Hundeerziehung im Fernsehen – Nachahmung nicht zu empfehlen!
Immer öfter zeigen uns sogenannte Hundeflüsterer ihre Erziehungserfolge auf der Mattscheibe. Erstaunt und vielleicht sogar beeindruckt sehen wir, wie innert kürzester Zeit ein verhaltensauffälliger Hund sich zum braven, folgsamen Hausgenossen mausert. Was soll man davon halten? Wie kann das funktionieren?
Die Vizsla-Hündin Clara verteidigt ihr Territorium vehement. Bellend rennt sie auf Besucher zu, sie wirkt gefährlich und unkontrollierbar. Zusätzlich beklagen die Halter, dass die Hündin sich keine Sachen wegnehmen lässt. Wenn sie ihren Knochen verteidigt, fletscht sie die Zähne, bekommt grosse Augen und sieht ganz wild dabei aus.
Der sympathische Hundeexperte analysiert das Verhalten der Hündin mit den Besitzern. Er erklärt daraufhin sehr einfühlsam und überzeugend, wie sich das Problem entwickeln konnte und wo die Lösung zu finden ist. Seine Strategie lautet, die Hündin muss sich ihrer Angst stellen, um damit fertig werden zu können, sonst wird sie nie erkennen, dass ihr nichts passieren kann.
Dramatisches Training mit Happy End?
Clara wird eine dünne Leine um den Hals gelegt. Es folgt eine Runde durch das Wohnzimmer, in der der Hundetrainer seine Dominanzbeziehung mit dem Hund aufbaut. So erreiche er, dass die Hündin ihm vertraue, erklärt der Experte.
Kurze Zeit später wird Clara direkt zu der Kamera und den fremden Leuten geführt, und das Wunder passiert. Durch die Dominanz und Souveränität des Trainers sowie durch die positive Energie, die er ausstrahlt, bleibt die Hündin ruhig und lässt plötzlich alles mit sich machen. Die Kamera kommt ganz nah zu der Hündin. Clara bleibt ruhig sitzen und zeigt keine aggressiven Anzeichen mehr.
Kurz darauf ist ein ähnlicher Erfolg zu sehen, als der Hundeversteher durch warnende Zischlaute Clara davon überzeugt, dass sie sich den Knochen abnehmen lassen muss. Sogar die Halterin ist direkt nach dieser Übung in der Lage, der Hündin gefahrlos den Knochen abzunehmen.
Dies war vorher überhaupt nicht möglich. Am Ende der Folge sind alle überglücklich und die Familienidylle ist wieder hergestellt.
Eine schöne Geschichte, mit dramatischem Beginn, spannenden Höhepunkten und einem guten Ende. Fast wie im Märchen. Solche Folgen mit mehr oder weniger dramatischen Szenen sind seit einigen Jahren immer häufiger im Fernsehen zu verfolgen. Unterschiedlichste Hundetrainer aus verschiedenen Ländern zeigen ihr Können und verpacken dies in spannende Geschichten, die den Zuschauer unterhalten sollen. Darum geht es, denn Fernsehprogramme scheinen leider immer mehr darauf ausgelegt zu sein, zu unterhalten, anstatt Wissen zu vermitteln.
Nur ein Märchen?
Die Trainingserfolge sind jeweils sichtbar und die Trainer erklären ihre Vorgehensweise auch sehr einleuchtend. Zusätzlich können Hunde bestimmt nicht so perfekt schauspielern! Das, was man bei den Hunden sieht, ist doch echt, oder etwa nicht? Richtig! Die Hunde spielen nicht einfach eine Rolle, ihr Verhalten ist echt und unverfälscht. Ist das Ergebnis aber wirklich das, was der Hundehalter sich wünscht? Wer genau hinsieht, erkennt, dass Clara nicht wirklich entspannt ist. Im Gegenteil, sie ist extrem verunsichert, stellt jegliche freie Bewegung ein und von Freude gegenüber den netten Besuchern kann gar keine Rede sein. Clara hat ganz einfach nur Angst und ist vollkommen überfordert.
Wie Clara geht es auch vielen anderen «Problemhunden» nach der «erfolgreichen» Therapie im Fernsehen. Erreicht werden diese schnellen Trainingserfolge durch Strafmassnahmen, die für den Hund sehr eindrücklich sind. Dem Halter und dem Zuschauer werden diese jedoch als kleine Korrekturmassnahmen vorgestellt und vielfach in den Hintergrund gerückt.
