Mit dem Velo und Hunden um die Welt, Teil 4

Michael und Sybille Fleischmann sind seit Juni 2010 unterwegs, um per Fahrrad ferne Länder zu bereisen. Ihr Ziel: Einmal um die Welt! Mit dabei: Rhodesian Ridgeback-Rüde Gomolf und Mischlingshündin Diu. Exklusiv für das Schweizer Hunde Magazin berichten die Weltenbummler von ihren Erlebnissen. Lesen Sie heute, wie es den Radlern in Serbien erging und davon, was man in einem Backofen so alles finden kann.

Text und Fotos: S. und M. Fleischmann

«Haben Sie ein Gasspray?», fragte uns der serbische Grenzbeamte in ruppigem Ton. «Das müssen Sie abgeben», erklärte er weiter. Michael wollte nichts riskieren und händigte dem Mann zähneknirschend unser kleines Gas-Abwehrspray aus. Dieser platzierte es unverbindlich vor dem Zöllnerhäuschen und winkte uns weiter.

«Den Gasspray sehen wir nie wieder», schimpfte Michael leise vor sich hin, als wir zum nächsten Grenzposten weiterrollten. «Ich hätte es ihm gar nicht geben sollen, oder was meinst Du?» – «Ich weiss nicht, was dann passiert wäre. Vielleicht hätte er all unser Gepäck durchsucht oder irgendeine Vorschrift zum Import von Hunden ausgepackt…» – «Ja, das ist genau das Problem. Wegen der Hunde müssen wir an allen Grenzen immer die Duckmäuser spielen.»

Wir werden auf der Reise noch oft an jenen Vorfall mit dem Gasspray denken müssen, denn es ist äusserst schwierig, so etwas auf Reisen zu kaufen. In vielen Ländern wird es als Waffe betrachtet, an Grenzen können Probleme entstehen. So bemühten wir uns vorerst nicht um Ersatz, wurden aber manches Mal an das Fehlen dieser letzten Möglichkeit der Selbstverteidigung erinnert. Insbesondere nachts im Zelt liesse es sich damit noch etwas ruhiger schlafen. Doch so lange wir unsere Hunde haben, müssen wir uns keine grossen Sorgen machen.

Erste Eindrücke vom sommerlichen Serbien

Die restliche Einreise verlief unproblematisch und bald konnten wir ein paar Stunden lang ungestört in die Pedale treten. Wir hatten Ungarn ganz im Süden über Hercegszántó verlassen und radelten nun am nordwestlichsten Zipfel Serbiens nach Backi Breg, dem ersten Dorf an der Grenze. Danach fuhren wir eine längere Weile durch unbesiedeltes Gebiet. Gomolf und Diu durften ein wenig laufen, denn es gab kaum Verkehr. Wir überquerten kleine Brücken, die über Flussarme führten und für unsere Hunde eine gute Gelegenheit zum Trinken boten. Die Nachmittagshitze liess uns schwitzen und machte auch uns sehr durstig, so dass die Wasserflaschen schon fast leer waren. Selbiges darf eigentlich nicht passieren: Wasser muss immer ausreichend zur Verfügung stehen. Seit wir unterwegs sind, gehört das Auffüllen unserer Flaschen zur täglichen Routine. Bisher wandten wir uns entweder an Privathaushalte oder an kleine Geschäfte, noch niemals wurde uns die Bitte nach Leitungswasser verwehrt. Nun liessen wir den Blick über die unbewohnte Landschaft schweifen und suchten nach einer Möglichkeit, an Wasser zu kommen. Im Notfall haben wir natürlich unseren Filter, mit dem wir auch aus trüben Flüssen oder Seen trinkbares Wasser pumpen können – doch das ist mit einem gewissen Arbeitsaufwand und mit der Abnutzung des Filters verbunden, daher machen wir das nur im Notfall.

Wasser vom Friedhof

«Schau‘ mal, da vorn ist ein Campingplatz», sagte Michael schliesslich grinsend und deutete nach vorne. Ich folgte der Blickrichtung und nickte sofort, als ich es auch sah: Am linken Strassenrand lag ein kleiner Friedhof mit Kapelle. Vor kurzem hatten wir einmal unser Nachtlager in der Nähe eines Friedhofs aufgeschlagen und festgestellt, dass es beinahe ein idealer Platz zum Campen ist: Es gibt meist einen Wasseranschluss für die Blumen, ausserdem ist es sehr ruhig, denn all die Menschen, die hier liegen, stören sich nicht an zwei Reiseradlern mit ihrem Zelt. Natürlich verhalten wir uns an solchen Orten respektvoll, dennoch hat sich zwischen uns der Scherz eingebürgert, Friedhöfe als Campingplätze zu bezeichnen. Auch heute hatten wir Glück an der Ruhestätte: Ein kleiner Hahn mit Handpumpe stand bereit und versorgte uns mit kühlem, klaren Wasser aus der Tiefe – eine Wohltat für unsere trockenen Kehlen.

