Mit dem Velo und Hunden um die Welt, Teil 6

Michael und Sybille Fleischmann sind seit Juni 2010 unterwegs, um per Fahrrad ferne Länder zu bereisen. Ihr Ziel: Einmal um die Welt! Mit dabei: Rhodesian Ridgeback Rüde Gomolf und Mischlingshündin Diu. Exklusiv für das Schweizer Hunde Magazin berichten die Weltenbummler von ihren Erlebnissen. Lesen Sie heute von der Schifffahrt über das Schwarze Meer und von einem schwierigen Anfang in Georgien.

Text und Fotos: S. und M. Fleischmann

«Good morning!», schallte es um sechs Uhr morgens durch die schmalen Gänge zwischen den winzigen Kajüten. Es folgte das rasselnde Klirren eines Schlüsselbundes, der gegen unsere Tür geknallt wird. Spätestens nach diesem Geräusch sassen wir senkrecht auf unseren durchgelegenen Matratzen und waren wieder zurück in der Realität: an Bord des ukrainischen Fährschiffes «Sevastopol». Der freundliche Koch hatte zum Frühstück gebeten – also raus aus den Federn, in einer halben Stunde gibt es nichts mehr.

Drei Tage sind wir nun schon auf dem Schiff, das uns von Varna in Bulgarien nach Batumi in Georgien bringen soll. Drei Mal wurden wir nun schon mit lauten Rufen und klirrenden Schlüsselbunden an unserer Tür geweckt – und zum dritten Mal in Folge wandelten wir übermüdet in den Speisesaal und inspizierten mit spitzen Fingern und skeptischem Blick das, was da vor uns liegt und als «Frühstück» bezeichnet wird. Neben einem gekochten Ei und Toast findet sich wieder viel Wurst auf unseren Tellern – eine rosafarbene, fettige Substanz, die wir als «ungeniessbar» eingestuft haben. Um uns den Appetit nicht zu verderben, schieben wir die Wurstscheiben auf den «Hundeteller», der sich an unserem Tisch schnell etabliert hat. Wir teilen ihn mit einem jungen Schweizer Pärchen. Die Frau ist Veganerin und kann vom Frühstück nur den trockenen Toast essen – und einen schwarzen Kaffee dazu. Auch ihr Freund verzichtet freiwillig auf die Wurst – nicht nur aus Gründen der Solidarität.

Wenig Komfort an Bord

Die übrigen Gäste waren Lastwagenfahrer, die zusammen mit ihren Fahrzeugen nach Georgien mussten. Viele waren wochenlang unterwegs, denn vor allem die Schiffsreise ist terminlich sehr schwer einzuschätzen. «Die Fahrt dauert nur drei Tage. Aber es kann sein, dass wir dann noch warten müssen, bis wir anlegen dürfen», wurde uns im Vorfeld gesagt. – «Und wie lange muss man warten?», wollten wir wissen. – «Einen Tag… zwei Tage… drei Tage… Das weiss man vorher nie», war die ernüchternde Antwort. Selbst den breitschultrigen, oft dickbäuchigen und meist bärtigen Lastwagenfahrern schmeckte die Bordküche nicht übermässig. Es hatte sich schnell eingebürgert, dass die Leute nach dem Essen an unseren Tisch kamen und den Grossteil ihrer Wurst auf den «Hundeteller» schoben. «Eure Hunde mögen das wenigstens», sagten sie oft.

Zurück in unserer kleinen Kajüte war die Freude gross: Gomolf und Diu begrüssten uns stürmisch und schwanzwedelnd und versuchten, einen Blick auf den Teller zu erhaschen, den wir hoch über ihren Köpfen balancierten. Dann bekamen sie ihr tägliches Festessen. Ein wenig rumänisches Trockenfutter und dazu eine grosse Portion Wurst für beide – da blieb nichts übrig.

Unsere beiden haarigen Begleiter durften nicht nur mit aufs Schiff – wir hatten sogar die Erlaubnis, sie in unserer Kabine unterzubringen. Es wäre alles problemlos gelaufen, denn wir durften auch an Deck mit ihnen spazieren gehen – dort war sehr viel Platz. Bewaffnet mit Tüten und Wasserflaschen, unternahmen wir ausgedehnte Rundgänge – doch Gomolf weigerte sich leider standhaft, auf dem Metallboden sein Geschäft zu machen. Es gibt hier keinen Rasen! «Ihr hättet ein Stück Rollrasen mitnehmen sollen», witzelten die anderen Reisenden, als sie Gomolf in seiner Not beobachteten. Er bescherte uns eine schlaflose Nacht und viel Kopfzerbrechen, bevor er endlich und sehr widerwillig die Gegebenheiten akzeptierte.

