Mit dem Velo und Hunden um die Welt, Teil 27

Michael und Sybille Fleischmann sind seit Juni 2010 unterwegs, um per Fahrrad ferne Länder zu bereisen. Ihr Ziel: Einmal um die Welt! Mit dabei: Rhodesian Ridgeback-Rüde Gomolf und Mischlingshündin Diu. Exklusiv für das Schweizer Hunde Magazin berichten sie von ihren Erlebnissen. Lesen Sie heute, warum sie sich in Kambodscha wie eine Zirkusattraktion fühlen und wie es kommt, dass die Hunde weitaus besser satt werden als ihre beiden Besitzer.

Text und Fotos: S. und M. Fleischmann

«Du trittst ja!», ruft Michael mit breitem Grinsen im Gesicht, als ich ihn überhole. – «Stimmt nicht, ich hab‘ deinen Windschatten benutzt!», rufe ich zurück und ducke mich noch ein bisschen tiefer, so dass mein Kinn fast den Lenker berührt. Die Worte meines Bruders – er ist passionierter Rennradfahrer – hallen in meinem Kopf: «Bei nur 40 Kilometer pro Stunde gehen 80 Prozent deiner Kraft drauf, um den Luftwiderstand zu überwinden.» 40 km/h ist normalerweise eine utopische Geschwindigkeit für uns – ausser es geht bergab wie jetzt. Also: ducken, so tief es geht.

Mein Mann macht sich auch noch ein bisschen kleiner und setzt zum Überholen an. Sein Anhänger mit dem 45 Kilo schweren Gomolf darin schiebt ordentlich an, rasch ist er schneller als ich und er fährt tief gebeugt an mir vorbei. In der nächsten Kurve ist er wieder vor mir und ich versuche, seinen Windschatten zu erwischen… doch dann ist die Abfahrt auch schon zu Ende. Wir rollen aus und haben bald wieder unsere normale Reisegeschwindigkeit von 15 km/h erreicht. Aus den sportlich-dynamischen Rennfahrern sind wieder zwei träge Reiseradler geworden, die mit der Aerodynamik eines Panzers durch die Lande ziehen, weil sie auf die aberwitzige Idee gekommen sind, ihre beiden Hunde im Anhänger mitzunehmen – so sieht es zumindest mein Bruder.

Für uns hat die Langsamkeit einen besonderen Reiz, – doch zugegebenermassen ist sie auch manchmal recht zermürbend. Besonders jetzt, da unser erstes richtiges Ziel in greifbare Nähe gerückt ist: Sihanoukville, ein Ferienort an der Küste, dort wollen wir eine längere, wohlverdiente Pause einlegen. Das Städtchen liegt nur noch ein paar Autostunden, aber viele weitere Radeltage von uns entfernt. Wenigstens bieten wir auf diesem Weg der Landbevölkerung die beste Unterhaltung, die man sich vorstellen kann.

Erstaunte Einheimische

«Oooooh, Skai!», ertönt es aus allen Richtungen, wenn wir vorbeifahren – mal verwundert, mal belustigt, mal völlig ungläubig. «Skai» ist eines der ersten kambodschanischen Wörter, die wir lernen, und es begleitet uns auf Schritt und Tritt, denn «Skai» heisst «Hund». Wenn Michael vor mir fährt, kann ich die Reaktionen der Einheimischen besonders gut beobachten: Jemand sieht uns auf unseren Fahrrädern und macht sofort seine Mitmenschen auf uns aufmerksam. Sie blicken uns alle an, manche winken. Dann kommt der Moment, in dem sie sehen können, was in dem gelb-blauen Fahrradanhänger drin ist – ein Hund! Über diese zugegebenermassen ungewöhnliche Erscheinung geraten die Leute dann völlig aus dem Häuschen. «Oh, Skai!!!», rufen sie aufgeregt und folgen Michaels Gespann mit ungläubigen Blicken. Ich und Diu werden dagegen kaum beachtet, denn unsere Kleine ist in dem dunkelgrünen Anhänger nur schwer zu sehen. Und das ist mir ganz recht so.

