«Border Homeless … ja … einen Junghund mit neun Monaten einschläfern? Nein, auf gar keinen Fall! Wir holen ihn sofort ab … bis später». Mit einem tiefen Seufzer legt Border-Homeless-Managerin Anïta Läderach ihr Handy zur Seite. Schon wieder ein notfallmässiger Neuzugang. Am anderen Ende der Leitung schickt ein sehr erleichterter Tierarzt einen mentalen Dank ins Thurgauische Kradolf. Zum Glück kannte er die «Border-in-Not-Stiftung» und der hübsche Border Collie (BC), der von seinen Besitzern in der Praxis abgegeben wurde, bekam so eine letzte Chance.
Seit zwölf Jahren mit dem BC-Virus infiziert
Anïta und ihr Mann Pierre sind seit zwölf Jahren mit dem BC-Virus infiziert – vom ersten Tag an, als Even, der hübsche Tricolor-Border-Welpe mit einem leuchtend hellblauen und einem sanften haselnussfarbigen Auge das Leben der Familie Läderach auf den Kopf stellte. Even ist ein würdiger Vertreter seiner Rasse, selbstständig und überlegt, Anïtas Seelenhund.
Durch Even veränderte sich der Bekanntenkreis, und das Eintauchen in die Border-Szene empfand das Ehepaar Läderach als sehr ernüchternd. Die vielen verhaltensauffälligen, unterforderten Arbeitshunde beschäftigten Anïta sogar in ihren Träumen und sie begann sich noch intensiver mit der Rasse zu befassen. Dank fünf Semestern Veterinärmedizin, einem abgeschlossenen Sportlehrer- und TCM-Studium ist Anïta bestens mit den Körper- und Hirnfunktionen vertraut.
Umso trauriger stimmt es Anïta, wenn sie sieht, wie viele Border-Besitzer mit den besten Absichten ihre Hunde «überbespassen» und diese zu richtigen Adrenalin-Junkies erziehen. Oder die unterforderten Familienhunde, die total frustriert als Kinderwagen-Begleithunde nur gerade im Quartier ausgeführt werden. Der BC braucht regelmässige, ausgedehnte Bewegung und vor allem auch mentale Auslastung. Aber auch ruhiges Arbeiten und totale Entspannung sind wichtig. Der hochintelligente und feinfühlige BC gilt als eine der intelligentesten Hunderassen. Mit einem enormen Willen versuchen diese Hunde immer ihr Bestes zu geben. Bei dieser Rasse ist es sehr schwierig, die richtige Balance zu finden, damit der Border nicht «durchgeknallt», sondern ein zufriedener, ausgeglichener und angenehmer Lebensbegleiter ist.
Border Homeless – eine Idee nimmt Gestalt an
In Anïtas TCM-Praxis (TCM = Traditionelle Chinesische Medizin) holten sich viele entnervte Kunden Rat, weil sie mit ihren «hyperaktiven» Bordern völlig überfordert waren. Andere Kunden wollten ihre Hunde mit Medikamenten ruhig stellen oder sich sogar von ihnen trennen. Aus diesem Grund wurde 2005 Border Homeless gegründet, ein Refugium für Border Collies und BC-Mischlinge. Die meisten dieser Hunde hatten mehrere Platzwechsel und diverse mehr oder weniger gute Erziehungsversuche hinter sich. Sie sind oft traumatisiert, verunsichert und haben ihr Vertrauen in den Menschen verloren.
Anïta und ihr Team versuchen mit sehr viel Fachwissen und Einfühlungsvermögen diese Hunde zu resozialisieren, das Vertrauen wieder aufzubauen und sie so auszubilden, dass einer erfolgreichen Vermittlung nichts mehr im Weg steht. Gemäss Anïta resultieren die meisten Probleme dieser Hunde aus Halterfehlern und können relativ gut behoben werden. Aus diesem Grund bietet sie Coachings und verschiedene Kurse (inklusive SKN-Kursen) für Border-Collie-Besitzer an.
Freuden und Sorgen im Alltag
Immer wieder gibt es Problemfälle, die nicht mehr weitervermittelt werden können. Diese Hunde dürfen auf dem geschmackvoll und hundegerecht umgebauten Bauernhof in Kradolf bleiben und ein artgerechtes Leben mit spannenden Rudelspaziergängen, passendem Hundesport in der eigenen Hundeschule «Fun & Quick» sowie vielen Streicheleinheiten führen. Alle Hunde haben Zugang zum gemütlichen Haus, zum «Border-Raum» und zum grossen, eingezäunten Garten mit dem alten Baumbestand.
Anïta ist glücklich, selbstständig in ihrem Lieblingsjob arbeiten zu können. Doch so romantisch das klingt, die Realität beinhaltet zu 70 Prozent Putzarbeit, da die vielen Hunde (circa zwanzig mit den Senioren) mit Anïta und Pierre zusammen in Haus und Garten leben dürfen. Auch Anïtas Teilnahme an Agility-Wettkämpfen, das Reiten, das Malen, das Reisen, das Synchronschwimmen und ganz viele andere private Vergnügen gehören nun der Vergangenheit an, da ihre «Not-Felle» auch am Wochenende betreut werden müssen.
Eine andere Sorge sind die hohen Kosten (Gesundheitspflege, Tierarztkosten, hochwertiges Futter). Spenden sind deshalb immer sehr willkommen. Auch Patenschaften für die nicht vermittelbaren Hunde werden gerne entgegengenommen (siehe Infos auf der Website). Trotz allen Herausforderungen hat Anïta, die charmante, vielseitige und aufgestellte Powerfrau, ihre Passion gefunden: ein Leben für und mit Border Collies.
Text: Eva Holderegger Walser