Das Revierverhalten des Hundes

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Zum Revierverhalten gibt es viele Mythen und Märchen. Über die neusten Erkenntnisse bezüglich des Revierverhaltens und die Territorialität sowie deren Folgen im Hundehalteralltag erfahren Sie einiges in diesem Artikel.

Text: Udo Ganslosser und Sophie Strodtbeck

Bereits im alten Rom wurden Hunde zur Verteidigung des menschlichen Eigentums gezielt gezüchtet und eingesetzt. Ein römisches Handbuch für die Landwirtschaft gibt an, dass Hofhunde möglichst dunkel gefärbt und mit einer tiefen, wohlklingenden Stimme ausgestattet sein sollten. Hunde, die zur Verteidigung der Herde eingesetzt wurden (heutige Herdenschutzhunde), sollten dagegen möglichst weiss sein. Der Autor führt einige Begründungen für die Empfehlungen an, beispielsweise dass der Herdenschutzhund so besser vom Wolf zu unterscheiden sei. Möglicherweise aber hat er unbewusst bereits auch andere mit der Farbgebung zusammenhängende Verhaltensunterschiede erkannt: schwarze bzw. dunkel gefärbte Hunde sind mehr mit dem auf Vorwärtsverteidigung und aktive Problemlösung ausgerichteten Noradrenalinsystem (dem System des Kampfhormons) ausgestattet, helle Farbvarianten dagegen sind oftmals eher mit dem passiven, auf beobachtendes Abwarten ausgerichteten Cortisolsystem verknüpft. In der Tat sind die meisten Herdenschutzhunderassen, zumindest in Mittel- und Westeuropa, diesem eher beobachtend und abwartenden B-Typ zuzuordnen.

Angezüchtete Territorialität

Wie dem auch sei, die Zucht von Hunderassen zur Verteidigung des menschlichen Eigentums, seien es Haus und Hof oder auch die Herden, hat in den vergangenen hunderten von Jahren noch weitere sehr unterschiedliche Rassen hervorgebracht. Besonders drei Rassegruppen sind es, die zur Verteidigung des menschlichen Eigentums eingesetzt werden und deshalb zumindest auch mit einer erheblichen territorialen Komponente ausgestattet sind. Die Herdenschutzhunde, die vor allem die Weide und damit das Umfeld der Herde bewachen, zeigen eine ausgeprägte Territorialität. Wer einen Herdenschutzhund zu Hause hat, braucht sich über allzu häufige Besuch nicht mehr zu beklagen; ein solches Tier kann durchaus einsam machen.

Auch die Schäferhunde, die sozusagen als Allrounder eingesetzt wurden, haben unter anderem eine Territorialkomponente in ihrem Verhalten. Die dritte Rassengruppe, die eine deutliche Territorialverteidigungskomponente aufweist, sind die Hofhunde, die auch zum Teil als Bauernhunde bezeichnet werden. Gerade bei ihnen ist die dunkle, wohlklingende Stimme ja schon vom römischen Autor gefordert worden. Auch hier gibt es durchaus einen Zusammenhang mit dem Verhalten: Tiefe, dunkle und wohlklingende Belltöne sind in der Regel verknüpft mit einem selbstsicheren, souveränen Auftreten und allgemein signalisieren tiefe Töne: «Geh weg, vergrössere die Distanz!»

Revierverteidigung

Wer einen Hund mit territorialen Ambitionen zuhause hat, hat vielleicht schon einmal selbst Folgendes beobachtet: Der Hund stellt sich zunächst schräg dem fremden Menschen in den Weg, seine Körperhaltung ist etwas ambivalent, beispielsweise kann das Hinterteil abgesenkt sein gegenüber dem vorderen Körperteil oder der Kopf wird schräg gehalten und ein eher hohes, bisweilen sogar hektisches Kläffen wird geäussert. Dann macht der Hund einige Sätze, steht in einiger Distanz zum Eindringling und plötzlich wird seine Körperhaltung klar, eindeutig aufgerichtet und statt des hohen Kläffens kommt ein tiefes, dunkles und kehliges «Wuff». Hier sehen wir deutlich die unterschiedlichen Motivationen. Die erstgenannte Körperhaltung ist die einer defensiven, mit Unsicherheit verknüpften Territorialverteidigung; diese wird unter anderem auch stark vom Stresshormonsystem des Cortisolsystems ausgelöst. Die letztgenannte Körperhaltung dagegen ist die der offensiven, auf Selbstsicherheit und Souveränität beruhenden Revierverteidigung. Hier ist das Cortisolsystem nicht beteiligt.

Häufig wird Hunden jedoch auch Territorialverhalten unterstellt, ohne dass es sich wirklich im verhaltensbiologischen Sinn um eine Revierverteidigung handelt. Zum verhaltensbiologischen Begriff des Reviers (Territorium und Revier wird bei Säugetier- und Vogelkundlern benutzt, jedoch bedeuten beide das gleiche) gehören zwei Komponenten: Zum einen die Verteidigung, die zumindest darauf hinaus laufen muss, Artgenossen des eigenen sozialen Status aktiv aus diesem Stück Land zu verdrängen, zum anderen die Ankündigung des Reviers anderen gegenüber, sei es durch Geräusche, Gerüche oder auch optische Hinweise. Nur wenn beide Kriterien erfüllt sind, darf von einem Revier gesprochen werden. Andernfalls, wenn ein Gebiet regelmässig genutzt wird, ohne als Revier verteidigt zu werden, spricht man von einem Streifgebiet, in der englischen Literatur als «home range» bezeichnet.

