Der MDR1-Defekt: ein Gendefekt mit weit reichenden Folgen

von Dipl. oec. troph. Joachim Geyer, Justus-Liebig-Universität Giessen (D)

In diesem Beitrag geht es uns darum, Züchter und Halter betroffener Rassen sowie interessierte Fachkreise aufzuklären. Da in letzter Zeit die verschiedensten Informationen aus unterschiedlichsten Quellen kursierten, möchten wir dazu beitragen, verunsicherten Hundebesitzern fundierte Erkenntnisse zu vermitteln.

Mittlerweile wissen wir, dass das ursprünglich als Ivermectin-Empfindlichkeit bei Collies bezeichnete Phänomen verschiedene Arzneistoffe betrifft und auf einen Gendefekt zurückzuführen ist, der bisher bei Hunden verschiedener collieartiger Rassen nachgewiesen werden konnte. Das empfindliche Hirngewebe ist normalerweise durch die Blut-Hirn-Schranke davor geschützt, dass bestimmte Arzneistoffe ins Gehirn übertreten. Der so genannte MDR1-Gendefekt führt nun dazu, dass diese Schutzfunktion verloren geht. Dadurch können betroffene Hunde mit schweren Vergiftungserscheinungen am Nervengewebe reagieren. Diese zeigen sich in Bewegungs- und Koordinationsstörungen, Zittern, Benommenheit, Pupillenerweiterung, vermehrtem Speichelfluss und können im schlimmsten Fall sogar zum Tod führen.

Geschichte

Bereits aus den 80er Jahren kennen wir wissenschaftliche Berichte darüber, dass manche Collies auffallend überempfindlich gegenüber dem Antiparasitikum Ivermectin reagieren, das in der Tiermedizin in grossem Umfang zur Entwurmung eingesetzt wird. Die betroffenen Tiere zeigen bereits bei einer Dosierung von 100 µg/kg gravierende Nebenwirkungen. Diese Dosis liegt weit unterhalb der Dosierung, welche von anderen Hunderassen (z. B. Beagle) problemlos vertragen wird. Daher ist das Ivermectin-Präparat IVOMEC® mittlerweile nur noch für die Therapie von Pferden, Schweinen und Rindern, nicht jedoch für Hunde zugelassen. In der Zwischenzeit sind vergleichbare Phänomene nach Verabreichung einer Reihe anderer Medikamente festgestellt worden. In diesem Artikel wollen wir nun erklären, welche Problematik hinter dieser Gefährdung steckt.

Was bewirkt ein Defekt in der Blut-Hirn-Schranke?

An der Grenze zwischen Blutgefässen und dem Nervengewebe stellt der so genannte MDR1-Transporter eine Schutzbarriere für das Gehirn dar. Er ist ein Bestandteil der so genannten Blut-Hirn-Schranke.

Der MDR1-Transporter sitzt normalerweise auf der Oberfläche der Endothelzellen. Das sind Zellen, welche die Wände der Blutgefässe von innen auskleiden. An dieser Stelle sorgt der MDR1-Transporter dafür, dass für das Gehirn giftige (toxische) Verbindungen und Arzneistoffe nicht ins Nervengewebe übertreten können (Abbildung A). Besteht nun ein genetischer Defekt im MDR1, geht diese Schutzfunktion verloren und Subs­tanzen wie Ivermectin können ungehindert die Blut-Hirn-Schranke passieren und ins Nervengewebe übergehen (Abbildung B). Mittlerweile ist bekannt, dass nicht nur Ivermectin, sondern auch zahlreiche andere Arzneistoffe bei betroffenen Tieren bis zu 90-fach mehr ins Gehirn übertreten als bei Vergleichstieren mit intakter Blut-Hirn-Schranke. Zahlreiche Arzneistoffe (siehe Arzneistoff-Tabelle) können in diesem Fall in Kontakt mit dem Nervengewebe im Gehirn kommen und dort völlig unerwartete, unter Umständen auch gefährliche nervenschädigende Wirkungen entfalten.

Weitere Informationen zu Arzneimitteln, Inhaltsstoffen, Markennamen etc. finden Sie auf der Website der Veterinärmedizinischen Fakultät der Uni Zürich (www.vetpharm.unizh.ch „Tierarzneimittelkompendium“ anklicken).

Welche Hunderassen sind betroffen?

Vor einigen Jahren sind die genetischen Sequenzen des MDR1 eines Beagles und eines Ivermectin-empfindlichen Collies untersucht worden. Zwischen beiden Sequenzen zeigt sich ein kleiner, aber doch erheblicher Unterschied: Während der untersuchte Beagle einen funktionsfähigen MDR1-Transporter bilden kann, fehlen in der genetischen MDR1-Sequenz des Ivermectin-empfindlichen Collies vier Erbbausteine. Dies führt dazu, dass der MDR1-Transporter gar nicht erst gebildet wird und die Blut-Hirn-Schranke damit einen Defekt aufweist. Allerdings tritt dieser Fall nur ein, wenn der Defekt im MDR1 sowohl von väterlicher als auch von mütterlicher Seite her vererbt wurde und somit homozygot („reinerbig“) vorliegt.

