Teil 6
Der Virunga-Nationalpark im Kongo gehört zu den ältesten und schönsten der Welt. Seine Bewohner, zu denen die vom Aussterben bedrohten Berggorillas und die seltenen Waldelefanten zählen, werden allerdings nach wie vor von skrupellosen Wilderern verfolgt und getötet. Die Schweizer Tierärztin Marlene Zähner wurde Anfang 2011 vom Direktor des Nationalparks Emmanuel de Merode angefragt, ihn beim Aufbau einer Anti-Poaching Dog Unit zu unterstützen. Begleiten Sie in diesem Bericht die noch jungen Bloodhounds zu ihrem ersten Ernsteinsatz.
Text: Marlene Zähner
März 2012
Der Anruf kam unerwartet, die Verbindung war sehr schlecht. «Wir haben einen gewilderten Elefanten gefunden. Sind die Hunde bereit für den Einsatz? Der Kadaver liegt am Fluss auf der Uganda-Seite. Ich muss wissen, ob die Wilderer in den Park zurückgegangen sind oder in Uganda blieben.» Emmanuel de Merode rief aus seinem Flugzeug an. Er hatte Löwen gesichtet, war ihnen aus der Luft gefolgt und hatte ihr Ziel entdeckt, einen toten Elefanten. «Der Kadaver ist schätzungsweise fünf Tage alt.» Ich denke nach; ein fünf Tage alter Trail, ein stark verwester und kontaminierter Kadaver, vermutlich sehr schwierig, einen brauchbaren Geruchsartikel zu finden. Aber wir haben hart gearbeitet, und auch wenn die Teams noch nicht voll ausgebildet sind, dann haben sie doch eine gute Grundlage und eine Richtungsanzeige könnte klappen. OK, versuchen wir es.
Der Kadaver lag auf der ugandischen Seite des Ishasha River. Die Ranger und die Hunde mussten den Fluss überqueren, um zum Elefanten zu gelangen. Die Sektion war unter der Leitung von Gracien Sivanza am Vorabend mit dem Lastwagen angereist, während die beiden Hunde Dodie und Lily am Morgen mit dem Parkflugzeug nach Lulimbi geflogen wurden. Eine weitere Sektion aus dem Zentrum des Parks war zur Verstärkung hinzugestossen.
Gefährliche Jagd
Die Jagd auf Elefantenwilderer ist gefährlich und benötigt eine sorgfältige Planung. Die Wilderei der Elefanten hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Der immer grössere Bedarf an Elfenbein in Asien hat die Preise in astronomische Höhen schnellen lassen, so dass die Wilderer, und vor allem die Hintermänner, kein Risiko scheuen, um an die Tiere zu gelangen. Ein Menschenleben ist in ihrer Rechnung absolut wertlos. Kann die Wilderei nicht gestoppt werden, werden wir in den nächsten Jahren nicht nur die Ausrottung des Nashorns, sondern auch die des Afrikanischen Elefanten erleben.
Der Kadaver des jungen Elefantenbullen war riesig, aufgebläht und stank erheblich. Überall waren Löwenspuren zu finden. Der Kopf des Tieres war mitsamt seinen Stosszähnen mit einer Machette abgehackt worden und hinterliess einen schaurigen Anblick. Wie erwartet, scheuten die Hunde anfangs vor dem Kadaver zurück. Mit unendlicher Geduld arbeiteten die beiden Hundeführer Christian und Gracien mit ihren Tieren und schlussendlich liess sich Dodie davon überzeugen zu arbeiten, während Lily der Sache nach wie vor sehr skeptisch gegenüberstand. Die Tatsache, dass kein Geruchsartikel zu finden war und der Hund am Kadaver direkt angesetzt werden musste, machte die Sache noch schwieriger. Doch die «Professionalität» der Bluthündin Dodie war beeindruckend. Sie kannte ihre Aufgabe, nahm sich ein Herz, näherte sich dem Kadaver an und nahm die Spur auf. Nach mehrfachem Kreisen konnte sie vom stark kontaminierten Tatort die ausgehende Spur aufnehmen, überquerte den Fluss, zurück in den Virunga-Nationalpark und folgte der Spur sieben Kilometer über die afrikanische Steppe, an Löwenspuren, Antilopen und Büffeln vorbei, unbeirrt in Richtung eines bekannten Milizcamps am Lake Edward. An dieser Stelle beschloss Emmanuel, die Arbeit des Hundes aus Sicherheitsgründen abzubrechen, da es viel zu gefährlich gewesen wäre, mit dem Hund die Spur bis ins Lager der Milizen und vermutlichen Täter zu verfolgen. Am späteren Abend kam es an der Abbruchstelle zwischen einer Ranger-Patrouille und einer Gruppe bewaffneter Männer zu einem Zusammenstoss, dem ein Schusswechsel folgte. Die Täter flohen, hinterliessen aber sämtliche Waffen. Alles deutete darauf hin, dass es sich um die Wilderer handelte.
