Eigentlich waren Sie mit den Fortschritten Ihres Kleinen ganz zufrieden, denn alles, was Sie Ihrem Welpen beigebracht haben, lernte er sehr schnell und zuverlässig. Insgeheim waren Sie auch immer sehr stolz, wenn er auf den ersten Pfiff angeschossen kam, sich auf Kommando sofort ins Platz warf und auch sonst ein Vorzeigehund war, um den Sie auf der Hundewiese beneidet wurden. Eigentlich, denn plötzlich war alles anders…
Von einem Tag auf den anderen haben Sie das Gefühl, dass Ihr Kleiner nicht mehr weiss, was «Sitz» gleich wieder war, dass er sein tadelloses Sozialverhalten mit den Kinderschuhen an der Garderobe abgegeben hat und ihm zwischenzeitlich sogar sein eigener Name unbekannt vorkommt. Willkommen in der Pubertät, dem Alter, in dem der Halter vorübergehend anstrengend wird.
Text: Sophie Strodtbeck
Fast jeder, der schon einmal einen Welpen auf dem Weg ins Erwachsenenalter begleitet hat, kann ein Lied davon singen. Die Pubertät beginnt, wenn die Hündin das erste Mal läufig wird und der Rüde anfängt, das Bein zu heben. Und eigentlich ist sie dann auch recht schnell wieder vorbei. Denn die Pubertät ist ein Teil der sogenannten Adoleszenz, der Phase des Heranwachsens, die in der späten Kindheit beginnt, über die Pubertät andauert und ihr Ende im vollen Erwachsenensein findet. Und diese Phase, von der Pubertät bis zum erwachsenen Hund, in der im Gehirn fast alles neu strukturiert wird, kann je nach Hundepersönlichkeit sehr anstrengend sein. In dieser Phase ist der Hund zwar biologisch gesehen zeugungsfähig und körperlich so gut wie ausgewachsen, aber emotional und sozial noch nicht vollends gereift. Die Adoleszenz ist die Zeit des Ablösens von der Familie und der Entwicklung der eigenen Persönlichkeit eines Hundes, die Zeit zwischen der Geschlechts- und der Zuchtreife. Every-body‘s Darling war also gestern…
Der Eintritt in die Pubertät und die Dauer der Adoleszenz variiert individuell und ist rasseabhängig. Kleinhundehalter haben Glück: Beim kleinen Hund beginnt die Pubertät früher und die Adoleszenz ist früher abgeschlossen. Ein Herdenschutzhund hingegen kann schon mal vier Jahre brauchen, bis er wirklich erwachsen ist, und Rüden sind in der Entwicklung langsamer als Hündinnen.
Plötzlich ist alles anders…
Anstrengend ist diese Zeit oftmals, weil sich die Prioritäten des eben noch so süssen, unkomplizierten und anhänglichen Welpen nun komplett verschieben. Er wird selbstständiger und zeigt ein gesteigertes Explorations-, also Erkundungsverhalten. Jegliches selbstbelohnendes Verhalten bekommt einen grösseren Stellenwert, jeder Grashalm hat in den Augen des Hundes phasenweise mehr zu bieten als der Halter. Dem Hund fällt es schwer, sich von für ihn wichtigen und lohnenswerten Dingen zu trennen und sich stattdessen auf seinen Besitzer zu konzentrieren. Ressourcen bzw. deren Verteidigung werden auf einmal wichtig, ebenso wie tausend andere Dinge, die der Hund nun plötzlich im Kopf hat, und auch sein Radius vergrössert sich. Problematisch ist hierbei die lernverstärkende Wirkung des Dopamins, der Selbstbelohnungsdroge des Gehirns, die dazu führt, dass diese selbstbelohnenden Handlungen sehr schnell positiv bewertet, erlernt und beibehalten werden.
Biologisch völlig normal
Wichtig zu wissen ist, dass der Hund das keinesfalls tut, um seinen Halter zu ärgern! Die Veränderungen im Verhalten sind ein physiologisch völlig normaler Ablauf und dem Hormoncocktail, den der Vierbeiner gerade genüsslich zu sich nimmt, geschuldet. Wut auf den ignoranten Hund ist also durchaus verständlich, hilft aber nicht weiter. Geduld und Verständnis sind dagegen wichtig, auch wenn das leichter geschrieben als getan ist…
Auch hat das Verhalten, entgegen dem, was man immer wieder hört, nichts mit Dominanz zu tun! «Das hat er ja noch nie gemacht», wird zu Ihrem Standardspruch in den nächsten Monaten und Jahren werden – und stimmt hier sogar einmal. Wenn wir gestern noch einen kleinen Streber unser Eigen nannten, haben wir jetzt ein «Pubertier» an der Leine. Und mit ihm ist über Nacht der «Was-war-Sitz-gleich-wieder-Blick» aufgetaucht. Die Stressanfälligkeit des Hundes steigt und die Reaktionen auf Stressoren werden intensiver.
