Mit dem Velo und Hunden um die Welt, Teil 15

Michael und Sybille Fleischmann sind seit Juni 2010 unterwegs, um per Fahrrad ferne Länder zu bereisen. Ihr Ziel: Einmal um die Welt! Mit dabei: Rhodesian Ridgeback Rüde Gomolf und Mischlings-Hündin Diu. Exklusiv für das Schweizer Hunde Magazin berichten die Weltenbummler von ihren Erlebnissen. In der Yunnan-Provinz kämpfen sie sich über Berg und Tal, die Grundversorgung ist nicht einfach. Unerwartete Hilfe kommt von der Bevölkerung.

Text und Fotos: S. und M. Fleischmann

«Halt an… da vorne können wir vielleicht unser Zelt aufbauen!», rufe ich Michael schnaufend zu. Er stellt sein Fahrrad ab und inspiziert den Trampelpfad, der rechts von der Strasse abgeht. «Ja, da ist ein super Platz! Mitten im Dschungel und ganz ruhig», sagt er, als er zurückkommt, «aber haben wir genug Wasser?» Wir überprüfen alle unsere Flaschen mit eher bescheidenem Ergebnis. Nur noch knapp zwei Liter – und wir würden kochen und damit auch abspülen müssen. Das reicht nicht für uns und die Hunde. Nach einer kurzen Diskussion schwinge ich mich wieder auf mein Rad, während Michael mit Gomolf und Diu wartet. Irgendwo muss es doch Wasser geben! Wir wollen beide nicht mehr weiterfahren und ebene, geschützte Schlafplätze sind rar hier in der bergigen Yunnan-Provinz.

Die Stadien der Motivation

Seit wir uns wieder ausschliesslich per Tretkraft fortbewegen, haben wir die üblichen Stadien der Motivation bald durchlaufen:
Von: Yippey, wir rollen wieder – toll, es ist warm – wie schön, so unabhängig zu sein – klasse, dass unsere Hunde dabei sind …

Über: Hmmm, im Rücken zwickt’s ein bisschen – grummel, Diu zappelt im Anhänger – schwitz, ganz schön heiss hier –stöhn, ich habe Hunger …

Und schliesslich: Aua aua, der Hintern schmerzt gar sehr –oh, der Hund ist so schwer –keuch, ich fall‘ gleich vom Radl –schnaub, wessen Idee war diese Reise eigentlich nochmal…?

Dennoch waren wir – auch bei Erreichen des letzten Stadiums – immer noch froh, auf dieser Reise zu sein und mit unseren Hunden durch Südchina zu radeln. Denn wir haben endlich Nordchina und damit den frostigsten Winter unseres Lebens überstanden. Die Hürden, um auf dem Landweg nach Asien zu kommen, sind gross und doch haben wir sie gemeistert.

So tragen wir es halbwegs mit Fassung, als wir wieder bei Temperaturen zwischen 35 und 40 Grad schwitzen müssen. «Eigentlich ist es viel zu heiss zum Radeln», sagte Michael einmal leichthin – nun, es gibt Schlimmeres.

Guter Dinge – trotz grosser Anstrengungen

Wichtig ist, dass wir guter Dinge sind. Wir haben Gomolf und Diu an unserer Seite, die Gespanne rollen wie am ersten Tag, die Sonne scheint auf uns runter (gut, manchmal knallt sie auch…), die Landschaft ist wunderschön: Grüne Berge, von denen oft jeder Quadratmeter mit Reisterrassen oder Kautschukplantagen bedeckt ist. Kleine Dörfer, in denen Jung und Alt erstaunt die Augen aufreissen, wenn wir vorbeiziehen. Die Strasse ist sehr gut und breit, die Autofahrer sind rücksichtsvoll. Wir haben keinen Zeitdruck mehr und für heute vielleicht sogar schon einen schönen Schlafplatz erspäht.