«Als hätte ich einen rosa Elefanten im Anhänger!», knurrt Michael kopfschüttelnd, wenn das Erstaunen der Khmer mal wieder allerhöchste Ausmasse erreicht. «Klar, wir sind ein kleiner Wanderzirkus », versuche ich ihn aufzuheitern und singe die ersten Töne vom «Einzug der Gladiatoren», dem berühmten Zirkusmarsch. Grinsend stimmt er mit ein und winkt unserem Publikum am Strassenrand zu. «Kommt alle herbei, kommt alle herbei, das Spektakel hat begonnen…»

Es ist wirklich bemerkenswert: Wir haben nun 15 verschiedene Länder bereist und mit den Hunden vielerorts für Erstaunen gesorgt, doch die Verwunderung der Kambodschaner hat eine besondere Qualität. Manchen bleibt vor Überraschung der Mund offen stehen, anderen fällt förmlich das Gesicht herunter und wieder andere brechen bei unserem Anblick in schallendes Gelächter aus. «Das muss das Lustigste sein, das er je gesehen hat», sage ich staunend angesichts eines jungen Burschen, der vor lauter Lachen beinahe vom Stuhl fällt. Ist das wirklich so komisch oder sind die Leute einfach nur besonders einfältig? «Die kennen hier keine Hundeliebe», versucht Michael eine Erklärung. «Sie haben Hunde, um ihre Grundstücke zu beschützen und vielleicht um sie zu essen. Es sind eher Nutztiere.» – «Aber das ist doch bei vielen Asiaten so», entgegne ich. «Ja, aber die Khmer sind schon besonders distanziert zu ihren Tieren», meint er. «Wenn wir hier mit Gomolf und Diu vorbeikommen, dann wirkt das also so ähnlich, als ob in Europa jemand mit einem Schwein oder Schaf im Anhänger herumfährt», sinniere ich grinsend und komme damit der Wahrheit vermutlich ziemlich nahe.

Abkühlung bei den Wasserbüffeln

Trotz des manchmal einfältigen Eindrucks sind die Khmer sehr sympathisch und in der Regel macht es grossen Spass, durch die kleinen Dörfer und Ansiedlungen zu fahren, wo uns von überallher Kinder winken und sich die meisten Gesichter zu einem Lächeln formen. Unser Weg führt uns auf einer guten, weitgehend flachen Strasse gegen Südosten, denn der bergige Teil der Strecke liegt nun hinter uns. Rechts und links erstrecken sich grüne, teilweise überschwemmte Wiesen und Reisfelder. Dort sammelt sich in jeder Mulde braunes, sumpfiges Wasser, in dem manchmal Wasserbüffel baden und ab und zu sogar Kinder herumplanschen. Auch Gomolf und Diu – die das Angestarrt-werden übrigens nicht im Geringsten stört – nehmen bei solchen Gelegenheiten oft eine Abkühlung. Vor den Wasserbüffeln haben sie Respekt und bleiben auf Distanz, umgekehrt sind die Hunde den riesigen Pflanzenfressern ziemlich egal. Sie werden für die Reisernte und als Lasttiere eingesetzt und sind so friedlich, dass sie sogar von Kindern gelenkt werden können.

Manchmal gibt es über weite Strecken gar keine menschlichen Behausungen, dann bietet nur der Verkehr einen gewissen Unterhaltungswert. Die Kambodschaner sind nämlich wahre Künstler im Beladen von Fahrzeugen. Frei von Sicherheitsbestimmungen oder Verkehrskontrollen gelten hier allein die Gesetze der Physik, und die besagen, dass auf ein Moped auch fünf und mehr Menschen drauf passen und in ein Auto locker um die zwanzig. Diejenigen, die im Kofferraum mitfahren, müssen dabei die Heckklappe aufhalten, damit es nicht zu stickig wird, und die schrägen Öffnungsdämpfer eignen sich wunderbar, um dort ein Bündel lebender Hühner festzubinden. Wir staunen oft darüber, dass wir noch keinen Unfall gesehen haben, und wundern uns auch ein bisschen, was an einem Hund im Fahrradanhänger so besonders sein soll.

