«Hunde haben es nicht immer leicht mit ihren Menschen»

Während nahezu vier Jahrzehnten erforschte Dorit Feddersen Petersen den Hund und seine Beziehung zum Menschen. Ein Gespräch mit ihr über verhaltensbiologische Erkenntnisse, Fortschritte und Gefahren in der heutigen Hundeerziehung.

An der deutschen Verhaltenswissenschaftlerin und Fachtierärztin kommt niemand vorbei, der sich eingehend mit den Hundeartigen auseinandersetzen will. Dorit Urd Feddersen Petersen ist zwar inzwischen pensioniert, jedoch seit einem Jahr am Institut für Ethologie und Tierpsychologie in Zürich für das Ausbildungsmodul «Hund» zuständig.

Wenn die heute 68-jährige Hundeexpertin über Erkenntnisse der vergangenen Jahrzehnte spricht, dann kommt sie rasch zu einem Thema, das sie gerne ins richtige Licht stellt: «Dominanztheorie» und «Rudelführer». «Der Wolf als Referenzsystem für den Hund in seiner Beziehung zum Menschen ist zurückgetreten. Und das ist gut so», erklärt sie. Dennoch hätten die Erforschung des Wolfs und diejenige des Hundes viel miteinander zu tun: «Forschungen an Wölfen und Hunden, die angetan sind, Hundeverhalten klarer abgrenzen und besser verstehen zu können, kommt heute vielleicht sogar eine grössere Bedeutung zu als damals. Hunde sind nun einmal keine Wölfe, mit denen wir als ‹Rudelführer› leben», hält Feddersen fest. Dennoch gebe es noch Hundetrainer, die auf diesem überholten Mythos beharren würden. Gefühlt seien es immer weniger, so hofft es die Ethologin jedenfalls.

 

Hunde sind nicht Wölfe

Dorit Feddersen verweist wiederholt auf die Haustierwerdung des Hundes, die richtig verstanden werden müsse: «Wir wissen heute sehr viel darüber, wie Hunde im Zuge der Domestikation zu dem Haustier des Menschen wurden», fährt sie fort. «Hunde sind mit dem Menschen und durch den Menschen entstanden.» Aufgrund dieser Adaptation haben Hunde laut Feddersen ganz andere Ansprüche als Wölfe: «Sie sind anders sozial aufgestellt, denn sie sehen den Menschen als bevorzugten Sozialpartner an, den sie brauchen, an dem sie sich orientieren, mit dem sie kooperieren, zu dem sie exzellent passen.»

Der Hund sei ein geliebter Sozialkumpan, weil er ausgeprägte soziale Analogien (Anpassungsähnlichkeiten) zu uns aufweise, weshalb wir uns besonders gut in hundliche Emotionen einfühlen und mitfühlen können, sagt Feddersen. Aber auch Hunde würden über eine grundlegende Form von Empathie verfügen, um menschliche Handlungen deuten zu können. Bedingt durch den 40 000 Jahre andauernden Prozess der Domestikation wurde der Mensch dem Hund wichtiger als es seine Artgenossen sind, wie in vielen Untersuchungen immer wieder belegt wird. Sie habe den Menschen im Jahr 2004 noch «Überhund» genannt. Heute würde sie ihn einfach «bevorzugter Sozialpartner» nennen, weil sich «Überhund» nach Dominanz anhöre. «Und die ist hier ja nicht gemeint.»

 

Der Hund als kognitives und emotionales Wesen

Hunde können für Menschen eine überaus wichtige emotionale und soziale Unterstützung sein. «Der Hund ist Sozialpartner oder dient als Partnerersatz, Kindersatz, wird aber ebenso versachlicht als Sportgerät oder Prestigeobjekt, und damit leider oft missbraucht, weil seinen psychischen und sozialen Anforderungen so gar nicht entsprochen wird», erklärt Feddersen. «Das Verhältnis zu Hunden ist jedoch über das Wissen zur Domestikation und die Bedeutung von Menschen für Hunde selbstverständlicher und damit inniger geworden».

