Michael und Sybille Fleischmann sind seit Juni 2010 unterwegs, um per Fahrrad ferne Länder zu bereisen. Ihr Ziel: Einmal um die Welt! Mit dabei: Rhodesian Ridgeback-Rüde Gomolf und Mischlingshündin Diu. Exklusiv für das Schweizer Hunde Magazin berichten sie von ihren Erlebnissen. Heute erreichen sie endlich die thailändische Insel Koh Chang – doch um im Meer baden gehen zu können, müssen noch viele Hürden gemeistert werden.
Text und Fotos: S. und M. Fleischmann
«Bitte dreh nicht um…!», sage ich in Gedanken zu dem Franzosen, der mir gerade grinsend auf dem Moped entgegenkommt. Wir haben ihn schon auf der Überfahrt zur Insel Koh Chang getroffen. Er ist eigentlich ganz nett, aber im Moment möchte ich mit niemandem sprechen. Ich versuche keuchend, mein Rad ein paar Meter weiter bergauf zu schieben, da höre ich auch schon seine Stimme: «Hallo!», begrüsst er mich fröhlich.
Verdammt. «Hallo», antworte ich und zwinge mich zu einer Grimasse, die man als Lächeln deuten könnte. «Da hast du dir ja gleich den besten Berg ausgesucht. Das ist einer der höchsten und steilsten – ich liebe diesen Berg!», schwärmt er. – «Ja», antworte ich, «ich würde ihn auch lieben, wenn ich nur am Gasgriff drehen müsste.» Der Franzose erzählt mir irgendwas von seinem tollen Fahrrad, mit dem er normalerweise hier unterwegs sei, nur ausnahmsweise hätte er jetzt ein Moped. Mit Mühe gelingt es mir, die Form zu wahren, als wir uns verabschieden. Hier mit dem Rad zu fahren soll schön sein? Und er tut es angeblich auch?! Ich glaube ihm kein Wort. Es ist purer Wahnsinn! Und man gestehe mir bitte wenigstens zu, dass ich die Einzige bin, die es versucht. Also weiter geht’s – in der prallen Nachmittagssonne, die scheinbar endlose Steigung hinauf. Längst muss ich schieben. Und das Schlimmste daran: Mein Fahrrad ist komplett ohne Gepäck oder Hundeanhänger.
Ein langer Weg bis zur Insel …
Schon der Weg zur Insel hat all unsere Kräfte beansprucht. Die letzten Kilometer auf dem Festland wurden zur absoluten Tortur – und daran waren wir auch noch selbst schuld: Als wir nicht mehr weit weg vom Hafen waren, folgten wir gutgläubig einem Schild zur «Fähre Koh Chang» und bogen links ab. Da wir keine Karte hatten, wussten wir nicht, dass es eine etwas längere, flache Strecke entlang der Küste oder den minimal kürzeren, dafür sehr hügeligen Weg durchs Landesinnere gab. Leider wies uns das böse Schild auf diesen Weg, der eine denkbar schlechte Alternative für überladene Fahrradfahrer darstellt.
Passenderweise stieg das Thermometer ausgerechnet an diesem Tag auf knapp vierzig Grad – nachdem die letzten Tage bewölkt und moderat gewesen waren. Wir hatten gestrampelt, geschwitzt und geflucht. Gomolf und Diu mussten unzählige Male ein- und aussteigen: In jeder Senke raus aus dem Hänger, auf den Kuppen wieder rein. Bei jedem neuen Anstieg stellte sich die Frage, ob er lang und steil genug ist, damit es sich lohnt, den Hund rauszulassen. Was kostet mehr Kraft – das Mehrgewicht, wenn ich ihn bergauf ziehen muss oder der Verlust von Schwung und Rhythmus, wenn ich jetzt anhalte? Angesichts der Hitze gefallen mir bald beide Optionen nicht mehr.
Auch Michael macht unsere Fehlentscheidung schwer zu schaffen – zum Umkehren ist es längst zu spät. «Ich könnte… in den Teer beissen, so wütend macht mich das!», flucht er angesichts einer neuen, langen Steigung. Ich verkneife mir den Kommentar, dass er ja einen Tunnel buddeln könne, wenn ihm das Radeln zu anstrengend ist. Ein Streit ist das letzte, was wir jetzt gebrauchen können.
Aus Ermangelung an Kraft weicht die Wut bald einer dumpfen Resignation – doch was uns vorantreibt, ist die Vorfreude auf ein Bad im Meer. Zum Glück ahnen wir nicht, dass es noch eine ganze Weile dauern würde, bis es soweit ist.
Die ersten Tage auf Koh Chang sind enttäuschend
Einige Tage später: Wir sind seit einer halben Woche auf Koh Chang, Thailands zweitgrösster Insel. Noch nicht einen der schönen Strände konnten wir besuchen! Was wir gesehen haben ist dichter Regenwald und vor allem Berge. Die Strasse rund um die Insel ist ein einziges kurviges Auf und Ab. Steigungen bis zu zehn Prozent zählen zu den moderaten Stücken, oft sind es zwanzig Prozent, an manchen Stellen sogar knapp dreissig. Mit Gepäck ist an Vorwärtskommen nicht zu denken, das schaffen wir einfach nicht. So hatten wir ein paar Tage abseits der Strasse in der Nähe der Schiffsanlegestelle gezeltet. Der Platz war uneben und mückenverseucht, einen Zugang zum Meer gab es nicht. Unser Versuch, eine bessere Unterkunft zu finden (vielleicht sogar am Strand) endete in einer Talsenke – der folgende Anstieg war unmöglich zu überwinden.