Geheimtipp unter Radlern

Ganz selten sehen wir andere Weisse und noch seltener andere Reiseradler. Aber wenn, dann wird natürlich angehalten. So treffen wir ein Pärchen aus Neuseeland, das in die entgegengesetzte Richtung nach Thailand unterwegs ist. Auch sie staunen nicht schlecht, als unser Grosser aus seinem Anhänger herausspringt, und erklären uns kurzerhand für ziemlich verrückt. Abgesehen von Hunden im Anhänger, haben sie mit ähnlichen Herausforderungen zu kämpfen wie wir und daher wenig Scheu, auch über intimere Probleme zu sprechen. «Ich konnte schon seit zwei Tagen nicht mehr aufs Klo gehen», eröffnet uns die Frau betrübt. Das ist der Moment, in dem ich einen wertvollen Tipp meiner Oma zum Besten geben kann. Ich zaubere einen Apfel aus meiner Fahrradtasche und instruiere die Radlerin: «Den Apfel essen und darauf einen halben Liter Wasser trinken – das klappt fast immer.» Dankbar befolgt die Frau den Ratschlag und verschwindet noch während der folgenden Unterhaltung hinter die Büsche. «Grüss deine Oma von mir», sagt sie grinsend, als sie zurückkommt.

Eine der gewöhnungsbedürftigen Seiten Kambodschas offenbart sich uns, sobald sich die wohlbekannte Leere im Bauch einstellt. Die kambodschanische Küche ist – höflich ausgedrückt – sehr einfach und hinterlässt oft den Eindruck, dass man möglichst wenig Mühe bei der Zubereitung haben will. So wird Fleisch typischerweise weniger «zerlegt», sondern eher «in Stücke gerissen» und dann in den Topf geworfen. Aus diesem Grund findet sich in so einem Essen alles Mögliche: Knochen, Fett, Haut, Knorpel…

Wir müssen das Fleisch mühevoll zwischen den Knochen herausknabbern, auf die meisten Stücke erst testweise draufbeissen, um zu erkennen, ob es überhaupt essbar ist, und vor allem mit viel Hunger zu Werke gehen, denn sonst bekämen wir einfach nicht genügend runter, um weiterradeln zu können.

Leckeres Essen – für Gomolf und Diu

Zumindest ist das Essen günstig und nicht schwer zu finden: Es gibt viele Garküchen, bei denen die verschiedenen Gerichte in grossen Töpfen dargeboten werden, so dass man einfach hineingucken und sich etwas aussuchen kann. Wir haben ihnen den Namen «Topfrestaurants» gegeben und sind bald Profis darin, sie zwischen den anderen Geschäften, Werkstätten und dergleichen zu erspähen. Dann inspizieren wir mit hungrigen Blicken den Inhalt der Töpfe: Was gibt es denn Gutes? Oder anders gefragt: Was ist das geringste Übel?

Fischsuppe, Bittergurken mit Hackfleischfüllung, ein gestückelter Schweinefuss in rätselhafter Sauce, … oh, was ist das? Blumenkohl mit Karotten, dazwischen Fleischstückchen ganz ohne Haut oder Knochen – das nehme ich! Zu meiner Verwunderung wählt Michael lieber den gestückelten Schweinefuss und freut sich, als er in der trüben Sauce sogar ein gekochtes Ei findet. Es war die bessere Wahl, denn mein Fleisch ganz ohne Haut oder Knochen entpuppt sich als Leber – igitt.

