Der Kreuzbandriss

Das vordere Kreuzband des Hundes reisst recht oft, obwohl meist keine massive Gewalt auf das Knie eingewirkt hat. Dies unterscheidet die Krankengeschichte von derjenigen des Menschen und führt zu einem anderen Verständnis der Entstehung dieser Risse und deren Behandlung. Hunde mit Kreuzbandrissen müssen in der Regel operiert werden, wobei die Prognose bei langsam fortschreitender Arthrose recht gut ist und einem Leben als Familienhund nichts im Wege steht.

 

Anatomische Grundlagen 

Die Hauptkammer des Kniegelenks bilden der Oberschenkel (Femur) und das Schienbein (Tibia). Die Nebenkammer bilden die Kniescheibe (Patella) und der untere Teil des Oberschenkels. Die seitliche Stabilität des Knies wird durch flache, feste Seitenbänder gewährleistet. Die Schwerbewegungen nach vorne fängt das vordere, diejenigen nach hinten das hintere Kreuzband auf. Die Kreuzbänder befinden sich im Inneren des Kniegelenks, sind bei mittelgrossen Hunde 15 bis 25 Millimeter lang, ellipsoid bis rund im Querschnitt, etwa bleistiftdick und durch eine spezielle Verzwirnung ihrer Fasern immer straff gespannt. Wegen ihrer speziellen Struktur ist es möglich, dass das Kniegelenk bei der normalen Fortbewegung rund 20 Grad Innenrotation ausführen kann. Im Weiteren beugt und streckt sich das Kniegelenk des Hundes im Schritt, Trab oder Galopp erstaunlich wenig. Es sind nur etwa 10 bis 35 Grad Bewegung zu beobachten.

Durch das Kniegelenk werden hohe Kräfte übermittelt. Diese generieren vor allem der grosse Oberschenkelmuskel (M. quadriceps), die Hinterschenkelmuskeln und die Muskeln am Fersensehnenstrang. Sie wirken der Schwerkraft entgegen und halten das Hinterbein aufrecht. Als Stossdämpfer im Kniegelenk dienen die beiden Menisken, zwei knorpelige Halbringe, welche an Tibia und Femur angeheftet sind. Die Seitenwülste der Menisken führen die beiden Gelenkwalzen des Oberschenkels. Ohne Meniskus kann ein Kniegelenk nicht normal funktionieren.

 

Wie entsteht ein vorderer Kreuzbandriss?

Wenn in der Folge vom Kreuzbandriss gesprochen wird, so ist eigentlich immer das vordere Kreuzband gemeint. Hintere Kreuzbandrisse sind sehr selten und meist die Folge eines Unfalls.

Über mehrere Jahrzehnte hat die Tierärzteschaft den vorderen Kreuzbandriss als Folge einer hohen Krafteinwirkung auf das Kniegelenk betrachtet. Dabei bediente man sich der Erfahrung aus der Humanmedizin, wo Fussballspiel und Skilaufen die häufigsten Ursachen für die Risse sind. Die Therapie bestand demnach aus einem Bandersatz und einem Verzicht auf sportliche Leistung. Die Resultate waren zufriedenstellend, wobei gerade bei grossen Hunden die Ersatzbänder häufig wieder rissen.

Erst vor 20 Jahren kamen mit den Untersuchungen von amerikanischen Forschern neue Einsichten und das Erklärungsmodell der Knochen und Bänder wurde um die wichtigen Muskeln ergänzt. Eine plausible Erklärung ist folgende: Grosse und zu gross gezüchtete Hunde produzieren eine zu hohe Muskelkraft im Kniegelenk. Insbesondere zieht der grosse Oberschenkelmuskel zu stark, als dass das vordere Kreuzband diese Energie auffangen könnte. Weitere Risikofaktoren sind eine steile Stellung der Hinterhand und ein schmaler Unterschenkel. Alles zusammen fördert die Schwächung des Kreuzbandes, welches unter dem Scherkraftanteil des grossen Oberschenkelmuskels zunächst etwas gedehnt wird, dann teilweise einreisst und später ganz reisst. Auslöser der Teilrisse sind unter anderem Zusammenstösse mit anderen Hunden oder Fehltritte. Diese alleine sollten bei einem gesunden Hund keinen Schaden auslösen und wirken sich nur deshalb negativ auf das Kreuzband aus, weil es eine Vorschädigung gibt.

Wenn man die obige Erklärung zu Hilfe nimmt, so werden einige Befunde und Untersuchungsergebnisse logisch nachvollziehbar: Bei den meisten Hunden sind vor dem kompletten Riss schon Episoden mit unerklärbarer Lahmheit beobachtet worden; viele Hunde erleiden auch im anderen Knie einen Kreuzbandriss; es gibt Häufungen bei bestimmten Rassen wie Neufundländer, Rottweiler oder Staffordshire Terrier; auffallend viele Hunde mit Kreuzbandriss sind übergewichtig; auf den Röntgenbildern der Knie von sogenannten akuten Rissen ist schon Arthrose zu sehen; Gewebeuntersuchungen von entfernten Kreuzbändern weisen Langzeitschäden auf und der Bandersatz hält nicht, weil die Ursache nicht bekämpft wurde.