Tierquälerei vor der Kamera
Bevor Clara von dem Hundeexperten durch das Wohnzimmer geführt wurde, legte der Trainer eine dünne Leine um den Hals der Hündin. Diese Leine funktioniert wie ein Lasso, das sich ohne Stopp bis zum Ende zusammenziehen lässt. Der Hundetrainer fixiert die Schlaufe ganz oben am Übergang vom Hals zum Kopf mit einem leichten Zug, so dass sie direkt hinter den Ohransätzen liegen bleibt (siehe Fotos Seite 11). Wird nun an dieser dünnen Leine oder Schnur ein kurzer Ruck ausgeführt, werden der Kehlkopf und die weiche Halsregion hinter den Ohren gequetscht. Die entstehenden Schmerzen kann jeder nachempfinden, der sich einmal selber an dieser Region betastet und dort Druck ausübt. Intensivere Leinenrucke lösen sichtbare Schluckbeschwerden beim Hund aus, die bei genauer Beobachtung eindeutig zu erkennen sind. Wird der Hund mittels dieser «Galgenkonstruktion» beispielsweise in ein Auto gezogen, weil er Angst davor hat, zieht die Halsschlaufe sich immer weiter zu. Dem Vierbeiner bleibt nur noch die Wahl, dem Zug nachzugeben, oder zu ersticken. Was für ein Wunder, dass er sich trotz der Angst vor dem Fahrzeug dafür entscheidet einzusteigen.
Fast unmerklich ruckt der Hundetrainer immer wieder an Claras Hals und gibt mit jedem Ruck gleichzeitig einen Zischlaut ab. Die Energie und die Körperhaltung des Hundeverstehers werden für Clara zur Nebensache. Die Hündin hat stattdessen mit den Schmerzen zu kämpfen, denen sie möglichst schnell entgehen möchte. Ihre Versuche, sich aus der unangenehmen Situation zu befreien, werden jedoch genauso wie die Flucht nach vorne mit Rucken und Zischlauten beantwortet. Mehrmals wird Clara dabei so weit nach oben gezogen, dass die Vorderbeine in der Luft hängen, sie also wortwörtlich etappenweise erdrosselt wird. Die Hündin erfährt sehr schnell, dass sie den Schmerzen und der Erstickungsangst nur entgehen kann, wenn sie gar nichts mehr tut und die Situation über sich ergehen lässt. Kurz darauf reichen bereits die Zischlaute aus, um ihr Verhalten zuverlässig zu hemmen. Diese Zischlaute wurden zuvor perfekt mit den auftauchenden Schmerzen verknüpft. Clara erwartet nun bei jedem Zischlaut, erneut diese Schmerzen zu erfahren. Die Belohnung in diesem Moment ist allein das Ausbleiben der Schmerzen, die der Hündin so subtil zugefügt wurden, dass sogar sehr erfahrene Trainerkollegen diese Strafmassnahmen kaum entdeckten.
Hilflosigkeit als Mittel zum Zweck
Clara hat gelernt, dass sie einer bedrohlichen Situation hilflos ausgeliefert ist. «Erlernte Hilflosigkeit» ist der Fachbegriff für dieses Ergebnis. Vertrauen zum Hundetrainer, geschweige denn zum Hundehalter wird durch diese Techniken sicherlich nicht aufgebaut.
Nicht immer sind es diese schmerzhaften Strafmassnahmen, die für den schnellen Erfolg verantwortlich sind. Vor allem deutsche Hundetrainer nutzen in der Regel weniger angreifbare Methoden, um ein unerwünschtes Verhalten wirksam zu hemmen. Hierzu gehören beispielsweise Schepperbüchsen, Wasserspritzpistolen oder Sprühhalsbänder. Dass diese Massnahmen so effektiv sind, liegt daran, dass viele Hunde sensibel auf Schreckreize reagieren.
Das oft als dominant verstandene aggressive Verhalten der meisten vorgestellten «Problemhunde» ist anhand der Körpersignale eindeutig als angstaggressives Verhalten zu identifizieren. Die Hunde haben also Angst und sehen die aggressive Reaktion auf den auslösenden Reiz als einzigen Ausweg. Wird die Bedrohung durch einen Schreckreiz noch weiter verstärkt, kann dies den Hund in seiner Angst handlungsunfähig machen. Auch aggressives Verhalten wird in diesem Fall entsprechend eingestellt, und wenn möglich tritt der Vierbeiner den Rückzug an. Ist auch dies nicht möglich, erstarrt der Hund und «hofft», dass er die bedrohliche Situation doch noch lebend überstehen kann. Das Ergebnis sind verängstigte und in ihrem Willen gebrochene Hunde. Im Fernsehen wird dieses regelmässig als Trainingserfolg deklariert. Für Hundehalter mit hohem Leidensdruck mag die heftige Angst des Hundes als «noch vertretbar» erscheinen, um möglichst schnell wieder ein «normales» Leben führen zu können. Aus ethischer und tierschutzrechtlicher Sicht sind diese auf Angst basierenden Ausbildungsmethoden jedoch sehr zweifelhaft.