Sogar mein Gemüse schmeckt nach Leber und so schiebe ich den Teller nach ein paar Bissen angeekelt von mir und halte mich an blossen Reis mit Sojasauce. Gomolf sieht mir zu und schleckt sich freudig sein Maul. Er und Diu sind die grossen Gewinner, wenn wir in Kambodscha essen gehen. Unsere Kleine holt sich schon mal Appetit und sucht unter den Nachbartischen nach ausgespuckten Fleischstücken. Die kambodschanischen Kochkünste und die landestypischen Tischmanieren garantieren, dass sie niemals leer ausgeht. Dann verteilen wir eine Portion Lebergemüse und Reste vom Schweinefuss auf zwei Hundeschüsseln und unsere treuen Reisegefährten machen sich mit grossem Appetit darüber her. «Ohne unsere Hunde würden wir ständig Essen übrig lassen», stellen wir zufrieden fest, als wir die zwei blank geleckten Schüsseln wieder verstauen. Bevor wir gehen, verschwindet Diu nochmal kurz unter den Nachbartisch, wo sie ein weiteres Stück Fleisch aufstöbert. Manchmal findet sie tagsüber so viel, dass sie abends ihr Trockenfutter, das wir seit Thailand mit uns herumtragen, nicht mehr anrührt. Ja, im Gegensatz zu uns sind unsere Hunde grosse Freunde der kambodschanischen Küche.

Besuch im Zelt

Doch nicht nur unser kleiner Hund, auch die Kambodschaner sind sehr findig in der Beschaffung von Nahrhaftem; dies wird uns gleich am nächsten Tag demonstriert. Wir hatten unser Zelt auf einer Wiese zwischen ein paar kleinen Büschen aufgestellt, die allerdings nur mässigen Sichtschutz boten. Die nächsten Häuser waren nicht weit und es näherten sich bald ein paar Neugierige unserem Lager. Gomolf und Diu quittierten dies mit lautem Bellen, doch wir pfiffen sie ab, denn die Leute kamen offenbar in freundlicher Absicht. Wie sich herausstellte, waren sie unterwegs, um nach Schlangen zu suchen. Die eine, die sie schon gefunden hatten, hielten sie uns stolz unter die Nase: Ein etwa 40 Zentimeter langes, grünbraunes Tier, das sich aufgeregt hin und her wand. Bevor ich protestieren konnte, drückte mir der junge Mann das kleine Reptil in die Hand und versicherte noch, dass es nicht beissen würde. Es gelang mir, die Fassung zu bewahren, bis Michael ein Foto geschossen hatte, dann gab ich die Schlange erleichtert zurück. Die Leute bestätigten uns, dass sie später gegessen wird, in einer Suppe, wenn wir richtig verstanden hatten. Das wäre auch so ein Gericht, was bei uns vermutlich in den Hundeschüsseln landen würde.

In diesen Tagen bekommen wir öfter Besuch bei unserem Zelt. Leider sind die Khmer absolute Frühaufsteher und so werden wir oft vom Alarmgebell unserer Hunde geweckt und blicken nicht selten schon beim Morgenkaffee in lauter neugierige dunkelhäutige Gesichter. Manchmal haben wir ein wenig Mühe, uns über die frühe Gesellschaft zu freuen, die bald von allen Seiten herankommt und verstohlen durch die Zelteingänge hineinlugt. Doch bevor wir uns darüber ärgern können, machen die Leute oft irgendetwas, was uns sofort wieder milde stimmt. Wie die Frau, die mir ohne grosse Umstände einfach ihr Baby ins Zelt hineinreicht, damit ich es einen Moment lang halte. «Das bringt ihm Glück, weil du weiss bist», sagt sie.

Hier können Sie den Artikel aus dem Magazin als PDF ansehen

2 Kommentare zu “Mit dem Velo und Hunden um die Welt, Teil 27

  1. Agata

    Hallo 🙂 toller Text ! Könnt ihr mir einen Farradanhänger empfehlen? Ich plane auch eine längere Tour …Danke !

    Antworten

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