Sie kennen das: meist entscheidet beim Blick in die Wurfkiste das Herz ganz allein, welcher süsse Welpe uns in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren auf unserem Weg begleiten soll. Der kleine Kobold mit dem schwarzen Fleck am linken Auge soll es sein! Oder doch der schokobraune Strolch mit dem seidigen Fell? Oder gar die wuschelige weisse Hündin? Manchmal ist es einfach: «Liebe auf den ersten Blick», zuweilen trottet einem der vorwitzigste Welpe auf unsicheren Pfötchen entgegen und man weiss: «Er hat mich ausgesucht!» Aber ist das wirklich der richtige Weg?
Text: Petra Schmid Fotos: Doris Walder, Eva Holderegger Walser
Vorweg soll gesagt sein: Das wichtigste überhaupt bei der Auswahl eines Welpen ist die Gesundheit! Die jungen Hunde sollen auf fremde Besucher einen aufgeweckten, gesunden Eindruck machen. Erst dann lassen wir unser Herz auswählen…
Aber halt – unser zukünftiger Weggefährte soll ja nach einer angemessenen Eingewöhnungszeit bei uns auch eine Aufgabe erhalten. Vielleicht soll er einfach als Familienhund am täglichen Leben teilhaben, vielleicht aber streben wir mit dem Welpen grossen Zielen entgegen. Ob angehender Jagdgebrauchshund oder zukünftiger Lawinenhund – der Hund soll seine Aufgabe später mit Freude ausüben können. Und genau deshalb liegt es an den Züchterinnen und Züchtern – und auch an Ihnen als künftige Besitzer – herauszufinden, ob der Welpe so gebaut ist, dass er seine zukünftige Tätigkeit oder einen bestimmten Hundesport ohne negative körperliche Folgen erfüllen kann.
Puppy-Puzzle-Test
Die Amerikanerin Pat Hastings hat in Zusammenarbeit mit ihrem Mann Bob mit dem «Puppy-Puzzle-Test» eine Methode entwickelt, die den Züchterinnen und Züchtern hilft, den Körperbau der Welpen richtig zu beurteilen. Pat Hastings ist seit Jahrzehnten als Richterin und engagierte Züchterin tätig. Ihr war schon früh klar: Als Züchterin wollte sie die Welpen nicht nur bestmöglich auf ihr künftiges Leben vorbereiten, sie wollte auch mit allen Mitteln versuchen, den für den einzelnen Welpen am besten geeigneten Lebensplatz zu finden. Wie vielen Züchtern, ist es auch Pat Hastings passiert, dass sie einen Welpen behalten hatte, der sich später nicht für die Zucht eignete oder dass sie Welpen an nicht optimale Plätze abgegeben hatte. Aus dieser Erfahrung heraus hat sie gemeinsam mit Tierärzten und Physiotherapeuten ein praxisorientiertes Körperbau-Analyseverfahren erarbeitet, das sowohl beim Welpen wie auch beim erwachsenen Hund angewandt werden kann.
Wie bei einem Puzzle wird bei der Welpen-Analyse beim Hund Körperteil für Körperteil − vom Kopf bis zur Rutenspitze − nacheinander durch die Welpen testende Person ertastet und geprüft, analysiert und Auffälligkeiten werden durch eine zweite Person protokolliert. Der Hund steht auf einem Tisch und empfindet die Berührungen der Testperson als positiv; er darf auch immer wieder an einem kleinen Stück Käse knabbern oder aus einer Tube Quark lecken, während die Hände seinen Körper ertasten. Gleichzeitig begutachtet die Testperson den Körper immer wieder im Spiegel gegenüber. So fällt der Blick nicht senkrecht auf den Hund, sondern erlaubt, dessen Körperbau aus gewisser Distanz und von der Seite zu betrachten.
Die Balance-Linien
Im Wesentlichen geht es bei der Beurteilung um Ausgewogenheit und Körperbalance. Ist beides vorhanden, gibt das schon einen guten Rückschluss auf einen funktionell gesunden Körperbau. Allein die drei Balance-Linien, die aufzeigen, wie der Hundekörper gebaut ist und ob ein Hund im Rechteck oder im Quadrat steht, geben schon eine Fülle an Informationen. Abweichungen in der Stellung von Kopf, Hals, Brust und Beinen wirken sich auf die Balance aus und damit auf die Bewegungsabläufe und die Gelenke.
Obwohl in der Welt der Hunde unterschiedliche Körperformen bestehen, ist die Balance der Indikator für einen guten Körperbau; ob es sich nun um Traber, Galopper, Terrier oder Molosser handelt.