Im Rahmen einer Studie zur Häufigkeit des MDR1-Defektes bei verschiedenen Hunderassen wurden von der Projektgruppe aus Giessen bereits über 1000 Hunde aus Deutschland, Österreich und der Schweiz getestet. Ein Defekt im MDR1-Gen wurde bisher bei verschiedenen Hütehunderassen gefunden: Collie (Kurzhaar und Langhaar), Shetland Sheepdog, Australian Shepherd, Border Collie und Wäller. In einer vergleichbaren Studie in den USA wurde der MDR1-Defekt zusätzlich bei folgenden Hunderassen gefunden: Hütehunde wie der English Shepherd, der Old English Sheepdog, der McNab, aber auch die Windhunde Longhaired Whippet und Silken Windhound. (Siehe dazu „Kleines Rasseporträt“ im SHM 7/04.) Alle diese Rassen haben gemeinsame Vorfahren, welche den Defekt weitervererbt haben.

Defekt im MDR1 – Vererbung und Zucht

Aufgrund zahlreicher Anfragen zum Vererbungsgang und zum Umgang mit dem MDR1-Defekt bei der Zucht, soll auch dieses Thema hier kurz zur Sprache kommen. Der MDR1-Genotyp eines Hundes ergibt sich aus der Kombination eines von väterlicher (+ oder -) und eines von mütterlicher Seite (+ oder -) vererbten Merkmales. „+“ steht dabei für ein intaktes MDR1 und „-“ für ein defektes MDR1.

Für den MDR1-Genotyp eines Hundes gibt es also drei verschiedene Kombinationsmöglichkeiten beider Merkmale: Nicht betroffen (+/+), Merkmalsträger (+/-) und Betroffen (-/-). Ist nun der MDR1-Genotyp zweier Zuchttiere bekannt, kann bereits eine theoretische Voraussage über die MDR1-Genotypen der Nachkommengeneration getroffen werden. Betroffene Tiere (-/-) entstehen dabei aus der Kreuzung der Genotypen „+/-“ und „+/-“ mit 25 % Wahrscheinlichkeit, „+/-“ und „-/-“ mit 50 % Wahrscheinlichkeit oder „-/-“ und „-/-“ mit 100 % Wahrscheinlichkeit. Will man allerdings in der Zucht ausschliessen, dass vom MDR1-Defekt betroffene Tiere geboren werden, wäre es wichtig, beide Elterntiere auf den Gendefekt getestet zu haben. Idealerweise werden nur Zuchttiere mit dem Genotyp „+/+“ verwendet. Bei der Verpaarung von nicht betroffenen Hunden (+/+) und „Merkmalsträgern“ (+/-) wären statistisch gesehen 50 % der Nachkommen wiederum Merkmalsträger (+/-). Werden die Genotypen „+/+“ und
„-/-“ gekreuzt, werden alle Nachkommen Merkmalsträger (+/-).

MDR1-Defekt – Diagnostik

Eine besondere Empfindlichkeit gegenüber Arzneimitteln ist bisher nur für betroffene Hunde (-/-) beschrieben, den Gendefekt weitervererben können jedoch auch Merkmalsträger (+/-). Deshalb ist es gut zu wissen, dass die Forschung in diesem Bereich schon weit fortgeschritten ist und dass möglicherweise betroffene Hunde mit vernünftigem Aufwand getestet werden können. Aufgrund der grossen Nachfrage bieten wir europaweit als Erste und Einzige den Test auf Vorliegen eines MDR1-Defektes als diagnostische Leistung unseres Institutes an. Für die Untersuchung benötigen wir 1 ml EDTA-Vollblut, welches von einem Tierarzt abgenommen werden muss. Schicken Sie die Blutprobe in einem gepolsterten Briefumschlag an folgende Adresse:

Institut für Pharmakologie und Toxikologie
Projektgruppe „MDR1-Defekt beim Collie“
MZI, 636
Frankfurter Str. 107
D-35392 Giessen

Vermerken Sie in einem Begleitschreiben Ihren Namen und Ihre Anschrift sowie Name, Alter, Rasse und Geschlecht Ihres Hundes. Bitte geben Sie auch an, ob bei Ihrem Hund bereits eine Arzneimittelunverträglichkeit bekannt geworden ist. Falls möglich verwenden Sie dazu bitte das Auftragsformular auf unserer Website (http://www.vetmed.uni-giessen.de/pharmtox/index.html). Die Kosten für den Test belaufen sich derzeit noch auf 20,45 Euro (inkl. 16 % MwSt., ohne Blutentnahme). Das Testergebnis erhalten Sie per Post innerhalb von 28 Tagen. Die Diagnostik führen wir auch für Proben aus der Schweiz durch. Bisher hat sich gezeigt, dass der Versand von Blutproben aus der Schweiz und anderen europäischen Ländern keine Probleme darstellt.

Projektgruppe „MDR1-Defekt beim Collie“:

Institut für Pharmakologie und Toxikologie:
Dipl. oec. troph. Joachim Geyer
Dipl. oec. troph. Barbara Döring
Dr. med. vet. José Godoy
Prof. Dr. med. vet. Ernst Petzinger
Frankfurter Str. 107
D-35392 Giessen
Tel. +49 641 99 38 404
E-Mail: Joachim.M.Geyer@vetmed.uni-giessen.de

Klinik für Kleintiere, Innere Medizin
HDoz Dr. med. vet. Andreas Moritz
Frankfurter Str. 126
D-35392 Giessen

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