Hinsichtlich der Therapie ergeben sich aus den neuen Erkenntnissen zur Kreuzbandrissentstehung zwei wichtige Konsequenzen: Erstens sollte das Kniegelenk bei grossen Hunden entweder massiv stabilisiert oder die Biomechanik verändert werden und zweitens sollten bei Risikorassen die Zuchtziele insofern angepasst werden, damit die Hunde wieder kleiner oder die Hinterbeine stärker gewinkelt werden.

Schlussendlich muss angefügt werden, dass vordere und hintere Kreuzbänder tatsächlich auch wegen Autounfällen oder Stürzen reissen können, und dass auch die Kniescheibenluxation nach innen wegen der erhöhten Innenrotation des Unterschenkels in chronischen Fällen zu einem vorderen Kreuzbandriss Anlass geben kann.

 

Wie erkennt man den Kreuzbandriss?

Der typische Patient für einen vorderen Kreuzbandriss ist ein mittelgrosser bis grosser, mittelalter und leicht übergewichtiger Hund mit leicht steil stehenden Hinterläufen. Die Vorgeschichte ist unspezifisch, manchmal berichtet der Besitzer einfach davon, dass der Hund am Morgen mühsam aufstehe und dann «in die Gänge komme». Bei der klinischen Untersuchung in der Tierarztpraxis fällt auf, dass die Hunde auf den Zehenspitzen stehen, die Gliedmasse etwas entlasten, die ersten paar Schritte merklich lahm gehen, die Muskulatur des Hinterbeins reduziert ist und das Kniegelenk sich im Vergleich zur Gegenseite verdickt anfühlt. Die Diagnose wird mit dem Schubladentest gestellt. Dabei wird beim liegenden Hund der Unterschenkel nach vorne geschoben, während der Oberschenkel fixiert wird. Sofern eine Verschiebung möglich ist, handelt es sich um einen Kreuzbandriss. Die Schiebung kann einige Millimeter bis zu einem Zentimeter betragen. Dies ist die Instabilität, die der Hund beim Laufen spürt und die verantwortlich ist für das Unwohlsein, die Arthrosebildung und den späteren Meniskusschaden. Ein positiver Schubladentest beweist einen Kreuzbandriss. Mit subtilen Zusatztests kann auch noch zwischen hinterem und vorderem Riss unterschieden und ein möglicher Meniskusschaden entdeckt werden. Hunde mit Meniskusrissen oder umgeklappten Meniskushörnern laufen sehr schlecht, weil der Knorpel zwischen Ober- und Unterschenkel eingeklemmt ist und starke Ergüsse entstehen.

Die Diagnosebestätigung für den Kreuzbandriss findet man dann auf dem Röntgenbild. Typisch sind mittelstarke bis starke Arthrosebildung, Gelenkerguss und manchmal Verschiebung der Knochen. Wichtig ist zudem der Ausschluss von anderen Erkrankungen des Kniegelenks wie Knochentumoren oder Knorpelschäden.

 

Behandlungsmöglichkeiten

Kreuzbandrisse bei Hunden sind klare Anzeigen für einen operativen Eingriff. Im Gegensatz zum Menschen gelingt eine Kniestabilisierung durch Physiotherapie allein nicht, unter anderem auch deshalb, weil die Ursache – nämlich die Körperform und die Grösse – nicht verändert werden können. Zu langes Warten mit der Therapie ist nicht vernünftig, denn durch die hohe Belastung des gegenüberliegenden Knies riskieren die Hunde auch dort einen Kreuzbandriss und die Arthrosebildung wird gefördert.

Je nach Gewichtsklasse des Patienten, wirtschaftlichen Überlegungen sowie Ausrüstung und Können des Tierarztes kann zwischen verschiedenen Methoden gewählt werden. Wie beim Menschen kann man auch beim Tier das Kreuzband mittels Umlegung von starken Muskelfaszien oder Sehnenplatten behandeln. Dabei kommt der Ersatz anatomisch genau dorthin, wo das Kreuzband ursprünglich war. Die Enden werden vernäht oder angeschraubt. Leider reissen diese eingesetzten Gewebe nicht selten, sodass man neuerdings auf unbrechbare Karbonfasern wartet.

Die weltweit populärste Methode ist der Bandersatz ausserhalb des Gelenks. Etwa zwei Drittel aller Hunde mit Kreuzbandriss werden noch immer so operiert. Die Stabilität wird durch starke Fäden erreicht, welche durch Tunnel im Unterschenkel und hinter den Sesambeinen am Oberschenkel geführt und straff geknotet werden. Als Material kommen Stahl, Silch, Polyester, dickes chirurgisches Fadenmaterial oder Karbonfasern zum Einsatz. Es werden bis zu drei Fäden auf der Aussen- respektive Innenseite angebracht. Bei den neusten Applikationen werden die Fäden mit Spezialschrauben im Knochen verankert. Diese sogenannten extrakapsulären Kreuzbandplastiken werden mit relativ geringem technischem Aufwand angebracht, haben aber den Nachteil, dass erstens das gerissene Kreuzband nur ersetzt wird (um danach den fehlgerichteten Kräften wieder ausgesetzt zu werden) und zweitens das Knie in Beugung und Streckung stark beeinträchtigt ist. Nach Erfahrung des Autors sind diese Fadenplastiken gut geeignet für Hunde bis 15 Kilo Körpergewicht. Während der Heilphase wird nämlich entlang des Ersatzmaterials eine körpereigene interne Narbe entstehen, was bei kleinen Hunden ausreichend sein kann für die Kniestabilität, sofern das Kunstgewebe irgendwann mal reisst.

