Angst beim Hund – Teil 2/3

Kritische Phasen der Angstentstehung

Die Entstehung von Angst bei einem Hund ist nicht in allen Zeiten seines Lebens gleich wahrscheinlich; es gibt Lebensphasen, in denen er dafür besonders anfällig ist. Auch bei der aktuellen Konfrontation mit einer Angst auslösenden Situation oder einem Furcht auslösenden Reiz kommt es auf bestimmte Phasen besonders an, wenn wir beispielsweise verhindern wollen, dass sich hier eine verstärkte Ablehnungsreaktion aufbaut.

Text: Udo Ganslosser, Sophie Strodtbeck

Das Angstzentrum wächst mit seinen Aufgaben

Studien am Menschen zeigen, dass beispielsweise Personen, die in ihrer Kindheit und frühen Jugend unter Trennungsangst litten, auch als Erwachsene anfälliger für Panikstörungen oder generalisierte Angststörungen sind. Schuld daran sind offensichtlich einerseits Langzeit-Lernprozesse, bei denen häufig aktivierte Nervenverknüpfungen in ihrer Leitungsfähigkeit sowohl verbessert als auch in ihrer Empfindlichkeit gesteigert werden. Dieser in der Lernforschung als Langzeitpotenzierung bekannte Effekt beruht wohl darauf, dass Nervenbahnen, die in kürzeren Zeiträumen häufiger hintereinander elektrisch aktiviert wurden, andere Botenstoffe, andere Bindungsstellen und höhere Konzentrationen für Botenstoffe und Bindungsstellen erhalten.

Ebenfalls können durch Parallelschaltung und Anlegen zusätzlicher Synapsen (sozusagen Lötpunkte) im Ergebnis aus einem dünnen Drähtchen einen dicker Kabelbaum entstehen lassen. Sobald dies geschehen ist, genügt dann ein leichter und wenig intensiver Reiz, um die Verknüpfung zu aktivieren und dadurch das Empfinden von Angst oder Panik auszulösen. Zudem sind offensichtlich Botenstoffe aus der Gruppe der hirneigenen Opiate an dieser Reaktion beteiligt. Auch deren Konzentration wird offensichtlich langfristig verändert, wenn man in der Jugend häufig verlassen und die daraus entstehende Trennungsangst aufgebaut wurde.

Jugendentwicklung

Sensible Phasen in der Jugendentwicklung eines Hundes für die Entstehung von Angst, Furcht und anderen Ablehnungsreaktionen beginnen schon in der Zeit, für die noch der Züchter die alleinige Verantwortung hat. Zum ersten Mal in der fünften und dann wieder in der siebten Woche werden kurzfristige Anstiege der Schreckhaftigkeit auf unerwartete Aussenreize beobachtet.

Die Nervenzellen im Gehirn eines Hundes teilen sich etwa bis zur sechsten Woche, die Ausbildung von weiteren Nervenfasern sowie die Neubildung von Versorgungszellen des Gehirns finden wir bis zirka zur elften Woche. In dieser Zeit besitzt der Welpe beziehungsweise Junghund nur eine Fähigkeit zur Ausbildung von Ortsbindungen. Etwa ab der zwölften Woche ist zunächst die Entwicklung des Gehirns weitgehend abgeschlossen und geht dann erst in der Pubertät weiter. Die in dieser Zeit kennengelernten und als harmlos oder unbedeutend empfundenen Reize werden erfahrungsgemäss auch später beim Hund nicht mehr zu Angst oder Panikanfällen führen. Die Fähigkeit, menschliche Individuen zu unterscheiden und daraus einerseits eine individuelle Bevorzugung von bekannten Menschen als Voraussetzung für die Bindung und andererseits eine Fremdelreaktion (also Ablehnung von Unbekannten) abzuleiten, beginnt bei Hunden nämlich erst ab der 14. Woche. Vorher gibt es nur eine Phase allgemeiner Attraktivität aller Menschen.

Werden im Zeitraum ab der fünften bis sechsten Woche neue und unbekannte Reize, auch wenn sie zunächst Schreck oder Ablehnung auslösen könnten, zielsicher und vom Hund erfolgreich erkundet als harmlos abgespeichert und somit ihrer Furcht auslösenden Wirkung beraubt, werden nachweislich die für diese Stressbewältigung verantwortlichen Teile des Gehirns, etwa im Bereich des Mittelhirns, durch Zellvermehrung und verbesserte Verknüpfung effektiver gestaltet. Eine erfolgreiche Bewältigung solcher Furchtreaktionen durch eigenes Zutun, eigenes Erkunden und selbstständiges Feststellen der Harmlosigkeit führt also für die Zukunft zu einer stabileren Verhaltensweise, zu einer grösseren Stressresistenz und zu einer geringeren Wahrscheinlichkeit für Furchtresonanzen oder allgemein für Stress. Notwendige Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Hund selbst kontrollieren kann, in welchem Ausmass und bis zu welcher Reizstärke er sich dem Unbekannten, Schreck Auslösendem nähert.

