Michael und Sybille Fleischmann sind seit Juni 2010 unterwegs, um per Fahrrad ferne Länder zu bereisen. Ihr Ziel: einmal um die Welt! Mit dabei: Rhodesian Ridgeback Rüde Gomolf und Mischlings-Hündin Diu. Exklusiv für das Schweizer Hunde Magazin berichten sie von ihren Erlebnissen. In der Isaan-Region sind viele Höhenmeter und ein Motivationstief zu bewältigen. Und eine riesige Mahlzeit – ganz ohne Käfer.
Text und Fotos: S. und M. Fleischmann
«Guten Morgen», sagt Michael leise, während ich noch im weichen Schlafsack schlummere. Er hat schon Kaffee gemacht. Löslichen Pulverkaffee – etwas Anderes finden wir leider nirgends zu kaufen. Doch er hilft immerhin, die erste halbe Stunde des Tages zu überstehen. «Morgen», murmle ich zurück und schäle mich widerwillig aus meiner Schlafstatt. Unsere Pläne, richtig früh aufzustehen, um nicht in der Mittagshitze radeln zu müssen, haben wir schnell verworfen, denn momentan ist es sowieso ziemlich kühl für Thailand: Statt der erwarteten Temperaturen von bis zu vierzig Grad sind es tagsüber nur etwa 25 Grad. Mittlerweile wissen wir, dass es hier in der Isaan-Region wegen der Lage auf der Khorat-Hochebene selten richtig heiss wird – um so besser für uns.
Es dauert noch eine Weile, bis wir die Motivation zum Zusammenpacken gefunden haben. Gomolf und Diu liegen am Boden und bewegen sich keinen Millimeter, während wir alles verstauen und das Zelt einpacken; es scheint, als wollten sie das süsse Nichtstun noch so lange wie möglich geniessen. Erst als wir die Fahrräder zurück zur Hauptstrasse schieben, springen sie auf und rennen übermütig voraus. Der Tag beginnt.
Nervige Wellen und falsch konditionierte Hunde
Das Gelände ist zusehends welliger, immer öfter sind kleine Anstiege zu bewältigen. Die Wellen nerven: ein paar Meter rauf, ein paar Meter runter, um die Kurve herum und danach wieder rauf. Auch wenn es bergauf geht, lassen wir Gomolf und Diu nur selten aus ihren Anhängern aussteigen, denn zum einen müssen wir dafür stehenbleiben und jedes Mal unseren Rhythmus unterbrechen, zum anderen haben wir keine ruhige Minute, wenn sie selbst laufen. Für den Linksverkehr sind sie immer noch nicht richtig trainiert. Immer wieder müssen wir ihnen sagen, dass sie am Strassenrand bleiben sollen (und zwar am linken, herrgottnochmal, LINKS, das kann doch nicht so schwer sein…!). Immer wieder würden sie dann stehenbleiben, um zu schnüffeln, zu pinkeln oder in einem Abfallhaufen zu stöbern. Immer wieder hätten wir dann Angst, dass sie danach von hinten angelaufen kommen und uns ausladend rechts überholen (monatelang war es doch richtig so?). Oft kommen auch andere Hunde von den Grundstücken gestürmt und jagen Gomolf und Diu aggressiv bellend zur Strassenmitte. Das ist jedes Mal ein Schock für sie und uns. Zu oft haben uns Thais erzählt, sie hätten ihren Hund verloren – mit einer vielsagenden, traurigen Geste auf die stark befahrene Strasse.
