Mit dem Velo und Hunden um die Welt, Teil 3

Michael und Sybille Fleischmann sind seit Juni 2010 unterwegs, um per Fahrrad ferne Länder zu bereisen. Ihr Ziel: einmal um die Welt! Mit dabei: Rhodesian Ridgeback-Rüde Gomolf und Mischlingshündin Diu. Exklusiv für das Schweizer Hunde Magazin berichten die Weltenbummler von ihren Erlebnissen. Lesen Sie heute vom Radeln in Ungarns Hauptstadt und den Tücken der Donau.

Text und Fotos: S. und M. Fleischmann

Gomolf und Diu laufen gleichmässig auf dem steinigen Weg des Donau-Damms hinter unseren Fahrrädern her. Es ist heiss, der Schatten der Bäume erreicht nur selten den Weg. Die Donau hat Hochwasser, die Auenwälder rechts von uns sind komplett überflutet. Alle paar Kilometer halten wir kurz an: «Gomolf, Diu, ab nach unten. Ab ins Wasser!» rufen wir. Diesen Befehl kennen sie schon. Beide stürmen den Damm hinunter und springen in das Nass. Gomolf schwimmt und trinkt gleichzeitig, Diu hockt sich ins Seichte, um den Bauch zu kühlen. Erfrischt und tropfend kommen sie zurück auf den Weg, bereit für die nächsten Kilometer.

«Wenn sie selbst laufen, brauchen sie schon unglaublich viel Wasser», stelle ich fest. «Klar, besonders bei der Hitze», antwortet Michael. Soviel könnten wir auf den Fahrrädern gar nicht transportieren – umso besser, dass der Wasserpegel so hoch steht. Den Hunden macht es sichtlich Freude, endlich wieder mal laufen zu dürfen. Als wir durch die Slowakei geradelt sind, mussten sie wegen Gomolfs abgebrochener Kralle ständig in ihren Anhängern mitfahren.

Auf Irrwegen durch Budapest

Auf den steinigen Abschnitten des Damms kamen wir mit unseren schwer bepackten Fahrrädern nur langsam voran. Trotzdem waren wir guter Dinge: Seit dem Morgen waren wir endlich wieder auf dem Donauradweg. In Budapest hatten wir ihn wegen der dürftigen Beschilderung verloren.

Dennoch war die Hauptstadt Ungarns radltechnisch besser als erwartet: Knapp die Hälfte der Strecke durch die Mega-City konnten wir auf richtigen Fahrradwegen zurücklegen. Die Donau diente stets als Orientierung – wenngleich vom Donauradweg jede Spur fehlte. Als sich der Grossstadtdschungel langsam lichtete, zwang uns ein riesiges Bauwerk, eine Autobahnbrücke über die Donau, zu einer Entscheidung. Wir wussten nicht, auf welcher Seite des Flusses wir wieder auf den Radweg stossen würden, weder unser Kartenmaterial noch Reiseliteratur oder Schilder konnten diese Frage beantworten. Also wechselten wir aufs Geratewohl das Ufer. Drüben angekommen, fanden wir tatsächlich einen ruhigen Feldweg im Grünen direkt neben der Donau: Perfekt! Wir freuten uns schon auf einen flussnahen Schlafplatz, die Fahrt durch Budapest war sehr anstrengend gewesen. Plötzlich kam uns ein Geländewagen entgegen, aus dem zwei uniformierte Männer ausstiegen.

«Sie dürfen hier nicht fahren», erklärte einer in perfektem Englisch. «Um hier mit dem Fahrrad zu fahren, brauchen Sie eine Lizenz.» Michael fand als erster die Sprache wieder: «Eine Lizenz … um hier mit dem Fahrrad zu fahren?! Das ist doch nicht Ihr Ernst?» Die Männer blieben unnachgiebig, da fuhr ein anderer Radfahrer vorbei. Michael stoppte ihn: «Entschuldigen Sie… haben Sie eine Lizenz, um hier Fahrradfahren zu dürfen?» – «Natürlich», antwortete der Mann und zückte einen eingeschweissten Ausweis – sogar mit Passbild. Wir verstanden die Welt nicht mehr und sahen uns ratlos an. Ich wandte mich an die Beamten: «Wo ist denn dann der Euro-Fahrradweg Nummer sechs, bitte?» «Nummer sechs?» antwortete er eifrig, «oh, Strasse Nummer sechs ist auf der anderen Seite der Donau. Dort brauchen Sie auch keine Lizenz.»

