Bindungsarten und Bindungsprobleme
Nachdem wir im ersten und zweiten Teil dieser Serie die Grundlagen für eine stabile und verhaltensbiologisch wie auch hormonell gut entwickelte Bindung dargelegt haben, geht es nun um mögliche Störungen, negative Einflüsse und andere die Qualität der Mensch-Hund-Bindung beeinträchtigende Einflüsse. Auch weniger gute und unsichere oder anderweitig veränderte Bindungstypen kommen zur Sprache.
Text: Udo Ganslosser und Sophie Strodtbeck
Das Bindungskonzept wurde in der Humanpsychologie erweitert, nicht nur auf die Bindung zwischen Kind und Mutter, sondern auch auf die zwischen einem Kind und anderen Pflegepersonen, gleich oder ähnlich alten Freunden, Liebespaaren und schliesslich auch auf andere Formen von engen Mensch-Mensch-Beziehungen. Diese können ebenfalls mit vergleichbaren Ansätzen erforscht und beschrieben werden.
Hierbei zeigte sich, dass es zwei unterschiedliche Formen von Bindung in diesem Bereich gibt:
In der Hund-Mensch-Beziehung sind diese beiden Bindungstypen offensichtlich verknüpft. Während junge Hunde, vom Welpenalter bis zur Pubertät, ebenfalls dem Menschen gegenüber überwiegend eine Pflegebeziehung zeigen – dass heisst, sie reagieren mit der Suche nach Nähe und Trennungsreaktion – werden sie später auch mehr und mehr die sichere Basis und den sicheren Hafen zu schätzen wissen.
Im Bindungstest, sei es nun zwischen Kind-Eltern oder auch Hund-Mensch, lassen sich neben der stabilen und gesicherten Bindung, die durch einigermassen gleichgewichtige Verteilung der vier Charakteristika (daher der Vergleich mit dem vierblättrigen Kleeblatt) gekennzeichnet ist, noch andere Formen von Bindungstypen charakterisieren.
Hormone und Bindung
Höchstwahrscheinlich sind die Ursachen für Bindungsstörungen zumindest teilweise in Verschiebungen des Gleichgewichts im Botenstoffsystem zu sehen. Was jedoch Ursache ist und was Wirkung, ob eine unbefriedigende Bindungssituation auf längere Sicht zu chemischen Ungleichgewichten führt oder umgekehrt, ist noch umstritten. Lediglich ein unzureichendes Pflegeverhalten der Mutter und unsichere Umweltverhältnisse in früher Welpenzeit sind, bei Übertragung einschlägiger Befunde aus der Human- und Labortierforschung, wohl schon eindeutig als URSACHE für spätere problematische Oxytocinwirkungen und daraus folgende Bindungsprobleme belegt. Während die Angehörigen einer desorganisierten Bindung oftmals ein überreaktives Stresssystem aufweisen, sind bei der ambivalenten und distanzierten Bindung offensichtlich Ungleichgewichte im Bereich des Bindungshormons (Oxytocinsystem) und der Wechselwirkungen zwischen Oxytocin und Stresshormonsystemen mit verursachend.
Die distanzierte Bindung, bisweilen auch als unsicher/distanzierte oder vermeidende Bindung bezeichnet, ist dadurch charakterisiert, dass das Kind bzw. der Hund in Anwesenheit der Mutter/des Halters auf diese relativ wenig Bezug nimmt, sondern sich in grösserer Entfernung aufhält und auch wenig von ihrer Abwesenheit beeindruckt scheint. Bei der Rückkehr der Bezugsperson wird diese ebenfalls nicht sonderlich heftig zur Kenntnis genommen, ein Begrüssungsritual findet entweder überhaupt nicht oder in einer sehr oberflächlichen Weise statt. In der Hund-Mensch-Beziehung ist diese als distanziert zu betrachtende Bindung bisweilen bei Hundesportlern oder Haltern von Arbeitshunden zu beobachten, die gezielt keine emotionale Nähe zu ihrem Hund zulassen wollen. Sie legen deshalb ganz besonders grossen Wert auf die Arbeitsbeziehung, die emotionale Komponente wird ausgeklammert. Besonders zu beachten sind kürzlich veröffentlichte Befunde einer schwedischen Doktorandin (Theresa Rehn). Diese wies die Hundehalter an, in einem Trennungstest nach ihrer Rückkehr unterschiedlich auf den Hund zu reagieren: entweder den Hund mit Worten und Taten zu begrüssen, nur mit Worten oder ihn zu ignorieren.
