Gibt es das «richtige» Alter für die Welpenabgabe?

Welpen sollen frühestens ab 12. Woche, besser erst ab der 14. zum neuen Besitzer, erklären Verhaltensbiologen. Das Gesetz erlaubt es schon ab der 8. Woche. Die Züchter sind sich uneinig. Zurzeit wird das Thema heftig diskutiert.

Laut Tierschutzverordnung (September 2008) dürfen Welpen ab dem 56. Tag, also ab Vollendung der 8. Lebenswoche an den neuen Besitzer abgegeben werden. Und es kursiert immer noch die unsinnige Meinung, eine möglichst frühe Abgabe sei notwendig, weil mit 16 Wochen die Sozialisation abgeschlossen sei und der Welpe das Wesentliche bis dahin mit seinem neuen Besitzer kennengelernt haben müsse. Ebenso ist Unsinn, dass der neue Mensch dem Welpen bis zur 16. Lebenswoche klar machen müsse, wo seine Position in der Rangordnung ist. Hunde wollen weder eine Chefposition beim Menschen einnehmen noch benötigen sie einen zweibeinigen Rudelführer. Sie brauchen einen verlässlichen Partner und lernen ohnehin ein Leben lang. Das gilt auch für die Sozialisation, denn selbst Welpen mit negativen Erfahrungen und aus schlechten Verhältnissen (zum Beispiel Tierschutzfälle) können bei sorgfältigem Aufbau solche Defizite bestens wettmachen.

Dagegen wird soziales Spielen und Lernen mit den Wurfgeschwistern in der angestammten Umgebung gerade im 3. und 4. Monat von den Verhaltensbiologen als besonders wichtig bezeichnet. Eine eigentliche Bindung zu einem Menschen (nicht zum Züchter) sei hingegen erst ab der 14. Lebenswoche richtig möglich. Das spricht für ein Abgabealter erst ab der 12. bis 14. Woche, aber auch, dass die Immunität gegen gewisse Krankheiten erst mit 2. Impfung (12. Woche) gewährleistet sei.

Udo Gansloßer (deutscher Zoologe und Verhaltensforscher) vertritt klar eine Abgabe erst ab 12. bis 14. Lebenswoche. Er stützt sich dabei auf verhaltensbiologische Fakten in der Jungtierentwicklung des Hundes. «Die wichtigsten strukturierenden Elemente für die Verhaltensentwicklung von jungen Hundeartigen, und hier unterscheidet sich der Haushund zunächst nicht von anderen Wildkaniden, sind im Zeitraum des 3. und 4. Lebensmonats zum einen die starke Ortsbindung, die sich vorwiegend an den als Rendezvousplatz bezeichneten sicheren Ort des Kernreviers der Elternfamilie richtet», erklärt Gansloßer. Die Bindung an diesen Sicherheit gebenden Ort werde verknüpft mit einem intensiven Erkundungs- und Neugierverhalten, aber auch mit intensivem sozialem Spiel.

Bindung an den Menschen erfolgt später  

«Beim Haushund kommt als zweite wichtige Komponente in dieser Zeit eine allgemeine soziale Attraktivität des Menschen als Art dazu, nicht aber als konkretes Individuum. Die meisten Untersuchungen zeigen, dass Menschen in diesem Alter bei Welpen grosses Interesse auslösen, als Individuum jedoch noch nicht im Sinne eines Bindungspartners abgespeichert sind», so Gansloßer weiter. Bindungsfähigkeit an Individuen (Züchter sind in einer anderen Kategorie zu sehen) tritt laut dem Biologen erst etwa ab dem Zeitraum der 14. bis 15. Lebenswoche auf. Im Zeitraum davor kann ein möglichst vielfältiges Angebot unterschiedlichster menschlicher Typen nach Grösse, Aussehen, Bewegungsmustern etc. auch durch das soziale Umfeld der Züchterfamilie gewährleistet werden.