Eine Stunde später sah man uns halb wütend, halb resigniert zurück auf der rechten Seite der Donau. Nachdem wir mehrere Leute befragt hatten, erkannten wir, dass uns der nette Herr in Uniform auf die Autobahn Nummer sechs geschickt hatte. Hier sind Radler natürlich total verboten.

Unerwartete Gastfreundschaft

Wenigstens führte parallel eine Landstrasse, auf der wir uns hielten. Als es bereits dämmerte, waren wir immer noch in besiedeltem Gebiet. Wo sollten wir hier unser Zelt aufschlagen? Schliesslich fanden wir einen kleinen Seitenweg, der neben einem Bahngleis ins Grüne führte. Erschöpft bauten wir unser Zuhause auf und hofften, dass uns niemand wegschicken würde. Kaum hatten wir unsere Matten ausgerollt, tauchte ein Mann auf, der von Gomolf und Diu skeptisch angebellt wurde. «Ist es in Ordnung, wenn wir hier eine Nacht schlafen?» fragten wir ihn vorsichtig. «Ja, es ist schon in Ordnung», antwortete er, «aber es wird wahrscheinlich regnen. Besser, ihr schlaft in meinem Haus.»

So sehr hatten wir uns noch nie darüber gefreut, dass wir das Zelt umsonst aufgebaut haben. Der Mann, er hiess Béla, wohnte mit seiner Frau, drei Kindern, zwei Hunden und einer Schildkröte in einem Haus ganz in der Nähe. Dort gab es neben der Küche und einem winzigen Bad nur ein Wohn- und ein Schlafzimmer, das sich die Familie teilte. Trotz des knappen Platzangebots hiessen sie uns herzlich willkommen, im Wohnzimmer unser Nachtlager aufzuschlagen.

Die Kinder Andris (11), Anna (9) und Ádám (3) waren hellauf begeistert von dem überraschenden Besuch. Sie streichelten unsere Hunde um die Wette, bestürmten uns mit Fragen und lehrten uns ein paar Vokabeln Ungarisch. Vater Béla musste übersetzen, auch seine Frau Ági konnte kein Englisch. Die Hunde der Familie waren Süti, ein frecher, kleiner Kläffer, und Gitta, ein altes, blindes Labradorweibchen. Der Kleine war nicht sehr begeistert davon, sein Reich mit zwei fremden Hunden zu teilen, arrangierte sich aber dann doch mit ihnen. Gitta störte sich weniger am Besuch. Sie war noch überraschend vital. Da sie nichts mehr sah, lief sie immer wieder gegen Stuhlbeine und andere Hindernisse – was sie aber nicht sonderlich störte. Nach einer Runde durch den Garten leitete Ági das Tier mit ruhigen Worten und sanfter Hand zurück in sein Körbchen. Wir bewunderten die fürsorgliche Ruhe, die die Frau ausstrahlte.

Béla verdient den Unterhalt der Familie mit dem Verkauf von Töpferware: Seine Schwester fertigt Gebrauchs- und Kunstgegenstände aus Ton, er verkauft sie auf deutschen und österreichischen Töpfermärkten. «Warum nicht hier in Budapest?» wollten wir wissen. «In Ungarn könnte ich das nicht verkaufen. Die Menschen hier haben nicht so viel Geld für so etwas. Öl, Wasser und Strom sind so teuer geworden – da bleibt vielen kaum mehr etwas übrig. Ausserdem hätte ich sofort die Steuerfahndung am Hals», fügte er verschmitzt hinzu. Die Mehrwertsteuer ist in Ungarn mit 25 Prozent sehr hoch – müsste er das bezahlen, würde sich die Arbeit nicht mehr lohnen.

Nachdenklich wurde er, als er vom Zusammenbruch des kommunistischen Systems erzählte. «Ich war damals Anfang zwanzig. Und plötzlich sagten alle, dass mir mein ganzes Leben lang eine Lüge verkauft worden war. Das ganze System basierte darauf, dass wir mitmachten und nicht nachfragten. Es war schwierig für mich, das alles zu verstehen. Manchmal weiss ich nicht, ob es damals oder heute besser war. Heute müssen wir uns mehr Sorgen machen, sind aber natürlich freiere Menschen.»

Am Abend machten wir einen kleinen Spaziergang durch das Wohngebiet. Was als gemütliches Beinevertreten gedacht war, endete in einem Spiessroutenlauf: Hier am Stadtrand von Budapest gibt es in jedem Haushalt mindestens einen Hund. Wo immer Gomolf und Diu vorbeigingen, sprangen wütende Kläffer an Zäune und Gartentore.