Also bleiben unsere beiden fast immer im Anhänger. Geht es nur ein kleines bisschen bergauf, fühlen sie sich wie eine Ladung Blei an. Toppen können sie das nur noch, indem sie sich in ihren Gefährten hin- und herdrehen, aufstehen oder ihr Gewicht komplett auf eine Seite verlagern. «Tanzt der Hund schon wieder in seinem Hänger?», grummelt Michael manchmal angespannt, während er einige Schlenker machen muss, um Gomolfs Bewegungen auszubalancieren. Das kostet Kraft und Nerven. Wenn ich in Rufweite bin und noch Puste habe, versuche ich unseren 45 Kilo schweren Ridgeback dazu zu überreden, sich ruhig zu verhalten. Dabei geht es mir selbst auch nicht viel besser. Diu wiegt zwar nur die Hälfte, doch ihr Anhänger hat nur ein Rad und sie steht mit Vorliebe aufrecht drin. Besonders beim langsamen Losfahren oder während einer Steigung, die ich nur im Schritttempo bewältigen kann, ist es sehr kräftezehrend für mich, die Balance zu halten.
Schwer wiegende Erkenntnisse
Dann taucht am Strassenrand auf einmal etwas auf, was sofort unser Interesse weckt: eine Wiegestation für LKW! Hier können wir endlich das ewige Rätsel lösen: Wie viel Gewicht ziehen wir da eigentlich durch die Gegend? «Ich tippe auf 160 Kilo für mich und 120 für dich», schätzt Michael. – «Könnte hinkommen», antworte ich, nachdem ich kurz überschlagen habe. Wir tauschen mit dem zuständigen Personal im Häuschen ein kurzes Lächeln und Nicken aus und holen uns so die Erlaubnis, die riesige Waage benutzen zu dürfen. Mein Mann rollt als Erster auf die Metallplatte. Die digitale Anzeige springt in Zehn-Kilo-Schritten nach oben und pendelt sich dann genau bei 200 Kilo ein. Wir staunen nicht schlecht. Auch mein Gespann bringt samt Fahrer und Hund stolze 140 Kilo auf die Waage – ebenfalls deutlich mehr als erwartet. Dabei hatten wir doch schon kiloweise Gepäck nach Hause geschickt und waren ständig bemüht, nur ja nichts Unnötiges dabei zu haben. Obwohl uns der Kontrolleur einen erhobenen Daumen und ein anerkennendes Nicken schenkt, können wir der neuen Erkenntnis nicht viel Positives abgewinnen, im Gegenteil, irgendwie tritt es sich nun bergauf noch ein bisschen schwerer.
Europäer treffen wir fast gar nicht, die haben sich hier im Isaan wohl nur sehr vereinzelt niedergelassen. Die einzige Ausnahme ist ein älterer Mann aus Dänemark, der hier mit seiner thailändischen Frau lebt. Er verwickelt uns sofort in ein längeres Gespräch – anscheinend sehnt er sich ebenfalls nach Kontakten mit Leuten aus seinem Kulturkreis.
Am späten Nachmittag führt uns das altbekannte Loch im Bauch zu einem kleinen Restaurant, das am Rande eines Dorfes platziert ist. Wir sind müde, ausgelaugt und nicht in der Stimmung für komplizierte Bestellungen in Körpersprache, so hoffen wir einfach, dass die Dame uns irgendwas ganz Normales zubereitet – möglichst ohne Heuschrecken, Rattenfleisch oder Käfer, die in dieser Region so typisch sind. Diese Befürchtungen erweisen sich aber zum Glück als unbegründet, genaugenommen ist das Restaurant ein absoluter Volltreffer. Die freundliche Köchin punktet zunächst, indem sie ganz selbstverständlich unseren beiden Hunden je eine Schüssel Reis mit Fleischresten vorsetzt: alles wird sofort verputzt. Dann kocht sie für uns eine kräftige Mahlzeit mit Reis, Eiern, zartem Fleisch und Gemüse, die wir uns so richtig schmecken lassen. «Super, genau das brauche ich jetzt», sagt Michael anerkennend und verleiht seinem Genuss Ausdruck, so dass es auch die Köchin versteht.