Von Worten und Taten
Während die Hunde beim Ignoriertwerden sehr viel mehr Verhalten ihrerseits zeigten, waren lang dauernde, also auch über die eigentliche Begrüssungsphase hinausgehende Oxytocinanstiege nur beim vollen Begrüssungsprogramm zu verzeichnen, und auch die Dämpfung der Cortisolausschüttung war in diesem Fall am stärksten. Es kommt also sehr wohl darauf an, WIE man seinen Hund begrüsst, und man sollte hier wirklich den Worten auch Taten folgen lassen!
Die unsicher/ambivalente Bindung zeigt sich darin, dass das Kind bzw. der Hund sich sehr eng und geradezu klammernd bei seiner Bezugsperson aufhält. Bei Abwesenheit kommt es zu starken Trennungsreaktionen, aber bei Wiedereintritt der Bezugsperson kann es durchaus entweder zu einem Hin- und Herpendeln zwischen Annähern und schnellem Wiederweglaufen kommen oder sogar zu aggressiven Aktionen des Hundes bzw. Kindes gegen den Bindungspartner. Diese ambivalente Bindung lässt sich auch bei Hund-Mensch-Paaren dadurch kennzeichnen, dass eine Kontaktsuche zu heftig und zu intensiv ist, und zumindest beim Menschen kann man auch den subjektiven Eindruck abrufen, dass sie einfach nicht genug kriegen könnten von ihrem Beziehungspartner Hund.
Stabile Bindung – stabiler Hund
Bereits seit längerer Zeit haben Untersuchungen über die Problemlösungsfähigkeit von Hunden und ihrem Menschen im Team gezeigt, dass Hunde mit einer sehr unsicher/ambivalenten oder abhängigen Bindung vom Menschen in Problemlösungen wesentlich schlechter abschneiden als solche mit einer gesicherten, stabilen Bindung. Sie verbringen viel weniger Zeit damit, schwierige oder unlösbare Aufgaben, zu bearbeiten und verlassen sich viel mehr auf den Menschen.
Die Funktion des Menschen als sichere Basis ist in mehreren Untersuchungen deutlich geworden. Hunde beschäftigen sich in Anwesenheit ihres Menschen sehr viel ausführlicher und sehr viel länger mit Manipulationsaufgaben, beispielsweise Intelligenzspielen. Sie sind auch erfolgreicher in der Lösung dieser Aufgaben. Ein fremder Mensch anstatt ihres Halters hat diese Wirkung nicht.
Noch eine weitere Untersuchung wies die Wirkung des Menschen als sicherer Hafen in Krisensituationen beim Hund nach: Hier wurde ein bedrohlicher Fremder, anstatt eines freundlichen Fremden im Test eingesetzt. Erfasst wurden Herzschlag, Herzschlagänderungen und Verhalten der Hunde in dieser Lage mit/ohne seinen Menschen. Es zeigte sich, dass die genannten Herzwerte in Anwesenheit seines Menschen viel weniger anstiegen, und auch der Gewöhnungseffekt an die bedrohliche Situation war viel stärker, wenn sie zuerst mit, dann ohne die Bezugsperson durchgeführt wurde. Umgekehrt ergab sich dieser Effekt nicht.
Der dritte Typ von auffälliger Bindung ist die sogenannte desorganisierte, bisweilen auch als chaotische Bindung bezeichnet. Kinder bzw. Hunde von diesem Bindungstyp verfallen bei Abwesenheit ihrer Bezugsperson sehr schnell in Stereotypie oder Zwangshandlungen, bisweilen kommt es auch zu heftigen Zerstörungen des Mobiliars, und die Verhaltensmuster sind extrem wenig geordnet. Daher auch die Bezeichnung chaotische oder desorganisierte Bindung, weil es zu verschiedenen, meist nicht zusammenpassenden Verhaltensweisen kommt. In der Hund-Mensch Bindung ist diese Art von Beziehung durch permanente Verlustängste gekennzeichnet. Aber auch der Versuch, den Hund permanent und übermässig zu kontrollieren und unter ständige Aufsicht zu stellen, sind bei solchen desorganisierten Bindungstypen zu beobachten.