Im Laufe des Tages erreichten wir die Küste vor Batumi und es stellte sich heraus, dass wir tatsächlich noch eine unbestimmte Zeitlang warten mussten. Als wir an Deck standen, konnten wir schon einen Blick auf Georgien werfen – wir hatten beide wenig Ahnung, was uns dort erwarten würde. Das Festland lag in dicke Wolken und leichten Nieselregen gepackt und sah nicht besonders einladend aus. «Ganz schön bergig», stellte Michael sachlich fest. – «Und ziemlich grün», fügte ich hinzu. Es war kühl geworden und wir hatten unsere Jacken angezogen. Die fallenden Temperaturen machten uns grosse Sorgen – doch wir liessen es heute unausgesprochen.

Verzögerte Ankunft in Georgien

Am nächsten Tag warteten wir immer noch. Das Schiff hatte sich nicht bewegt, es gab keine Neuigkeiten. Das Geschehen im Speisesaal war zum grotesken Schauspiel geworden: Der kräftige glatzköpfige Koch, der uns morgens so unsanft weckte, servierte das Essen so vollendet elegant, als bediene er hochkarätige Gäste in einem Vier-Sterne-Restaurant. Angesichts der einseitigen, aber konsequenten Kost erschien uns das zunehmend wie Hohn: morgens gab es Wurst, zum Mittagessen ein Würstchen und abends: Wurst. «Das ist keine Wurst, das ist eine Beleidigung», schimpfte Michael am vierten Abend und schob seinen Teller angeekelt zurück. «Das ist selbst einem Fleischmann zu viel!»

Erst in der folgenden Nacht passierte etwas. Um drei Uhr morgens wurden wir aus den Betten gerissen: «Passkontrolle in der Kabine vom Kapitän», hiess es nur. Schlaftrunken und mürrisch standen wir einigen georgischen Zollbeamten gegenüber, die uns ebenso schlechtgelaunt die nötigen Stempel in unsere Pässe drückten. Am nächsten Morgen klirrte dann endlich zum letzten Mal der Schlüsselbund gegen unsere Türe: Wir durften an Land gehen. Schnell packten wir alle Taschen auf unsere Räder und machten uns bereit für die Grossstadt. Hier wollten wir Geld wechseln und ein paar Vorräte einkaufen.

«Endlich raus aus der Stadt», versuchte ich uns Mut zuzusprechen, als wir Batumi dann hinter uns lassen konnten. Doch was da vor uns lag, war kaum weniger anstrengend als der nervenaufreibende Stadtverkehr. Wir mussten uns einen Berg hinauf kämpfen, während völlig überladene LKWs hautnah an uns vorbeirasten. Oben angekommen, sahen wir zur Krönung auch noch einen langen, dunklen Tunnel. Der wäre mit seinen zwei Fahrspuren schon eng genug, doch die linke Seite war wegen Wartungsarbeiten gesperrt. Wir atmeten tief durch, verluden unsere Hunde in die Anhänger und fuhren darauf zu. «Auf der schmalen rechten Spur können uns die Lastwagen kaum überholen», dachten wir nervös, doch wir hatten Glück: Die Bauarbeiter winkten uns herüber, wir durften auf der gesperrten linken Seite fahren und hatten die Spur für uns alleine. Nach dem Tunnel ging es wieder bergab und wir rollten mit neuem Mut weiter.

«Problem no!» – Ein Unfall in Georgien

Wir hatten in Georgien noch keine anderen Fahrradfahrer gesehen, trotzdem hoffte ich, dass die Autofahrer einigermassen auf uns acht geben würden, denn es gibt überall Verkehrshindernisse auf der Strasse: Kühe, Hunde, liegengebliebene Fahrzeuge und vieles mehr. Ich hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, da hörte ich hinter mir ein unheilvolles Krachen. Als ich mich umblickte, lagen Michael und sein Fahrrad mitten auf der Strasse. «Er hat mich angefahren, halt ihn auf!» rief er mir verzweifelt zu und deutete auf einen blauen Opel Vectra. Als ich gerade realisierte, was passiert war, gab der Fahrer des Wagens Vollgas und fuhr so schnell es ging davon. Wir konnten uns gerade noch sein Nummernschild einprägen.