Manche der Tiere schleuderten ihr ganzes Gewicht gegen das Metall. Oft erschraken wir, weil ein zweiter, bisher nicht sichtbarer Hund, urplötzlich losbellte. Der Lärm animierte wiederum andere Hunde dazu, einzustimmen – obwohl sie ganz weit weg wohnten. So begleitete uns ständig eine vielstimmige und sehr laute Geräuschkulisse und wir traten bald den Rückweg an. Wieder im Haus der Familie, kehrte zum Glück bald Ruhe ein.

Wir verbrachten zwei wunderbar entspannte Tage bei der ungarischen Familie und schwelgten in unbeschreiblichem Luxus: Wir hatten ein festes Dach über dem Kopf, durften eine warme Dusche nehmen, die Waschmaschine benutzen, an einem Tisch sitzen und unsere geplagten Rücken an Stuhllehnen anlehnen. Am Abend unserer Ankunft servierte Agi eine umfangreiche Brotzeit, morgens bekamen wir erst einmal eine Tasse heissen Kaffee in die Hand gedrückt. Die Dame des Hauses kochte ganz hervorragend. «Es ist nur ganz einfaches Essen», meinte Béla bescheiden, «dafür echt ungarisch!» Es gab Paprikaschoten mit Fleischfüllung und fruchtiger Tomatensauce – es war das Beste, was wir seit langem gegessen hatten!

Auf Ungarns Landstrassen

Dankbar verabschiedeten wir uns, um die nächste Etappe in Angriff zu nehmen. Erst als wir zurück auf der Strasse waren, realisierten wir, wie dringend wir diese Auszeit gebraucht hatten. Unsere neue Tagesbestleistung von 52 Kilometern legten wir vergleichsweise souverän zurück, obwohl die Fahrt in der prallen Sonne anstrengend und nervenaufreibend war. Viele Autofahrer überholten zwar recht rücksichtsvoll, doch es gab genügend, die uns mit haarscharfen Manövern schockten. Immer wieder fluchten wir in Gedanken auf die Beamten, die uns auf diese Seite geschickt hatten, denn der Radweg musste irgendwo am anderen Ufer sein und die nächste Brücke war noch siebzig Kilometer entfernt. Gomolf und Diu verbrachten die Strecke in ihren Anhängern. Der Verkehr war einfach zu dicht, da war es uns lieber, die Hunde sicher verstaut zu wissen. Es kostete schon genug Kraft und Nerven, mit den Fahrrädern im hautnahen Verkehr unterwegs zu sein. Da nahmen wir lieber das Mehrgewicht der Hunde im Anhänger in Kauf, anstatt auch noch darauf achten zu müssen, dass sie nicht überfahren wurden.

Nach zwei Tagen konnten wir den Fluss endlich überqueren und wurden prompt mit einem Hinweisschild auf den Donauradweg belohnt. Unser Nachtlager jedoch erinnerte uns an die Nachteile von flussnahem Zelten. Kaum hatten wir unsere Räder abgestellt, scharten sich mal wieder die Mücken um uns und die Hunde. Am nächsten Morgen hingegen waren unser Zelt und die Siebensachen von einer anderen Spezies übersät: Nacktschnecken! Ohne Rücksicht auf unseren Ekel krochen sie übers Zelt, in unsere Schuhe, auf das Essgeschirr und über die Vorräte.

Zurück an der Donau

Am Nachmittag rollten wir schliesslich am Donau-Damm entlang und suchten sehnsüchtig einen Zugang zum Wasser, um uns zu erfrischen. Als der gefunden war, dauerte es allerdings kaum fünf Minuten, bis das kühle Nass auch von oben kam: Ein Gewitter zog auf und es begann zu regnen. Es gab keine Möglichkeit, sich unterzustellen, daher entschieden wir uns das Zelt aufzubauen. Kaum stand es, da hörte es schon wieder auf zu regnen – doch die Lust zum Weiterradeln war bereits verflogen. Mit unserem Vorrat an deutschen Zeitschriften aus Österreich verbrachten wir einen faulen Tag im Zelt, nur zehn Meter vom Donauufer entfernt. Wir waren weit weg von der nächsten menschlichen Behausung, doch dank des Flusses war das kein Problem: Es gab genügend Wasser für Gomolf und Diu, zum Abspülen, um uns zu säubern und zum Wäsche waschen. Dank unseres Wasserfilters (aus der Schweiz) konnten wir das Donauwasser auch für uns trinkbar machen.