In der Humanpsychologie ist seit langem bekannt, dass ein Mensch die ursprünglich aus der Kind-Mutter- bzw. Kind-Eltern-Bindung übernommenen Bindungsmuster auch später in seinem weiteren Leben auf andere Beziehungspartner überträgt. Wer also vom unsicher vermeidenden oder gar vom desorganisierten Bindungstyp kommt, hat nur wenig Chancen, später im Erwachsenendasein zu seinem Partner oder zu engen Freunden plötzlich eine stabile Bindung aufzubauen.
Sind Hunde bindungsfreudiger?
Hier nun unterscheidet sich die Hund-Mensch-Bindung offensichtlich sehr stark. Zwar gibt es, wie bereits angedeutet, durchaus auch in der Hund-Mensch-Bindung die genannten Auffälligkeiten, häufig sind unsicher/ambivalente Bindungen die Ursachen der im letzten Teil unserer Reihe zu besprechenden Trennungsprobleme. Trotzdem ist der Prozentsatz der Hunde, die eine nicht stabile und nicht gesicherte Bindung zu ihrem Menschen aufbauen, in keiner Weise vergleichbar mit dem Prozentsatz der Menschen, die das zu ihrem Artgenossen nicht schaffen. Hunde sind also offensichtlich wesentlich besser geeignet, auch bei Menschen mit auffälligen Bindungstypen noch zu einer stabilen und gesicherten Bindung zu kommen. Woran dies liegt, wird derzeit heftig diskutiert und ist auch Gegenstand weiterer Untersuchungen.
Eine Erklärungsmöglichkeit liegt darin, dass Hunde eben keine komplementäre Reaktion auf die etwas merkwürdigen Bindungsverhaltensweisen zeigen, sich also beispielsweise bei einem Menschen mit unsicherem oder desorganisiertem Bindungstyp nicht ihrerseits zurückziehen bzw. ihrerseits enges Klammerverhalten zeigen. Hunde kriegen eben nicht so schnell genug von einem menschlichen Partner und insbesondere die Reaktion auf körperliche Berührungen ist bei ihnen wesentlich weniger extrem als bei Menschen. Auch die Tatsache, dass keine negativen Erwartungen des Menschen an seine Bindungspartner durch sich selbst erfüllende Prophezeiungen bestätigt werden, könnte eine Ursache dafür sein. Weil Hunde (übrigens auch einige andere Haustiere, untersucht wurden auch Katzen) eben immer unvoreingenommen auf Menschen, vor allem auf neue und ihnen unbekannte zugehen. Letztlich ist aber wegen dieser Tatsache, dass auch Menschen mit Bindungsproblemen zu ihren Artgenossen, gleichwohl zu Vierbeinern stabile und gesicherte Bindungen aufbauen können, der therapeutische Wert von Haustieren für Menschen mit solchen Problemen besonders hoch.
Hunde sind meist Optimisten
In Bezug auf die Kontaktaufnahme zum Menschen und die Qualität der daraus resultierenden Beziehung sind Hunde offensichtlich Optimisten. Gerade Untersuchungen an Hunden aus Tierheimen haben gezeigt, dass diese sehr oft wiederholt auch zu neuen Menschen wieder stabile und gesicherte Bindungen aufbauen können. Auch Blindenhunde und andere Assistenzhunde, die oftmals im Zuge ihrer Ausbildung von zwei bis drei aufeinander folgenden Stationen betreut werden, können zu ihrem später zu betreuenden Blinden noch eine genauso gute Bindung aufbauen wie solche Hunde, die vom guten Züchter direkt in eine menschliche Familie kommen. Beziehungstests in der vorhin genannten Weise wurden nämlich auch mit Tierheimhunden durchgeführt. Es gibt durchaus Möglichkeiten, die Bindungsfähigkeit von Tierheimhunden zu verbessern. In einigen Studien wurde beispielsweise auf die Regelmässigkeit des Kontakts zum Menschen geachtet, und es zeigte sich, dass zum Beispiel fünf Mal wöchentlich 15–20 Minuten Kontakt mit einem Menschen besser geignet sind, die Hunde zu stabilisieren, als ein- oder zweimal 1–1,5 Stunden die Woche.