Verzweifelt stellte ich mein Rad ab und eilte Michael zu Hilfe. «Was ist passiert, geht es dir gut?!», rief ich ihm zu. – «Ich glaube schon», antwortete er und stand stöhnend auf, «aber das Rad ist hin!» Ich zerrte seinen Anhänger und das Fahrrad von der Strasse, da die Autos hinter uns schon ungeduldig hupten. Gomolf, der beim Aufprall einfach in seinem Hänger sitzen geblieben war, blickte mich verwirrt an, war aber anscheinend wohlauf. Michael humpelte zum Strassenrand und winkte die Passanten herbei, die den Unfall gesehen hatten. «Doctor?» fragten sie, als sie herbei eilten. – «No Doctor, Police!» forderte Michael. Die Leute verstanden zwar, reagierten aber zögerlich. Sie wüssten die Nummer der Polizei nicht, sagte einer. Wir blieben hartnäckig, bis tatsächlich nach einiger Zeit ein Polizeiauto auftauchte. Inzwischen hatten wir den Schaden begutachtet. Die Anhängerkupplung war in zwei Teile zerbrochen, die Deichsel war in das Hinterrad gerammt worden und hatte mehrere Speichen zerstört. Das Schaltseil war übel mitgenommen aber nicht gerissen, der Gepäckträger verbogen. Eine Halterung im Stahlgerüst des Anhängers war abgerissen. Michael hatte Schmerzen im Arm und in dem Bein, auf das er gefallen war, doch es war wohl nichts gebrochen. Die Druckstelle an seinem Helm zeugte vom Aufprall – wie gut, dass wir ihn konsequent tragen.

Mittlerweile war trotz unserer Beteuerungen auch ein Krankenwagen eingetroffen: Ein uraltes Gefährt mit nichts als einer Pritsche und ein paar Medikamenten an Bord. Ohne ihn irgendwie zu untersuchen, wollten die Sanitäterinnen Michael sofort ein starkes Schmerzmittel spritzen, was wir gerade noch abwenden konnten. Von den Polizisten konnte keiner Englisch. Sie versuchten unermüdlich, uns zu überreden, dass Michael ins Krankenhaus gehen sollte. Doch das wollten wir nicht. Er war nicht schlimm verletzt – und wie sollte ich mit den Rädern und den Hunden dann hier wegkommen? Ich hatte der Polizei bereits das Nummernschild des Unfallverursachers aufgeschrieben und so blieben wir stur und hofften das Beste.

In den nächsten zwei Stunden passierte nichts, ausser dass Regen einsetzte und die Hunde langsam unruhig wurden. Die Sanitäterinnen hatten mich gebeten, ein Dokument in Michaels Namen zu unterschreiben. Es besagte vermutlich, dass er auf eigene Verantwortung ablehnte, ins Spital zu gehen. Es war in georgischen Schriftzeichen geschrieben – völlig unleserlich für mich. Jedenfalls fuhren sie danach endlich weg – ohne Michael. Irgendwann tauchte ein weiteres Polizeiauto auf, auf dessen Rücksitz ein völlig betrunkener Mann sass: der Fahrer des blauen Opels. Sie hatten ihn tatsächlich gefunden! «Problem no!», versicherten uns die Polizisten stolz, doch das sahen wir immer noch anders. Wie sollten wir mit all unseren Sachen zurück nach Batumi kommen, um den Schaden zu reparieren? Und wo sollten wir in der Zwischenzeit bleiben? Wir können wegen der Hunde nicht ins Hotel und in der Stadt zu zelten ist mehr als schwierig, vor allem für mehrere Tage. Wegen des anhaltenden Regens waren wir mittlerweile durchnässt, durchgefroren und demoralisiert. Doch dann geschah endlich wieder etwas: Der Abschleppwagen, der den blauen Opel aufgeladen hatte, tauchte auf. Ausserdem kam der Schwiegersohn des Unfallfahrers und versuchte zu vermitteln: «Problem no!», versicherte auch er. Die Polizisten bedeuteten uns, dass er sich nun um uns kümmern werde und fuhren davon. Unsere Fahrräder wurden auf dem Abschleppwagen befestigt, die Hunde kurzerhand in den Opel verfrachtet, und wir fuhren mit dem Schwiegersohn in eine unbekannte Zukunft.