In dem Dorf, das wir kurz darauf passieren, wartete eine weitere Überraschung auf uns: Ein Strassenfest war in vollem Gange. Die Hauptstrasse war gesäumt von fröhlichen Leuten in Feierlaune und vielen Ständen, an denen neben Kleidung und Haushaltswaren auch Essbares angeboten wurde. Wir schoben unsere Fahrräder langsam an gegrillten Hähnchen, kräftigen Suppen, selbstgebackenen Broten und Käse aus Eigenproduktion vorbei. Die Serben beäugten uns mit neugierigen Blicken – und unsere Hunde mussten sich schwer beherrschen, um nicht im Abfall oder unter den Tischen nach Essensresten zu suchen. Wir legten einen Stopp ein und ich zog los, um ein Brathähnchen zu organisieren. Ich bestellte an einem Stand, wo ein deutlich angetrunkener Serbe das Huhn mit blossen Händen packte, es in Stücke riss und auf einem Teller drapierte. Wir liessen es uns zusammen mit Pommes und einem Bier schmecken – und auch Gomolf und Diu kamen nicht zu kurz.

Eine wunderbare Erfrischung

Mit wohl gefüllten Bäuchen schwangen wir uns wieder aufs Fahrrad, doch unsere Motivation war irgendwo zwischen einem Hähnchenschenkel und einem Schluck Bier verloren gegangen. So radelten wir gemächlich ein paar Kilometer, bis wir auf ein kleines Flüsschen stiessen. Ein paar Kinder tummelten sich auf ein paar morschen Brettern, die mal ein Holzsteg gewesen sein mochten, und tobten jauchzend im kühlen Nass herum. Verlockung pur, denn das Thermometer stand immer noch über der 30°C-Marke. Da wollten wir auch rein, und zwar sofort. Wir überlegten nicht lange, stellten die Räder ab und schwammen kurz darauf in klarem Flusswasser umher. Was für ein Genuss! Unsere ausgetrocknete, salzige Haut wurde wieder sauber, die staubigen Haare gespült – und anschliessend fanden wir sogar noch saubere T-Shirts in unseren Taschen. An Weiterradeln war dann nicht mehr zu denken, daher schlugen wir gleich an Ort und Stelle unser Zelt auf.

Während die letzten Strahlen der Sonne unsere Haare trockneten, sprach uns ein junger Serbe an. Er erklärte, dass er nun auf das Strassenfest gehen würde und wollte wissen, ob wir nicht mitkommen möchten: «Jetzt wird dort gefeiert… und getrunken!», erklärte er auffordernd. Wir fühlten uns nicht mehr imstande zu so etwas und lehnten dankend ab. Der junge Mann drückte uns schliesslich ein Päckchen Salzstangen in die Hand, bevor er in ein Auto stieg und davonfuhr – so schnell, dass wir uns kaum richtig bedanken konnten.

Unerwartete Begegnungen

Wir hatten das uns bis dahin unbekannte Serbien schon bald lieb gewonnen, denn es war einfach schön, hier zu reisen. Hier eine Aufzeichnung aus unserem Tagebuch:

Die ersten Strahlen der Morgensonne wandern über das Land und nähern sich langsam dem Feld, auf dem wir gestern unser Nachtlager aufgeschlagen hatten. Als sie unser Zelt erreichen, heizt es sich im Inneren schnell auf. Schon um sieben Uhr wird Michael wach, weil er unter der Fleece-Decke zu schwitzen anfängt. Er schält sich aus seiner Schlafstatt und macht sich daran, unseren Morgenkaffee vorzubereiten.

Eine halbe Stunde später erwache ich langsam von angenehm ruhiger Musik, die aus den kleinen Reiselautsprechern tönt. «Dein Kaffee ist fertig», sagt mir mein Mann leise ins Ohr. – «Das ist ein Argument», antworte ich schlaftrunken und befreie mich schliesslich ebenfalls aus der stickigen Wärme des Zeltes.