Leben Hunde hingegen «mit weniger Mensch» zusammen, ändere sich ihr Verhalten. «Die Selektion begünstigt Individuen, die sich den verschiedenen ökologischen Bedingungen gegenüber optimal verhalten. Das gilt für erfolgreiche Paarungen, Ressourcenzugang und Versorgungen des Nachwuchses. Haushunde aber waren wohl sehr bald sozial an den Menschen gebunden. Ihre Entwicklung wurde abhängig von kulturellen und soziologischen Faktoren», sagt Dorit Feddersen. «Wenn man mit diesen verwilderten Haushunden dann kognitive Experimente macht, gucken die eben nicht immer den Menschen an, wenn sie nach einer Lösung suchen, wie es Haushunde vorwiegend machen.» Hunde fanden so ihren Weg zum Menschen: durch Adaptation an ihn und Einpassung in seine Lebensformen.

Bei Wölfen, Haushunden und Dingos handelt es sich um soziale Kaniden. «In einer Gruppe zu leben und das Verhalten der Gruppenmitglieder in unterschiedlichsten Situationen voraussagen zu können, erfordert kognitive Prozesse auf hohem Niveau», sagt Feddersen. «Hinzu kommen emotionale Übereinstimmungen. Blickkontakte zwischen Hunden und ihren Besitzern stärken die gegenseitige Bindung», beschreibt Feddersen (bei beiden ist Oxytocin im Spiel, das sogenannte Kuschelhormon). Das In-die-Augen-Schauen habe sich als soziale Kommunikation vermutlich während der Domestizierung bei den Hunden entwickelt, erklärt sie.

 

Hunde entlarven den Menschen

Man sollte nach all diesen Einsichten nun sehr friedlich und störungsfrei miteinander leben. «Das ist leider nicht ganz so», fügt die Ethologin an. Die Hundeerziehung bewege sich zwar grundsätzlich auf fortschrittlichem Weg, glaubt Feddersen. «Erwünschte Verhaltensweisen durch Bestätigung und Wiederholung festigen, unerwünschte Verhaltensweisen verhindern durch Grenzen-Setzen», umschreibt sie ihre Vorstellung von Erziehung, zu der die Beziehung als wichtiger Bestandteil gehöre. «Authentisch sein, empfinden, was man kommuniziert», stellt Feddersen an den Anfang. «Hunde entzaubern Aufgesetztes sehr schnell. Hunde sollen sich aber gut und sicher bei uns fühlen», fügt sie an. Die Haltung des Menschen gegenüber der Welt und dem Hund zähle, das gebe dem Hund Sicherheit – oder eben nicht. Darum sollte der Halter Ruhe und Gelassenheit vermitteln.

«Es wird noch zu viel dressiert und vorgemacht», spricht Feddersen einen der problematischen Punkte an. «So getan als ob – Hunde merken das.» Das Körpersprachliche müsse hervorgehoben werden, denn darauf würden Hunde in erster Linie achten. «Man kann sich auch sprachlich verfeinern», sagt Feddersen und meint damit «das Paraverbale des Sprechens»: die Lautstärke, Stimmfrequenz, Betonung, Geschwindigkeit und Tonalität des Sprechens, die unsere Stimmungen und Gefühle trefflich übermitteln. «Tonal» oder klanghaft stehe etwa für soziale Annäherung oder Spiel, «geräuschhaftes Sprechen» schaffe einen aggressiven Kontext, tiefes Sprechen verstärke diesen, während hohes Sprechen die Sätze unsicher mache. Darin könne der Mensch geschult werden, meint Feddersen.