So endete der erste Einsatz der Congohounds. Vielversprechend, eine wirklich beeindruckende Leistung des jungen Teams!
Fremde im Park
Nur zwei Wochen später kam ich mit Marcel Maierhofer, dem Detektiv aus Nordrhein-Westfalen, in Rumangabo an. Wie geplant verbrachten wir die nächsten zehn Tage mit der Conghound Unit in Lulimbi im Zentrum des Parks, um die Einsätze, die häufig in diesem Teil stattfinden werden, noch professioneller und effizienter zu gestalten. Wir trainierten in der Steppe, bei Tag und bei Nacht mit Nachtsichtgeräten, in den Dörfern am Lake Edward, zwischen und vorbei an den typisch afrikanischen Steppen- und Flussbewohnern, den Nilpferden, Elefanten, Büffeln, Antilopen, Löwen, Leoparden und Hyänen. Für mich das Paradies auf Erden. Wir arbeiteten hart an der Spurensicherung am Tatort beziehungsweise an der Sicherung der Geruchsartikel, an Taktik und Fährten jeder Art. Bootsfahrt, Fischerdörfer, Schiessstand, dichte Wälder, alles gehörte dazu. Nilpferde, die wie Wale aus dem Wasser des riesigen Lake Edward auftauchten, der Elefantenbulle, der beim Spurenlegen aufgeschreckt vor uns durch das Dickicht prescht, das Nilpferd, das in der Nacht direkt neben meinem Zelt grast, die nächtlichen Stimmen der jagenden Löwen. Eindrucksvoll, wie die Tiere um Lulimbi die Menschen respektierten, ohne sich bedroht zu fühlen, als könnten sie, die von Rebellen und Milizen immer wieder verfolgt und getötet werden, zwischen Freund und Feind unterscheiden und die Ranger als Freunde erkennen. Nie fühlte ich mich durch die Wildtiere bedroht oder in Gefahr. Ein Paradies, aber schon damals hing eine dunkle Wolke über Virunga. Mehrfach begegneten uns von bewaffneten Männern begleitete Mitarbeiter der britischen Ölfirma Soco im Park, wo sie sich mit den Dorfbewohnern trafen, um sie davon zu überzeugen, welchen grossen Vorteil sie davon hätten, wenn im Lake Edward, inmitten des Unesco-Welterbes und ältesten Parks Afrikas, dem Ursprung des Nils, nach Öl gebohrt würde.
Es lag Spannung in der Luft, etwas Dunkles, Furchteinflössendes war im Anzug.
Ein neues Opfer
Ein paar Wochen später: wieder ein gewilderter Elefant, dieses Mal am Lake Edward. Und wieder wird die Congohound Unit gerufen. Nach langer Fahrt durch die Nacht und mit dem Boot über den See erreichen Christian mit Dodie und die Congohound Unit den Kadaver des gewilderten Elefanten. Schauerlich der Anblick. Die Ranger sind erschüttert, einen weiteren Verlust eines der ihnen anvertrauten Tiere hinnehmen zu müssen, gehen aber sehr professionell vor. Die Spuren werden gesichert, der Geruchsartikel in Form einer Patronenhülse gewählt. Dodie hat keine Probleme mehr mit dem Kadaver und nimmt sofort eine Spur auf, die sie zehn Kilometer über die Savanne verfolgt. Auch dieses Mal wird vor der Annäherung an ein bekanntes Rebellencamp abgebrochen. Wieder hat der Hund hervorragend gearbeitet, trotz der Hitze und den schweren Bedingungen. Eine Kühldecke hat dabei geholfen, den Hund zu schützen. Wir sind sehr stolz darauf, was in so kurzer Zeit erreicht werden konnte, stolz auf die talentierten und mutigen Männer der Congohound Unit.
Mai 2012
Als ob die Wilderei, die drohenden Ölbohrungen im Park und die mordenden und raubenden Rebellen nicht schon genug Probleme schafften, brach kurz darauf im Osten des Kongos erneut ein Krieg aus.