Nachdem wir unseren ersten Kaffee – heute sogar mit Milch – geschlürft haben, beginnt das Tagesgeschäft. Wir rollen unsere Matten und Schlafsäcke zusammen, spülen das Essgeschirr von gestern Abend und verstauen alles in unseren Packtaschen. Das Zelt ist schnell abgebaut und auf mein Fahrrad geschnallt. Bevor es losgeht, gibt es ein kräftiges Frühstück: Brot, Wurst, Eier, Tomaten, Müesli und Bananen bilden eine gute Grundlage für das Radeln. Noch bevor wir fertig sind, kommt ein Bauer und hält mit seinem Traktor neben uns an. Er ist vor einer halben Stunde schon einmal vorbeigekommen und hat kurz gegrüsst. Will er uns jetzt von seinem Feld vertreiben? Das ist zwar noch nie passiert, doch diese Befürchtung hält sich wacker in unseren Köpfen.

Der Bauer ruft Michael zu sich heran und überreicht ihm eine grosse Flasche Cola. Während wir uns überrascht bedanken, fährt er winkend davon.

Erlebnisse wie dieses waren in Serbien kein Einzelfall, wir wurden hier sehr herzlich empfangen. Die Menschen am Strassenrand winkten uns freudig zu, die Autos hupten grüssend, während sie – meist sehr ausladend – überholten. Dort, wo wir anhielten, um einzukaufen oder uns zu orientieren, kamen die Leute auf uns zu und boten freimütig ihre Hilfe an. Jeder, den wir nach dem Weg fragten, gab freundlich Auskunft – egal ob er der deutschen bzw. englischen Sprache mächtig war. Wir sprechen leider kein Serbisch, doch die Worte für ‹Wasser› und ‹danke› zählten – wie immer – schnell zu unserem Wortschatz. Unzählige Male fragten wir nach ‹voda›, um unsere Trinkflaschen aufzufüllen, und erhielten stets sauberes Leitungs- oder Brunnenwasser. Manchmal wurden wir sogar im Anschluss auf einen Kaffee eingeladen.

Indischer Hund liebt serbische Ente

Die serbische Gastfreundschaft ist glücklicherweise recht strapazierfähig. In Sombor, einer Kleinstadt in der Vojvodina, dem nördlichen Teil des Landes, wurden wir von einem Mann eingeladen, in seinem Garten zu zelten. Wir verbrachten zwei wunderbar entspannte Tage auf dem ehemaligen Bauernhof unseres neuen Freundes Milan. Die Mutter unseres Gastgebers wohnte nebenan, ihr Hauseingang war auch vom Garten aus zu erreichen. Am zweiten Morgen wurden wir von ihrem überraschten Schimpfen wach: Gestern hatte sie einen Entenbraten im Backofen, wo war der hingekommen?! Diu, unser kleiner indischer Strassenhund, war gestern Nacht nicht im Zelt gewesen, sondern hatte die Gelegenheit (und die Ente) beim Schopf gepackt. Klammheimlich stahl sie sich in die Küche und zerrte den kompletten Braten aus dem Ofen, der nur einen kleinen Spalt offen gestanden hatte! Beschämt klärten wir das Rätsel um die verschwundene Ente auf. Unser Gastgeber, der selbst lange Zeit in Asien verbracht hatte, fügte erklärend hinzu: «Sie ist aus Indien, Mutter, sie kann nicht anders.» Da nickte die Frau verständnisvoll, auch sie hatte dieses Land schon bereist. Sie verschwand in ihrer Küche. Zurück kam sie mit ein paar Fleischresten von gestern, die sie alle dem Hund hinwarf. Diu stürzte sich gierig darauf. Erziehungseffekt – negativ. Doch wir waren froh, dass Milans Mutter nicht wütend war und revanchierten uns später mit einem kleinen Gastgeschenk.

Freistaat Bayern?

Während des Aufenthalts bei Milan konnten wir auch mit einem jahrelangen Irrtum aufräumen. Wir machten Bekanntschaft mit Zoran, einem Mann mittleren Alters der während der Kriegswirren mehrere Jahre in Deutschland gelebt hatte. Er sprach unsere Sprache noch immer flüssig und nahezu perfekt. Auch das schöne Bayern kannte er persönlich und fragte uns, ob wir noch immer unabhängig von Deutschland sind.

Überrascht erklärten wir, dass Bayern lediglich ein deutsches Bundesland ist – und das nun seit über sechzig Jahren. Wir ernteten ungläubiges Staunen: «Es heisst doch ‹Freistaat Bayern›?», erklärte Zoran seine Sicht der Dinge. Er wollte uns nur zögernd glauben, dass diese Bezeichnung leider nur noch eine politische Floskel ist.