Begegnungen mit der Bevölkerung

Auf meiner Suche nach Wasser fahre ich zwei Kilometer zurück zu einem kleinen Aussichtspunkt, der uns vorher schon aufgefallen war. Ich hoffe auf einen Verkäufer, der Trinkwasser anbietet oder vielleicht einen Wasserhahn – Fehlanzeige. Ausser drei schlafenden Männern auf einem Moped ist niemand da, die öffentliche Toilette entpuppt sich als Loch im Boden ohne Wasseranschluss. Frustriert fahre ich noch ein paar Meter weiter und entdecke einen kleinen Pfad, der zu den Plantagen abseits der Hauptstrasse führt. Auf dem schlammigen Boden sind tiefe Rillen von den Fahrzeugen, in den schattigen Abschnitten hat sich darin Wasser angesammelt. «Besser als nichts», denke ich mir, denn wir hatten ja einen expeditionstauglichen Wasserfilter dabei, sogar ein Schweizer Modell – der würde aus dem trüben Nass klares und keimfreies Wasser machen. Ich fülle alle unsere Flaschen auf und kehre gut gelaunt zu Michael zurück. Der empfängt mich mit breitem Grinsen und hält mir eine grosse Flasche Limonade unter die Nase.

«Schau mal, die habe ich gerade von einer Familie geschenkt bekommen. Die haben mich gesehen, ihr Auto angehalten, mir gesagt, wie toll sie mich finden… und schliesslich ein paar Fotos mit mir und den Hunden gemacht. Ich habe dann angedeutet, dass wir nichts mehr zu trinken haben – und prompt diese ganze Flasche Limo von ihnen bekommen…»

Begegnungen dieser Art hatten wir bereits öfter und sie führten dazu, dass sich unsere Meinung über China schnell ins Positive änderte. Der Regierung des Landes stehen wir zwar nach wie vor skeptisch gegenüber, doch das beruht sogar auf Gegenseitigkeit. Eine der letzten Meldungen aus Nordchina war die Nachricht unseres Dolmetschers: Ein Spion habe Kopien von unseren Pässen angefordert, man frage sich wohl schon, was wir so lange an der Grenze gemacht hätten …

Demgegenüber begegnet uns die Bevölkerung ausgesprochen freundlich und offen, so dass wir sie schnell ins Herz geschlossen haben. Die gespendete Limonade ist eine willkommene Abwechslung zum alltäglichen Wasser und so steht unserer Nacht hier im Dschungel nichts mehr im Wege.

Eine kräftige Mahlzeit – für zwei kräftige Radler

Das Zelt ist rasch aufgebaut und bald brutzelt ein kräftiges Omelett auf unserem Campingkocher. «Mach‘ eine grosse Portion, ich hab Hunger wie ein Tier», sagt Michael, während ich den Reis umrühre. – «Ja, ich auch – und das, obwohl wir in den letzten Wochen so viel Speck angesetzt haben», antworte ich. – «Davon kann ich aber nicht runterbeissen, wenn der Magen knurrt!» lacht mein Mann und gibt mir einen Kuss.

Es stimmt, während des Quarantäneaufenthalts waren wir zur Untätigkeit verdammt gewesen. Gleichzeitig hatten wir uns systematisch durch das Angebot der lokalen Restaurants gemampft – und das viele fettige Essen war nicht spurlos an uns vorübergegangen. Doch unsere Hosen passen noch einigermassen und wir haben nun genug Gelegenheit, alles wieder abzutrainieren.

Auf unserem Weg zur Grenze nach Laos schrauben wir uns immer wieder mehrere hundert Höhenmeter nach oben – und dann wieder hinunter. Die Anstiege ziehen sich über mehrere Dutzend Kilometer dahin. Durchhaltevermögen ist gefragt, doch um unsere Kondition ist es momentan nicht so gut bestellt. Zuweilen kommt uns beim Bergauffahren ein Mopedfahrer entgegen, der den Motor ausgestellt hat und allein durch die Schwerkraft flott fahren kann – das ist ein deprimierendes Signal für uns. Wenn schon die Chinesen, die nicht unbedingt fürs Energiesparen berühmt sind, ihre Motoren ausstellen, dann wird es für uns noch laaaaaange bergauf gehen …