Zusätzlich zur Körperbau-Analyse wird bei Welpen ein kleiner, aber doch aussagekräftiger Temperamentstest durchgeführt. Unter anderem wird der Welpe von der, ihm fremden Testperson, sorgfältig im Arm auf den Rücken gelegt. Lässt der Hund dies geschehen oder wehrt er sich? Hält er Blickkontakt? Klammert er? Je nach Temperament soll einer optimalen Sozialisation und gezieltem Training besonderes Gewicht beigemessen werden. Denn die genetischen Anlagen bleiben bestehen. Auch für diesen kleinen Test ist es wichtig, dass der Welpe an einem für ihn unbekannten Ort und durch eine fremde Person begutachtet wird. Die Welpen-Analysen finden immer im Beisein der Züchterin oder des Züchters statt. Welpe für Welpe wird ruhig und ohne Zeitdruck untersucht und der Züchter lernt dabei, sein Auge für das Korrekte zu schulen. Auffälligkeiten jeder Art werden schriftlich festgehalten und dem Züchter wird ein Testbericht über jeden Welpen mit Fotos abgegeben. Damit kann der Züchter erkennen, welcher Junghund vom Körperbau und vom Temperament her für die Zucht oder für eine bestimmte anspruchsvolle Sportrichtung geeigneter ist und welcher Welpe ein guter Familienhund werden kann.
Mit acht Wochen
Weil der normal entwickelte Welpe im Alter von ziemlich genau acht Wochen (+/- 3 Tage) in Körperbau und Proportionen am ehesten dem Aussehen als ausgewachsener Hund entspricht, wird die Welpen-Analyse in diesem engen Zeitfenster durchgeführt. Zeigt der Welpe mit acht Wochen beispielsweise einen langen Rücken und kurze Beine, so wird er sich als Junghund zunächst zwar verändern, als erwachsener Hund aber annähernd dieselben Merkmale aufweisen. Foto 5 und 6
Auch Mischlingshunde werden getestet
Die Analyse nach Pat Hastings macht sowohl bei Rassehunden wie auch bei Mischlingshunden Sinn, die Rücksichtnahme bei nicht optimalen körperlichen Voraussetzungen kommt jedem Hund zugut − ob er Abstammungspapiere hat oder nicht. Je mehr der Züchter weiss und sieht, umso mehr dient er sowohl der Rasse als auch dem einzelnen Hund. Beim Testen von Rassehunden wird der spezifische Standard vorgängig studiert und bei der Analyse mit einbezogen. Gemeinsam mit dem Züchter wird begutachtet, ob der Welpe in den Proportionen rassetypisch ist oder ob er in einzelnen Bereichen nicht dem Standard entspricht, das Hauptaugenmerk liegt aber in jedem Fall auf dem gesunden Körperbau.
Nebst den erwähnten drei Balance-Linien werden folgende Partien kontrolliert:
Kopf: Zähne, Okklusion (das räumliche Verhältnis der Zähne zueinander beim
Zusammenbiss), Augenfarbe, Wachstumsperle (Die Wachstumsperle sitzt im
Augenwinkel auf der Seite des Nasenrückens und ist verantwortlich für das
proportionale Wachstum des Fangs.)
Hals: Ansatz, Länge, Verlauf
Brust: Vorbrust, Tiefe und Form des Brustkorbes, Länge des Brustbeins
Vorderhand: Schulter, Oberarm, Winkelungen, Prosternum (Brustbeinspitze), Unterarm, Karpalgelenk (Wurzelgelenk Vorderfuss), Pfoten
Hinterhand: Oberschenkel, Unterschenkel, Winkelungen, Sprunggelenk, Stabilität, Bemuskelung, Pfoten, Beckenform
obere Linie: Verlauf, Stabilität Rücken, Lende, Kruppe, Rutenansatz
Kein Wasserrettungshund mit «Schafhals»
Im Bereich des Halses wird ab und zu bei Hunden verschiedenster Rassenzugehörigkeit ein sogenannter Schafhals festgestellt. Dabei handelt es sich um eine Bindegewebeschwäche, die dazu führt, dass der Hund seinen Kopf ohne Widerstand in Richtung Rücken biegen kann. (Bitte nicht am eigenen Hund ausprobieren!)
Diese physiologische Schwäche wird von ungeschulten Züchtern und Hundebesitzern in der Regel nicht erkannt, weil sie den Hund im Alltag nicht stark einschränkt. Ein Hund mit einem Schafhals wird jedoch nie ein begnadeter Schwimmer sein bzw. wird sich nicht für die Ausbildung zum Wasserrettungshund eignen. Er wird auch keine schwere Beute apportieren können. Ebenso wie ein Hund mit zu eng stehenden Schulterspitzen den Kopf nicht mühelos auf den Boden senken und deshalb kein ausdauernder Fährtenhund werden kann.