Ihr Job als Halter ist es nun, dem Hund und seiner Grossbaustelle im Gehirn Verständnis entgegenzubringen, denn er kann tatsächlich nicht anders, als sich so zu verhalten, wie er sich verhält. Trotzdem dürfen Sie sich natürlich nicht auf der Pubertät des Hundes ausruhen, sondern müssen gegensteuern. Bleiben Sie konsequent und bieten Sie Ihrem Hund Sicherheit, Orientierung und Führung, die er dringend benötigt. Denn der Hund wird nicht von selbst aus diesen Problemen «herauswachsen», sondern sie werden sich, wenn man den Dingen ihren Lauf lässt, verfestigen und zu immer grösseren Problemen heranwachsen. Je länger Sie warten, desto schwieriger wird es.
Die hormonellen Vorgänge im pubertären Hundehirn
Den Startschuss für den Eintritt in die Pubertät gibt das Hormon GnRH, das sogenannte Gonadotropin Releasing Hormon. Dieses Hormon aktiviert die Freisetzung der Geschlechtshormone aus den Geschlechtsorganen, was wiederum zu vielfältigen Umbauten im Gehirn führt. Das Gehirn wird vorübergehend zur Grossbaustelle.
Die Folge sind mehr Zuständigkeiten für die Hirnregionen, die für rationale Entscheidungen und sogenannte kognitive, also höhere geistige Leistungen zuständig sind. Dafür bekommen die emotional reagierenden Teile des sogenannten limbischen Systems weniger Gewicht. Das Verhalten wird also während der Adoleszenz vom emotionalen und infantilen Handeln weg und zum erwachsenen und vernünftigen Verhalten hin verlagert. Der Gewinner dieser Aufgabenneuverteilung ist das sogenannte Frontalhirn, das unter anderem dafür zuständig ist, Entscheidungen zu treffen, Informationen im Kopf zu behalten, eine gewisse Planbarkeit zu ermöglichen und für «Multitasking», Impulskontrolle und Frustrationstoleranz zuständig ist. Beim Umbau kommt es zur Umwandlung sogenannter grauer in weisse Substanz.
Die weisse Substanz enthält schnellere Nervenverbindungen und ist leistungsfähiger. Die Umwandlung von Grau in Weiss liegt an der fortschreitenden Myelinisierung der Nervenfasern. Die weiss erscheinenden Myelinhüllen oder -scheiden sind Isolierungen um die Nervenfasern, die Kurzschlüsse verhindern und für eine effektivere und 50-fach beschleunigte Reizweiterleitung sorgen. Wissenschaftler gehen davon aus, dass der kognitive Leistungsabfall zu Beginn der Pubertät auf die Umwandlungsprozesse der grauen zur weissen Masse zurückzuführen sei («…dieser Anschluss ist vorübergehend nicht besetzt»). Im pubertären Gehirn werden also die bisherigen Kupferkabel zu einer schnellen Datenautobahn ausgebaut. Unnötige Nebenstrecken werden abgebaut und dadurch werden die Verknüpfungen optimiert und die Leitungsgeschwindigkeit wird deutlich beschleunigt. Und wie auf jeder anderen Baustelle herrscht während des Baus das pure Chaos.
Warum ist der Hund in der Pubertät so anstrengend?
Aus neurobiologischer Sicht entsteht in der Pubertät ein temporäres Frontalhirndefizit mit all seinen Folgen. Und da das Frontalhirn der Teil des Gehirns ist, der Impulse kontrolliert, Handlungen plant und die Folgen von Handlungen abschätzt, ist klar, dass der pubertierende Hund all das vorübergehend nicht leisten kann. Impulskontrolle und Risikoabschätzung sind also nicht unbedingt die Stärke pubertierender Junghunde. Auf der Ebene der Botenstoffe spielt hier das Dopamin eine wichtige Rolle. Dopamin kann man als die Selbstbelohnungsdroge des Gehirns bezeichnen; es wirkt als Verstärkersystem für innere Impulse und sorgt dafür, dass ein Impuls in eine Handlung umgesetzt wird. Dieses dopaminerge System ist in der Zeit der Pubertät am stärksten ausgebildet, und wegen seiner selbstbelohnenden Funktion sind Junghunde immer begierig auf eine Stimulation dieses Systems, quasi immer auf der Suche nach dem Dopamin-Kick. In der Humanpsychologie spricht man hier vom «sensation seeking». Je schlechter also in der Pubertät die bremsende und hemmende Funktion des Frontalhirns funktioniert und je mehr dopaminerger «Sprit» zum Antrieb vorhanden ist, desto grösser wird die Risikobereitschaft.
Dazu kommt, dass der Mandelkern (die Amygdala), das emotionale Bewertungszentrum des Gehirns, das die Wahrnehmung und die Reaktionen steuert, sich in dieser Phase vergrössert und empfindlicher und intensiver auf Reize aus der Umwelt reagiert. Dies bedeutet, dass Reaktionen emotionaler ausfallen, als wir es bisher kannten. Dies ist leider auch ein guter Nährboden für Aggression. Der «Canis pubertus» testet also seine Grenzen aus und ist auch in Auseinandersetzungen risikobereiter. Das ist biologisch durchaus sinnvoll, denn kein Jungwolf oder Junghund würde abwandern und eine eigene Familie gründen, wenn das nicht so wäre und er stattdessen auf ein risikoloses, sicheres Leben mit Bausparvertrag und Vorgartenidylle aus wäre…
Gewinner – Verlierer?
