Sobald zwei Menschen sich über das Verhalten ihrer Hunde unterhalten, fällt der Begriff «Dominanz» oft innerhalb ganz weniger Sätze. Was hat es mit der Dominanz wirklich auf sich und was ist darunter zu verstehen?
Text: Udo Ganslosser, Sophie Strodtbeck
Was wird dem armen Hund nicht alles als Dominanz unterstellt! Ob er an der Leine bellt, ob er Jogger und Radfahrer jagt, ob er seinen Menschen bei der Begrüssung anrempelt oder schlichtweg anderen Hunden gegenüber eine gewisse Individualdistanz wahren möchte, weil ihm beispielsweise die Hüfte weh tut – immer ist er dominant. Und meist kommt hinterher dann auch ein entsprechend gut gemeinter, aber selten guter Ratschlag wie beispielsweise: «Lass ihn schnell mal kastrieren, sonst wird’s noch schlimmer!» oder «Du musst immer einen Keks vor deinem Hund essen, bevor du ihn fütterst, du musst immer vor ihm durch die Tür gehen und er darf unter keinen Umständen mehr ins Bett oder aufs Sofa!» Diese und ähnliche Ratschläge gehen jedoch, wie verhaltensbiologische Untersuchungen eindeutig zeigen, am Konzept der Dominanz weit vorbei.
Was ist also Dominanz?
Verhaltensbiologisch korrekt angewendet, bezeichnet der Begriff der Dominanz eine Beziehung. Und wie jede andere Beziehung auch beruht diese auf Gegenseitigkeit, auf Vertrautheit und auf gewissen Spielregeln. Diese Spielregeln, die Konventionen, finden sich bei Tieren immer dann, wenn die vorangehende und gewissermassen vorbeugende Regelung von möglichen Konflikten durch bestimmte Übereinkommen gelöst wird. Dann kann man in der konkreten Problemsituation wesentlich schneller, gefahrenärmer und auch energiesparender agieren. Im Fall der Dominanzbeziehung bedeutet dieses getroffene Abkommen: Einer ist in der Lage, seine Interessen gegen den Anderen durchzusetzen.
Er kann dies jederzeit, muss es aber nicht. Und genau hier liegt bereits das erste Missverständnis des Dominanzbegriffs in Teilen der Hundeszene. Mit Aggression hat Dominanz überhaupt nichts zu tun.
Im Gegenteil, in einer stabilen Dominanzbeziehung muss der Ranghohe eben nicht aggressiv agieren, weil der Rangtiefe ihm freiwillig die Privilegien überlässt. Dass er dies aber nur tut, wenn er auch eine Gegenleistung dafür bekommt, gilt für alle Beziehungen. Je asymmetrischer eine Beziehung aber ist, desto mehr gilt: Nur wer einen Vorteil davon hat und sich unter anderen auch denkbaren Bedingungen schlechter stellen würde, wird das Leben in dieser Beziehung akzeptieren. Je attraktiver der Ranghohe durch andere Eigenschaften, etwa durch Herrschaftswissen, Führungskompetenz oder sonstige Angebote an seine Gefolgsleute ist, desto leichter fällt es diesen, sich ihm unterzuordnen. Eine Dominanzbeziehung wird immer von unten nach oben stabilisiert. Die Rangtiefen gestehen dem Ranghohen die Privilegien durch ihren freiwilligen Verzicht zu – Es gibt keine Häuptlinge ohne Indianer.
Formale und situative Dominanz
Ein weiteres Missverständnis des Dominanzkonzepts beruht darauf, dass Dominanzbeziehungen oftmals auf zwei unterschiedlichen Ebenen angetroffen werden: Da gibt es zum einen die formale Langzeitdominanz, oft auch als soziale Dominanz bezeichnet. Bei Hunden äussert sich diese vorwiegend in einer aufrechten Körperhaltung, einem Sich-gross-Machen und in Begegnungssituationen eventuell stark gestreckten Gelenken und einer erhobenen Rute und Kopf. Diese formale Langzeitdominanz etabliert sich in einer Hund-Hund-Beziehung meist erst innerhalb von einigen Monaten und ist gewissermassen die «Blaupause», anhand derer die zukünftigen Begegnungen beider geregelt werden können.
Lesen Sie den ganzen Artikel von Udo Ganslosser und Sophie Strodtbeck im Schweizer Hunde Magazin 4/2014.