Kein Agility-Champion
Haben Sie sich auch schon gewundert, warum ihr Hund oft «stängelet» im Agility? Die Ursache könnte in der Hinterhand liegen. Möglicherweise hat Ihr Hund ein kippbares Sprunggelenk und Ihnen ist dies im Alltag noch nie aufgefallen. Ein Hund mit einem instabilen oder kippbaren Sprunggelenk gibt einen wunderbaren Familienhund ab, der durch diesen kleinen Mangel überhaupt nicht eingeschränkt ist. Für eine Agility-Karriere fehlt einem solchen Hund dann aber hinten der Schub. Die Schwäche muss vom Knie kompensiert werden; und wenn das Knie versagt, dann geht die Belastung in die Hüfte. Zeigt unser Agility-Hund schliesslich an, dass etwas nicht stimmt, ist der Schaden durch Überbelastung leider schon fortgeschritten. Gerade für einen zukünftigen Agility-Hund ist ein optimaler Körperbau Voraussetzung, damit der Hundekörper den hohen körperlichen Anforderungen standhalten kann.
Kein Hund, der perfekt ist
Trotz aller Bemühungen seitens der Züchterinnen und Züchter wird nie jeder Hund in allen getesteten Bereichen dem Optimum entsprechen. Denn kein Lebewesen ist perfekt! Wenn die Züchter lernen, ihr Auge für die strukturellen Zusammenhänge zu schulen, dann werden sie die am besten gebauten Hunde für die Zucht auswählen.
Wichtig wäre auch zu erreichen, dass künftige Welpenbesitzer im eigenen Interesse und zum Wohl des Hundes die Welpenwahl nach dem Struktur-Test treffen. Sie helfen damit den Züchtern, das optimale Zuhause für jeden einzelnen Welpen zu finden.
Oder ist es unvermeidbar, dass Hundewelpen bereits im Alter von drei Wochen nach Farbe ausgewählt werden? Bei der Welpen-Analyse gibt es durchaus auch Eigenheiten, die für den ausgewachsenen Hund nicht vorhergesagt werden können. So können die Körpergrösse, die Knochensubstanz und die Rutenhaltung doch ab und zu später noch für Überraschungen sorgen.
Die Welpen-Testerinnen
Die beiden engagierten Züchterinnen Doris Walder und Eva Holderegger Walser interessieren sich seit 2004 für die Puppy-Puzzle-Methode. Auf dieses Analyseverfahren sind die beiden Frauen durch ein Video aufmerksam geworden, das ihnen eine Züchterin aus Alaska empfohlen hatte. Das Interesse war geweckt. Sie bestellten Bücher bei Pat Hastings und studierten stundenlang DVD’s und Literatur über Bewegungsabläufe beim Hund, gegenseitig testeten sie die eigenen Welpen und die Welpen von befreundeten Züchtern und sammelten über Jahre Erfahrungen. Ein Bewertungsbogen für die Welpentests wurde entwickelt und auf Wunsch von Pat Hastings deren DVD auf Deutsch übersetzt und synchronisiert. Noch ist die DVD in deutscher Sprache leider nicht erhältlich. Nach und nach interessieren sich nebst Züchtern im In- und Ausland auch Tierärzte und Hundephysiotherapeuten für die Welpen-Analyse. Mehr als neunzig Würfe, darunter verschiedenste kleine bis grosse Rassen und auch Mischlinge, haben die beiden Frauen in den vergangenen sieben Jahren gemeinsam analysiert und dokumentiert, das Hauptaugenmerk stets auf die Gesundheit gerichtet und ohne Bewertung der Schönheit der Welpen − denn ein gut gebauter und ausgewogener Welpe ist in sich schön. Beide haben Seminare bei Pat Hastings in den USA und in Schweden besucht, sich intensiv ausgetauscht und weitergebildet und stehen in regem Kontakt mit Pat Hastings. Auf Wunsch einiger Züchter und auch auf Wunsch von Hundesportlern im In- und Ausland haben Doris Walder und Eva Holderegger Walser ein Weiterbildungsangebot zusammengestellt und bieten ganz- und halbtägige Seminare für Rasseclubs, Hundesportvereine sowie im Rahmen von Certodog an.
Informationen zur Welpen-Analyse und zur Analyse am erwachsenen Hund finden Sie unter: www.welpenanalyse.com
Toller und wichtiger Artikel – danke dafür !