Heute funktioniert laut Feddersen-Petersen im Umgang mit dem Hund vieles gut. «Hunde und Menschen sind fortschreitend besser aufeinander eingestellt.» Etliche Hundehalter würden ihre Hunde gut erziehen, diese beobachten, sie sehr genau kennen. «Sie sind rundum zufrieden mit ihren Hunden – und diese treten entspannt und gelassen auf.» Doch es gebe auch den scharfen Kontrast: «In unserer leistungsbezogenen Gesellschaft haben es Hunde nicht immer leicht mit ihren Menschen, die ihnen viel Können mit möglichst grosser Aussenwirkung abverlangen», umschreibt Feddersen diesen Punkt. In den Hund wird investiert, damit er funktioniert, möglichst besser als alle seine Artgenossen im eigenen Wohnviertel. Hunde dienen eindeutig auch der Ich-Erweiterung ihrer Halter.

So werde auch in der Welpenentwicklung grosser Wert auf das Erwerben zusätzlicher Fähigkeiten und Fertigkeiten gelegt, dies unter dem vermeintlichen Zeitdruck der frühen sensiblen Phase, «die damit nicht selten eine Zeit der Reizüberflutung, der Unruhe und des sozialen Drucks wird». Die Angst, etwas zu versäumen, was leistungsfördernd sein könnte, beherrscht viele Hundehalter – Ähnlichkeiten zur Kindererziehung sind unübersehbar. «Dem Welpen wird die so wichtige Ruhe und Musse zur harmonischen Entwicklung genommen, damit sein Potenzial für Anpassungsfähigkeit und Belastbarkeit.» Überfordert in der frühen Entwicklung, können Hunde apathisch oder nervös reagieren.

 

Strafen im menschlichen Sinne verunsichert den Hund

Soll man Hunde strafen? Feddersen erwidert: «Was versteht man darunter? Strafen im menschlichen Sinne kann vom Hund wohl kaum treffend nachvollzogen werden. Es ist vielmehr angetan, diesen zu verunsichern beziehungsweise seine Beziehung zum Menschen zu stören.» Man sollte kommunikativ eindeutig auf «Regelverstösse» im Miteinander reagieren und über bestimmte Zeichen den Verhaltensfluss unterbrechen. «Ich komme ja aus der Verhaltensbiologie, habe immer viel beobachtet und, wenn irgend möglich, daraus gewonnene Erkenntnisse auch im Umgang mit Hunden umgesetzt. Unterbrechungen von Interaktionen sind ja unter Wild- und Haushunden regelmässig zu beobachten, wenn Verhaltensweisen in einem bestimmten Kontext schlicht nicht akzeptiert werden. Auf diese sogenannten Abbruchsignale, wie man sie heute nennt, pflegen Hunde zu reagieren, etwa submissiv, und sie können zuordnen, was künftig in dieser Situation zu unterlassen ist.»

Grundsätzlich spricht Feddersen den Hundehaltern zunehmende Kompetenz zu. In der hektischer gewordenen Gesellschaft würden dennoch mehr Hundehalter mit Problemen unter Druck geraten und dann Hundetrainer aufsuchen, die – zum Teil diametral entgegengesetzt – immer noch reine Symptombekämpfung propagieren, um Hundeverhalten anzupassen. So etwas verwirrt Hundehalter und lässt sie allein. Hundetraining auf verhaltensbiologischen Grundlagen, das auf Beobachtung ‒ «ganz wichtig!» ‒ und Kommunikationslernen basiert, ist für sie das A und O.

Text: Roman Huber

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geschrieben von:
Roman Huber

Roman Huber

Roman Huber ist Publizist, Hunde- sowie Medienfachmann, hat zwei Hunde und unterstützt als Trainer seine Frau in deren Hundeschule. Er plädiert für eine faire Erziehung bzw. Haltung, die den Bedürfnissen und Möglichkeiten des einzelnen Hundes und dessen Menschen entspricht. Statt Methoden stellt er die individuelle Begleitung ins Zentrum und Lösungen, die auf Ursachenanalyse basieren sowie verhaltensbiologisch gesehen korrekt sind. www.dogrelax.ch.

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