Zu Risiken und Nebenwirkungen …
Viele Hunde lassen sich durch die beschriebenen Massnahmen so stark verunsichern, dass der «Trainingserfolg» sehr schnell eintritt. Andere Hunde wehren sich aber auch dagegen. Auf den Ruck an der Halsschlaufe oder andere schmerzhafte Einwirkungen reagieren einige Hunde mit einem Angriff auf den Hundetrainer. Im Film sehen solche Szenen wie ein Machtkampf aus. Meist kommt der Hundeexperte mit einigen Bissen davon und schafft es am Ende doch noch, den «dominanten» Hund zu unterwerfen. Mit dominantem Verhalten hat das nichts zu tun, auch wenn das gerne so behauptet wird. Dass der Hund bis dahin aufgrund der Strangulation kaum noch Luft bekommen hat und aus diesem Grund so leicht auf die Seite zu kippen ist, merkt nur, wer genau hingesehen hat. Hier handelt es sich um Hunde, die verzweifelt versuchen, diesen Einwirkungen zu entgehen. Sie kämpfen nicht um Status oder um die Rangfolge, sondern um ihr Leben!
Solche Techniken sind aus ethischen und tierschutzrechtlichen Gründen ganz klar abzulehnen. In der Schweiz und auch in Deutschland greift hier das Tierschutzgesetz. Dieses verbietet, Tieren ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen. Der vernünftige Grund ist auch bei höchst aggressiv einzustufenden Hunden nicht gegeben, denn es gibt andere, tierfreundlichere Techniken, um nachhaltigere Ergebnisse zu erreichen. Schreckreize sind zwar nicht körperlich bedrohlich; eine psychische Bedrohung kann jedoch von einem Individuum ähnlich heftig empfunden werden. Jeder, der grosse Angst vor Spinnen hat oder unter Höhenangst leidet, wird diesen Effekt nachvollziehen können.
Die Reaktion des Hundes auf eine Bedrohung (und somit auch auf einen Strafreiz) ist je nach Individuum sehr unterschiedlich und kann keinesfalls pauschalisiert werden! Mit unerwünschten Nebenwirkungen ist daher immer zu rechnen: Eine mögliche Nebenwirkung beim Einsatz von Strafen ist, dass der Vierbeiner zum Gegenangriff übergeht. Dies passiert entweder direkt nach der Strafeinwirkung, weil er sich zu wehren versucht, oder etwas später, wenn der verunsicherte Hund eine Chance sieht, sich «den Weg frei zu kämpfen». Eine weitere Gefahr besteht darin, dass der gemassregelte Hund das Vertrauen in seinen Halter und / oder in seine Umwelt verliert. Gerade beim Einsatz von Schreckreizen entwickeln sensible Hunde schnell eine generelle Angst vor allen möglichen Geräuschen, die ähnlich klingen. Plötzlich reagiert der Vierbeiner mit Panikattacken, wenn eine Autotür zuknallt oder ein Schlüsselbund herunterfällt. Die ganze Welt scheint für den Hund auf einmal höchst gefährlich und der Spass am Leben nimmt immer mehr ab. Die Nachahmung von Strafmassnahmen, die im Fernsehen scheinbar so effektiv genutzt werden, ist daher definitiv nicht zu empfehlen! Es geht dabei nicht um die Frage, ob Strafe grundsätzlich genutzt werden darf oder nicht. Es geht vielmehr um tierschutzrechtliche Aspekte und darum, das Vertrauen unserer vierbeinigen Partner nicht zu missbrauchen.
Es ist nicht alles Gold, was glänzt
Die meisten prominenten Hundetrainer zeichnen sich notwendigerweise durch eine gute Marketingstrategie und überzeugende Erklärungsansätze aus. Sie wirken sehr sympathisch auf die Zuschauer, sind einfühlsam und freundlich. Äusserst überzeugend erklären sie, wie ihre «Methode» beim Hund funktioniert und warum ihr Trainingsansatz so wichtig und richtig ist.
Neben der umstrittenen Dominanztheorie im Hunde- und Menschenrudel werden teils auch energetisch wirksame Körperhaltungen zur Erklärung herangezogen. Oft sind die gewählten Argumente fachlich so ausformuliert, dass sie für den Laien kaum überprüfbar sind. Kurz darauf werden sie jedoch durch den anschliessend erkennbaren Trainingserfolg sehr überzeugend unterstrichen, und am Ende bleiben keine Fragen mehr offen. Der Sympathiefaktor des Fernseh-Hundetrainers steigt zusätzlich, wenn dieser sich öffentlich aktiv im Tierschutz einsetzt. Niemand traut diesen freundlichen und engagierten Menschen zu, dass sie den ihnen anvertrauten Hunden absichtlich physische oder psychische Qualen zufügen können. Alles, was sie im Training tun, ist schliesslich nur zum Wohl des Hundes gedacht.