Wenigstens gab es dort ein paar einfache Hütten zu mieten. Der Besitzer hatte nichts gegen unsere Hunde, also sind wir erst einmal dort eingezogen. Sie liegen direkt neben der Strasse. In beiden Richtungen geht es für mehrere hundert Meter steil bergauf. Es gibt hier keine Kurve, daher rast der Verkehr von beiden Seiten mit Vollgas durch, um sich dann an der jeweiligen anderen Seite mit laut dröhnendem Motor den Anstieg hochzuschleppen. Kein Wunder, dass wir die einzigen Gäste sind.
Als ich mich ein wenig erholt fühle, wage ich den Versuch, ohne Gepäck vorwärtszukommen. Er endet mit der Begegnung mit dem Franzosen sowie der Einsicht, dass es einfach nicht geht. Ab achtzehn Prozent Steigung ist das Gewicht so ungleichmässig verteilt, dass das Vorderrad aufsteigt – spätestens dann bin ich zum Absteigen gezwungen. Schliesslich und endlich mieten wir ein Moped, das geeignetste Verkehrsmittel hier. Derart motorisiert haben wir wieder ein Auge für die Schönheiten von Koh Chang. Während Gomolf und Diu bei der Hütte warten, erkunden wir die Insel: Kleine Orte, überall verteilte Strände und versteckte Bungalows. Die Unterkünfte, die am Meer liegen, sind von der Strasse aus meist nicht zu sehen, so dass wir bunten Hinweisschildern und verschlungenen Pfaden durch den Dschungel folgen. Wir würden noch zwei Wochen auf unseren Besuch warten müssen: Meine Mutter und Schwester wollen herfliegen. Bis dahin wollen wir uns eine ruhigere und möglichst günstige Unterkunft suchen.
Per Jeep zur neuen Hütte
Am südlichen Zipfel der Insel werden wir dann auch fündig. Für etwa drei Euro täglich mieten wir eine einfache Hütte mit Strohdach. Für den Transport unserer Siebensachen müssen wir einen Jeep mieten; es passt alles gerade so auf die Ladefläche: Zwei Fahrräder, die Anhänger und die Hunde. Diu hat in ihrem Anhänger Platz, Gomolf bekommt ein freies Eck zwischen den Rädern. «Hoffentlich weiss er, dass er während der Fahrt nicht aufstehen darf», sagt Michael leicht besorgt angesichts der niedrigen Ladeklappen. Doch unser Ridgeback legt sich hin und spreizt sich gekonnt ein, um genügend Halt zu haben. Auch er hat auf Reisen schon viel gelernt.
In unserem neuen Zuhause angekommen, haben wir es plötzlich sehr eilig: «Packen wir einfach alle Taschen in die Hütte – und dann los!», schlägt Michael fröhlich vor. – «Logo… und die Badesachen nicht vergessen, das Meer wartet!»
Schnell ist alles verstaut und wir radeln zum nächsten Strand – zum Glück liegen keine bösartigen Steigungen auf dem Weg. Gomolf und Diu laufen fröhlich bellend hinterher, wir haben sie mit unserer Aufregung angesteckt. Und dann ist es endlich soweit: feiner weisser Sand, Kokospalmen, türkisblaues, klares Wasser – und zwei Reiseradler, die sich mit ihren Hunden jauchzend in die Fluten stürzten.
«Boah ist das warm!», bemerke ich grinsend. Gomolf schwimmt übermütig zwischen uns hin und her, Diu benetzt sich nur kurz, um sich dann ausgiebig im Sand zu wälzen. Das Wasser ist beinahe körperwarm – und doch geniessen wir es sehr, endlich darin zu schwimmen! Was für ein perfekter Ort, um den Besuch aus der Heimat zu empfangen. Und in den nächsten Tagen würden wir noch genügend Zeit haben, uns darauf einzustellen.
