Angst beim Hund – Teil 3/3

Angstbewältigung und Angstvermeidung

Wie in den vergangenen Teilen der Artikelserie dargelegt, ist der Umgang mit Angst eine wichtige Aufgabe für den Hundehalter. Für eine richtige Vorgehensweise, ist die bereits geschilderte Unterscheidung zwischen Furcht und Angst von grosser Bedeutung.

Text: Udo Ganslosser, Sophie Strodtbeck

Gewöhnung und Desensibilisierung

Furcht vor konkreten, bedrohlich erscheinenden Situationen, Geräuschen etc. kann durch eine systematische Gewöhnung oder Desensibilisierung eventuell abgebaut werden. Ähnlich wie in der sich langsam steigernden Konfrontationstherapie der menschlichen Verhaltenstherapeuten wird dem Hund ein Reiz, der ihm konkret bedrohlich erscheint, zunächst in schwacher Form vorgesetzt. Die Kunst des Therapeuten besteht nun darin, die Reizstärke so schwach zu halten, dass gerade eben noch keine überschiessende und damit blockierende phobische Reaktion erfolgt. Im Falle des im ersten Teil des Artikels geschilderten Hundes mit der extremen Phobie vor runden Gegenständen über Kopfhöhe hätte man, wäre das rechtzeitig gemacht worden, zunächst mit kleinen runden, von der Decke hängenden Kügelchen die Desensibilisierung begonnen, die Kugeln dann langsam grösser gemacht und ins Freie verlagert und hätte damit möglicherweise die Furcht vor Fesselballons, runden Strassenlaternen etc. abbauen können.

Wenig hilfreich ist, nach unserer Einschätzung, das in der Verhaltenstherapie manchmal eingesetzte Verfahren der plötzlichen Überflutung (flooding), das heisst eine plötzliche Konfrontation mit dem übermässigen und Phobie auslösenden Reiz.

Einen Hund, der sich vor gelben Apfalltonnen fürchtet, an einer gelben Abfalltonne anzubinden und ihn dort zwei Stunden alleine zu lassen, wie dies von manchen Verhaltenstherapeuten praktiziert wird, führt nicht nur zu einer völligen Übersteuerung der betreffenden Reaktion, sondern möglicherweise auch zu schweren gesundheitlichen Schäden (Herzkreislaufkollaps) und zu einer völligen Zerstörung der Mensch-Hund-Beziehung, wenn der Halter seinen Hund einer solchen schrecklichen Situation scheinbar tatenlos ausliefert.

In der menschlichen Verhaltenstherapie werden solche Massnahmen auch nur von einer Minderheit der Therapeuten angewendet, und zumindest ein erwachsener menschlicher Patient kann seine Zustimmung zu dieser Behandlung vorher geben. Wenn jemand Höhenangst hat und sich dann freiwillig in einer Therapiestunde mit einer Tasse Kaffee auf dem Dach eines Hochhauses abstellen lässt, während der Therapeut seinen Kaffee etliche Stockwerke tiefer im Restaurant zu sich nimmt, dann hat er das zumindest in einer schwachen Minute so gewollt und für sich entschieden. Der Hund oder das Kleinkind kann jedoch diese bewusste Entscheidung für die Überflutungstherapie nicht treffen.

Daher ist die langsame Steigerung der Reizintensität jeweils knapp unter der auslösenden Schwelle für den phobischen Anfall hier die wesentlich bessere Therapie. So schwierig und langwierig dies erscheinen mag, ist es doch noch einfacher als der Umgang mit Angst.

Der Umgang mit der Angst

Die Angststörung, insbesondere dann, wenn sie bereits zur generalisierten Angststörung geworden ist, wenn also die Angst vor der Angst schlimmer ist als die Angst vor der gefühlten tatsächlichen Bedrohung, kann nicht durch gezielte Konfrontation aufgefangen werden.

Selbstbewusstsein stärken

Stattdessen sind Massnahmen der allgemeinen Persönlichkeitsstabilisierung nötig. Zunächst müssen das Selbstbewusstsein und die Selbstsicherheit des Hundes aufgebaut werden. Dafür sind Auslastungs- und Beschäftigungsmodelle mit besonderer Möglichkeit geeignet, die Erfolgserlebnisse verschaffen. Viele Hunde reagieren sehr positiv auf konzentrierte Nasenarbeit, etwa Zielobjektsuche. Für andere ist Mantrailing oder Fährtenarbeit eine gute Möglichkeit, um ihnen zu zeigen, dass sie etwas leisten und dadurch ihr Selbstbewusstsein steigern können.