Natürlich möchte ich nicht behaupten, dass jeder Hundetrainer, der sich gut zu vermarkten weiss und im Tierschutz aktiv ist, dies nur tut, um gross herauszukommen. Das wäre eine dreiste Unterstellung und auch zu sehr pauschalisiert. Gerne möchte ich jedoch erreichen, dass die Zuschauer «zwischen den Zeilen lesen» und die geschickt dramatisch inszenierten Szenen aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Nur dann können sie erkennen, ob der Schein mit dem Sein übereinstimmt oder ob er vielleicht doch trügt.
Schauen Sie genau hin
Werden im Fernsehen Trainingstechniken beim Hund eingesetzt, ist es wichtig, genau hinzusehen, um diese beurteilen zu können. Sehen Sie sich dazu die Folgen einmal ohne Ton an. Konzentrieren Sie sich stattdessen nur auf den Hund und auf die von ihm ausgestrahlten Signale. In einigen Fällen werden Sie erkennen, dass die erfolgreich therapierten Hunde deutliche Angstsignale zeigen. In anderen Fällen können Sie bemerken, dass ein Ruck am Halsband oder ein anderer Schmerzimpuls, das aggressive Verhalten des Hundes auslöste. Aber selbst wenn Sie nichts Konkretes erkennen, hören Sie im Zweifel auf Ihr Bauchgefühl und lassen Sie lieber die Finger von den gezeigten Techniken.
Es geht auch anders
In der modernen Verhaltenstherapie werden die Emotionen des Hundes wie Angst, Frust und Wut durch positive Erfahrungen verändert. Hierdurch sinkt für den Vierbeiner die Notwendigkeit, das gezeigte Verhalten aufrecht zu erhalten. Diese Trainingstechniken sind nicht so spektakulär und daher für dramatische Szenen im Fernsehen weniger geeignet. Dafür sind sie nachhaltiger und das Ergebnis ist deutlich wünschenswerter.
Durch wachsendes Selbstvertrauen und echtes Vertrauen in ihre Halter könnte auch die «wilde» Clara lernen, dass das Leben Spass macht. Besucher würden bald nicht mehr als Bedrohung empfunden. Stattdessen kündigt die Anwesenheit von Fremden beispielsweise ein Spiel mit den Besitzern an und Clara freut sich, dass endlich mal wieder etwas Tolles passiert.
Es würde mich freuen, mit diesem Beitrag möglichst viele Leserinnen und Leser zum Nachdenken angeregt zu haben, so dass Sie die Hundeerziehung im Fernsehen und auch im realen Leben kritisch hinterfragen.
Toller Beitrag,stimme Ihnen zu hundert Prozent zu.Hoffe es gibt eine Gegenbewegung
Guter Beitrag und auch gut beschrieben.
Allerdings vermisse ich in diesem Beitrag nach so viel sicher berechtigter Kritik, wie denn nun das erfolgreiche, gewaltfreie Hundetraining aussieht?
bisschen zynisch:
Wo hat man Tierverhaltenstherapie studiert und bei welcher Hochschule wurde die Verfasserin zur Dozentin ausgebildet. Oder reicht ein Labor für Veterinärmedizin aus?
Tut mir leid, ich kenn mittlerweile zu viele Tierarzthelferinnen, die jetzt Hundeschulen betreiben!
Nix für ungut
Vor vielen Jahren haben wir einen 3-jährigen Beauceron-Mix aus dem Tierschutz übernommen, der ein grosses Problem mit der Begegnung mit anderen Hunden hatte (wenn die erste Begegnung vorbei war, war er im Kontakt in der Regel unaufgeregt und unproblematisch). Sonst ein Goldstück, war jede Hundebegegnung eine Katastrophe, vor allem in den ersten Jahren. Nachdem weder ein Hundeverein, noch zwei private Hundetrainer Lösungen für dieses Problem anbieten konnten, sind wir aus Verzweiflung einmalig zu einem Schweizer „Hundeflüsterer“ gegangen, der für 150 CHF pro Stunde u.a. genau die beschriebenen Methoden mit dem dünnen Halsband direkt hinter den Ohren angewandt hatte. Schrecklich schon beim zuschauen. Wir waren wirklich verzweifelt, aber diese sichtlich schmerzhaften Methoden haben wir abgelehnt und nie selbst angewandt. Es war aber schon verwunderlich, dass dieser Mann sein Geschäft als „Hundeflüsterer“ legal ausüben konnte, wo er doch auch für Laien ersichtlich gewaltvoll gearbeitet hat.
Unser Hund lebte übrigens zeitlebens mit seiner „Macke“, aber glücklicherweise ohne Zwischenfälle noch 9 Jahre bei uns. Es geht also auch anders.