Das Wechselspiel zwischen Annäherung und Zurückweichen, das Sicherheittanken bei der sicheren Basis (zum Beispiel Mensch oder Wurfhöhle) in Abwechslung mit der Aufregung des Neuen bei der Annäherung an den furchteinflössenden Gegenstand lässt sich gut beobachten. Parallel zu dem Vor und Zurück, zu dem naseweisen Vorstossen und dem Sicherheit suchenden Zurücksausen sind auch die Konzentrationen und Aktivitäten von Botenstoffen und Nervenverknüpfungen im Gehirn zu sehen. Dieses Wechselbad zwischen Aufregung und Sicherheit, mit dem am Ende stehenden Erfolgserlebnis der Bewältigung der aufregenden Situation führt zu den genannten Stabilisierungen im Lern- und Stresssystem.

Bereits seit längerem ist bekannt, dass dieses Wechselspiel und das Erkunden neuer und unbekannter Situationen bis zur zwölften Lebenswoche ganz besonders wichtig ist. Reize, Gegenstände, Lebewesen und Situationen, die bis zu diesem Zeitpunkt in der genannten Weise erkundet und als harmlos abgespeichert wurden, werden dann auch später für den Hund keine wirklich stress- oder angstauslösenden Situationen mehr darstellen.

Die Pubertät

Voraussetzung dafür ist jedoch, dass eine erneute Bestätigung der Erfahrung der Harmlosigkeit erfolgt, und zwar in einem Zeitraum zu Beginn der Pubertät. Die Pubertät, in der das gesamte Gehirn und Nervensystem nochmals neu verdrahtet wird und auch viele Nervenzellen mit neuer Bedeutung und neuer Zuständigkeit belegt werden, ist bei Hunden ein längerer Zeitraum. Für die Fixierung von Erfahrungen mit Gegenständen, Situationen oder Lebewesen und damit die Vermeidung zukünftiger Angst- oder Furchtreaktionen vor eben diesen, ist dagegen ziemlich genau auf den Zeitraum des sechsten bis neunten Lebensmonats festgelegt. Einige Rassen schwanken hier etwas und beginnen bereits mit dem fünften oder enden mit dem zehnten Monat.

Der generelle Trend scheint jedoch in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres zu liegen. Auch Erfahrungen, die in der ersten Phase, also bis zur zwölften Woche, bereits getätigt wurden, müssen in diesem Zeitraum nochmals neu bestätigt werden. Umgekehrt besteht noch eine Chance, einen Hund für bestimmte Situationen oder Gegenstände, die er in der ersten Phase nicht kennengelernt hat, nachzuschulen und ihn dann von deren Harmlosigkeit zu überzeugen.

Nach dem Ende der Pubertät ist zunächst für die Entstehung oder Vermeidung von Angst, Panik oder Furcht die lebensgeschichtliche Risikozeit beendet. Nun kommt es auf die individuellen Situationen an, die der Hund bewältigen muss und mit Hilfe und Unterstützung seines Menschen auch beherrschen kann. Diese Thematik werden wir im dritten Teil der Serie ausführlich behandeln.

Der Senior

Ein erneuter Anstieg der Anfälligkeit für Angst, Panik und Furcht ist erst mit dem Übergang zum Seniorenstadium zu beobachten. Die Ursachen dafür, dass Senioren oft auch in Situationen Angst zeigen oder sich vor Dingen fürchten, die sie früher völlig «cool» gelassen hatten, sind vielfältig. Zum einen lässt beim Hundesenior die Leistungsfähigkeit der Sinnesorgane nach. Besonders die abgeschwächte Leistungsfähigkeit des Hörorgans mit der damit verbundenen geringeren Fähigkeit zum Richtungshören oder zum Erkennen individueller Stimmen führt oft zu Desorientierung. Auch die altersbedingten Gedächtnisstörungen sowie die durch den Alterungsprozess verringerten Leitungsgeschwindigkeiten und Leitungsfähigkeiten im Gehirn tragen einen Teil dazu bei.

So ist altersbedingte Desorientierung oftmals die Ursache für einen Anstieg der Stresshormone, die ihrerseits ja für die Entstehung von Angst oder Furchtreaktionen ursächlich sind. Dazu kommt, dass gerade das für Angst und Unsicherheit verantwortliche Hormon Cortisol im Alter ohnehin ansteigt. Je nachdem wie schnell der Anstieg des Cortisols im Alter erfolgt, werden Hunde (und auch Menschen) entweder nur leicht oder auch massiv beeinträchtigt. Gerade ein schneller Anstieg des Cortisols ist oftmals zeitlich und wohl auch ursächlich gekoppelt mit einem Schub der Demenz. Und Angst oder Unsicherheit, daraus resultierende Aggressivität oder Panik sind oftmals Begleiterscheinungen dieser durch die Demenz verursachten Orientierungslosigkeit.