Doch ein solcher Platz ist immer mit Vorsicht zu geniessen. Morgens wurden wir von einem leisen, aber nahen Plätschern wach. Michael schwante nichts Gutes, er schälte sich schnell aus dem Schlafsack, ging raus und weckte mich dann hektisch: «Schnell, das Wasser steht schon beim ersten Zelthering! Wir müssen sofort weg hier!»
So schnell hatten wir noch nie unser Lager abgebaut und auf den Fahrrädern verstaut. Eine halbe Stunde später stand der Zeltplatz auch schon komplett unter Wasser und wir konnten zusehen, wie die Donau immer höher stieg. «In Deutschland muss es regnen ohne Ende», stellte Michael kopfschüttelnd fest.

Zwei Tage bewegungsunfähig

Nun trennten uns nur noch sechzig Kilometer von der serbischen Grenze. Gut so, denn wir hatten kaum mehr ungarisches Geld und keine grössere Stadt mehr, in der wir noch wechseln könnten. Doch in unserer vermeintlich letzten Nacht in Ungarn wachte ich acht Mal auf und musste mich übergeben – Lebensmittelvergiftung! Ich war total am Ende und auch am nächsten Tag nicht bewegungsfähig. Zum Glück war Michael fit und versorgte mich mit Kamillentee, Mückenmittel und einer Hängematte im Schatten. Am nächsten Tag ging es mir schon wieder besser – doch nun war Michael an der Reihe mit Durchfall und Erbrechen! Wir hatten unvorsichtigerweise eine ungeschälte Gurke gegessen, das war wohl die Ursache für das Übel.

Noch ziemlich geschwächt beluden wir am folgenden Morgen unsere Reiseräder. Unsere Vorräte waren fast aufgebraucht, wir mussten weiter! Gomolf und Diu waren zum Glück fit und konnten selbst laufen. Vor allem auf den steinigen Abschnitten des Dammweges wäre es eine grosse Belastung gewesen, die Hunde im Anhänger ziehen zu müssen. Es gab keinen Schatten weit und breit, die Sonne brannte unbarmherzig auf uns herab.

«Ich bin so froh, dass der Hund wieder vernünftig laufen kann!» erklärte Michael, als wir wieder eine Trinkpause machten. Als wollte Gomolf diese Feststellung sofort entkräften, winselte er unvermittelt und kam den Damm humpelnd wieder hoch. Er konnte auf der rechten Hinterpfote nicht auftreten. Wir untersuchten ihn kurz und blickten uns kopfschüttelnd an. Unser Grosser hatte sich erneut eine Kralle abgebrochen, die nun halb wegstand und ihm Schmerzen bereitet. So konnten wir ihn unmöglich laufen lassen. Mit der Resignation eines kraftlosen Sportlers befahl Michael dem Hund kommentarlos, in seinen Anhänger zu gehen. Die nächsten Kilometer auf dem Damm wurden zur Tortur für meinen Mann. Er war selbst ohne Energie, die Sonne knallte herunter, der steinige Untergrund – und jetzt hatte er auch noch 45 Kilo mehr Gewicht!

Vor den Toren Serbiens

Nach einer Weile verlässt der Donauradweg endlich den Damm und es geht auf einer geteerten Strasse weiter. Jetzt wird auch Diu kutschiert und wir haben wieder unser normales Reisetempo. Am Abend erreichen wir ziemlich erschöpft die ungarisch-serbische Grenze. Unser Zelt schlagen wir kurz davor auf einer ungenutzten Wiese auf. Abends entdecken wir sogar einen Fuchs, der ganz nahe vorbeischleicht – leider ist er zu schnell für die Kamera. Der Zeltplatz hat aber noch einen weiteren Vorteil: Die fast gänzliche Abwesenheit von Mücken. Die kleinen Plagegeister suchen uns normalerweise jeden Abend heim. Teilweise war es so schlimm, dass wir die Hunde mit uns im Innenzelt schlafen liessen – statt wie sonst im Vorzelt. Daran gewöhnten sie sich bemerkenswert schnell. Heute stehen sie mit fragendem Blick vor dem geschlossenen Reissverschluss und begehren Einlass. Es braucht ein paar strenge Worte, bis sie wieder ihren normalen Platz auf der Matte im Vorzelt akzeptieren.

Es wurde eine ruhige Nacht. Vor dem Einschlafen hingen wir unseren Gedanken nach. Wir hatten es geschafft und ein weiteres Land komplett mit den Fahrrädern und unseren Hunden durchquert. Wir standen vor den Toren Serbiens, der ersten Grenze, für die wir überhaupt unsere Pässe werden zücken müssen – denn morgen verlassen wir das erste Mal die EU.

Mehr Infos unter: www.cycle-for-a-better-world.org

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