«Der Kontakt mit Artgenossen, sowohl mit Gleichaltrigen, vorwiegend den Wurfgeschwistern, als auch den Babysittern, also älteren, für die Erziehung, Betreuung und Bewachung der Jungtiere zuständigen Hunden, spielt dagegen eine sehr grosse Rolle.» Eine Reihe von Untersuchungen des amerikanischen Hundeforschers Marc Bekoff, die bereits in den 80er-Jahren stattfanden, zeigte, dass die Intensität und das Ausmass des sozialen Spielens mit Wurfgeschwistern und Babysittern im Zeitraum des 3. und 4. Lebensmonats eine direkte positive Auswirkung auf deren spätere Geselligkeitstendenzen hat.

Darum Trennung nicht zu früh   

Ebenso belegt sei, dass im 3. und 4. Lebensmonat eine Vielzahl von Vorgängen des Beobachtungslernens sowohl gegenüber den Wurfgeschwistern, der Mutter und anderen (Babysittern) beobachtbar sei. «Vor dem Hintergrund dieser Befunde wird von einer früheren Trennung der Hundewelpen von ihrer angestammten Umgebung abgeraten», hält Gansloßer fest. Ungeachtet rassetypischer Unterschiede, die noch nicht weitergehend dokumentiert und untersucht sind, hält auch Verhaltensbiologe Ádám Miklósi fest, dass es keine Notwendigkeit gäbe, die Abgabe von Hundewelpen zu beschleunigen. «Ein Abgabealter von 10 bis 12 Wochen erscheint daher aus diesem Blickwinkel heraus als optimaler Kompromiss zwischen den genannten Lerneffekten einerseits und andererseits dem rechtzeitigen Ankommen in der neuen Familie, bevor mit dem Alter von 14 Wochen die Fremdelreaktion, also die Ablehnung von unbekannten Personen beginnt», sagt Gansloßer.

Das Argument, Hundewelpen aus schlechten Zuchtstätten möglichst bald zu befreien, um sie hinterher besser nachsozialisieren zu können, sei leider im Rahmen eines marktwirtschaftlich organisierten Systems nicht unterstützbar, so Gansloßer: «Nur wenn schlechte Zuchtstätten auf ihren ‹Ramschwelpen› sitzen bleiben, werden sie vom Markt verdrängt. Und wenn man den Tierschutz auf Populationsebene betrachtet, ist ein Mitleidskauf in jeder Hinsicht kontraproduktiv.» Bei Überforderung der Mutterhündin schlägt Gansloßer vor, sogenannte Babysitter-Hunde zu organisieren beziehungsweise als Mensch mehr Unterstützung durch Babysittertätigkeit zu bieten.

SKG vertritt eine anderer Meinung

Die Schweizerische Kynologische Gesellschaft (SKG) ist dem Gesetz gefolgt und hat im Jahr 2017 im Zuchtreglement das Abgabealter von 9 auf 8 Wochen angepasst. «Die Schweiz war lange das einzige europäische Land, das ein höheres Abgabealter als 8 Wochen vorschrieb», erklärt Yvonne Jaussi, Tierärztin, seit 30 Jahren Züchterin, Präsidentin des AKZVT der SKG (Arbeitskreis für Zucht, Verhalten und Tierschutz) sowie Mitglied des Zentralvorstandes der SKG. Laut Jaussi ist das Abgabealter bei der SKG derzeit kein Thema: «Nach wie vor ist es jedem Rasseklub und jedem Züchter selbst überlassen, wann er den Welpen abgibt.»

Jaussi macht verschiedene Faktoren dafür geltend: «Nicht jede Hündin erzieht ihre Welpen viel länger als 7 Wochen.» Auch habe es nicht in jeder Zuchtstätte andere junge Hunde (Babysitter) oder Rüden, die ab einem gewissen Alter die Erziehung der Welpen übernehmen. «Wenn eine Hündin mehr als sechs Welpen hat, ist sie mit der Erziehung schnell überfordert», sagt Jaussi aus eigener Zuchterfahrung. Bei manchen Rassen würden ab einem gewissen Alter ernsthafte Pöbeleien beginnen oder einzelne Welpen können gemobbt werden. «Für die spätere Entwicklung eines Welpen ist es nicht förderlich, wenn er unter solchen Umständen unnötig lange im Wurf oder beim Züchter verbleiben muss.» Entscheiden soll man aber von Fall zu Fall.