Unerwartete Gastfreundschaft
Die anschliessende Verdauungsschwere überwältigt meinen Mann derart, dass er sich seine Matte ausbreitet und kurzerhand zu einem Nickerchen niederlässt. Anscheinend ist das kein Problem, die Frau vom Restaurant bedeutet uns sogar, dass wir hier schlafen können. Sie erkennt wohl, dass wir mit unseren Kräften für heute ziemlich am Ende sind. Wir überlegen nicht lange und stimmen zu, denn an Tagen wie diesem ist es besser, wenn wir uns nicht zum Weiterfahren zwingen müssen.
Am Abend gesellen sich die Nachbarn zu uns, trinken fröhlich ziemlich viel Whisky und laden uns für den nächsten Tag zu sich ein. Das ältere Ehepaar spricht kein Englisch, doch am folgenden Nachmittag erscheint die Lösung all unserer Kommunikationsprobleme: die Tochter Ying. Sie arbeitet in einem luxuriösen Hotel – sogar mit Golfplatz – und spricht sehr gut Englisch. Nun können wir endlich auch mit den anderen Familienmitgliedern kommunizieren. Sie sind sehr überrascht, dass wir den ganzen langen Weg von Deutschland über Land und mit den Rädern gekommen sind.
Auch Yings Freundin Sanya lernen wir kennen, sie ist Notfall-Krankenschwester und war sogar schon einmal in Berlin, wo ihr Bruder lebt. München kennen die Leute zwar nicht, doch eine andere Sehenswürdigkeit aus der Umgebung hat Sanya schon besucht: «Ihr habt da dieses Schloss… wie Disneyland…», beginnt sie nachdenklich.
«Neuschwanstein», lacht Michael, «das hat aber gar nichts mit Disneyland zu tun!» – «Ja genau, Noi-swan-staain», bestätigen unsere Gastgeber nickend, «genau wie Disneyland!»
Am Abend werden wir von der Familie ausgeführt. Gomolf und Diu dürfen diesmal nicht mit, doch bei unserer gastfreundlichen Köchin sind sie gut aufgehoben. Nach einer kurzen Fahrt in Sanyas Auto halten wir auf einem Parkplatz an, wo wir noch etwa zehn weitere Familienmitglieder treffen. Sie begrüssen uns alle, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, dass wir heute mit dabei sind.
Als wir zusammen mit den anderen das Restaurant betreten, staunen wir nicht schlecht: Die Terrasse ist auf Pfählen über einem kleinen See errichtet, die uniformierten Kellner lächeln ein professionelles Begrüssungslächeln und die Ausstattung ist so nobel, dass wir uns in unserer abgewetzten Kleidung vorübergehend fast ein wenig unwohl fühlen. Wir sind auch noch die einzigen Europäer im ganzen Restaurant, was denkt man wohl von uns? Als wir aber mitbekommen, wie die Familie gestenreich und mit bewundernden Blicken diskutiert, dass wir mit den Fahrrädern gekommen und schon sehr lange unterwegs sind, lösen sich unsere Bedenken bald auf. Sicher erwartet niemand von uns, dass wir in unseren Fahrradtaschen eine perfekte Abendgarderobe mitführen.
Das köstlichste Essen, das wir in Thailand je hatten
Nachdem mehrfach auf uns angestossen worden ist, wird bestellt. Die emsigen Kellner bringen eine riesige Palette thailändischen Essens herbei, wie wir es noch nie gegessen hatten: scharf-würzige Suppe mit Meeresfrüchten, knackige Salate, knusprige Garnelen, gebacken im Teigmantel, … solche Köstlichkeiten hatte die einfache Küche, die wir sonst geniessen, nicht zu bieten. Und Käfer oder Ähnliches werden uns auch diesmal nicht serviert. Es wird so viel bestellt, wie auf den Tisch passt, obwohl wir niemals in der Lage sind, das alles aufzuessen. Wir sind längst mehr als satt, als immer noch neue Speisen aufgetragen werden, die wir natürlich ebenfalls probieren sollen. «Genau wie in China», geht es uns durch den Kopf. Wir geben unser Bestes und essen so viel wir können. Und dann noch mehr – schliesslich sind wir anständige Gäste. Als wir dann irgendwann doch kapitulieren, ist immer noch gut die Hälfte von allem übrig. Doch nun zeigt sich ein Unterschied zum Reich der Mitte: Anstatt einfach alles liegen und stehen zu lassen, werden ganz selbstverständlich Tüten, Alufolie und Styroporbehälter gebracht, um die Reste einzupacken und mitzunehmen. Das macht die Thais gleich noch ein Stückchen sympathischer.