Der Lohn für die Mühen eines langen Anstiegs

Trotz allem sind die Steigungen dank vieler Brücken und kilometerlanger Tunnels erträglich sanft, gleichzeitig präsentiert sich uns ein ständig wechselndes, herrliches Panorama. «Schau mal, was für eine schöne Aussicht!», stellen wir oft fest, wenn wir nach einem langen Anstieg abgekämpft eine Kuppe erreicht haben. Unsere Blicke schweifen über bewachsene Berghänge – fruchtbare Natur und unwegsames Berggelände, so weit das Auge reicht. Mitten durch dieses grüne Nirgendwo schlängelt sich diese Strasse, auf der wir fahren – immer entweder auf Stelzen oder durch Tunnels. Ein Meisterwerk der Ingenieurs- und Baukunst!

Die Stimmung steigt enorm, wenn wir wieder einen Gipfel erklommen haben. «Jetzt geht’s erstmal runter!», frohlockt Michael und trinkt einen grossen Schluck Wasser aus seiner Flasche. Wir halten auf einer grossen Ebene, die als Park- und Rastplatz genutzt wird, das ist unschwer an dem vielen weggeworfenen Plastikmüll zu erkennen. Gomolf und Diu verziehen sich sofort auf ein schattiges Plätzchen. Bergauf sind sie tapfer neben uns hergelaufen und das, obwohl auch sie nicht im Training stehen und etwas rundlicher geworden sind.

An diesem Platz wird uns dann mal wieder bewiesen, welch grosse Vorteile eine feine Nase bringen kann. Während wir die Aussicht geniessen, schnüffelt Diu an einer Plastiktüte mit interessantem Inhalt herum. Michael hilft ihr und inspiziert das Päckchen: Zwei dicke Hähnchenschenkel kommen zum Vorschein! Ein willkommener Imbiss für unsere sportlichen Vierbeiner.

Ein grosses blaues Schild verkündet nun die Belohnung für uns vier: Eine 12 Kilometer lange Abfahrt! Gomolf und Diu steigen bereitwillig in ihre Anhänger – und dann kann es losgehen. Unsere Gespanne beschleunigen bei dem leichten Gefälle auf gemütliche 30 bis 40 Kilometer pro Stunde. Scharfe Kurven gibt es nicht, so brauchen wir auch nicht zu bremsen. Der Fahrtwind kühlt angenehm und die Landschaft fliegt zügig vorbei. «Daran könnte ich mich gewöhnen», denke ich gerade, als schon wieder das Ende der Abfahrt sichtbar wird …

Begehen wir gerade Hausfriedensbruch?

In dieser Gegend kann es schon einmal eine Weile dauern, bis eine Ansammlung von Häusern auftaucht. Wir haben aber mittlerweile herausgefunden, dass jedes noch so kleine Dorf mindestens ein Restaurant hat – seitdem kochen wir gar nicht mehr selbst. Das Essen ist reichlich und recht günstig, für umgerechnet vier bis fünf Schweizer Franken ist ein komplettes Menü für uns zwei zu haben: Verschiedene Gerichte mit Fleisch- und Gemüsesorten in würzigen Saucen, dazu so viel Reis wie wir wollen. Von den Resten wurden selbst Gomolf und Diu noch satt. Falls nur trockener Reis übrig bleibt, mischen wir für sie etwas von dieser Wurst hinein. Ja, es gibt Wurst hier – eine rosige, sehr fettige Substanz von mehliger Konsistenz, in Plastik eingeschweisst und ohne Kühlung ewig haltbar. Mit anderen Worten: ziemlich eklig. Doch die Hunde lieben das Zeug und wir sind froh, etwas für sie gefunden zu haben.