Die 12. Woche erscheine ihr definitiv zu spät, so Jaussi. «Meiner Meinung nach hat ein Welpe allein in einem seriösen neuen Zuhause mehr Zuwendung als ihm auch der beste Züchter bieten kann.» Und wenn dieser auch einiges mit seinen Welpen unternehme, so habe er zwangsläufig weniger Zeit für jeden einzelnen als eine Einzelperson.

Ein passendes Abgabealter gibt es nicht   

«Ein für alle Welpen und für alle neuen Besitzer passendes Abgabealter gibt es nicht», sagt Eva Holderegger. Die Züchterin von Australian Cattle Dogs (ACD), ehemalige Leiterin des Certodog-Ressorts Kurswesen und Zucht, sowie Referentin für Zuchtwart- und FBA-Lehrgänge, hat eine etwas differenziertere Meinung. Sie plädierte für eine situativ angepasste Abgabe, ausgehend von den gesetzlichen 56 Tagen. «Ich züchte Australian Cattle Dogs, die bekanntlich nicht die pflegeleichteste Rasse im Umgang mit anderen Hunden sind», so Holderegger. Somit sei es wichtig, dass bereits die kleinen ACD-Welpen die «hündischen Umgangsformen» lernen. Von der 6. bis mindestens zur 10. Woche arbeite eine souveräne Mutterhündin hart und konsequent mit ihrem Nachwuchs, bis der «kanine Knigge» allen klar sei.

Es gebe auch Fälle, wo es ratsam sei, den Welpen möglichst früh zu übernehmen, ist Holderegger überzeugt. Beispielsweise bei einer Welpenaufzucht in einem reizarmen Zwinger. «Welpen aus Welpenfarmen können lebenslang überfordert und verhaltensauffällig sein, denn es ist sehr wichtig für den Welpen, während der ersten 14 bis 16 Wochen möglichst viele verschiedene und vor allem positive Erfahrungen zu machen. Nur so kann der Welpe eine stabile Basis für ein problemloses Leben in unserer hektischen, technischen Welt aufbauen», sagt die Fachfrau.

Ein frühe Übernahme sei auch angesagt, wenn die Welpen unbeaufsichtigt und von der Mutterhündin getrennt aufwachsen würden. «Die sich selbst überlassenen Welpen können untereinander brutal sein. Mobbingopfer reagieren ängstlich auf andere Hunde oder lernen bereits hier, dass der Angriff die beste Verteidigung ist», weiss Holderegger. Weitere Gründe können Aggressionen unter den Geschwistern sein, was auch beim besten Züchter vorkommen könne. Grund könne auch sein, wenn die Mutterhündin negative Eigenschaften aufweise wie Ängstlichkeit, Nervosität oder Aggression. Hingegen können Welpen, so Holderegger, bei seriösen und engagierten Züchtern durchaus auch länger bleiben. Sie gebe einen Welpen erst ab der 10. Woche ab, je nachdem behalte sie ihn auch gerne länger.

 

Meinungen von Züchtern und Zuchtwarten

Jacqueline Zimmermann, Zuchtwartin Australian Shepherd Club

«Wir mussten ein neues Zuchtreglement ausarbeiten, wie alle Clubs in der Schweiz (von der SKG aus). Darin steht, dass wir die Welpen nun mit vollendeter 8. Woche abgeben können, früher war es die 9. Woche. Ich selbst entscheide jeweils, wann es soweit ist, ob ein Welpe schon reif ist für den Umzug oder nicht. Normalerweise bleiben bei mir die Welpen bis und mit vollendeter 9. Woche. Es gibt aber sicher auch Welpen, die man gut mit 8 Wochen abgeben kann. In Deutschland beispielsweise ist das so. 12 bis 14 Wochen ist für Aussies zu spät, da sie neue Herausforderungen brauchen und es auch um die Prägung auf die neuen Besitzer und die Umwelt geht.»