Zu Gast beim Unfallverursacher

Wir wurden zum Haus unseres Unfallgegners gebracht und dort von seiner Frau gleich herzlich empfangen. Sie bereitete ein Fussbad für Michael und machte sich daran, ein üppiges Abendessen zu kochen. Es mutete uns seltsam an, doch wir sollten hier beherbergt werden, bis unser Schaden repariert war. Als das Essen fertig war, kam ihr Mann heim – noch betrunkener als zuvor. Er küsste uns Hände und Stirn und warf zur Versöhnung die Hälfte der guten Mahlzeit auf den Boden: für unsere Hunde. Seine Frau lachte, doch wir konnten nur mit dem Kopf schütteln. Als der Mann Gomolf eine Banane ins Maul stopfen wollte – ungeachtet der Tatsache, dass der kein Obst mag –, griffen wir ein und baten ihn, die Hunde in Ruhe zu lassen. Er beruhigte sich aber erst, nachdem seine Frau ihm zwei Tabletten verabreicht hatte – sehr starke Beruhigungsmittel.

Es waren seltsame Tage als Gäste des Unfallfahrers. Keiner hier sprach auch nur ein Wort Englisch. Die Frau versorgte uns mit einer liebevoll-mütterlichen Art und kochte sogar für Gomolf und Diu, während der Mann meist entmutigt in der Ecke sass und auf den Boden stierte. Die Nachbarn kamen vorbei und diskutierten mit Händen und Füssen die Defekte an Michaels Fahrrad und wie man sie beheben könnte. Und: Es wurde ständig getrunken. Am ersten Morgen brachte die Frau des Hauses grosse Verwunderung zum Ausdruck, als wir zum Frühstück ein Glas Bier ablehnten. Zum Mittagessen wurden wir oft von Bekannten der Familie eingeladen, wo reichlich selbstgemachter Wein floss – der übrigens sehr gut schmeckte. Spätestens am frühen Abend stand dann der erste Wodka auf dem Tisch, der von zahlreichen Verwandten in rauen Mengen konsumiert wurde.

Einigermassen überrascht hatten uns zwei junge Frauen, die mit ihren kleinen Kindern hier waren: Ohne Rücksicht auf Verluste kippten sie ein Glas Wodka nach dem anderen, und hielten uns zum Mitmachen an. Wir konnten nur etwa jede zweite Runde ablehnen, und waren dennoch schon bald verloren, uns fehlte eindeutig das einschlägige Training.

Michaels mechanischen Fertigkeiten war es zu verdanken, dass wir nach drei Tagen schon wieder fahrbereit waren. Die gebrochenen Speichen konnten wir ersetzen, die Felge wurde neu zentriert und lief wieder rund. Das Schaltseil verarztete er nur notdürftig mit Klebeband; am Schwierigsten war die zerbrochene Anhängerkupplung. Nach langem Tüfteln entschlossen wir uns, den unbeschädigten Teil direkt am Fahrrad anzuschrauben, leider ging das nur mit einer einzigen Schraube. Mit Feilen und einem Handbohrer hatten wir die Aufnahme am Rad stundenlang bearbeitet, bis die Schraube passte. «Das hält höchstens tausend Kilometer», bedeutete uns einer der Nachbarn kopfschüttelnd. Doch ein Ersatzteil war hier nicht zu bekommen, also mussten wir auf diese Lösung vertrauen.

Die Gastfreundschaft der Familie war trotz allem bewundernswert herzlich. Als wir schliesslich wegfuhren und uns schon verabschiedet hatten, eilte die Frau uns nach und brachte uns drei mit Käse gefüllte Fladen – als Abschiedsgeschenk.

«Was für ein seltsamer Anfang in Georgien», dachten wir bei uns, als wir endlich wieder auf der Strasse rollten und auf uns alleine gestellt waren. Gomolf und Diu sassen brav in ihren Anhängern. Doch bald würden sie laufen müssen: Die nächsten Berge tauchten bereits am Horizont auf.

Mehr Infos unter: www.cycle-for-a-better-world.org

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