Wir dürfen noch eine Nacht im Haus der Köchin verbringen, bevor wir uns am nächsten Tag schliesslich verabschieden. Dieser Stopp hat uns richtig gut getan. Nicht nur die wohltuende Freundlichkeit und das hervorragende Essen gestern, auch dass wir unsere Wäsche waschen und einen ganzen Tag lang die Fahrräder unbewegt lassen konnten, war viel wert. Gomolf und Diu haben die Ruhepause ebenfalls sehr genossen: Sie spielten ausgiebig mit einigen Hunden aus der Nachbarschaft, lagen faul im Schatten herum und staubten ausserdem von den Gästen des kleinen Restaurants viele leckere Reste ab.
Yings Mutter schenkt uns zum Abschied eine Tüte selbstgebackener Bananen-Muffins und jede Menge Früchte. So sind wir bestens gerüstet.
Endlich wieder gut erholt
So frisch gestärkt, haben wir endlich auch wieder einen Blick für die schöne Landschaft mit den sanften grünen Hügeln, den Reisfeldern und den schlichten Behausungen am Strassenrand. Die Temperaturen sind moderat, trotzdem kommen wir beim ersten langen Anstieg ordentlich ins Schwitzen. In ausladenden Kurven geht es immer höher hinauf, vorerst ist kein Ende abzusehen. Um uns nicht völlig zu verausgaben, halten wir an und geben das übliche Kommando: «Gomolf, Diu, auf geht’s!» Sie springen aus ihren Anhängern, jagen sich ein bisschen und bleiben dann einigermassen brav am linken Strassenrand. Zum Glück ist der Verkehr hier so moderat, dass wir uns nicht um sie sorgen müssen und stur in die Pedale treten können. Wie zwei gut geölte Maschinen meistern wir Höhenmeter – langsam, aber kontinuierlich.
Ein absoluter Radler-Traum
Endlich erreichen wir die Kuppe. Wir bitten die Hunde in ihre Gefährte. Und dann kommt endlich die Abfahrt: ein absoluter Radler-Traum! In den weiten Kurven müssen wir kaum bremsen, unsere Gespanne beschleunigen auf 71 Kilometer pro Stunde, wir grinsen uns breit an und überholen uns dank des Windschattens vom Vordermann immer wieder gegenseitig. «Du bist verrückt!», ruft Michael mir zu, als ich mich in die Kurve lege, während er hinter mir fährt. – «Warum?», schreie ich zurück. – «Weil dein Hund im Anhänger surft!» Auch bei der Abfahrt steht Diu lieber aufrecht in ihrem Gefährt und streckt den Kopf neugierig weit nach vorne, die Kurven muss sie wie auf einem Surfbrett ausbalancieren. Gomolf liegt lieber eingerollt in seiner Kutsche, doch den Fahrtwind geniesst er genauso. Auf der langen Geraden am Ende habe ich keine Chance gegen Michael, er fährt davon und ich kann ihn nicht mehr einholen. Ein klarer Vorteil seines schwergewichtigen Gespannes. Das breite Grinsen steht uns aber beiden noch eine Weile ins Gesicht geschrieben und der Adrenalinschub hält noch lange vor. So macht Radreisen wieder Spass!
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