Walter Horn, Zentralpräsident Schweizerischer Rottweilerhunde-Club:

«Der Schweizerische Rottweilerhunde-Club führt die Zwinger/Welpenschlusskontrolle erst am Anfang der 10. Woche durch. Und dieser Termin wird konsequent eingehalten. Vorher können und dürfen keine Welpen abgeben werden. In diesem Sinn erachten wir die Abgabe, das heisst die Trennung der Welpen von der Hündin vor der 10. Woche, als zu früh. Die Rottweilerwelpen werden also gegen Ende der 10. Woche abgegeben. Mit späteren Welpenabgaben haben wir keine Erfahrungen.»

Simone Zollinger, Zuchtwartin Schweizerischer Dalmatiner Club:

«Bei uns haben wir reglementiert, dass Welpen nicht vor vollendeter 9. Lebenswoche abgegeben werden dürfen. Mit 8 Wochen ist definitiv zu früh. Da wird unter den Welpen Rangordnung gelebt, wenn nötig beziehungsweise wenn zu heftig, wirkt die Mutterhündin ein. Diese Entwicklung kann nicht durch den Besuch (zu) früher Welpenstunden ersetzt werden. Bei seriösen Züchtern mit fundiertem Wissen können Welpen sehr gut erst mit 12 bis 14 Wochen oder situationsbedingt noch später abgegeben werden. Die Käufer, die sich der Züchter verantwortungsbewusst aussucht, finden sich ja oft nicht alle bis zum Abgabealter eines Wurfs. Bleiben Welpen länger in einer Zuchtstätte bis der zukünftige Lebensplatz passt, muss aber durch den Züchter eine altersentsprechende Prägung, Erziehung und Vorbereitung auf das spätere Hundeleben gewährleistet sein.»

Yvonne Fuchs, züchtet neu mit ihren Lapinkoiras (Finnische Lapphunde):

«Wir haben uns intensiv mit dieser Frage beschäftigt, denn wir wollen unseren Welpen ja einen optimalen Start ins Leben ermöglichen. Der Bindungsaufbau zu seinem neuen Familienmenschen kann für einen Welpen ab der 12. bis 14. Woche vorbereitet werden und sollte dann ab der 14. Lebenswoche richtig losgehen. Dies ist auch die Zeit, in der die Welpen anfangen würden, die erwachsenen Hunde auf erste kurze Ausflüge zu begleiten. Bis circa 12 Wochen ist ein Welpe nämlich ortsgebunden. Grundsätzlich ist es aber immer individuell zu betrachten, denn jeder Welpe ist ein Individuum und unterscheidet sich von seinen Geschwistern. Wir sind überzeugt, dass es für einen Welpen förderlich ist, möglichst lange bei seiner Familie zu bleiben, wenn die Grundvoraussetzungen stimmen. Darum möchten wir unsere Welpen nach Möglichkeit nicht vor der 12. Lebenswoche abgeben. Gleichzeitig werden wir aber jeden Welpen einzeln betrachten und für jeden Einzelnen die beste Lösung anstreben – der eine braucht vielleicht länger, bis er so weit ist auszuziehen, der andere ist vielleicht früher bereit dazu. Im Falle einer konfliktgeladenen Atmosphäre innerhalb eines Wurfs werden wir auf jeden Fall über eine frühere Abgabe nachdenken.»

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geschrieben von:
Roman Huber

Roman Huber

Roman Huber ist Publizist, Hunde- sowie Medienfachmann, hat zwei Hunde und unterstützt als Trainer seine Frau in deren Hundeschule. Er plädiert für eine faire Erziehung bzw. Haltung, die den Bedürfnissen und Möglichkeiten des einzelnen Hundes und dessen Menschen entspricht. Statt Methoden stellt er die individuelle Begleitung ins Zentrum und Lösungen, die auf Ursachenanalyse basieren sowie verhaltensbiologisch gesehen korrekt sind. www.dogrelax.ch.

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