Moskau ‒ eine Metropole für Streunerhunde

Bereits seit dem 19. Jahrhundert sind sie aktenkundig: die «heimatlosen Hunde» der russischen Metropole. Dabei pflegt der überwiegende Teil der Moskauer Bevölkerung von jeher einen hundefreundlichen Umgang mit den inzwischen etwa 35 000 Streunerhunden. Seit einigen Jahren nutzen nun viele dieser Hunde sogar die Moskauer Metro, regelmässig und ganz gezielt.

Text: Barbara Wardeck-Mohr

Die Moskauer Streuner gelten als besonders intelligent. Nicht zuletzt wegen der harten Selektion in einer Grossstadt, oft unter schwierigsten Bedingungen als Hund überleben zu müssen. Verhaltensforscher wie der Biologe Andrei Pojarkow studieren seit etwa 30 Jahren die Hunde und machen dabei verblüffende Beobachtungen. Obwohl Hunde bekanntlich dichtes menschliches Gedränge scheuen, zeigen die Moskauer Hunde diesbezüglich ein gänzlich anderes Verhalten. Nach Ansicht der Forscher imitieren die Hunde, quasi als evolutionäre Anpassung an die Grossstadt-Bedingungen, menschliches Verhalten. So haben sie inzwischen gelernt, dass morgens in der Innenstadt das meiste Futter für sie abfällt. Ausserdem dass sie mit der Metro schneller bestimmte Plätze erreichen und in kürzerer Zeit mehr Standorte aufsuchen können.

Hohe Kognitionsleistungen

Für viele dieser Hunde sind die U-Bahnfahrten längst zur Routine geworden. Offensichtlich haben die Hunde jeweils ihre festen Routen, kennen die dazu gehörigen Metrostationen und wissen ganz genau, wo sie aussteigen wollen. Bisher ist allerdings nicht klar, wie und woran sich die Hunde bei ihrem Vorgehen orientieren.

Wissenschaftler beschäftigt schon lange das individuelle Verhalten der vierbeinigen Pendler. Was treibt die Hunde überhaupt dazu, mit der Metro zu fahren und sich tagsüber in der Innenstadt aufzuhalten? Denn die Hunde leben nachweislich überwiegend in den Aussenbezirken Moskaus. Die Fortbewegung mit der Metro hat eindeutig den Grund, dass die Hunde zur Futtersuche als Pendler unterwegs sind. Und in der Innenstadt tummeln sich die meisten Menschen, sodass sie dort stets genügend Futter finden. In den Abendstunden kehren die Hunde wieder mit der Metro in ihre Vororte zum Schlafen zurück.

Strategien der Streunerhunde

Die Moskauer Hunde haben nach Angaben von Fachleuten vielfältige Strategien entwickelt, um an Futter zu gelangen. So sind einige Hunde mit der Taktik, Menschen mit liebevollem Blick und Betteln zur Abgabe von Nahrung zu bewegen, erfolgreich, sie schaffen es immer wieder, Mitgefühl zu erwecken. Andere Artgenossen, so die Verhaltensforscher, verfolgen eine ganz andere Strategie: Sie kommen unbemerkt heran und bellen unvermittelt so laut, dass Menschen vor Schreck ihren Imbiss fallen lassen. Doch oft gelangen Hunde ohne jede Anstrengung an Leckerbissen: Denn viele Moskauer besorgen regelmässig Futter für die Streuner.

Privilegierte Strassenhunde

Das Privileg der Hunde, sich bequem in der Metro, oft auf gepolsterten Sitzplätzen, ausstrecken zu können, hat auch etwas mit deren klugen menschenbezogenem Verhalten zu tun: So zeigen Hunde dort überwiegend ein völlig entspanntes, menschenfreundliches Verhalten, ohne jede Aggression. Allerdings verteidigen sie zuweilen ihre Reviere, sprich ihre Sitz- und Schlafplätze in der Metro, wo sie sich gerne lang ausgestreckt über eine ganze Sitzreihe zum Schlafen hinlegen. Viele Fotos belegen, dass ihnen das von den zweibeinigen Fahrgästen meist wohlwollend zugestanden wird. Moskauer Bürger beobachten das Verhalten der Hunde in der Metro oft mit einem Schmunzeln und sind sogar stolz auf «ihre Hunde».

Denkmal für Streuner

Die bronzene Skulptur des Mischlingsrüden Maltschik (1996–2001) ist in der Schalterhalle der Metrostation Mendelejeweskaja zu bewundern. Das Denkmal wurde von den Künstlern Sergei und Alexander Zigal und dem Architekten Andrei Nalitsch posthum für Maltschik angefertigt. Die Inschrift am Sockel lautet: «Mitgefühl. Dem humanen Umgang mit heimlosen Tieren gewidmet.»

Der Streuner Maltschik wurde im Jahr 2001 Opfer eines dramatischen Zwischenfalls, als er von einer geisteskranken Person mit Messerstichen getötet wurde. Sein gewaltsamer Tod erregte in der Öffentlichkeit viel Aufsehen, mit der Folge, dass man mit Hilfe von Spenden 2007 ein Denkmal für Maltschik errichtete. Auch daran zeigt sich die besondere Beziehung der Moskauer Bevölkerung zu ihren Streunerhunden.

Besonderer Status

Die Streunerhunde haben in Moskau einen besonderen Status und besetzen in den Metrozügen gleichzeitig eine Nische zu ihrer Futterversorgung. Sie werden von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung als integraler Bestandteil des Stadtlebens geachtet, geschätzt und auch gefüttert. Aus der Metro sind sie – auch als «gute Psychologen» für viele Menschen ‒ nicht mehr wegzudenken. Zwischenfälle mit Hunden sind selten. Im Jahr werden etwa 60 gemeldet. Bei 14 Millionen Menschen und 35 000 Hunden ist die Quote damit gering.

Die Hunde sorgen auch dafür, dass U-Bahnen weitgehend frei von Ratten sind. Sie beseitigen zudem Speiseabfälle auf öffentlichen Plätzen und in Parks. Seit 2002 lassen Moskaus Behörden keine Strassenhunde mehr töten. Vielmehr stellt die Stadt nach offiziellen Angaben jährlich mehr als 50 Millionen Euro für die Strassenhunde zur Verfügung, und zwar für das Fangen, Beherbergen und Sterilisieren der Tiere. Das ist im Übrigen mehr als doppelt so viel Geld, wie der Moskauer Haushalt für Obdachlose vorsieht.

Die besondere Form des Zusammenlebens der Metrohunde mit der Bevölkerung Moskaus belegt, dass eine Co-Existenz zwischen Streunerhunden und Menschen durchaus möglich ist!

Die Hundehilfe Russland setzt sich für die Strassenhunde ein und ist auf Spenden angewiesen. Auf der Website www.hundehilfe-russland.de finden Sie auch Infos über die Begebenheiten in Russland.

Youtube-Filme, die die Metro-Hunde zeigen:

 

Hier können Sie den Artikel aus dem Magazin als PDF ansehen

Ein Kommentar zu “Moskau ‒ eine Metropole für Streunerhunde

  1. Karin Kirchgeßner

    Die Straßenhunde Moskaus gibt es nicht mehr. Und die U-Bahn-fahrenden Hunde schon seit 2012 nicht mehr. So schade es auch ist. Quelle: Dr. Andrey Poyarkov auf dem Canidensymposium 2017 in Berlin.

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