Die Hormone 

Hormonell sind für die Angstreaktion überwiegend die Hormone der Nebennierenrinde, also das Cortisol verantwortlich. Die Furchtreaktion dagegen ist überwiegend eine Reaktion des Adrenalinsystems, also des Kampf- und Fluchtsystems. Was im Gehirn abläuft, kann man folgendermassen zusammenfassen: Ein entweder angeborener oder auch konditionierter, also erlernter angst- oder furchtauslösender Reiz lässt zunächst den Mandelkern aktiv werden. Vom Mandelkern aus werden dann über den seitlichen Bereich des Zwischenhirns das sympathische und das parasympathische Nervensystem alarmiert. Die Aktivierung des sympathischen Nervensystems führt zu Herzrasen, erhöhtem Blutdruck und verändertem Hautwiderstand.

Durch die Aktivierung des Parasympathikus kann eine veränderte oder verringerte Hautdurchblutung entstehen. Dadurch dass gleichzeitig die Botenstoffe Dopamin, Noradrenalin und Acetylcholin ausgeschüttet werden, kommt es auch zu angstbedingtem Absetzen von Urin, Kot und gegebenenfalls zu einer massiven Reduktion der Herzfrequenz. Die gleichzeitig ausgeschütteten Botenstoffe erhöhen die Wachsamkeit, lassen das Verhalten insgesamt erregter und aufgeregter erscheinen und sind mit Veränderungen von Mimik und anderen Teilen des Ausdrucksverhaltens gekoppelt.

Bei der Entstehung von Angst und Angststörungen sind noch weitere Botenstoffe, also Neurotransmitter beteiligt. Zum einen wirkt die Glutaminsäure über verschiedene Arten von Bindungsstellen, auch über die oben geschilderte Langzeitpotenzierung. Die Wirkung verschiedener Psychopharmaka zeigt, dass sowohl ein Mangel an dem erregungsdämpfenden Botenstoff GABA, der Gamma-Aminobuttersäure, als auch ein Mangel an Serotonin, unserem Stimmungsaufheller, Ursache von Angststörungen sein kann. Auch hirneigene Opiate scheinen bei Ängsten, wie etwa der Trennungsangst, eine Rolle zu spielen. Wird ein Jungtier von der Mutter oder ein sozial lebendes Tier vom Bindungspartner getrennt, so werden die Opiat-auslösenden Nervenzellen gehemmt, durch Zugabe von Opiaten wird der Mangel an Wohlbefinden wieder eingestellt.

Die Wirkung des Serotonins auf die Entstehung und Dämpfung der Angst scheint ähnlich zu sein wie bei der Wirkung als stressdämpfender Botenstoff. Daher können auch die gleichen Medikamententypen bei Angst wie auch bei Depression und erhöhter Stressanfälligkeit eingesetzt werden. Allerdings kann ein ungewöhnlich hoher Serotoninspiegel ebenfalls zu Angststörungen führen, möglicherweise deshalb, weil sich Serotoninbindungsstellen mit der Zeit an eine erhöhte Konzentration anpassen und dann in ihrer Effektivität und Zahl heruntergeregelt werden.

…und nächstes Mal…

Die Entstehung und Fixierung von Angst und Furcht ist also ein komplexes Zusammenspiel von elektrischen, chemischen und Umweltfaktoren, und je nach der Grundpersönlichkeit des Hundes können dann auch unterschiedlich hohe Schwellen und Reaktionen entstehen. Vermeidung und Beseitigung solcher Probleme im Zusammenleben mit unseren Hunden wird dann Inhalt des dritten Teils dieser Serie sein.

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geschrieben von:
Udo Ganslosser

Udo Ganslosser

Udo Ganslosser (*1956) ist Privatdozent für Zoologie an der Universität Greifswald. Am Zoologischen Institut Erlangen erhielt er 1991 die Lehrbefugnis. Udo Ganslosser ist unter anderem Lehrbeauftragter am Phylogenetischen Museum und Institut für Spezielle Zoologie der Universität Jena. Seit mehreren Jahren betreut er zunehmend mehr Forschungsprojekte über Hunde, seien es Haushunde oder Wildhundeartige. Dabei geht es vor allem um Fragen von Sozialbeziehungen und sozialen Mechanismen.

geschrieben von:
Sophie Strodtbeck

Sophie Strodtbeck

Sophie Strodtbeck (*1975) hat ihr Studium 2002 an der Ludwig-Maximilians-Universität München als Tierärztin abgeschlossen. Berufserfahrung sammelte sie in verschiedenen Praxen. Seit längerer Zeit ist sie in einer Hundeschule für tiermedizinische Belange zuständig und bietet zusammen mit Udo Ganslosser verhaltensmedizinische Beratungen an. Nebenher schreibt sie Artikel für diverse Hundezeitschriften und teilt ihr Leben derzeit mit vier eigenen Hunden.

3 Kommentare zu “Angst beim Hund – Teil 2/3

  1. Pingback Anonymous

  2. Nikole

    Super toller Artikel, ich erkenne viele Verhaltensweisen meiner Angsthündin wieder. Wo finde ich Teil 3?

    Antworten

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