Trotz der hohen Dichte an Restaurants ist es für uns nicht immer ganz einfach, eins zu finden. Unser Problem ist natürlich, dass wir absolut nichts lesen können – zudem gleichen viele der winzigen Restaurants eher informellen Treffpunkten. Meist gibt es nicht mehr als ein paar Sitzplätze auf der Terrasse eines sehr privat wirkenden Hauses. Mit etwas Glück speisen dort gerade ein paar Leute – andernfalls können wir uns nie ganz sicher sein, ob wir nicht gerade Hausfriedensbruch begehen. Und wir müssen zugeben, dass wir diesen Tatbestand mindestens einmal auch erfüllt haben – mit überraschendem Ergebnis.

«Boah, mir fällt der Magen raus!», bemerkt Michael, nachdem wir uns schon seit Stunden durch welliges, unbewohntes Gelände gekämpft hatten. Ausser einer kleinen Nudelsuppe zum Frühstück haben wir noch nichts in die Bäuche bekommen, daher breitet sich in der Körpermitte langsam eine wohlbekannte, unangenehme Leere aus. Wir haben weder eine Landkarte, noch gibt es aufschlussreiche Beschilderung. So halten wir ständig nach Anzeichen von Zivilisation Ausschau – und klammern uns dabei an jeden Hoffnungsschimmer.

«Sind da vorne nicht Häuser?», sage ich und deute auf die linke Strassenseite. – «Schon… magst du nicht mal schauen, ob es dort was zu Essen gibt?», fragt mein Mann hoffnungsvoll. – «Na gut, ich versuch‘s mal.»

Überraschende Begegnung

Wenig später finde ich mich zwischen ein paar einfachen Lehmhütten wieder. Die Terrasse mit ein paar Sitzplätzen ist verwaist und es scheint niemand da zu sein. Bevor ich den Rückweg antrete, streift mein Blick das Dach eines leer stehenden Hühnerkäfigs. Auf einer Plane liegen fein säuberlich aufgereiht mehrere Dutzend Bananen – geschält und zum Trocknen ausgelegt. Bananen? Perfekt! Das Radfahrer-Obst schlechthin – macht satt und gibt Energie. Kurzentschlossen lege ich ein paar Geldscheine hin und greife mir eine grosse Handvoll der kurzen, dicken Bananen. Und als ich gerade das Grundstück verlassen will, kommen mir die Bewohner entgegen: Vater, Mutter und Sohn auf einem Moped. Sie sehen mich überrascht und neugierig an.

Sofort krame ich all meine pantomimischen Fähigkeiten heraus, mache deutlich, dass ich Hunger habe, erbitte Verständnis für den Bananen-Zwangsverkauf und erkläre, dass der andere Fremde, der da draussen mit dem Fahrrad steht, zu mir gehört.

Mutter und Vater lächeln mich daraufhin breit an und deuten mit einladender Geste auf die Küche. Wie konnte ich da ablehnen? Ich hole Michael dazu, wir parken die Fahrräder und weisen Gomolf und Diu einen Platz unter dem Tisch zu – die vielen Katzen, die überall herumliegen, suchen schnell das Weite. Die Frau entfacht sogleich ein Feuer in dem Steinherd und kocht ein paar leckere Gerichte mit Tofu, Huhn und Eiern. Wenig später sitzen wir mit diesen völlig fremden Menschen am Tisch vor unserem Essen – eine seltsame, doch nicht unangenehme Situation. Wir machen verständlich, woher wir kommen und «berichten» von unserer Reise – soweit das mit Körpersprache möglich ist. Unsere Gegenüber sind neugierig und bald sichtlich stolz, solche besonderen Gäste zu haben. Schon bald fühlen wir uns wohl in dieser einfachen Behausung und überlegen, ob wir heute noch weiterziehen. Auch Gomolf und Diu machen nicht den Eindruck, als würden sie gerne noch mal losfahren – nach einer Extraportion Fleischresten mit Reis liegen sie unbeweglich zu unseren Füssen. Doch für unsere Gastgeber stand sowieso schon längst fest, dass wir für diese Nacht hierbleiben.

Mehr Infos unter: www.cycle-for-a-better-world.org

Hier können Sie den Artikel aus dem Magazin als PDF ansehen

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