Die Domestikation des Hundes – Eine Frage der Verdauung?

Vor vermutlich einigen tausend Jahren wurde der Grundstein für die Entwicklung jener besonderen Begleiter des Menschen gelegt, die heute in den unterschiedlichsten Varianten an unserer Seite leben – die Hunde. Welche Veränderungen im Erbgut tatsächlich mit diesem Prozess der Haustierwerdung einhergingen, war bisher jedoch weitgehend unbekannt. Eine Forschergruppe aus Schweden hat nun ein unerwartetes Ergebnis veröffentlicht. Neben Genen im Bereich der Gehirnentwicklung scheinen vor allem Gene, die mit der Verdauung zusammenhängen, die Domestikation des Hundes vorangetrieben zu haben.

Text: Dr. Andrea Weidt

Vom Wolf zum Hund

Auf die Idee, Wölfe zu zähmen, kamen unsere Vorfahren offensichtlich schon vor sehr langer Zeit. Die meisten Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Domestikation des Wolfes zum Hund irgendwann im Zeitraum von vor 15 000 bis 20 000 Jahren stattgefunden hat.

Nach einer Theorie lungerten Wölfe immer wieder in der Nähe menschlicher Siedlungen herum, in der Hoffnung, Nahrungsabfälle zu ergattern. Mit der Zeit passten sie sich immer mehr an das Leben in Menschennähe an und wurden zahmer. Gemäss einer anderen Theorie ging die Initiative vom Menschen aus. Sie zogen Wolfswelpen auf, die so immer mehr mit dem Menschen vertraut wurden. Welche Theorie um den Ursprung des Hundes tatsächlich zutrifft, wer also auf wen zuerst zuging, der Wolf auf den Menschen oder der Mensch auf den Wolf, war bisher immer noch ein Rätsel. Anhand von Erbgutvergleichen können die Wissenschaftler heutzutage jedoch mehr und mehr erahnen, was während der Domestikation passiert sein könnte. Ein schwedisches Forscherteam um Erik Axelsson von der Universität Uppsala hat sich dieser Aufgabe gestellt und das Genom des Wolfes mit dem des Hundes verglichen. In der Fachzeitschrift «Nature» haben sie nun ihre überraschenden Resultate präsentiert.

Erbgutunterschiede als Wegweiser

Die schwedischen Wissenschaftler verglichen dazu das Erbgut von 60 Hunden, die 14 unterschiedliche Rassen angehörten, mit der genetischen Erbinformation von 12 Wölfen aus verschiedenen Regionen der Erde. Erbgutvergleiche in diesem Ausmass wurden übrigens erst in den letzten Jahren durch die enormen Fortschritte in der Methodik der Genomsequenzierung überhaupt möglich. Drei Jahre lang durchforsteten die Forscher das komplette Erbmaterial der beiden Kaniden nach Regionen mit deutlichen Unterschieden. Derartige Regionen haben nach bisherigem Wissen eine hohe Wahrscheinlichkeit, mit der Domestikation in Zusammenhang zu stehen, ja diese möglicherweise sogar begünstigt zu haben. Die Forscher konnten schliesslich 36 derartige Regionen mit mehr als 100 Genen ausfindig machen. Aber welche Funktionen haben diese Erbgutregionen? Und können sie tatsächlich für die Domestikation relevant gewesen sein?

Gehirnentwicklung und Verdauung als Schlüsselstellen in der Domestikation

Die von den schwedischen Forschern als bedeutsam eingestuften Regionen im Erbgut der Wölfe und Hunde sind vor allem für zwei Funktionskreise im Organismus relevant. Zum Einen, und das entspricht den bisherigen Erwartungen, sind sie an der Gehirnentwicklung beteiligt. So hat sich beispielsweise die Fähigkeit, neue Nervenverknüpfungen auszubilden, vom Wolf zum Hund verändert. Tatsächlich gehen zahlreiche Verhaltensänderungen mit der Domestikation des Hundes einher, die durch Veränderungen in der Gehirnentwicklung erklärbar sind. Hunde sind bekanntermassen zahmer, lernfähiger und kommunikativer als Wölfe – vor allem was ihre Interaktionen mit uns Menschen betrifft.

Völlig unerwartet war jedoch ein anderes Ergebnis. Bedeutsame Veränderungen im Erbgut von Wolf und Hund zeigten sich auch in Genen, die mit der Verdauung in Zusammenhang stehen. Genau genommen mit der Stärkeverdauung und dem Fettmetabolismus. So scheinen unsere Hunde im Gegensatz zu ihren Vorfahren beispielsweise wesentlich mehr Kopien eines Gens zu besitzen, das für ein Enzym zum Aufschluss von Stärke verantwortlich ist. Auch andere Genvarianten hängen mit der Verdauung und der effizienten Nutzung von Nahrung zusammen. Aber warum sollte gerade die Verdauung solch eine wichtige Rolle in der Evolution des Hundes spielen?

Resteverwerter auf der «Müllkippe»

Die Wissenschaftler vermuten, dass eben diese Fähigkeit, Stärke zu verdauen, den Hundevorfahren eine entscheidende Kompetenz auf ihrem Weg hin zum besten Freund des Menschen gegeben hat. Die Sesshaftwerdung des Menschen ging mit der Erfindung des Ackerbaus einher und Mahlzeiten mit hohem Stärkeanteil (wie etwa Getreide) standen immer häufiger auf dem menschlichen Speiseplan. Tiere, die diese verdauen konnten, profitierten von der Lebensgemeinschaft mit dem Menschen. Sie eröffnete ihnen eine neue Nahrungsquelle, die genutzt werden konnte. Laut den Wissenschaftlern ist die Fähigkeit, Stärke zu verdauen, daher sehr wahrscheinlich ein entscheidender Schritt in der Domestikation des Hundes gewesen. Die Theorie, dass die Wölfe auf den Menschen zugingen und unsere Hunde sozusagen «auf der Müllkippe» als Verwerter unserer Speisereste entstanden sind, ist demzufolge durchaus denkbar.

Originalliteratur: Axelsson, E. et al. (2013). The genomic signature of dog domestication reveals adaptation to a starch-rich diet. Nature. Vol. 495, 360-364.

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geschrieben von:
Dr. sc. nat. Andrea Weidt

Dr. sc. nat. Andrea Weidt

Dr. sc. nat. Andrea Weidt ist Biologin und hat an der Universität Zürich im Bereich Verhaltensbiologie promoviert. Sie ist bereits mit Hunden aufgewachsen. Seit über zehn Jahren schreibt sie für das Schweizer Hunde Magazin und ist Autorin des Buchs «Hundeverhalten – Das Lexikon». Andrea Weidt ist wissenschaftliche Leiterin der Kynologos AG (www.kynologos.ch; Gesellschaft für angewandte Verhaltensforschung bei Hunden) und als Dozentin tätig.

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