gesundheitsbehörde schlafen, es gab kein Hotel, das uns akzeptiert hätte. Mittlerweile war auch ein Dolmetscher organisiert worden, man hatte ihn extra unseretwegen aus dem Bett geholt und über Nacht als Aufpasser bei uns gelassen. Schon jetzt war die Situation völlig skurril – und dabei ahnten wir noch nicht einmal, was uns alles bevorstand.

Mehr Infos unter: www.cycle-for-a-better-world.org

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