Erst um die Jahrtausendwende hielten in die Veterinärorthopädie neue Operationstechniken Einzug. Barclay Slocum aus den USA erfand die TPLO (Tibia Plateau Leveling Osteotomy) und Pierre Montavon und Slobodan Tepic in der Schweiz die TTA (Tibia Tuberosity Advancement). Mit diesen Methoden änderte sich die Philosophie der Kreuzbandrissbehandlung grundlegend und entfernte sich definitiv von derjenigen des Menschen. Das Band wird nicht mehr ersetzt, sondern die Kraft, die vom vorderen Kreuzband aufgefangen werden müsste, wird reduziert. Zu diesem Zweck muss die Scherkraft auf praktisch null gesetzt werden. Bei der TPLO wird deshalb das Gelenkniveau des Unterschenkels durch einen radiären Schnitt angehoben. Eine Platte hält den Unterschenkel zusammen. Bei der TTA wird der Ansatz des grossen Oberschenkelmuskels nach einem Längsschnitt im oberen Unterschenkel nach vorne geschoben und der Knochen mittels Platte und Abstandshalter in Position gehalten. Was nach sehr invasiver Chirurgie aussieht, ist für die Hunde offenbar einfacher zu verkraften als der extrakapsuläre Bandersatz. Viele Besitzer berichten davon, dass ihre Tiere schon wenige Tage nach der Operation das Bein sehr gut belasten und auf einen stabilisierenden Verband im Gegensatz zum Bandersatz gut verzichten können. Untersuchungen aus diversen Universitäten Europas und der USA attestieren den Biomechanikänderungen TPLO respektive TTA oder TTA 2 im Vergleich zu den Bandersatzarten bei grossen Hunden sehr gute Resultate und eine risikoarme Erholung. Der Unterschied zwischen TTA und TPLO ist hingegen sehr gering und das Resultat vorwiegend abhängig von der Erfahrung des Chirurgen.

Bei jeder Eröffnung des Kniegelenks – ob nun arthroskopisch oder offen – muss der Chirurg dem Meniskus spezielle Aufmerksamkeit widmen. Ist er verletzt, muss meist das innere hintere Horn entfernt werden. Ein wesentlicher Nachteil für die Fortbewegung des Hundes entsteht dadurch nicht. Hingegen kann es passieren, dass der Meniskus nach einer erfolgreichen Knieoperation einreisst und dann wieder zu Lahmheit Anlass gibt. Leider führt in diesem Fall kein Weg an einer weiteren kleinen Operation zur Behebung des Meniskusschadens vorbei. Die Komplikationsrate nach Kreuzbandrissoperationen beträgt fünf bis zehn Prozent, wobei die meisten Probleme gelöst werden können.

 

Prognose und Langzeitaussichten

Unabhängig von der Methode sollten die Hunde nach der Operation Schmerzmittel und manchmal Knorpelaufbaupräparate erhalten. Physiotherapie, strenge Gewichtskontrolle und mässige Bewegung sind weitere wichtige Massnahmen in den ersten Monaten nach der Operation. Die Erholungszeit nach einer TTA oder TPLO beträgt circa drei Monate. Bei erfolgreichen Therapien ist sogar der Einsatz im Sport oder im Schutzdienst möglich. Die Arthrose ist weit weniger einschränkend, wenn das Knie korrekt chirurgisch stabilisiert wurde.

 

Text: Daniel Koch, Dr. med. vet. ECVS

 

Anschrift des Autors

Daniel Koch, Dr. med. vet. ECVS

Daniel Koch Kleintierchirurgie AG

Ziegeleistrasse 5

CH-8253 Diessenhofen

www.dkoch.ch

Hier können Sie den Artikel aus dem Magazin als PDF ansehen

geschrieben von:
Daniel Koch

Daniel Koch

Daniel Koch ist seit 1990 Tierarzt. Er hat sich in Utrecht/NL und Zürich zum Spezialisten für Kleintierchirurgie ausbilden lassen. Nach neun Jahren an der Universität eröffnete er zusammen mit einem Kollegen eine erste Chirurgiepraxis. Seit 2010 führt er seine Überweisungspraxis für Kleintierchirurgie in Diessenhofen. Seine fachlichen Schwerpunkte sind die Gelenk- und Knochenchirurgie, die oberen Atemwege sowie die Zahnheilkunde. Zudem schreibt er regelmässig Artikel und ist weltweit als Referent tätig. www.dkoch.ch

Ihre Meinung interessiert uns – Kommentar schreiben


Name (erforderlich)

Webseite