Schweizer Hunde Magazin

Leben mit Listenhunden

Eine beispiellose Hetzkampagne gegen sogenannte Kampfhunde hat die Angst vor Hunden und den allgemeinen Hundehass geschürt. Wie lebt es sich in dieser angespannten Situation mit Listenhunden? Wir haben unsere Leserinnen und Leser sowie eine Expertin gefragt.

Text: Andreas Krebs

Eine einzige tödliche Attacke dreier Pitbull Terrier in Oberglatt ZH im Jahr 2005 führte zur populistischen Verfolgung von sogenannten Kampfhunden und schürte den allgemeinen Hundehass (siehe SHM-Ausgabe 2/10). Verschiedene Kantone haben dem Druck von Medien und Öffentlichkeit nachgegeben und teilweise stark überschiessende Regelungen gegen «gefährliche Hunde» erlassen. Eine wissenschaftliche Grundlage dafür existiert nicht. Neben willkürlich anmutenden pauschalen Bewilligungspflichten oder sogar Verboten gegen ganze Hunderassen gibt es generelle Maulkorb- oder Leinenpflichten – diese verstossen gegen das Tierschutzgesetz. Das Chaos ist perfekt. Heute verfügt die Schweiz über 26 verschiedene kantonale – sowie zusätzlich unzählige kommunale – Hundegesetzgebungen, die sich teilweise stark voneinander unterscheiden. Dieses kaum zu überblickende Durcheinander ist unzumutbar für Hundehalter; und es erschwert den angestrebten Bevölkerungsschutz vor gefährlichen Hunden. Zur Verbesserung der Rechtssicherheit könnte einzig eine gesamtschweizerische Einheitslösung beitragen. Doch die ist leider nicht in Sicht.

Verein Listenhunde Hilfe Schweiz

Der Verein Listenhunde Hilfe Schweiz wurde im April 2011 gegründet. Er setzt sich für die Listenhunde in der Schweiz ein, bietet den Haltern ein Informationsportal, stärkt den seriösen Haltern den Rücken und kümmert sich um Opfer der Hundegesetze. «Zusammen mit den Schweizer Tierschutzvereinen und den Veterinärämtern suchen wir für Listenhunde, die beschlagnahmt wurden, eine Lösung», erklärt Präsidentin Prisca Hollenstein, Halterin eines bald 14-jährigen Staffordshire Bull Terriers. «Zurzeit haben wir fünf Hunde, die in Tierheimen und Pensionen untergebracht sind.» Mit diesen Hunden werde gezielt gearbeitet, damit sie irgendwann in ein schönes Zuhause ziehen dürfen. «Wir versuchen die Tierheime zu entlasten, damit die Hunde eine zweite Chance bekommen. Gerade in Zürich wurden viele Hunde eingeschläfert, weil man keinen Platz für sie fand.»
www.listenhunde-hilfe.ch

 

Nachtrag der Redaktion: Der Verein Listenhunde Hilfe Schweiz wurde aufgelöst. Im Juni 2013 wurde dann der Verein BullStaff Hilfe gegründet.

www.bullstaff-hilfe.ch

Interview mit Esther Schalke, Fachtierärztin für Tierverhalten, Referentin bei Certodog, der Stiftung für das Wohl des Hundes.

«Rassenlisten sind fatal / wissenschaftlich nicht haltbar.» / «Viele Hunde sind unerzogen.» / «Rücksichtsvolle Hundehalter können viel bewegen.»

Gibt es Hunde, die von Grund auf gefährlich sind?

Es gibt Individuen, die gefährlich sind. Das ist aber weder rasse- noch wurfabhängig. In der Regel sind es Hunde, die schnell in eine Erregungsphase kommen. Oft zeichnet sich das schon im Welpenalter ab. Die betroffenen Tiere haben meist sehr wenig Kontakt mit ihren Wurfgeschwistern, und diese seltenen Kontakte enden häufig aggressiv. Verantwortungsbewusste Züchter merken das früh. Doch leider sehen Züchter ihre Hunde oft durch eine rosa Brille. Das bringt den Käufern und den Hunden nichts.

Gibt es Rassen, die von Grund auf gefährlich sind?

Nein, das ist nicht rassebezogen. Grundsätzlich kann es in jeder Rasse aggressive Individuen geben. Diese fatalen Rassenlisten sind wissenschaftlich nicht haltbar, eine unsinnige Repressalie gegen Hundehalter. Ein reines Politikum, das mit den Hunden nichts zu tun hat und der Bevölkerung gar nichts nützt.

Dann schaffen die neuen Gesetze keine Sicherheit?

Im Gegenteil! Da wird der Bevölkerung noch mehr Angst gemacht vor gewissen Rassen. Heute schauen selbst Hundehalter kritisch, wenn einer mit einem Pitbull kommt. Der Sachkundenachweis ist der sinnvollere Ansatz. Dort lernen Hundehalter, wie sie sich in der Umwelt zu verhalten haben. Es ist Aufgabe der Halter, ihre Hunde so zu erziehen, dass diese sich in der Umwelt unauffällig benehmen. Dazu braucht es Spielregeln, die auch eingehalten werden. Darauf muss der Mensch bestehen. Doch leider sind heute viele Hunde unerzogen, auch weil sie zu sehr vermenschlicht werden.

Sind Hunde, die schon mal gebissen haben, therapierbar?

Man muss genau klären, was die Ursache des Unfalls war. Die meisten Unfälle passieren nicht wegen der Hunde, sondern wegen der Halter. Oft ist der Hund also gar nicht verhaltensauffällig und es gibt nichts zu therapieren. Vieles wird heute auch aufgebauscht. Kaum hat einer einen Kratzer, gibt es eine Anzeige. Als Kind wurde ich auch schon gebissen, vom Hund des Nachbarn. Meine Eltern schimpften mit mir: «Was gehst du auch an den Napf, wenn der Hund am Fressen ist!» Es täte unserer Gesellschaft gut, wenn wir im Ungang mit Tieren wieder eine gewisse Natürlichkeit erlernen würden.

Ist es überhaupt sinnvoll, gefährliche Hunde zu therapieren?

Dass ein Hund nicht therapierbar ist, kommt äusserst selten vor. Spezifische Probleme kann man oft sehr gut lösen. Bedingung ist, dass der Hundehalter auch wirklich bereit dazu ist.

Dann muss man also bei den Haltern ansetzen?

Ja. Hundehalter erziehen ist der Hauptpunkt. Die Anforderungen sind heute wesentlich höher als vor 20 Jahren. Diese Anforderungen muss man erlernen. Es gibt ja Angebote für jeden Geschmack. Und dennoch reicht das offenbar nicht. Das Bewusstsein fehlt. Hundehalter müssen wieder rücksichtsvoller sein – so könnten sie viel bewegen.

Unter Listenhunden versteht man Hunde, die per Gesetz als gefährlich oder potenziell gefährlich eingestuft werden. Diverse Kantone führen teilweise unterschiedliche Rasselisten, daher der Begriff Listenhund.
Detaillierte Infos zu den Hundegesetzen finden Sie unter www.tierimrecht.org, unter Rechtliches/Hunde-Recht.