Klarer Gewinner der Pubertät ist das vordere Stirnhirn, das mit Entscheidungsfindung, rationalem Handeln und der Lösung von Problem befasst ist. Andere Bereiche der Grosshirnrinde, die für die Verknüpfung von Informationen und damit für die (vernünftige) Bewertung von Aussenreizen und deren rational sinnvolle Beantwortung zuständig sind, gehören ebenfalls zu den Gewinnern der pubertären Umorganisation.
Die Verlierer des Umbauprozesses sind insbesondere Teile des limbischen Systems, also des für Emotionen zuständigen Teils des Gehirns. Dort wird vor allem die Wirksamkeit von Dopamin verringert. Was hier stattfindet, also emotionale und unüberlegte Handlungen, wird also nicht mehr so stark positiv bewertet und entsprechend nicht mehr so häufig gezeigt.
Stress lass nach!
Während der Pubertät kommt es aber auch zu einer starken Erhöhung der Aktivität der Nebennierenrinde, die das Stresshormon Cortisol produziert, wodurch die erhöhte Stressanfälligkeit in dieser Zeit erklärlich wird. Ausserdem kommt es zu einer verstärkten Ausschüttung des Elternhormons Prolaktin, einem Gegenspieler des Cortisols. Der gesamte Hormoncocktail aus Stresshormonen, insbesondere Cortisol, Sexualhormonen, Nervenwachstumsfaktor, Prolaktin und anderen wird in eine heftige Berg- und Talfahrt versetzt. Dies belegen Untersuchungen an Menschen, Hunden, Affen und anderen Tierarten; der Stresshormonspiegel ist bei allen Säugetieren während der Adoleszenz am höchsten.
So kompliziert diese Zusammenhänge auch sein mögen, so wichtig sind sie doch für das Verständnis für den Hund und seine Achterbahn der Gefühle. Also rufen Sie sich all das immer ins Gedächtnis, wenn Ihr Hund Sie mal wieder auf die Palme bringt. Und denken Sie daran: Die Pubertät bzw. die Adoleszenz ist nur ein Lebensabschnittsgefährte und geht vorbei.
Das Wichtigste in Kürze
- Der Eintritt in die Pubertät und die Dauer der Adoleszenz variiert individuell und ist rasseabhängig.
- Der Hund wird selbstständiger und zeigt ein gesteigertes Erkundungsverhalten.
- Jegliches selbstbelohnendes Verhalten bekommt einen grösseren Stellenwert. Dem Hund fällt es schwer, sich von für ihn wichtigen und lohnenswerten Dingen zu trennen und sich stattdessen auf seinen Besitzer zu konzentrieren.
- Ressourcen bzw. deren Verteidigung werden auf einmal wichtig.
- Die Veränderungen im Verhalten sind ein physiologisch völlig normaler Ablauf. Der Hund benimmt sich keinesfalls so, um seinen Halter zu ärgern!
- Trotzdem darf «falsches» Benehmen nicht geduldet werden. Bleiben Sie konsequent und bieten Sie Ihrem Hund Sicherheit, Orientierung und Führung, die er dringend benötigt.
- Wenn man den Dingen ihren Lauf lässt, verfestigen diese sich und wachsen zu immer grösseren Problemen heran.
- Bedenken Sie: Infolge der Veränderungen im Gehirn sind Impulskontrolle und Risikoabschätzung nicht unbedingt die Stärke pubertierender Junghunde.
- Der Junghund reagiert empfindlicher und intensiver auf Reize aus der Umwelt. Dies bedeutet, dass Reaktionen emotionaler ausfallen als bisher. Dies ist leider auch ein guter Nährboden für Aggression.
- Der Stresshormonspiegel ist bei allen Säugetieren während der Phase des Heranwachsens am höchsten.
http://www.post-von-carl-otto.de/2015/07/07/puber-tier-otto-gehorcht-nicht-mehr/. Hier wird die angesprochen Problematik von der anderen Seite humorvoll geschildert.
Für mich, der gerade einen Aussie-Border-Rüden im Alter von 7 Monaten hat, und der gerade diese Phase durchmacht, eine hilfreiche Seite. Wir haben daneben noch eine 3 1/2jährige Kurzhaarcolliehündin die wir nach der ersten Läufigkeit haben kastrieren lassen. Auch für sie haben wir einen sehr guten Artikel in ihrer Zeitschrift gefunden.
Bitte macht weiter so.
Gruß Ralph Manske aus Niebüll
Sehr guter, da anschaulich in Bildern formulierter und erklärender Artikel zum „Pubertier“! Besten Dank.