Streifgebiete werden auch von Tierarten genutzt, die einen Teil davon territorial verteidigen. Selbst bei Hundeartigen lässt sich in Freilandstudien meistens zeigen, dass das regelmässig genutzte Streifgebiet etwas grösser ist als das aktiv verteidigte Revier. Noch einige weitere Eigenschaften des Reviers wildlebender Hundeartiger, einschliesslich verwilderter Haushunde, sind bemerkenswert: Bei Hundeartigen sind die Streifgebiete und auch meist die Reviere der männlichen Individuen etwas grösser als die der weiblichen.

Zwar bewegen sich diese Grössenunterschiede meist nur im Bereich von 10 bis 20 % der Fläche, doch der Unterschied ist deutlich. Er äussert sich aber vorwiegend in der Nutzung und in der Patrouillen- und Markieraktivität, hier sind männliche Hundeartige meist wesentlich aktiver als ihre weiblichen Artgenossen.

Lesen Sie den ganzen Artikel von Udo Ganslosser und Sophie Strodtbeck im Schweizer Hunde Magazin 6/2014.

geschrieben von:
Udo Ganslosser

Udo Ganslosser

Udo Ganslosser (*1956) ist Privatdozent für Zoologie an der Universität Greifswald. Am Zoologischen Institut Erlangen erhielt er 1991 die Lehrbefugnis. Udo Ganslosser ist unter anderem Lehrbeauftragter am Phylogenetischen Museum und Institut für Spezielle Zoologie der Universität Jena. Seit mehreren Jahren betreut er zunehmend mehr Forschungsprojekte über Hunde, seien es Haushunde oder Wildhundeartige. Dabei geht es vor allem um Fragen von Sozialbeziehungen und sozialen Mechanismen.

geschrieben von:
Sophie Strodtbeck

Sophie Strodtbeck

Sophie Strodtbeck (*1975) hat ihr Studium 2002 an der Ludwig-Maximilians-Universität München als Tierärztin abgeschlossen. Berufserfahrung sammelte sie in verschiedenen Praxen. Seit längerer Zeit ist sie in einer Hundeschule für tiermedizinische Belange zuständig und bietet zusammen mit Udo Ganslosser verhaltensmedizinische Beratungen an. Nebenher schreibt sie Artikel für diverse Hundezeitschriften und teilt ihr Leben derzeit mit vier eigenen Hunden.

Ein Kommentar zu “Das Revierverhalten des Hundes

  1. Susanne Last

    Leserbrief „Das Revierverhalten des Hundes Mein Haus, mein Garten, mein Boot“:

    zunächst einmal herzlichen Dank für diesen Artikel zum längst überfälligen Thema Territorialverhalten des Hundes. Hört man doch sogar in Fachgesprächen Aussagen wie z.B.: „Der Hund, der am Gartenzaun bellt, weiß nicht was er tut.“
    Oft erlebe ich auch in meiner Praxis Hunde, denen von Fachkollegen fehlgeleitetes Jagdverhalten unterstellt wird, wobei ich eine deutlich territoriale Motivation ihres agonistischen Verhaltens zu erkennen meine. Die Körperhaltung beim Verbellen eines Radfahrers z.B. ist dem im Artikel beschriebenen ambivalenten Verteidigungsverhalten sehr viel ähnlicher als dem typischen Jagdverhalten.

    Für jeden Hundehalter ist die Unterscheidung zwischen Revier als Gebiet, das sowohl aktiv verteidigt als auch prophylaktisch markiert wird und dem Streifgebiet sehr wichtig.
    Auf den Alltag des Hundes übertragen sollte man sich vor dem nächsten Gassigang überlegen, in welcher Art Gebiet man aus der Sicht des Hundes unterwegs ist. Möglicherweise erklärt sich damit auch die so oft als Problem genannte Aggressivität v.a. gegen Hunde aus der Nachbarschaft. Sieht der Hund nämlich das bei den Gassirunden umkreiste Gebiet nicht als Streifgebiet, sondern als sein Revier, könnte das der Grund sein, warum der Hund ständig Urin absetzt, scharrt und Artgenossen aggressiv begegnet. Die mehrfach täglich abgelaufene Gassirunde erweist sich plötzlich nicht mehr als Spaziergang mit Zeitungslesen und Sozialkontaktmöglichkeiten, sondern als Patrouillengang mit optischen, akustischen und olfaktorischen Markierungen nebst Verteidigungsmotivation, fehlinterpretiert als „Schutztrieb“, den es abzustellen gilt.
    Aggression gegen Artgenossen und v.a. Leinenaggression setzt Hundehalter unter einen großen Leidensdruck. Ich hoffe für diese Menschen und ihre Hunde auf neue Erkenntnisse in Bezug auf die Bedeutung dessen, was wir täglich unseren Hunden zumuten. Gut gemeint heißt nicht automatisch gut gemacht.

    Susanne Last
    Tierheilpraktikerin und Verhaltensberaterin zertifiziert nach der Tierärztekammer S.-H.

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