Schweizer Hunde Magazin

Die Kastration des Rüden

Und viele Probleme im zwischenhundlichen Bereich entstehen nach einer (Früh-)Kastration, zum Beispiel durch Distanzlosigkeit, kindisches und für einen erwachsenen Hund unangemessenes Verhalten oder wenn Kastraten ständig bestiegen werden. Die Geschichte der Kastration ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Noch immer hält sich leider bei vielen Tierärzten, Trainern und Haltern hartnäckig der Glaube, dass die Kastration vor allem beim Rüden ein chirurgisches Wundermittel bei unterschiedlichsten Verhaltensproblemen darstellt. Aber eine Kastration kann niemals eine vernünftige Verhaltenstherapie ersetzen und viele Probleme, die mit dem Testosteron in Verbindung gebracht werden, haben mit den Sexualhormonen gar nichts zu tun.

Text: Sophie Strodtbeck

Strikt abzulehnen ist, genau wie bei der Hündin, auch beim Rüden die Frühkastration, also eine Kastration vor dem Alter, in dem eine Hündin derselben Rasse die dritte Läufigkeit hinter sich gebracht hätte. Bei beiden Geschlechtern haben die Sexualhormone eine wichtige Funktion für die Pubertät – schneidet man sie per Skalpell weg, bleibt auch die Pubertät aus. Dass die Pubertät des Hundes mitunter eine sehr anstrengende Lebensphase ist, ist unbestritten (siehe SHM 6/14 oder unter www.hundemagazin.ch/ Ratgeber), aber sie erfüllt wichtige Funktionen im Hundehirn und -organismus. Nicht nur körperlich kommt es zur endgültigen Ausreifung, sondern auch das Gehirn wird leistungsfähiger und Entscheidungen werden nach der Pubertät nicht mehr vorwiegend emotional und infantil getroffen, sondern rationaler und «vernünftiger». So entwickeln sich zum Beispiel eine gute Impulskontrolle und eine belastbare Frustrationstoleranz erst im Laufe der Pubertät. Natürlich gibt es individuelle und Rasseunterschiede, was die «Ernsthaftigkeit» von Hunden angeht. Ein Herdenschutzhund wird sich trotz Kastration anders entwickeln als ein Labrador, aber ein Hund – ganz gleich welcher Rasse – hat das Recht, erwachsen zu werden.

Und viele Probleme im zwischenhundlichen Bereich entstehen nach einer (Früh-)Kastration, zum Beispiel durch Distanzlosigkeit, kindisches und für einen erwachsenen Hund unangemessenes Verhalten oder wenn Kastraten ständig bestiegen werden.

Warum werden Rüden kastriert?

Wie eine Befragung der Hundehalter im Rahmen der «Bielefelder Kastrationsstudie» (Niepel, 2007) ergab, stellt unerwünschtes Verhalten den häufigsten Grund für eine Kastration dar (74 %), gefolgt von 30 % der Befragten, die Haltergründe angaben, also beispielsweise das Zusammenleben von Hündin und Rüde in einem Haushalt. Nur bei 21 % der Hundehalter spielten medizinische Überlegungen eine Rolle. (Da auch Mehrfachnennungen möglich waren, ergeben sich insgesamt über 100 %.).

Aggression ist nicht gleich Aggression!

Sehr weit verbreitet ist immer noch der Glaube, dass man durch eine Kastration Aggressionsverhalten beseitigen kann. Dies ist allerdings nur in ganz seltenen Fällen gegeben und bedarf einer genauen und differenzierten Analyse des gezeigten Verhaltens, da es das Aggressionsverhalten nicht gibt. Aggression ist vielmehr ein Mehrzweckverhalten, das immer mit der Beseitigung störender oder als gefährlich eingestufter Umwelteinflüsse im Zusammenhang steht.

Lesen Sie den ganzen Artikel von Sophie Strodtbeck im Schweizer Hunde Magazin 5/2015.