Auch die Art des Kontakts und des Trainings mit dem Hund wurde untersucht. In einer Vergleichsstudie wurden unterschiedliche Formen von Training getestet: einfache Gewöhnung an den Menschen, Gehorsamkeitstraining, positives, kontaktförderndes Bindungsverhalten und zufällig verteilte Belohnungen im Sinne von einfacher Bestechung. Nur diejenigen Hunde, die mit soziopositivem, bindungsförderndem und freundlichem Verhalten des Menschen, also dem klassischen Vertrauens- und Bindungsaufbau, behandelt wurden, erhöhten danach ihre psychische Stabilität und ihre Vermittelbarkeit. Dies lässt auch die Praxis vieler Tierheime, in denen klassisches Gehorsamkeitstraining, Unterordnung und ähnliche Gehorsamsübungen zur angeblich besseren Stabilisierung und Vermittelbarkeit der Hunde eingesetzt werden, in kritischem Licht erscheinen.
Mensch wichtiger als Hund?
Bemerkenswert ist auch, dass die Anwesenheit eines Zweithundes zumindest bei Tests von Tierheimhunden in dem genannten Beziehungstest durchaus nachweislich Erfolge hatte. Zumindest bei den Tests an Tierheimduos wurde jedoch jeweils die Anwesenheit der menschlichen Pfleger vom Hund wesentlich höher bewertet, der Mensch war als sichere Basis und sicherer Hafen wesentlich stabiler als der Zweithund. Es wäre interessant, solche Studien mit Hunden aus Mehrhundefamilien durchzuführen. Die heftigen Trauerreaktionen, die viele Hunde beim Verlust ihres vierbeinigen Kumpels zeigen, lassen erwarten, dass hier möglicherweise andere Ergebnisse zu finden wären. Auch Erfahrungsberichte von Hundehaltern zeigen oft, dass ein Hund in Gegenwart eines ihm sehr vertrauten Zweithundes wesentlich stabiler wird und diesen ganz offensichtlich als sichere Basis und sicheren Hafen nutzen kann.
Senioren sind stressanfälliger
Zur Entwicklung der Bindungsfähigkeit von Hunden gibt es ebenfalls einige Untersuchungen, die manches, was in der Hundewelt üblich ist, etwas kritisch betrachten lassen. Das persönliche Erkennen und damit die Voraussetzung für die Bindung an die Mutter hat bereits innerhalb weniger Tage nach der Geburt stattgefunden. Das Erkennen der Geschwister erfolgt immerhin im Zeitraum der vierten bis fünften Lebenswoche, allerdings nur bei regelmässigen Kontakten mit mindestens zwei Wurfgeschwistern.
Doch die Fähigkeit eines Hundes, sich an neue Menschen und neue Familien zu binden, ist erst etwa ab der 16. Woche ausgebildet. Dies und die geschilderten Erfahrungen, dass Hunde auch nach der 16. Woche, sogar noch im Alter von etlichen Monaten oder Jahren, in der Lage sind, neue Bindungen aufzubauen, lässt umso mehr kritisch betrachten, warum Hundewelpen so früh vom Züchter abgegeben werden müssen. Die klassische Begründung, dass sonst keine Bindung an ihre neue Familie mehr möglich sei, ist in jedem Falle hinfällig. Auch alte Hunde besitzen noch die Fähigkeit, Bindungen zum Menschen zu unterhalten.
Jedoch ist bei ihnen die Stressanfälligkeit auch in den genannten Beziehungstests wesentlich grösser, sie interessieren sich weniger für den Fremden, sind in dessen Anwesenheit weniger aktiv, halten engeren Kontakt zu ihrem Halter und zeigen eine verstärkte Produktion von Stresshormonen in der Trennungsphase des Bindungstests. Die Fähigkeit, mit milden sozialen Belastungen klar zu kommen, ist also offensichtlich bei alten Hunden reduziert.
Im letzten Teil der Reihe werden wir uns speziell mit dem sehr häufig auftretenden Problem der Trennungsangst, des Trennungsstresses und der daraus resultierenden Langzeitbeeinträchtigungen von Hund-Mensch-Beziehungen beschäftigen.
Es ist interessant zu erfahren, dass bei Hunden das Bindungsverhalten mit ca. 16 Wochen beginnt. Dies lässt die Welpenprägung in einem etwas anderen Licht erscheinen. Könnte es sein. dass, was wir vermeintlich bereits als Bindung betrachten, nur dem Futtertrieb entspringt; „des Brot ich ess, des Lied ich sing“?