Zivilisieren für den Besuch
Der nächste Nachmittag: «Ich glaube, so könnte es gehen», murmelt Michael und befestigt unseren kleinen Spiegel mittels Schweizer Taschenmesser an der Wand, «aber der Spiegel wackelt ziemlich und ich habe keine Hand mehr frei.» Mein Mann steht in unserer Hütte, in einer Hand den elektrischen Rasierapparat, in der anderen die Hundeschüssel zum Auffangen der Haare. «Kannst du nicht den Spiegel festhalten, damit ich was sehe…?» – «Mach’s doch so», antworte ich und fixiere den Taschenspiegel mit Hilfe eines Nagels, der in der Wand steckt. – «Ah, das geht. Gut, dann kann es ja losgehen», sagt er, schiebt den Schalter des Apparates auf ‹on› und es passiert – nichts. «Ach, die blöde Steckdose! Kannst Du mal auf den Stecker drücken?» Als ich der Bitte nachkomme, beginnt der Rasierer zu summen, doch sobald ich loslasse, verstummt das Gerät wieder. Die Steckdosen hier sind so ausgeleiert, dass man den Stecker dauerhaft herunterdrücken muss, um Kontakt herzustellen. Michael legt sein Werkzeug auf das Kabel und löst so auch dieses Problem. Endlich fallen die ersten Barthaare herunter und bald ist es vollbracht. «Na, ist das so in Ordnung für die Schwiegermama?», fragte er mich breit grinsend. – «Wow, wie ein neuer Mensch siehst du aus», nicke ich anerkennend und gebe ihm einen Kuss auf die nackte Wange.
Natürlich wollen wir zivilisiert aussehen, wenn der lang ersehnte Besuch endlich kommt. Daher überwinde auch ich mich und suche einen Friseur auf, der den Wildwuchs auf meinem Kopf ein wenig zähmen soll. Ich war seit mehreren Jahren nicht mehr in einem solchen Etablissement – und das ist auch gut so, denn mittlerweile weiss ich von den Gefahren für Leib und Leben, die dort lauern: Einen Tag nach dem Haareschneiden bemerke ich eine schmerzende Stelle an der Fusssohle. Bei genauerem Hinsehen entdecke ich einen Fremdkörper – und nach einigen Minuten ziehe ich mir ein 5 Millimeter langes Haar aus dem Fuss. Ich als passionierte Barfussgängerin habe mir schon alles Mögliche eingetreten – aber ein Haar?! «Wusstest du das nicht?», fragt Michael verwundert. «Meine Schwester ist Friseurin, die hat das oft erzählt. Das kann ziemlich böse ausgehen, manchmal bricht das Haar nämlich ab und das was noch drinsteckt wird vom Körper abgestossen. Das eitert dann raus, und wenn du Pech hast…» – «Schon gut, ich hab’s verstanden», antworte ich kleinlaut. Und doch muss ich mich über die scheinbar panzerartige Beschaffenheit von thailändischen Fusssohlen wundern: Sowohl die Friseurin selbst als auch sämtliche Kunden waren barfuss durch die Haarbüschel gewatet, denn hierzulande ist es üblich, die Schuhe an der Schwelle eines Hauses auszuziehen. Aber für mich gilt ab sofort: Nie wieder barfuss zum Friseur!
Mit perfekter Frisur zum Flughafen
Zum Glück blieben mir Folgeschäden erspart und der Schmerz in Fuss liess bald nach. Die Frisur sitzt perfekt als ich mich auf dem Weg zum Flughafen mache. Heute ist es endlich so weit: Über ein Jahr sind wir nun auf Reisen und haben die Familie nicht mehr zu Gesicht bekommen. Die Vorfreude ist riesig als ich im Ankunftsbereich für die Fluggäste stehe. Endlich – da kommen sie! Wir vergiessen ein paar Freudentränen und fallen uns glücklich in die Arme.
Ein paar Stunden später sitzen wir zu viert in einem hübschen Restaurant direkt am Strand. Meine Mutter Jutta und meine vierzehnjährige Schwester Susanne geniessen das erste thailändische Essen ihres Lebens – was gemischte Gefühle hervorruft. «Hmmm, das schmeckt total lecker», schwärmt meine Mutter über ihrer cremig-würzigen ‹Tom Yum›-Suppe mit Huhn. Meine Schwester dagegen stochert skeptisch in den ihr unbekannten asiatischen Reisnudeln herum. Vorsichtig sondiert sie den hinteren Tellerbereich nach weiteren Überraschungen. «Iiiiiih!!», entfährt es ihr plötzlich beim Anblick eines Stücks Tintenfisch und sie macht mitsamt ihrem Stuhl einen Satz nach hinten. Wir alle am Tisch zucken erschrocken zusammen und brechen in schallendes Gelächter aus, als sie sich erklärt: «Da sind ja noch die Saugnäpfe dran – wie eklig!»
Als wir am nächsten Morgen die Umgebung ihres Hotels erkunden, ist der Schreck zum Glück längst vergessen. «Das ist ja ein Traumstrand!» Meiner Mutter ist begeistert, während wir die wenigen Schritte zum Meer gehen. Später kommt dann auch für mich und meinen Mann ein grosser Augenblick: Wir dürfen die Sachen in Empfang nehmen, die die beiden für uns aus Deutschland mitgebracht haben: Eine neue Schlafmatte, Ersatzteile für die Fahrräder, ein paar Kleidungsstücke,… es ist wie Weihnachten! «Ich hab euch noch was mitgebracht – obwohl fast kein Platz mehr im Koffer war», erklärt meine Mutter geheimnisvoll. Dann bringt sie ein grosses Stück Parmesankäse, eine geräucherte Salami und ein Mischbrot zum Vorschein. Unsere Augen leuchten – und schon bald machen wir uns über die Köstlichkeiten her. Gomolf und Diu gehen diesmal trotz herzerweichender Blicke leer aus.
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