Eine altbekannte Rebellengruppe, bestehend aus Tutsi, einer ethnischen Gruppe aus Ruanda, formierte sich neu unter dem Namen M23 und initiierte einen weiteren Krieg. Anfangs schien das Ende des Konflikts absehbar zu sein, da es sich nur um ein paar hundert sogenannte Mutins (Meuterer) handelte. Schon nach ein paar Tagen wurden sie geschlagen und flohen in den Virunga-Nationalpark, in den Gorillasektor an der Grenze zu Ruanda. Dort harrten sie während Wochen aus, um dann eines Tages trotz massiven Angriffen der kongolesischen Armee gestärkt an Truppen, Munition und Verpflegung aus dem Wald zu kommen und einen grossen Teil der mineralreichen Provinz Nord-Kivu einzunehmen.
Als ich im Juli 2012 zum neunten Mal in den Kongo reiste, war die ganze Ostgrenze des Parks, eingeschlossen der Gorillasektor und das Hauptquartier in Rumangabo, fest in den Händen der Rebellen. Die Familien der Ranger wurden in die Provinzhauptstadt Goma evakuiert; die Hunde und die Congohound Unit, die anfangs auch nach Goma gebracht worden waren, kehrten aber ins Hauptquartier zurück, da die Hunde dort besser gepflegt werden konnten und ihnen keine akute Gefahr durch die Rebellen drohte. Die einzigen Personen im Camp waren neben den Rangern der Direktor Emmanuel de Merode, der britische Filmemacher Orlando von Einsiedel und ich. Obwohl wir das Lager nicht verlassen konnten, liessen wir, die Congohound Unit, uns nicht davon abhalten zu arbeiten. Wir trainierten im Camp, das mit seinen mehreren Quadratkilometern Urwald doch einiges an Möglichkeiten bot. Am Morgen arbeiteten wir mit den Hunden, am Nachmittag mussten die Ranger die Schulbank drücken: Erste-Hilfe-Hund, Biologie und Englischlektionen, die mit Begeisterung aufgenommen wurden.
Als während zweier Tage der Krieg mit voller Gewalt ausbrach und wir direkt zwischen die Fronten gerieten, machte jeder seine Arbeit. Die Hunde liessen sich von dem Kampflärm und den Aktivitäten im Lager nicht gross beeindrucken. Sie waren zu jedem Zeitpunkt maximal geschützt.
4. August 2012
Ich lag in meinem Zelt und träumte von Ameisen. Hier eine, da eine, überall Ameisen. Ameisen gehören zum Urwald wie Affen, Vögel und andere Wildtiere. Es gibt die Feuerameisen, die zwar sehr klein, aber umso aggressiver sind und in gesitteten Bahnen ihrer Wege ziehen – doch wehe, man steht ihnen im Wege. Dann die «Riesenameisen» – gross, schwarz mit mächtigen Zangen. Sie haben zwar kein Gift, aber kneifen ganz gewaltig. Und dann so ziemlich alles dazwischen. Am Vorabend auf dem Weg zu meinem Zelt musste ich mehrere Ameisenstrassen «überspringen», aber das war nicht selten.
«Autsch», sagte ich im Halbschlaf. «Hmmm, vielleicht sollte ich mal das Licht anmachen?» Gesagt getan – mein Bett, der Zeltboden, alles war voller Ameisen, sie waren überall! Ich sprang aus dem Bett und ergriff mutig den Insektenspray, um mein Zelt und mein Eigentum gegen die Eindringlinge zu verteidigt. Nur – ich hatte mehr Probleme damit als die Ameisen und konnte schon nach ein paar Sekunden nicht mehr atmen und musste aus dem Zelt fliehen. Ratsch – auf der Zeltreissverschluss – und der Rest der Ameisenfamilie kam rein und beteiligte sich an der Party. Hustend, keuchend, rannte ich in die Nacht hinaus bis ich die Ameisenarmee hinter mir gelassen hatte. Und was jetzt? Keine Chance, ich musste abwarten, bis das Heer weiter gezogen war. Den Rest der Nacht verbrachte ich in einem leeren Zelt.
Welch turbulente zwei Wochen, das Beste und das Schlimmste hatte ich erlebt, mutige Männer, die für den Schutz der Natur ihr Leben geben, die unglaubliche Anpassungsfähigkeit des Menschen, der fähig ist inmitten eines Krieges Positives zu tun und auch zu lachen und zu singen (ja wir haben gesungen, Mickel Jacksons Earthsong…).
Im September werde ich wiederkommen, und dieses Mal werde ich nicht alleine in die Schweiz zurückreisen. Begleiten werden mich die beiden Ranger Gracien Sivanza und Christian Shamavu. (Anmerkung der Redaktion: Wir informierten im SHM 9/12 in einem kurzen Sonderbericht.)