Führungskompetenz

Auch die Führungskompetenz des Menschen ist hier von grosser Bedeutung. Der Mensch als Leittier muss Souveränität ausstrahlen, um dem Hund zu vermitteln, dass auch in einer möglicherweise gefährlichen Situation jemand da ist, der diese für ihn regelt. Gerade im Zusammenhang mit Angstaggression an der Leine oder in anderen beengten Situationen ist es die Aufgabe des Menschen, hier die notwendige Unterstützung zu liefern.

Sozialkontakt
Soziale Unterstützung, die Steigerung der Ausschüttung des sogenannten Bindungshormons Oxytocin durch Sozialkontakte jeglicher Art hat eine wichtige Funktion in der Vermeidung einer übermässigen Cortisol- oder anderen Stresshormonreaktion.

Untersuchungen an menschlichen Prüfungskandidaten sowie Labortieren zeigen, dass beispielsweise eine vorbeugende Wohlfühlmassage, aber auch Gespräche mit einer vertrauten Person die Produktion des Hormons Oxytocin, eines wichtigen Gegenspielers der Stresshormone, erhöhen. Wird dann danach der Mensch in eine Prüfungssituation gebracht, kann er wesentlich ruhiger, konzentrierter und damit erfolgreicher referieren und Fragen beantworten. Eine ähnliche Wirkung hat auch die Kontaktaufnahme mit dem Hund. Wenn der Hund und der Mensch einander durch Blickkontakte, spielerische Gemeinsamkeiten und andere Formen positiver, sozialer Interaktion unterstützen, führt dies zu einer Erhöhung des Oxytocinspiegels. Und das hält nicht nur den Menschen (und den Hund) gesund, sondern kann auch den Hund vorbeugend bei der Konfrontation mit einem möglichen Stressor stabilisieren.

Positive Alternativreize

Ebenso ist es möglich, eine beginnende Angst beim Hund durch das Angebot von positiv belegten Reizen zu entschärfen. Im Gegensatz zur oft vernommenen Trainermeinung kann man Angst ohnehin in dieser Situation nicht mehr bestärken. Wenn sich ein Hund beispielsweise bei heraufziehendem Gewitter gruselt, ist dies ohnehin kaum mehr zu verschlimmern. Stattdessen aber kann es gelingen, ihm durch gezielte Darbietung von Futterbelohnungen oder anderen positiven Erfahrungen eine Abschwächung seiner Angstreaktion zu ermöglichen. Die beiden beteiligten Hormonsysteme, das Stresssystem des Cortisols und das Bindungssystem des Oxytocins, sind hier sozusagen wie der Hase und der Igel im Märchen der Gebrüder Grimm.

Der Igel wäre hier das Oxytocin, das aus der Hirnanhangsdrüse als wasserlösliches Hormon bereits in wenigen Sekunden bis Minuten ausgeschüttet wird. Der Hase wäre das Cortisol, das als fettlösliches Hormon aus der Nebennierenrinde erst in einem Zeitraum zwischen 5 bis 20 Minuten am Ziel, nämlich den Rezeptoren, ankommt. Dann ist aber das Oxytocin bereits da und kann die unangenehmen Wirkungen des Cortisols kontern.

Akut kann der Mensch durch soziale Unterstützung für den Hund da sein, eventuell auch durch das Präsentieren von angenehm und positiv empfundenen Alternativreizen wie etwa Futterbelohnung oder kleinen Spieleinheiten (sofern der Hund noch spielt) den Hund ebenso stabilisieren wie durch Ausstrahlung von Souveränität und Führungskompetenz.

Prägende Erfahrungen

Eine andere Zeitachse betrifft die Vermeidung von Angstanfälligkeit. Wie im zweiten Teil der Artikelserie dargelegt, ist gerade im Zeitraum der ersten drei Monate sowie in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres die sensible Phase für die Präsentation von Umweltreizen, die dann später als neutral, unbedeutend oder sogar positiv empfunden werden sollen. Neben dieser Gewöhnung an möglichst viele, dann später mit «cooler Gelassenheit» ertragene Umweltreize ist gerade in diesem Zeitpunkt auch die allgemeine Stabilisierung von Persönlichkeit und Selbstsicherheit des Hundes sehr wichtig. Wenn der Hund in dieser Zeit erlebt, dass er viele Aufgaben durch eigenes Zutun lösen und viele Probleme durch selbst gefundene Lösungswege aus der Welt schaffen kann, und zusätzlich lernt, dass er sich bei schwierigen bis unlösbaren Situationen jederzeit auf seinen Menschen verlassen kann, wird er auch viel seltener überfordert sein, wenn er dann als Erwachsener mit völlig neuen Aufgaben konfrontiert wird. Die Kombination aus früher Persönlichkeitsstabilisierung und erlerntem Stressmanagement in der Welpen- und Junghundezeit und der im akuten Stressfall dann ausgestrahlten Souveränität und sozialen Unterstützung des Hundehalters ist es, die dem Hund dann Angst und Furcht nimmt oder zumindest erträglich und bewältigbar erscheinen lässt.