Nach dieser erholsamen Pause nahmen wir die Strecke nach Belgrad in Angriff. Wir genossen das Radeln in immergrüner Landschaft bei traumhaftem Wetter. Der Donauradweg führt mitten durch die Hauptstadt Serbiens, was uns vor neue Herausforderungen stellte. Wo sollen wir schlafen? Wir erreichten die Millionenmetropole kurz vor Sonnenuntergang und atmeten die erste Stadtluft bei einem Bier, das wir uns auf einem grossen Freiluft-Festival organisiert hatten. Als wir die nähere Umgebung inspizierten, entdeckten wir, dass sich entlang des Donauufers eine Art riesiger Stadtpark ausbreitete. Unser Übernachtungsproblem war gelöst. Als die Sonne langsam verschwand, sah man zwei Reiseradler eifrig ihr Zelt auf der Wiese neben einer Baumgruppe aufbauen. Als es stand, radelte ich nochmal los, um in einem nahen Supermarkt etwas Essbares zu besorgen.

Livekonzert im Vorzelt

Am Abend sassen wir bei einem Bier und ein paar Snacks in unserem Vorzelt. Im Hintergrund war das Festival zu hören, genauer gesagt dröhnte die Heavy-Metal-Musik einer Band an unsere Ohren. «Hey, ein Livekonzert für uns, hier im Zelt!» lächelte Michael und gab mir einen Kuss. «Ist eigentlich ein ganz guter Sound», antwortete ich und nickte mit dem Kopf im Takt. Normalerweise schliefen wir abends schnell ein, doch heute war die Stimmung ausgelassen. Wir unterhielten uns noch stundenlang, planten unsere Weiterreise, reflektierten das bisher Erlebte. Es wurde ein unvergesslicher Abend in Belgrad.

Unsere Drahtesel trugen uns innerhalb von knapp drei Wochen durch das schöne Serbien. Der Weg führte stellenweise wieder auf Donaudämmen, die den Fluss in seine Schranken weisen sollen. Der anhaltend hohe Pegelstand zeugte von ständigen Regenfällen in Deutschland, während wir täglich in der heissen Augustsonne schwitzten. Richtung Ostserbien verengte sich der Flusslauf, an beiden Ufern türmen sich Berge bis zu fünfhundert Meter in die Höhe. Wir durchquerten die Djerdap-Schlucht, das Eiserne Tor.

Die Donau zwängt sich hier durch die Ausläufer der Karpaten und bot uns eine Woche lang eine gewaltige und wunderschöne Naturkulisse. Auf steile, mit Burgruinen bestückte Berge folgen tiefe Schluchten. Kurvige Passstrassen winden sich am Ufer entlang und zwangen uns teilweise, mehrere hundert Höhenmeter mit unseren schwer bepackten Rädern zu überwinden. Für die Steigungen wurden wir mit einer unvergleichlichen Landschaft entschädigt. Glücklicherweise konnten unsere Hunde bergauf selbst laufen – Gomolfs gebrochene Kralle war bereits verheilt. Die Abfahrten über gewundene und sehr gute Strassen beschleunigten unsere Gespanne auf knapp siebzig Kilometern pro Stunde, während sich die Hunde in ihren Anhängern entspannt zurücklegten. Nach Tagen in der beeindruckenden Landschaft erreichten wir schliesslich das grosse Elektrizitätswerk bei Sip und überquerten hier den Fluss und damit die Grenze nach Rumänien: Ein neues Land wartet darauf, von uns beradelt zu werden!

Auf einen Blick: Djerdap-Schlucht / Eisernes Tor

30 Kilometer westlich von Drobeta Turnu-Severin (Rumänien) bahnt sich die Donau spektakulär ihren Weg zwischen den rumänischen Südkarpaten und den serbischen Balkankarpaten hindurch. An beiden Ufern ragen die Gebirgswände steil bis auf fünfhundert Meter in die Höhe. Dieser Durchbruch ist stark von Menschenhand beeinflusst. Im Jahre 1956 beschlossen Rumänien und das damalige Jugoslawien ein Projekt zur Schiffbarmachung der Donau. Ein als Cazan (Kessel) bezeichneter Staudamm erzeugte einen künstlichen Rückstau und hob den Pegelstand stellenweise um bis zu 33 Meter. Der Flusslauf wurde auf einer Länge von über 100 Kilometern reguliert und schiffbar gemacht. Man sprengte die Klippen, verlegte Dörfer und siedelte über 30.000 Menschen um. An ihrer engsten Stelle ist die Donau nun nur noch 150 Meter breit, aber 120 Meter tief. Das damals grösste Staudammprojekt speist das dazugehörige serbisch-rumänische Elektrizitätswerk bei der Stadt Sip. Nicht nur dieses Kraftwerk, sondern der gesamte Durchbruch der Donau wird als Eisernes Tor bezeichnet. Der Name kommt aus dem türkischen, in Serbien heisst der Durchbruch offiziell Djerdap-Schlucht.

Mehr Infos unter: www.cycle-for-a-better-world.org

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