Nicht überrumpeln

Ein weiterer Teil der Angstvermeidung ist die Vorhersagbarkeit. Wie mehrere Untersuchungen im Zusammenhang mit stressauslösenden Reizen bei Hunden gezeigt haben, ist es für den Hund wesentlich einfacher, wenn er beispielsweise die Geräuschquelle oder andere Ursachen für die plötzliche Überreizung erkennen kann. Lärm, Schmerz oder andere unangenehme Reize, deren Richtung und Ursache nicht erkennbar sind, führen zu viel stärkerer Stressreaktion als Reize, deren Herkunft ersichtlich ist. Aus diesem Grunde sind wahrscheinlich Gewitter und Silvester für die meisten Hunde schlimmer als ein einzelner Knall, sei es durch die Fehlzündung eines Motors, einen Schuss im Wald oder einen zerplatzenden Luftballon.

Wir sollten uns also bemühen, für unseren Hund Stressoren vorhersagbar zu machen. Wer in Anwesenheit des Hundes auf Lärm und andere für den Hund belastende Reize nicht verzichten kann, sollte dies durch klare Rituale ankündigen, so dass der Hund im Vorfeld weiss, was nun auf ihn zukommen wird. Dann, und mit einem starken, souveränen Menschen an seiner Seite, auf den er sich verlassen kann, wird er mit Stress und Angst wesentlich besser zurechtkommen.

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geschrieben von:
Udo Ganslosser

Udo Ganslosser

Udo Ganslosser (*1956) ist Privatdozent für Zoologie an der Universität Greifswald. Am Zoologischen Institut Erlangen erhielt er 1991 die Lehrbefugnis. Udo Ganslosser ist unter anderem Lehrbeauftragter am Phylogenetischen Museum und Institut für Spezielle Zoologie der Universität Jena. Seit mehreren Jahren betreut er zunehmend mehr Forschungsprojekte über Hunde, seien es Haushunde oder Wildhundeartige. Dabei geht es vor allem um Fragen von Sozialbeziehungen und sozialen Mechanismen.

geschrieben von:
Sophie Strodtbeck

Sophie Strodtbeck

Sophie Strodtbeck (*1975) hat ihr Studium 2002 an der Ludwig-Maximilians-Universität München als Tierärztin abgeschlossen. Berufserfahrung sammelte sie in verschiedenen Praxen. Seit längerer Zeit ist sie in einer Hundeschule für tiermedizinische Belange zuständig und bietet zusammen mit Udo Ganslosser verhaltensmedizinische Beratungen an. Nebenher schreibt sie Artikel für diverse Hundezeitschriften und teilt ihr Leben derzeit mit vier eigenen Hunden.

Ein Kommentar zu “Angst beim Hund – Teil 3/3

  1. Andreas

    Als allererstes Mal vielen Dank für die umfangreichen Informationen zur Angstentstehung, -verhalten und -bewältigung.
    Grundvoraussetzung für die Angstbewältigung ist nach wie vor Vertrauen in die Gesamtkompetenz und die Souveränität des menschlichen Partners. Nicht jeder Mensch ist in der Lage einen durch Angst psychisch beeinträchtigten Hund auch zu führen und es ist nur im Rahmen der eigenen Fähigkeiten möglich, dieses zu erlernen. Es langt meiner Erkenntnis nach eben nicht aus Souveränität auszustrahlen, sondern es muss ‚echte‘ Souveränität vorhanden sein.
    Die Kompetenz seines menschlichen Partners erkennt der Hund an den Fähigkeiten, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Führt der Mensch den Hund laufend wieder in Stresssituationen oder verhält sich unverständlich und inkonsequent, wird der Hund kaum Vertrauen aufbauen können.
    Erst wenn der Hund Zutrauen zu seinem Menschen gefunden hat, kann man ihn auch in entsprechende Angstsituation führen, ohne dass dieser ein so hohes Maß an Hormonausschüttungen erfährt, dass er gar nicht mehr ’normal‘ reagieren kann.
    Ich will in keiner Weise ihren Aussagen widersprechen, sondern sehe meine Worte als Ergänzung des Artikels, den ich sehr schätze, da er es auf einfache Art und Weise schafft eine komplexe Thematik zu erklären, ohne dass zu viele Lücken entstehen.

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